BGH, Urteil vom 25.10.1994 – VI ZR 107/94
Der Kfz-Haftpflichtversicherer ist einstandspflichtig, wenn ein Kraftfahrzeug auf dem (privaten) Gelände einer Trabrennbahn unter Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflicht so abgestellt wird, daß dadurch ein Pferd zu Schaden kommt.
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 16. Februar 1994 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Revision fallen der Beklagten zur Last.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Der Kläger, Vorsitzender des R. Rennvereins zur Förderung der Traberzucht e.V. in M., war Eigentümer des Trabrennpferdes „Exciting Clöving“. Er verlangt für dieses Pferd von der Beklagten Schadensersatz, weil es nach einem Aufprall auf einen bei der Beklagten haftpflichtversicherten Unimog des Rennvereins getötet werden mußte.
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Der Traber-Trainer Horst B. hatte am 4. März 1991 mit „Exciting Clöving“ auf der Trabrennbahn in M. trainiert. Dabei war das Pferd aus unbekannten Gründen in Panik und außer Kontrolle geraten. Es lief, nachdem B. aus dem Sulky gefallen war, noch einige Zeit weiter auf der Rennbahn und verließ diese dann durch den in Höhe der Stallungen gelegenen 12,8 m breiten Ein- und Ausgang. Dort hatte der bei dem Rennverein beschäftigte Kraftfahrer Hans S. einen Unimog samt angehängter Schleppe, mit dem er zuvor das Geläuf der Rennbahn bearbeitet hatte, abgestellt, um seine Mittagspause zu machen. Das Pferd versuchte, zwischen der Begrenzungsmauer des Ein- und Ausgangs und dem dicht daneben abgestellten Fahrzeug hindurchzulaufen. Dabei prallte es mit dem rechten Brust- und Schulterbereich so stark gegen die linke hintere Ecke des Unimogs, daß ihm der Brust- und Leibbereich aufgerissen wurde. Es mußte noch am selben Tage notgeschlachtet werden.
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Der Kläger hat Hans S. eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht vorgeworfen und von der Beklagten Schadensersatz in Höhe des von ihm auf 40.000 DM bezifferten Wertes des Pferdes verlangt. Das Landgericht hat den Klageanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Mit der (zugelassenen) Revision erstrebt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
I.
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Das Berufungsgericht stellt fest, Hans S. habe vom Bahninspektor der Trabrennbahn mehrfach die Anweisung erhalten, in den Ein- und Ausgängen des Geläufs keinerlei Fahrzeuge abzustellen. Ihm sei auch bekannt gewesen, daß reiter- oder fahrerlos gewordene Tiere regelmäßig noch einige Zeit auf der Rennbahn weiterliefen und diese dann verließen, um zu ihren Stallungen zu gelangen. S. habe deshalb voraussehen können, daß sich solche Pferde durch eine Kollision mit dem von ihm pflichtwidrig abgestellten Unimog schwere Verletzungen zuziehen könnten.
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Die Beklagte hafte nach § 3 Nr. 1 PflVG für das Fehlverhalten des S., da der Schaden des Klägers durch den nur kurzfristig abgestellten und deshalb im Sinne von § 10 Abs. 1 AKB im Zeitpunkt des Unfalls noch im Gebrauch befindlichen Unimog verursacht worden sei und S. gemäß § 10 Abs. 2 c AKB bei der Beklagten mitversichert gewesen sei. Ein Mitverschulden des Klägers an dem Unfall sei nicht festzustellen. Die mitwirkende Tiergefahr bleibe gegenüber dem schuldhaften Verhalten des S. nach § 840 Abs. 3 BGB außer Ansatz.
II.
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Die Revision ist nicht begründet. Mit Recht hält das Berufungsgericht die Beklagte für verpflichtet, dem Kläger den Wert des Pferdes „Exciting Clöving“ zu ersetzen.
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1. Wie das Berufungsgericht zutreffend darlegt, hat S. dadurch, daß er für die Dauer seiner Mittagspause den Unimog im Bereich des Ein- und Ausgangs zum Geläuf der Trabrennbahn abstellte, gegen die ihm obliegende Verkehrssicherungspflicht verstoßen und dadurch den Schaden des Klägers verursacht.
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a) Durch das Abstellen des Kraftfahrzeugs wurde insbesondere für in Panik geratene oder aus sonstigen Gründen reiter- oder fahrerlos gewordene und deshalb von der Rennbahn ihren Stallungen zustrebende Pferde die Gefahr begründet, gegen den Unimog zu stoßen und sich zu verletzen. Wie die Beklagte selbst vorgetragen hat, ist es für das Verhalten solcher Pferde typisch, daß sie blindlings gegen Gegenstände laufen, anstatt sie zu umgehen. Deshalb hat S., indem er den Unimog in dem Bereich der Einfahrt zwischen Stallungen und Geläuf abstellte, geradezu den Regelfall einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht verwirklicht: er hat eine Gefahrenquelle geschaffen, ohne die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer nach Möglichkeit auszuschließen (vgl. allgemein BGHZ 14, 83, 85; 65, 221, 224; RGRK-Steffen, BGB 12. Aufl., § 823 Rdn. 152; MünchKomm-Mertens, BGB 2. Aufl., § 823 Rdn. 187).
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b) Entgegen der Rüge der Revision hat S. durch sein Verhalten nicht nur einer ihm erteilten arbeitsrechtlichen Weisung zuwidergehandelt; er hat auch gegen eine allgemeine Rechtspflicht verstoßen. Dabei kann es dahinstehen, ob und in welchem Umfang der in der Einfahrt zum Geläuf abgestellte Unimog für sämtliche Benutzer dieser Zufahrt eine Kollisionsgefahr darstellte. Er führte eine solche Gefahr jedenfalls für diejenigen Pferde herbei, die, wie hier, reiter- oder fahrerlos von der Rennbahn zu ihren Stallungen liefen. Dies reicht aus, um eine allgemeine Rechtspflicht des S., nämlich eine Sicherungspflicht gegenüber den Eigentümern der in dem Geläuf trainierten Pferde, zu begründen. Diese Pflicht war ihm durch die vom Bahninspektor wiederholt erteilten Weisungen, keinerlei Fahrzeuge im Eingangsbereich zum Geläuf abzustellen, noch mehrfach verdeutlicht worden. Sie war aber, da sie auf der von S. geschaffenen Gefahrenlage beruhte, nicht, wie die Revision meint, durch die Anweisungen überhaupt erst begründet und auf das arbeitsrechtliche Verhältnis des S. zum Rennverein beschränkt worden. Ihrer Allgemeingültigkeit steht auch nicht der von der Revision geltend gemachte Umstand entgegen, daß im Bereich des Unfallortes das Abstellen von Fahrzeugen nicht durch Verbotsschilder untersagt worden war. Solcher Schilder bedurfte es auf dem Rennbahngelände, auf dem kein öffentlicher Verkehr stattfand, nicht. Sie wären für die von S. verletzte Verkehrssicherungspflicht auch ohne Belang; denn diese wurde, wie bereits gesagt, nicht durch die Anordnung eines Verbots, sondern durch die geschaffene Gefahrenlage begründet.
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c) Das Berufungsgericht legt rechtsfehlerfrei dar, daß S. die Möglichkeit von Verletzungen der Pferde durch den abgestellten Unimog voraussehen konnte und daß er diese Gefahr schuldhaft nicht bedacht hat. Das wird von der Revision nicht angegriffen.
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d) Entgegen der Ansicht der Revision fehlt es auch nicht an der Kausalität des Verhaltens des S. für den Schaden des Klägers. Mit ihrer Behauptung, der Schadensfall wäre auch dann eingetreten, wenn S. mit dem Unimog an der Unfallstelle den Boden bearbeitet hätte, hat die Beklagte nicht die Ursächlichkeit der Handlung des S. in Frage gestellt, sondern einen anderen, hypothetischen Kausalverlauf geltend gemacht. Einem solchen Geschehensablauf, der allenfalls unter dem Gesichtspunkt des rechtmäßigen Alternativverhaltens erheblich sein könnte und von der Beklagten zu beweisen wäre, kann im Streitfall jedoch schon deshalb keine Bedeutung zukommen, weil S. mit dem Unimog und der angehängten Schleppe unstreitig nur den Boden des Geläufs der Rennbahn aufzulockern und zu glätten, nicht aber auch den Boden der Ein- und Ausfahrt zu bearbeiten hatte. Zudem hat die Beklagte nichts dafür vorgetragen, daß sich das Pferd gegenüber einem im Einsatz befindlichen Unimog in gleicher Weise verhalten hätte wie bei dem fahrerlos abgestellten Fahrzeug.
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2. Der dem Kläger wegen Verletzung seines Pferdes nach § 823 Abs. 1 BGB zustehende Schadensersatzanspruch ist nicht durch eine Mitverantwortung des Klägers im Sinne von § 254 Abs. 1 BGB gemindert.
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a) Wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei ausführt, ist ein Mitverschulden des Klägers an der Entstehung des Schadens nicht festzustellen. Dabei kann es dahinstehen, ob der Kläger, wie die Revision geltend macht, als Vorsitzender des Rennvereins für die Organisation des Trainingsbetriebes verantwortlich war und ob ihn deshalb bei fehlerhafter Organisation persönlich eine Haftung treffen könnte. Ein Organisationsmangel lag nämlich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts im Streitfall nicht vor. Er ist entgegen der Ansicht der Revision insbesondere nicht darin zu sehen, daß der Kläger keine Absperrung des Ein- und Ausgangs zum Geläuf veranlaßt hat. Eine solche Absperrung hätte nicht nur das Ein- und Ausfahren der Trainingsgespanne erschwert; es hätte vor allem den reiter- oder fahrerlos gewordenen Pferden, wie hier, die Möglichkeit genommen, das Trainingsgelände in Richtung auf ihre Stallungen hin zu verlassen. Dazu, daß ihnen dies gefahrlos ermöglicht wurde, diente aber gerade die S. erteilte und mehrfach wiederholte Weisung des Bahninspektors, keinerlei Fahrzeuge im Bereich der Ein- und Ausfahrt abzustellen.
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b) Der von dem Pferd ausgehenden Tiergefahr, die zu dem Unfallgeschehen beigetragen hat, kommt gegenüber der Verschuldenshaftung des S. nach § 840 Abs. 3 BGB keine Bedeutung zu. Diese Vorschrift gilt entgegen der Ansicht der Revision nicht nur im Verhältnis zu einem geschädigten Dritten; sie greift zu Lasten eines aus Verschulden haftenden Schädigers nach ihrem Sinngehalt auch dann ein, wenn es um den eigenen, von dem Tier mitverursachten Schaden des Tierhalters geht (OLG Hamm NJW-RR 1990, 794, 795; RGRK-Nüßgens, BGB 12. Aufl., § 840 Rdn. 57; Staudinger/Schäfer, BGB 12. Aufl., § 840 Rdn. 87). Eine Aufhebung des § 840 Abs. 3 BGB, wie sie von Reformvorschlägen empfohlen wurde (vgl. MünchKomm-Mertens, aaO, Vor §§ 823-853 Rdn. 70; Soergel/Zeuner, BGB 11. Aufl., § 840 Rdn. 26; Staudinger/Schäfer, aaO, § 840 Rdn. 89), ist vom Gesetzgeber nicht vorgenommen worden. Sie kann nicht an seiner Stelle durch Nichtanwendung der Vorschrift der Sache nach durch den Senat erfolgen.
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3. Mit Recht bejaht das Berufungsgericht auch die Einstandspflicht der Beklagten für den von S. verursachten Schaden. Die Beklagte hat dem Kläger diesen Schaden nach § 3 Nr. 1 PflVG i.V.m. §§ 10 Abs. 1 b und Abs. 2 c AKB zu ersetzen, da er von S. als Fahrer des Unimogs durch dessen Gebrauch herbeigeführt worden ist.
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a) Der Begriff des Gebrauchs in § 10 AKB schließt denjenigen des Betriebes des Fahrzeugs im Sinne des § 7 StVG ein, geht aber noch darüber hinaus. Er bestimmt sich nach dem Interesse, das der Versicherte daran hat, durch den Einsatz des Kraftfahrzeugs nicht mit Haftpflichtansprüchen belastet zu werden, unabhängig davon, ob diese auf §§ 7 ff StVG, §§ 823 ff BGB oder anderen Haftungsnormen beruhen. Entscheidend ist allein, ob der Schadensfall mit dem Gefahrenbereich, für den der Versicherer deckungspflichtig ist, in einem haftungsrechtlich relevanten Zusammenhang steht; ob sich also die von dem Kraftfahrzeug als solchem ausgehende Gefahr auf den Schadensablauf ausgewirkt hat (vgl. BGHZ 75, 45, 48; 78, 52, 54 f; Senatsurteil vom 19. September 1989 – VI ZR 301/88 – VersR 1989, 1187; siehe auch BGH, Urteil vom 27. Oktober 1993 – IV ZR 243/92 – VersR 1994, 83, 84).
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b) Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt. Der Anstoß des Pferdes an den Unimog hat sich schon bei dem Betrieb des Fahrzeugs ereignet; er ist damit erst recht durch dessen Gebrauch verursacht worden.
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aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist im Hinblick auf den Schutzzweck des § 7 Abs. 1 StVG das Haftungsmerkmal „bei dem Betrieb“ weit zu fassen. Es ist erfüllt, wenn das Schadensgeschehen durch die von dem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahr mitgeprägt worden ist (BGHZ 105, 65, 66; 107, 359, 366; 115, 84, 86).
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bb) Einem Betrieb des Unimogs in diesem Sinne steht hier nicht, wie die Revision meint, der Umstand entgegen, daß das Fahrzeug im Zeitpunkt des Unfalls vorübergehend abgestellt worden war. Hierdurch wurde die von ihm ausgehende Betriebsgefahr nicht beendet. Gerade von einem stehenden Fahrzeug können, wie der Streitfall zeigt, je nach seinem Standort besonders große Gefahren ausgehen (vgl. BGHZ 29, 163, 167; Greger, StVG 2. Aufl., § 7 StVG Rdn. 81).
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cc) Entgegen der Ansicht der Revision ist es auch ohne Bedeutung, daß der Unimog nicht auf einer dem öffentlichen Verkehr dienenden Straßenfläche, sondern auf dem privaten Gelände der Pferderennbahn abgestellt war. Der Betrieb eines Kraftfahrzeugs im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG erfordert nicht seinen Einsatz auf öffentlicher Verkehrsfläche (BGHZ 5, 318, 320; Senatsurteil vom 5. April 1960 – VI ZR 34/59 – VersR 1960, 635; BGH, Urteil vom 20. November 1980 – III ZR 122/79 – VersR 1981, 252, 253; Greger, aaO, Rdn. 35, 83). Dies gilt wegen des umfassenderen Anwendungsbereichs erst recht für den Gebrauch des Fahrzeugs im Sinne des § 10 Abs. 1 AKB (s. dazu auch BGH, Urteil vom 16. Februar 1977 – IV ZR 42/76 – VersR 1977, 468, 469).
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dd) Die Haftung der Beklagten kann schließlich auch nicht, wie die Revision geltend macht, mit der Erwägung verneint werden, daß das Pferd mit den gleichen Folgen auf einen anderen Gegenstand als ein Kraftfahrzeug hätte auflaufen können. Weder § 7 Abs. 1 StVG noch § 10 Abs. 1 AKB beschränken die Einstandspflicht auf kraftfahrzeugspezifische Gefahren (vgl. Greger, aaO, Rdn. 33 m.w.N.). Eine solche Beschränkung kann insbesondere nicht bei der Verschuldenshaftung wegen eines Verstoßes mit dem Kraftfahrzeug gegen die Verkehrssicherungspflicht, wie sie hier vorliegt, in Betracht kommen.