Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 13.07.2015 – 3 Ta 6/15
Grundsätzlich übt ein Frachtführer im Sinne der §§ 407 ff HGB ein selbstständiges Gewerbe aus. Jedoch ist ein solches Rechtsverhältnis dann als Arbeitsverhältnis anzusehen, wenn die Tätigkeit des Transporteurs durch den Auftraggeber stärker eingeschränkt wird, als es auf Grund der gesetzlichen Regelungen geboten ist.
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Schwerin vom 30.01.2015 – 3 Ca 34/14 – zu Ziffer 2 des Tenors abgeändert.
Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist hinsichtlich des Zahlungsantrages zu Ziffer 5 aus der Klageschrift eröffnet.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des sofortigen Beschwerdeverfahrens.
3. Die Rechtsbeschwerde gegen diese Entscheidung wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
1
Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Vertragsverhältnisses sowie um Zahlungsansprüche und in diesem Zusammenhang über die Rechtswegzuständigkeit zu den Gerichten für Arbeitssachen.
2
Der Kläger ist seit dem 01.03.2006 als Paketzusteller/Kurierfahrer für die Beklagte tätig. Seit dieser Zeit stellt er mit Hilfe seines Kleintransporters termingebundene Sendungen an die Auftraggeberin der Beklagten (DHL Express Germany Express GmbH) zu bzw. holt diese bei den Kunden ab. Der Kläger wird bei der Beklagten als sogenannter „Subunternehmer/Frachtführer“ geführt. Die Beklagte erwartet von dem Kläger, dass er eine Gewerbeerlaubnis besitzt und seine Vergütung als Einnahme aus selbstständiger Tätigkeit behandelt. Seit Vertragsbeginn im Jahre 2006 ist der Kläger ausschließlich für die Beklagte tätig gewesen. Ein schriftlicher Vertrag besteht zwischen den Parteien nicht.
3
Der werktägliche Ablauf stellt sich im Wesentlichen so dar, dass sich der Kläger bei der Auftraggeberin der Beklagten (künftig DHL) jeden Morgen gegen ca. 05:00 Uhr im Depot der DHL einzufinden hat, um die zuzustellenden Waren zu übernehmen. Das Depot wird von der DHL in eigener Verantwortung betrieben und enthält sämtliche Pakete und Sendungen, die der Kläger im Verlaufe des Vormittags zuzustellen hat (sogenannte erste Welle). Jede Sendung ist dabei mit einem Barcode versehen, der die Vorgabe enthält, bis zu welchem Zeitpunkt sie zugestellt werden muss. Der Kläger erhielt die entsprechenden Informationen, in dem er mit dem Scanner – ein von der DHL zur Verfügung gestelltes Gerät – den Barcode erfasste. Dabei wurden von der DHL als zeitliche Zustelloptionen Zeiten von vor 08:00 Uhr bis vor 12:00 Uhr vorgegeben. Eine Zustellung nach 12:00 Uhr war nur dann vorgesehen, wenn sie als sogenannte Zweitzustellung erfolgen sollte. Diese Zweitzustellung war im Laufe des Tages durch den Kläger bis spätestens 17:00 Uhr vorzunehmen. Ausnahmsweise kam es gelegentlich zu Zustellungen durch den Kläger in der Zeit von 17:00 Uhr bis 22:00 Uhr. Für die Zeit nach 12:00 Uhr hatte der Kläger vor allem die Aufgabe, die Abholung der von den Kunden aufgegebenen Sendungen vorzunehmen. Die Informationen zur Abholung wurden dem Kläger während der Tour auf elektronischem Wege auf sein Empfangsgerät übermittelt. Auf diese Weise war der Kläger werktäglich bis mindestens um 17:00 Uhr im Einsatz. Das von dem Kläger genutzte Arbeitsmaterial wie z. B. Scanner, Empfangsgerät, Formblätter, Mitteilungskarten und Aufkleber wurden durch die DHL gestellt. Das im Eigentum des Klägers befindliche Zustellfahrzeug war erkennbar als ein Fahrzeug der DHL lackiert und beschriftet. Dem Kläger war es durch die Beklagte formal freigestellt, seine vertraglichen Verpflichtungen durch eigene Mitarbeiter zu erfüllen, ohne dass allerdings ein solcher Fall in der Vergangenheit vorgekommen wäre. Vielmehr wurde durch die Beklagte von den Fahrern – und so auch vom Kläger – die Gestellung des eigenen Fahrzeuges erwartet, wenn eine Tour aus persönlichen Gründen nicht gefahren werden konnte. Ausfallzeiten des Klägers in der Vergangenheit wurden regelmäßig durch Mitarbeiter der Beklagten aufgefangen.
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Mit dem Klageantrag zu 1 aus der Klageschrift begehrt der Kläger die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten auf Grund der Kündigung der Beklagten vom 16.12.2013 nicht beendet worden ist. Mit dem Klageantrag zu Ziffer 3 aus der Klageschrift verlangt der Kläger die Verurteilung der Beklagten, ihn als Paketzusteller/Kurierfahrer im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses weiterzubeschäftigen. Mit dem Antrag zu Ziffer 5 aus der Klageschrift begehrt der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines Betrages von 2.457,55 Euro nebst Zinsen. Die Anträge zu den Ziffern 2 und 4 aus der Klageschrift sind zwischenzeitlich zurückgenommen worden.
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Mit Beschluss vom 30.01.2015 hat das Arbeitsgericht den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für die Anträge zu den Ziffern 1 und 3 aus der Klageschrift für eröffnet angesehen und die Rechtswegzuständigkeit für den Zahlungsantrag zu Ziffer 5 aus der Klageschrift abgelehnt. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die praktische Vertragshandhabung befinde sich im Rahmen einer für einen Frachtführer typischen Weisungsgebundenheit. Der Kläger sei nicht stärker in die Organisation und Arbeitsabläufe der Beklagten eingebunden, als dies auch für einen Frachtführer nach den gesetzlichen Vorschriften üblich sei. Mithin fehle es an einem schlüssigen Tatsachenvortrag des Klägers zur Darlegung der notwendigen Arbeitnehmereigenschaft. Auch könne der Kläger angesichts der von ihm erzielten Einkünfte nicht als arbeitnehmerähnliche Person im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG angesehen werden.
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Gegen diese am 12.02.2015 zugestellte Entscheidung hinsichtlich der verneinten Rechtswegzuständigkeit für den Zahlungsantrag richtet sich die am 25. Februar 2015 bei dem Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern eingegangene sofortige Beschwerde des Klägers nebst Begründung.
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Mit Beschluss vom 10.04.2015 hat das Arbeitsgericht entschieden, der sofortigen Beschwerde nicht abzuhelfen.
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In dem sofortigen Beschwerdeverfahren führt der Kläger aus, dass Arbeitsgericht sei zwar im Ansatz von den richtigen Rechtsgrundsätzen ausgegangen, habe jedoch den Sachverhalt rechtlich unzutreffend subsumiert. Auf Grund der engen zeitlichen Vorgaben habe der Kläger keinen Spielraum für eigene Entscheidungen gehabt. Der Kläger habe sich an die konkreten Vorgaben der DHL bei der Art und Weise der zu erledigenden Aufgaben halten müssen. Tatsächlich habe keine Möglichkeit bestanden, auch für andere Auftraggeber tätig zu werden. Ebenfalls sei es dem Kläger nicht möglich gewesen, die Vertragserfüllung durch eigene Mitarbeiter ausführen zu lassen.
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Die Beklagte hält an ihrer Rechtsauffassung fest, der Kläger habe das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses hinsichtlich des gestellten Zahlungsantrages nicht schlüssig dargelegt. Die Beklagte habe dem Kläger nicht die Möglichkeit genommen, selbstständig bei freier eigenständiger Zeiteinteilung die Arbeitsorganisation vorzunehmen. Eine über das übliche Frachtführergeschäft hinausgehende Weisungsgebundenheit liege nicht vor. Der Kläger verfüge hinsichtlich der von ihm durchzuführenden Zustellungen über den für die Annahme eines selbstständigen Frachtführers erforderlichen Grad der persönlichen Unabhängigkeit. Anweisungen zur Übernahme und Ablieferung der zuzustellenden Güter seien Ausfluss und Konkretisierung des Frachtführervertrages. Dem Spediteur stehe naturgemäß gegenüber dem Frachtführer hinsichtlich der Bestimmung der vom Frachtführer aufgesuchten Kunden unter Durchführung der Kundenbesuche im gewissen Umfang ein Weisungsrecht zu. In Bezug auf die Zeitfenster für die Abholung der Waren sei dies im Rahmen des Frachtvertrages eine übliche Vereinbarung zur Konkretisierung der fraglichen Pflichten und deren Erfüllung. Soweit die mit den Kunden vereinbarten Zeitpunkte zur Ablieferung in engen zeitlichen Fenstern liegen, resultiere das aus der zunehmenden Geschäftsentwicklung im Transportbereich. Dem Kläger sei es überlassen gewesen, wie er seine Arbeitsabläufe organisiere. Der Kläger sei nicht verpflichtet gewesen, seine Tätigkeit zwingend höchstpersönlich zu erbringen. Die Entscheidung über das Ob, die Auswahl und den näheren Einsatz des Personals sei für den Kläger durch den Vertrag zunächst in keiner Weise vorgegeben oder irgendwie sonst eingeschränkt gewesen. Einzige Einschränkung sei, dass das eingesetzte Personal über ein „sauberes Führungszeugnis“ verfügen müsse, da dies Voraussetzung sei, um das Betriebsgelände der DHL, auf dem teilweise eine zollrechtliche Abfertigung erfolge, zu betreten. Der Kläger habe daher vollkommen frei entscheiden können, ob er Hilfspersonen einsetze. Mit Ausnahme der Festlegung des dem Kläger zugewiesenen Bezirkes würden Ort, Zeit, Art und Weise der Tätigkeit des Klägers durch die vertragliche Vereinbarung nicht näher festgelegt. Auch eine Meldepflicht bei Abwesenheit stehe der Annahme eines selbstständigen Frachtführers nicht entgegen. Der Kläger habe vertraglich die Übernahme der Frachtbeförderung in einem bestimmten Gebiet übernommen. Daher sei es zwingend, dass der Kläger mitteile, wann er Aufträge übernehme und wann er keine Aufträge übernehme. Dies zeuge auch von der selbstständigen Position des Klägers, der selbst habe bestimmen können, wann er eine Tour übernehme. Er habe auch bestimmen können, ob er auf dieser Tour Hilfspersonal einsetze.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
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Die zulässige sofortige Beschwerde des Klägers ist begründet.
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Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG auch für den Zahlungsantrag zu Ziffer 5 aus der Klageschrift eröffnet. Nach der benannten gesetzlichen Vorgabe sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis.
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Als Arbeitnehmer im Sinne der genannten Norm ist unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Wertung nach § 84 Abs. 1 Satz 2 Abs. 2 HGB insbesondere derjenige anzusehen, der auf Grund eines privatrechtlichen Vertrages im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist und seine Arbeitszeit nicht selbst bestimmen kann (BAG vom 20.01.2010 – 5 AZR 99/09 – juris, Rn. 13). Allerdings ist in diesem Zusammenhang ebenfalls anerkannt, dass die Weisungsgebundenheit sowie das Merkmal der fremdbestimmten Arbeitszeitgestaltung keine Ausschließlichkeitskriterien darstellen. Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hängt immer auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Abstrakte, für alle Arbeitsverhältnisse geltende Merkmale lassen sich nicht aufstellen. Letztendlich kommt es für die Beantwortung der Frage, welches Rechtsverhältnis im konkreten Fall vorliegt, auf eine Gesamtwürdigung aller maßgebenden Umstände des Einzelfalles an. Der jeweilige Vertragstyp ergibt sich aus dem wirklichen Geschäftsinhalt (BAG vom 20.01.2010, a. a. O.). Diese Grundsätze sind auch im Bereich Transport und Verkehr anzuwenden. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber den Frachtführer als selbstständigen Gewerbetreibenden und damit nicht als Arbeitnehmer eingeordnet hat, obwohl der Frachtführer schon von Gesetzes wegen weitreichenden Weisungsrechten unterliegt (§ 418 HGB). Der Frachtführer ist regelmäßig auch dann selbstständiger Gewerbetreibender, wenn die Zusammenarbeit mit seinem Aufraggeber auf einem auf Dauer angelegten entsprechenden Rahmenvertrag beruht und das Fahrzeug – wie in der Branche üblich – die Farben und das Firmenzeichen eines anderen Unternehmers aufweist. Insoweit ist die gesetzgeberische Wertung, wonach Frachtführer Gewerbetreibende und damit Selbstständige sind (§ 407 HGB) zu Grunde zu legen. Ein Arbeitsverhältnis kann aber dann zu bejahen sein, wenn Vereinbarungen getroffen und praktiziert werden, die zur Folge haben, dass der betreffende Fahrer in der Ausübung seiner Tätigkeit weit weniger frei ist, als ein Frachtführer im Sinne des HGB, er also nicht mehr im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Wirtschaftliche Zwänge allein können die Arbeitnehmereigenschaft nicht begründen. Entscheidend ist vielmehr, welche Gestaltungsspielräume den Beschäftigen in dem System noch verbleiben und ob seine persönliche Abhängigkeit das für Arbeitsverhältnisse typische Maß erreicht (BAG vom 13.03.2008 – 2 AZR 1037/06 – NZA 2008, Seite 878).
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Gemessen an den benannten Voraussetzungen ist der Kläger vorliegend Arbeitnehmer der Beklagten.
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Zwar wird gemäß § 407 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 HGB auch der gewerbsmäßig tätige Frachtführer durch den Frachtvertrag gegenüber dem Absender verpflichtet, das Gut zum Bestimmungsort zu befördern und dort an den Empfänger abzuliefern. Danach setzt der Frachtvertrag ein Gewerbe und damit auch eine selbstständige Tätigkeit des Frachtführers nach dem Willen des Gesetzgebers voraus. Der selbstständige Frachtführer ist – im Vergleich zu anderen selbstständigen Unternehmen – nach seinem Berufsbild zudem in hohem Maße weisungsabhängig. Dies gilt insbesondere in Bezug auf die Arbeitszeit. Die Beförderung von Gütern ist zumeist abhängig von einzuhaltenden Lieferterminen. Insoweit kann der Frachtführer nicht frei festlegen, wann er das Gut zum Empfänger befördert. Er ist allenfalls darin frei, den angebotenen Beförderungsauftrag anzunehmen oder nicht anzunehmen, um gegebenenfalls einen lukrativeren Fuhrauftrag zu realisieren (LAG Rheinland-Pfalz vom 05.03.2010 – 10 Ta 10/10 -, juris Rn. 16,17).
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Jedoch ergibt sich vorliegend aus der gebotenen Gesamtschau der tatsächlichen Handhabung bzw. der tatsächlichen Vertragsgestaltung, dass der Umfang sowie die Art und Weise der Vertragsdurchführung den Kläger in einem noch stärkeren Maß an die Beklagte gebunden hat, als dies ohnehin für einen Frachtführervertrag nach den §§ 407 ff HGB üblich und notwendig ist. Dabei ist zunächst der erstinstanzlichen Entscheidung insoweit beizutreten, als eine isolierte Betrachtung der in diesen Fällen in der Rechtsprechung üblicherweise herangezogenen einzelnen Kriterien für sich genommen keine eindeutigen Rückschlüsse auf den Bestand eines Arbeitsverhältnisses zulassen. Denn sowohl eine umfassende zeitliche Gebundenheit bei der Auftragsverrichtung, als auch die Eigenschaft als sogenannter „Selbstfahrer“ und die Verpflichtung, das eigene Fahrzeug mit den Farben und dem Firmenzeichen des Auftraggebers (hier DHL) auszustatten und von diesem gestellte technische Arbeitsmittel zu nutzen, verhalten sich jeweils für sich betrachtet im Rahmen der gesetzlichen Ausgestaltung eines Frachtführervertrages nach den §§ 407 ff HGB. Dies gilt grundsätzliche ebenfalls für die Umstände einer unbefristeten vertraglichen Tätigkeit für nur einen Unternehmer sowie die tägliche Weisungsmöglichkeit zur Erledigung bestimmter Aufgaben wie z. B. hier die Abholung bestimmter Post- und Paketsendungen durch den Auftraggeber (hier DHL) an den (Unter)Frachtführer (hier Kläger).
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Bei der gebotenen Durchführung der Gesamtbetrachtung der Einzelfallumstände ergibt sich jedoch eine deutlich stärkere Einbindung des Klägers in die betriebliche Organisation und in die betrieblichen Abläufe der Beklagten, als dies für die Durchführung eines Frachtführervertrages nach den gesetzlichen Vorgaben notwendig und erforderlich gewesen wäre. Diesbezüglich ist vorab zu bedenken, dass die Beklagte vertraglich von der DHL die Aufgabe der Zustellung bzw. Abholung termingebundener Sendungen für von der DHL vorgegebene „Zustellbezirke“ übernommen hat und nach dem Vortrag der Parteien in diesem Zusammenhang von dem von ihr insoweit zur eigenen Vertragserfüllung eingesetzten Personen vertraglich die Nutzung der von der DHL gestellten Betriebsablaufstrukturen (Art und Weise der Warenannahme, technische Ausrüstung der Fahrzeuge, zeitliche Staffelung der Zustellreihenfolge etc.) erwartet. Die Beklagte hat sich mithin im Rahmen der vertraglichen Verpflichtung gegenüber der DHL die dortigen Vorgaben zu den Tätigkeitsabläufen im Verhältnis der vertraglichen Ausgestaltung zu diesbezüglich selbst eingesetzten Personen zu Eigen gemacht.
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Davon ausgehend erbringt der Kläger die vertraglich gegenüber der Beklagten geschuldeten Tätigkeiten unter Berücksichtigung des hier gegebenen Sach- und Streitstandes im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses.
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Der Kläger war auf der Grundlage der vertraglichen Verpflichtungen der Beklagten gegenüber der DHL gehalten, die anfallenden Zustellungen bzw. Abholungen von überwiegend Post- und Paketsendungen in einem von der Beklagten zugewiesenen Zustellbezirk zu realisieren. Dazu war es tatsächlich notwendig, sich um 05:00 Uhr morgens im Zentraldepot der DHL in B-Stadt einzufinden, um die ersten zuzustellenden Gegenstände entgegenzunehmen und sodann in einem engen zeitlichen Rahmen die Zustellungen vorzunehmen, zur Aufnahme neuer Waren zurückzukehren und diese dann wiederum zuzustellen u. s. w., und zwar nach den Prioritätenvorgaben der DHL (1. Fahrzeug ist einsatzfähig und sauber; 2. Fahrerausstattung ist vollständig; 3. Scanner + Handy sind funktionsfähig und aufgeladen; Zeitoptionen/AA – vor 08:00 Uhr/ A – vor 09:00 Uhr/ B – vor 10:00 Uhr/ C – vor 12:00 Uhr/ D – über Nacht/ F – 17:00 Uhr bis 22:00 Uhr/ ZP – Zeitpunktzustellung/ E – 12:00 Uhr bis 17:00 Uhr – nur als ZZ möglich). Zudem muss sich die Beklagte im Rahmen ihrer Verpflichtungen gegenüber der DHL die in den sogenannten „Handouts“ der DHL enthaltenen Tätigkeitshinweise an die Fahrer – und so auch an den Kläger – zurechnen lassen. Diese sogenannten „Handouts“ enthalten hinsichtlich der jeweiligen Tätigkeitsschritte zum Teil sehr exakte Hinweise. Das „Handout – Sendungsübergabe“ beinhaltet, wie die Zustellung in unterschiedlichen Konstellationen zu erfolgen und welche Meldungen der Fahrer in die EDV einzustellen hat, wobei es für die jeweiligen Zustellarten jeweils spezielle Regelungen gibt. In dem „Handout – Zustellhindernisse“ wird den Fahrern aufgegeben, wie im Falle von Zustellhindernissen zu verfahren ist und welche Meldungen in die EDV einzustellen sind. In dem „Handout – Packstation“ wird den Fahrern vorgegeben, wie zu verfahren ist, wenn Sendungen in die Packstation bei der DHL zu legen sind. In Problemfällen ist die bei der DHL eingerichtete Hotline anzurufen, um sich von dort das weitere Vorgehen erläutern zu lassen. Nach dem „Handout – Abholung“ werden den Fahrern die Abholungen per elektronischer Mitteilung übersandt. Vorgegeben wird die Abholzeit, die ein Zeitfenster von 90 bzw. 120 Minuten hat. Die Fahrer haben diesbezüglich feste Vorgaben, wie die Abholsendungen erfasst werden und gegebenenfalls abzurechnen sind. In dem „Handout – Qualität und Kundenorientierung“ werden die Fahrer auf Verhaltensmöglichkeiten im Umgang mit den Kunden der DHL hingewiesen. Dazu gehört beispielsweise die Anweisung, dass das Fahrzeug stets abzuschließen ist oder die Verpflichtung, den Ausweis stets sichtbar zu tragen. Auch besteht insoweit ein Rauchverbot. Im Einzelnen heißt es in der „Information für Fahrer/Handout – Qualität und Kundenorientierung“ wie folgt:
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„BEI JEDER FAHRT DABEI:
DIE 10 GOLDENEN REGELN.
Sie sind das Aushängeschild von DHL Express in Deutschland. Daher empfehlen wir Ihnen die folgenden 10 Goldenen Regeln, die für die Zufriedenheit der Kunden, ihr Tagesgeschäft, Ihre Sicherheit und einen reibungslosen Betriebsablauf wichtig sind.
1. Begegnen Sie den Kunden mit Freundlichkeit, Höflichkeit und Respekt.
2. Helfen Sie Kunden und Kollegen, immer dann wenn es nötig ist.
3. Bleiben Sie auch bei wütenden Kunden ruhig. Lassen sie sich nie provozieren.
4. Verzichten Sie darauf vor Kunden und in deren Räumen zu rauchen.
5. Tragen Sie die Fahrerkleidung und achten Sie auf ein gepflegtes Erscheinungsbild.
6. Beladen Sie Ihr Fahrzeug sicher, so dass während der Fahrt und beim Ausladen keine Sendung beschädigt wird.
7. Schließen Sie Ihr Fahrzeug immer ab, wenn Sie es verlassen.
8. Beachten Sie alle Verkehrsregeln und verhalten Sie sich im Straßenverkehr angemessen.
9. Tragen Sie Ihren Legitimationsausweis immer sichtbar.
10. Gehen Sie mit der Ihnen anvertrauten Ausstattung wie dem Scanner vorsichtig um.“
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Bereits die vorstehenden Umstände ergeben nach Auffassung des erkennenden Gerichts eine deutlich höhere Einschränkung des Klägers, als dies bei Frachtführern nach den gesetzlichen Vorgaben der §§ 407 ff HGB der Fall ist.
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Zusätzlich wird dieses Ergebnis noch dadurch verstärkt, dass nach dem unstreitigen Vortrag der Parteien auch die als selbstständig geführten Fahrer der Beklagten – und so auch der Kläger – im Falle der krankheitsbedingten und freizeitbedingten Abwesenheit verpflichtet sind, ihre Fahrzeuge zur Verfügung zu stellen, damit diese von anderen Fahrern genutzt werden können, um die vertraglichen Verpflichtungen der Beklagten gegenüber der DHL zu erfüllen. Auch dieser Umstand geht deutlich über die gesetzlich vorgegebene Einschränkung eines Frachtführers nach §§ 407 ff HGB hinaus.
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Soweit die Beklagte dem entgegenhält, der Kläger habe – unstreitig – ein Gewerbe angemeldet, berechne ihr gegenüber die Umsatzsteuer und könne selbst entscheiden, ob er die Frachtbeförderung annehmen wolle oder nicht, so rechtfertigen diese Überlegungen ein anderes Ergebnis nicht. Nach den geschilderten Gepflogenheiten der konkreten Vertragsdurchführung war der Kläger in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht so stark in die sich aus der vertraglichen Verpflichtung der Beklagten gegenüber der DHL ergebenden Arbeitsabläufe eingebunden, wie dies für ein Arbeitsverhältnis typisch ist.
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Auch der Vortrag der Beklagten, dem Kläger habe es frei gestanden, eigene Mitarbeiter einzusetzen, überzeugt das erkennende Gericht nicht.
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Ob ein Rechtsverhältnis als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist oder nicht, hängt eben maßgeblich auch davon ab, inwieweit der Schuldner die Leistung persönlich zu erbringen hat. Dabei ist die Verpflichtung zur persönlichen Leistungserbringung ein typisches Merkmal für ein Arbeitsverhältnis. Ist der zur Leistung verpflichtete dagegen berechtigt, die Leistung durch Dritte erbringen zu lassen, so steht ihm ein eigener Gestaltungsspielraum zu, der gegen die Annahme eines Arbeitsverhältnisses spricht. Dennoch ist es nicht gerechtfertigt, wegen der Berechtigung des Vertragspartners, die vertraglich geschuldete Leistung durch Dritte erbringen zu lassen, von vornherein ein Arbeitsverhältnis auszuschließen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn – wie hier – die persönliche Leistungserbringung die Regel ist und – wie hier – eine (theoretische) Leistungserbringung durch Dritte tatsächlich während der Vertragslaufzeit zu keinen Zeitpunkt erfolgt ist (vgl. insoweit auch BAG vom 19.11.1997 – 5 AZR 653/96 -, juris Rn. 125). In diesem Fall stellt die Möglichkeit, Dritte zur Leistungserbringung einsetzen zu dürfen, lediglich eines von mehreren im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu berücksichtigendes Anzeichen dar.
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Nach alledem ist wie erkannt zu entscheiden.
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Die Beklagte hat als unterlegene Partei die Kosten des sofortigen Beschwerdeverfahrens zu tragen.
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Diese Entscheidung ergeht ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden allein.
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Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht ersichtlich.
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Mithin ist ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung nicht gegeben.