Zur Ausbildungsförderung für Auszubildende, die nicht bei ihren Eltern wohnen

VGH München, Beschluss v. 01.04.2016 – 12 CE 16.478

Ist es für einen Auszubildenden aus schwerwiegenden sozialen Gründen unzumutbar,  bei seinen Eltern zu wohnen, und kann er deshalb eine in der Nähe der Eltern gelegene Ausbildungsstätte nicht besuchen, hat er einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende bzw. der Sozialhilfe, jedoch nicht auf BAföG.

Tenor
I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe
1
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Die Antragstellerin hat das Bestehen eines Anordnungsanspruchs für den Erlass einer Leistungsanordnung weder im erstinstanzlichen Verfahren noch im Beschwerdeverfahren glaubhaft gemacht.
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1. Wohnt eine Auszubildende nicht bei ihren Eltern, setzt nach § 2 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 BAföG die Förderung einer Fachschulausbildung im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 1 BAföG (hier: Berufsfachschule für Kosmetik) voraus, dass von der Wohnung der Eltern aus eine entsprechende, zumutbare Ausbildungsstätte nicht zu erreichen ist. Sind, wie im Fall der Antragstellerin, die Eltern geschieden, tritt an die Stelle der Wohnung der Eltern diejenige des jeweiligen Elternteils. Die Antragsgegnerin wie auch das Verwaltungsgericht haben die Antragstellerin im vorliegenden Verfahren daher zu Recht auf die Wohnung ihres Vaters in A. verwiesen, von wo aus in zumutbarer Entfernung eine der besuchten Ausbildungseinrichtung entsprechende Fachschule zur Verfügung steht. Insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen nach § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO auf die für zutreffend erachteten Gründe des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses verwiesen.
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1.1 Wenn die Antragstellerin nunmehr im Beschwerdeverfahren vorträgt, ihr Vater habe erneut geheiratet und bewohne in A. mit seiner Ehepartnerin eine Wohnung von nur 42 m², führt dies nicht zu einem Förderanspruch trotz auswärtiger Unterbringung. Denn nach ständiger Rechtsprechung stehen beengte Wohnverhältnisse ebenso wie eine nicht mehr bestehende Eltern-Kind-Bindung dem ausbildungsförderungsrechtlichen Verweis auf die Wohnungnahme bei einem Elternteil nicht entgegen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 15.10.2014 – 12 B 1098/14 – juris Rn. 4; VGH Baden-Württemberg, U.v. 17.2.2003 – 7 S 1895/02 – juris Rn. 35). Lediglich dann, wenn die Antragstellerin rechtlich gehindert wäre, bei ihrem Vater Wohnung zu nehmen, käme die Leistung von Ausbildungsförderung bei auswärtiger Unterbringung in Betracht. Dies wäre etwa dann der Fall, wenn der Vater der Antragstellerin erneut geheiratet hätte, der neue Ehepartner die Aufnahme der Antragstellerin in die Wohnung berechtigt ablehnen würde und der Vater der Antragstellerin zum Zusammenleben mit seinem neuen Ehepartner verpflichtet wäre (vgl. BVerwG, U.v. 12.6.1986 – 5 C 48.84 – BVerwGE 76, 260, U.v. 27.2.1992 – 5 C 68.88NVwZ 1992, 887; OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 20.3.2013 – 12 A 2601/11 – juris Rn. 25 f.). Dass diese Voraussetzungen, die ausnahmsweise den Verweis des Auszubildenden auf die Wohnungnahme bei einem Elternteil ausschließen, im vorliegenden Fall gegeben sind, macht die Antragstellerin indes in keiner Weise glaubhaft. Allein die Information, der Vater habe erneut geheiratet und bewohne nunmehr eine 42 m²-Wohnung, reicht hierfür nicht aus und kann – jedenfalls derzeit – den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nicht tragen. Der Antragstellerin bleibt es jedoch unbenommen, das Vorliegen der genannten Voraussetzungen in geeigneter Weise glaubhaft zu machen und insoweit beim Verwaltungsgericht ein Abänderungsverfahren analog § 80 Abs. 7 VwGO zu betreiben.
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1.2 Wie das Verwaltungsgericht weiter zutreffend ausgeführt hat, rechtfertigen allein ausbildungsbezogene Gründe die Förderung einer Ausbildung bei auswärtiger Unterbringung nach § 2 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 BAföG. Von der Möglichkeit in § 2 Abs. 1a Satz 2 BAföG, mittels Rechtsverordnung Fallgruppen zu bestimmen, bei deren Vorliegen Förderung auch dann zu leisten ist, wenn dem Auszubildenden die Wohnungnahme bei seinen Eltern „aus schwerwiegenden sozialen Gründen unzumutbar ist“, hat der Verordnungsgeber bislang keinen Gebrauch gemacht (vgl. hierzu VGH Baden-Württemberg, U.v. 17.2.2003 – 7 S 1895/02 – juris; OVG Berlin-Brandenburg, U.v. 17.9.2008 – 6 B 2.08 – juris; Niedersächsisches OVG, B.v. 28.4.2009 – 4 LB 317/08 – juris; BayVGH, B.v. 5.12.2012 – 12 BV 11.1377 – juris; OVG Nordrhein-Westfalen, B.v. 20.3.2013 – 12 A 2601/11 – juris Rn. 32 f. mit weiteren Nachweisen aus der Rspr.; Fischer in Rothe/Blanke, Bundesausbildungsförderungsgesetz, § 2 Rn. 19). Wenn die Antragstellerin vorträgt, sie sei 2006, d. h. vor nunmehr rund 10 Jahren, mit ihrer Mutter in ein Frauenhaus gezogen und ihr drohten bei einem Zusammenleben mit ihrem Vater Gefahren für Leib und Leben, macht sie derart „schwerwiegende soziale Gründe“ geltend, die der Bundesgesetzgeber ausdrücklich einer Regelung durch den Verordnungsgeber anheimgegeben hat (vgl. in einem vergleichbaren Fall Niedersächsisches OVG, B.v. 28.4.2009 – 4 LB 317/08NJW 2009, 3670 ff.). Nach ständiger Rechtsprechung ist die Norm angesichts des dezidierten Willens des Gesetzgebers einer erweiternden Auslegung nicht zugänglich (vgl. hierzu VG Gießen, U.v. 10.9.2015 – 3 K 260/14.GI – juris Rn. 30). Sie erweist sich ferner – angesichts weiterer finanzieller Fördermöglichkeiten und des weiten Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers im Bereich der Leistungsverwaltung – auch nicht als verfassungswidrig. Nur ergänzend sei diesbezüglich darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin zwar den Antrag eines Frauenhauses auf Erteilung einer Auskunftssperre vorgelegt hat, das Vorliegen der behaupteten aktuellen Gefahr für Leib und Leben bei einer Rückkehr in die väterliche Wohnung jedoch ebenfalls nicht glaubhaft macht.
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1.3 Soweit der Bevollmächtigte der Antragstellerin ferner vorträgt, die Antragstellerin sei derzeit weder in der Lage, das Schulgeld für die Berufsfachschule für Kosmetik aufzubringen, noch ihren Lebensunterhalt zu sichern, sie werde vielmehr allein von ihrem Freund, mit dem sie zusammenlebe, unterhalten, gebietet dieser Umstand nicht, der Antragstellerin aus verfassungsrechtlichen Gründen mit Blick auf die Gewährleistung des Existenzminimums einen Anspruch auf Leistung von Ausbildungsförderung zuzubilligen. Denn der Gesetzgeber verweist für den Fall, dass die Leistung von Ausbildungsförderung bei auswärtiger Unterbringung an der Voraussetzung des § 2 Abs. 1a Satz 1 BAföG scheitert, den Auszubildenden auf die Inanspruchnahme der Grundsicherung für Arbeitssuchende bzw. die Sozialhilfe. Sowohl § 7 Abs. 6 Nr. 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) wie auch § 22 Abs. 2 Nr. 1 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) sehen die grundsätzliche Leistungspflicht an Auszubildende, bei denen die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1a BAföG nicht vorliegen, ausdrücklich vor. Die Antragstellerin muss sich daher zur Deckung des Lebensunterhalts auf die Inanspruchnahme von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende bzw. der Sozialhilfe verweisen lassen (vgl. VGH Baden-Württemberg, U.v. 17.2.2003 – 7 S 1895/02 – juris Rn. 47 zur Rechtslage nach dem BSHG). Soweit der Bevollmächtigte der Antragstellerin in diesem Zusammenhang auf die Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit abstellt, übersieht er, dass dieser Grundsatz das Verwaltungshandeln im Bereich der Eingriffsverwaltung leitet, dem Gesetzgeber hingegen bei der Ausgestaltung der Leistungsverwaltung regelmäßig ein weiter Gestaltungsspielraum zukommt, den in erster Linie der Gleichheitssatz verfassungsrechtlich determiniert (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 12.6.1986 – 5 C 48.84 – BVerwGE 76, 260). Anhaltspunkte dafür, dass der Antragstellerin von Verfassungs wegen ein Anspruch gerade auf Leistung von Ausbildungsförderung zukommt, legt ihr Bevollmächtigter weder dar, noch sind sie sonst ersichtlich (vgl. VG Gießen, U.v. 10.9.2015 – 3 K 260/14.GI – juris Rn. 31 ff.).
6
Mithin liegt im vorliegenden Fall – jedenfalls derzeit – kein Anordnungsanspruch zugunsten der Antragstellerin vor. Dabei kann es dahinstehen, ob möglicherweise die von ihr bereits absolvierte Ausbildung zur Zahntechnischen Fachangestellten (ZFA) eine Förderung des Besuchs der Berufsfachschule für Kosmetik hindern würde. Die Beschwerde war folglich als unbegründet zurückzuweisen.
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2. Die Antragstellerin trägt nach § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des Beschwerdeverfahrens. In Angelegenheiten des Ausbildungsförderungsrechts werden nach § 188 Satz 2, 1 VwGO Gerichtskosten nicht erhoben. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.

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