LG Braunschweig, Urteil vom 26.11.2015 – 4 S 60/14
Zur Haftung des Betreibers einer Waschanlage für Auffahrunfall
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagtenseite vom 14.02.2014 wird das Urteil des Amtsgerichts Braunschweig vom 04.02.2014 – 116 C 2943/13 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Die Parteien streiten um Schadensersatz wegen Beschädigung des klägerischen Fahrzeugs 12.04.2013 in einer automatisierten Waschstraße, die die Beklagte betreibt.
Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird zunächst verwiesen auf das Urteil des Amtsgerichts Braunschweig vom 04.02.2014.
Das Amtsgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben. Es hat der Beklagten als Betreiberin der streitgegenständlichen Waschstraße im Rahmen des zwischen den Parteien geschlossenen Werkvertrages über eine automatisierte Wagenwäsche die Pflicht auferlegt, den Waschvorgang so zu gestalten, dass eine Beschädigung des PKW der Klägerin vermieden wird. Alleine aus dem Umstand, dass das Fahrzeug unstreitig während des Betriebes der Waschanlage beschädigt worden sei, hat es eine objektive Pflichtverletzung der Beklagten geschlossen.
Gegen das am 07.02.2014 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 14.02.2014, am gleichen Tage beim Berufungsgericht per Fax eingegangen, Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 24.02.2014, am gleichen Tage per Fax bei dem Berufungsgericht eingegangen, hat sie die Berufung begründet. Sie führte aus, dass eine Garantiehaftung bei Beschädigung eines Fahrzeuges für den Betreiber einer Waschanlage gerade nicht bestehe, sondern dieser nur hafte, wenn die Beschädigung eines Fahrzeuges auf eine von ihm zu vertretende objektive Pflichtverletzung zurückzuführen sei. Eine solche Pflichtverletzung habe die Klägerin jedoch nicht beweisen können. Eine Auffahrsicherung, wie vom Amtsgericht als möglich bzw. notwendig dargestellt, sei technisch nicht möglich, da eine solche Installation aufgrund der Waschutensilien nicht möglich sei. Hierzu habe man bereits erstinstanzlich Beweis angetreten.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des am 04.02.2014 verkündeten Urteils des Amtsgerichts Braunschweig (Az 116 C 2943/13) die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Aus den Feststellungen des Gerichts erster Instanz habe sich ergeben, dass eine Pflichtverletzung bereits darin zu sehen sei, dass unabhängig von der Ursache des Kopierens des Fahrzeugs das Förderband sofort habe abgeschaltet werden müssen.
Die Kammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Streitverkündeten als Zeugen in der mündlichen Verhandlung vom 05.06.2014 sowie durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens durch den Sachverständigen … . Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 05.06.2014 (Blatt 112 ff. der Akte) sowie das schriftliche Gutachten des Sachverständigen (Blatt 176 ff. der Akte).
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung hat in vollem Umfang Erfolg.
1.
Die Klägerin hat keine Ansprüche aus §§ 280 Abs. 1, 241, 631, 823 BGB gegen die Beklagte wegen des zwischen den Parteien unstreitigen Schadensfalles.
a.
Zunächst ergibt sich eine Haftung der Beklagten nicht aus einer verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung, da eine solche vom Gesetzgeber für die Betreiber einer automatischen Waschanlage nicht normiert ist. Außerhalb der gesetzlich normierten Gefährdungshaftung besteht jedoch kein Raum für deren Anwendung (vergleiche Sprau in Palandt, BGB, 74. Auf!., 2015, vor § 823, Rn. 11).
b.
Eine von der Beklagten zu vertretende Pflichtverletzung im Zusammenhang mit dem Schadensereignis steht jedoch nicht zur Überzeugung der Kammer fest.
Zunächst besteht nach Auffassung der Kammer bei einer Konstellation wie der vorliegenden, in der ein Kraftfahrzeug auf ein anderes, vorher bereits nicht weiter transportiertes Fahrzeug aufgeschoben wird, keine Vermutung dahingehend, dass der hierdurch am aufgeschobenen Fahrzeug eingetretene Schaden auf einer Pflichtverletzung des Betreibers der Wachanlage beruht, weil er nur aus dem Verantwortungsbereich des Waschanlagenbetreibers stammen kann (LG Wuppertal, Urteil vom 23. Oktober 2014 – 9 S 129/14-, juris). Es steht nämlich nicht außerhalb jeglicher Wahrscheinlichkeit, dass ein solcher Unfall durch den Fahrer des vorhergehenden Fahrzeugs zumindest mit verursacht wurde.
Es obliegt daher der Klägerseite, Beweis dahingehend zu führen, dass die Beklagte eine ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht in Bezug auf die durch den Betrieb der Waschanlage geschaffene Gefahr verletzt hat. Aufgrund dieser von der Rechtsauffassung der ersten Instanz abweichenden Maßstäbe zur Beurteilung der Verkehrssicherungsplicht hatte die Kammer ergänzend Beweis zu erheben.
Der Beweis einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte ist der Klägerin nach durchgeführter Beweisaufnahme nicht gelungen,
Die Bedeutung der Verkehrssicherungspflicht liegt darin, dass sich der Pflichtige bei Abwicklung des Schuldverhältnisses so zu verhalten hat, dass unter anderem das Eigentum des anderen Teils nicht verletzt wird. Dabei ist eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, nicht erreichbar. Es geht vielmehr um die Risikoverteilung zwischen dem Sicherungspflichtigen und der gefährdeten Person. Der Pflichtige muss deshalb nicht für alle denkbaren, entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge treffen. Es genügen diejenigen Vorkehrungen, die nach den konkreten Umständen zur Beseitigung der Gefahr erforderlich und zumutbar sind. Erforderlich sind die Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für notwendig und ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren (Sprau in Palandt, BGB, 74. Aufl., 2015, § 823, Rn. 51).
aa.
Die Klägerseite hat zunächst nicht beweisen können, dass eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht nach dem obigen Maßstab darin liegt, dass die streitgegenständliche Waschanlage nicht ordnungsgemäß funktionierte und das Entgleisen des vorausgehenden Fahrzeugs darin begründet liegt.
Dagegen sprechen für die Kammer insbesondere die besonders gründlichen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen … in seinem schriftlichen Gutachten vom 13.03.2015 sowie die darin zu Papier gebrachte Videodokumentation der Beklagten. In überzeugender Weise, so dass die Kammer sich dem anschließen konnte, stellte der Sachverständige fest, dass sich keine Hinweise darauf haben finden lassen, dass die Waschanlage der Beklagten zum Zeitpunkt des Vorfalls am 12.04.2013 nicht den anerkannten Regeln der Technik entsprochen habe. Auch ein Defekt an der Anlage sei nicht festzustellen gewesen. Für die Kammer nachvollziehbar führt der Sachverständige aus, dass als Ursache nur ein Defekt an der seitlichen Führungsschiene für eine Entgleisung des vorhergehenden Fahrzeuges in Betracht komme. Ein solcher Defekt könne nur in einem Bruch oder einem Abriss an der Führungsschiene begründet liegen. Ein solcher Defekt würde dann aber sofortige Reparaturmaßnahmen und damit eine Unterbrechung des Waschbetriebes erforderlich machen, der sich jedoch aus den Unterlagen nicht ergebe. Die Kammer schließt sich dieser Wertung an, da ein solcher auch nicht vorgetragen ist. Letztlich ist das vorausfahrende Fahrzeug störungsfrei transportiert worden, sodass ein solcher Defekt nicht erkennbar ist, wie auch der Sachverständige ausführt.
Nicht auszuschließen sei hingegen, so der Sachverständige, dass das Entgleisen des vorausgehenden Fahrzeugs auf ein unsachgemäßes Eingreifen der darin sitzenden Person oder einen technischen Defekt des vorausgehenden Fahrzeugs beruhe. Ein Anreiben an den Seiten der Führungsschiene sei zum Ausfahren aus der Spur notwendig. Dies führe jedoch nicht zwangsläufig zum Entgleisungsvorgang. Ein Entgleisen könne auch durch unbewusstes Eingreifen des Fahrers, durch ein eingerastetes Lenksperrschloss oder auch durch einen Defekt am Fahrwerk des Fahrzeugs herbeigeführt werden. Die Kammer schließt sich daher dem Sachverständigen an, dass es zumindest nicht überwiegend wahrscheinlich ist, dass ein technischer Defekt an der Waschanlage vorgelegen hat, sondern weitere Ursachen, wie ein unbewusstes Eingreifen und/oder ein technischer Defekt am Fahrzeug, möglich sind.
Daran ändern auch die Angaben des Nebenintervenienten … für die Kammer nichts.
Zwar waren auch seine Angaben im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 05.06.2014 für die Kammer plausibel und nachvollziehbar, sie schließen jedoch lediglich, so man ihnen folgt, ein Eingreifen des Nebenintervenienten selbst aus. Nicht ausgeschlossen ist jedoch, dass ein technischer Defekt am Fahrzeug des Nebenintervenienten vorgelegen hat, der kausal für das Entgleisen war.
Unter Gesamtwürdigung der Angaben des Nebenintervenienten und der Ausführungen des Sachverständigen verbleiben somit für die Kammer ausreichende Zweifel, um nicht im Sinne des § 286 ZPO davon überzeugt zu sein, dass das Entgleisen des vorausgehenden Fahrzeugs auf einer Pflichtverletzung der Beklagten beruht.
bb.
Ebensowenig liegt für die Kammer eine Pflichtverletzung dahingehend vor, dass eine Schutzpflicht bestanden hätte, das Auffahren des klägerischen Fahrzeugs auf das vorausgehende, entgleiste, Fahrzeug zu verhindern. Eine solche Verkehrssicherungspflicht besteht nach Auffassung der Kammer nicht.
Der Maßstab, der von der Beklagten bezüglich ihrer Verkehrssicherung zu fordern ist, ergibt sich für die Kammer insbesondere aus den Ausführungen des Sachverständigen Dieser hat in seinem Gutachten, dort Seite 49, für die Kammer nachvollziehbar ausgeführt, dass automatische Abschaltvorrichtungen innerhalb der Waschanlage nicht üblich und technisch auch nicht überall möglich seien. Lediglich in seltenen Fällen würden Kontaktsstellen an der Mauer verbaut, die die Anlage in den Notaus schalten, sobald ein entgleistes Fahrzeug gegen diesen Kontakt fahre. Entlang der vorhergehenden Durchfahrt durch die Waschstraße, zum Beispiel durch die Trocknung, seien derartige Schalter jedoch nicht üblich und im Bereich der Trocknung wohl auch nicht einzusetzen, weil die starken Luftströme, die dort vorhanden sein, den Schalter ebenfalls auslösen könnten.
Nach Auffassung der Kammer ist jedoch auch eine Überwachung durch Video nicht von der Beklagten zu fordern. Der Sachverständige hatte für die Kammer nachvollziehbar ausgeführt, dass eine Videoüberwachung innerhalb einer Waschanlage primär dem späteren Nachvollzug des Vorganges diene, um Fehlverhalten der Fahrer aufklären zu können. Eine permanente Videoüberwachung würde erfordern, dass permanent ein Mitarbeiter die? innerhalb der Anlage installierten 4-6 Bildschirme verfolgen und bei Erkennen eines Entgleisungsvorgangs die Anlage manuell in den Notaus schalten müsste. Eine Automatik, die dieses Abschalten durchführe, sei nicht möglich.
Die Kammer schließt aus diesen Ausführungen, dass eine solche Videoüberwachung nicht zu den im Verkehrskreis der Waschanlagenbetreiber üblichen Sicherheitsvorkehrungen gehört. Dies wäre jedoch erforderlich, um eine solche Verkehrssicherungspflicht in dieser konkreten Art zu fordern, Sofern in der Rechtsprechung vereinzelt vertreten wird, wenn schon bei Betrieb einer Waschanlage eine Videoanlage vorhanden sei, müsse eine permanente Überwachung dem Betreiber zumutbar sein, zumal die Kosten an die Kunden weitergegeben werden könnten und kein Wettbewerbsnachteil entstehen würde, wenn alle Waschstraßenbetreiber so verfahren müssten (LG Wuppertal, Urteil vom 23.10.2014 – 9 S 129/14), schließt sich die Kammer dem nicht an. Dem Betreiber einer Waschanlage kann nicht deswegen, weil er durch die zusätzliche und nicht vom Gesetzgeber geforderte Anschaffung eine Videoanlage zu Beweiszwecken auch für die Kunden bereithält, eine zusätzliche, personalintensive Überwachungspflicht erwachsen. Dies ist nach Auffassung der Kammer auch nicht mit der wirtschaftlichen Natur einer vollautomatischen Waschanlage vereinbar, die die Kunden gerade aufgrund des durch den automatisierten Vorgang niedrigen Preises, da Personal eingespart werden kann, aufsuchen.
2.
Aus den oben genannten Gründen war auch der Feststellungsantrag der Klägerin ohne Erfolg.
3.
Mangels Hauptforderungen waren auch Nebenforderungen, insbesondere außergerichtliche Rechtsanwaltskosten sowie Zinsen, nicht zuzusprechen.
4.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO i. V. m. § 26 Nr. 8 EGZPO.
5.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.