LG Kassel, Beschluss vom 24.09.2012 – 3 T 420/12
Gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII zählt zum Schonvermögen ein angemessenes Hausgrundstück, das vom Betroffenen selbst oder zusammen mit Angehörigen ganz oder teilweise bewohnt wird und nach dem Tode des Betroffenen von seinen Angehörigen bewohnt werden soll. Auch dann, wenn allein die letztgenannte Voraussetzung nicht erfüllt ist, gilt der Betroffene als vermögend. Zwar kann eine Veräußerung des Hauses zum Zwecke der Zahlung der Betreuervergütung nicht verlangt werden. Eine Verwertung des Vermögens in Form einer dinglichen Belastung ist dem Betroffenen indes zumutbar.
Dies hat zur Folge, dass dem Betreuer eine Vergütung für vermögende Betreute zu bewilligen ist, die regelmäßig zunächst in Vorleistung aus der Staatskasse zu zahlen sein und ein Regress anzuordnen sein wird.
(Leitsätze des Gerichts)
Tenor
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Kassel vom 15.05.2012 wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
1
Der Betroffene leidet an einer psychischen Erkrankung in Form einer Intelligenzminderung und ist deshalb nicht in der Lage, sämtliche seiner Angelegenheiten alleine zu besorgen. Das Amtsgericht bestellte auf Anregung des Sozialpsychiatrischen Dienstes des Gesundheitsamtes Region „…“ für ihn durch Beschluss vom 15.12.2011 (Bl. 12 f. d.A.) den eingangs genannten Berufsbetreuer und übertrug diesem die Vermögenssorge sowie weitere Aufgabenkreise. Die Entscheidung wurde dem Betreuer mittels Zustellung durch Empfangsbekenntnis am 09.01.2012 (Bl. 16 d.A.) förmlich bekannt gemacht.
2
Mit Schreiben vom 12.04.2012 (Bl. 19 f. d.A.) legte der Betreuer das Vermögensverzeichnis mit Stichtag „09.01.2012“ vor. Die verspätete Einreichung beruhe – so der Betreuer – auf der sich „etwas mühsam“ gestaltenden Zusammenarbeit mit dem Betroffenen. Nach dem genannten Verzeichnis verfügte der Betroffene zum Stichtag über Eigentum an einem selbst genutzten Wohnhaus nebst ehemaliger Gaststätte zum geschätzten Wert von ca. 60.000,00 Euro sowie eine Kapitallebensversicherung mit einem Rückkaufswert von ca. 11.000,00 Euro.
3
Gleichwohl bezog der Betroffene bereits über längere Zeit Sozialleistungen, weil dem Landkreis „…“ als zuständigen Sozialleistungserbringer die Lebensversicherung zunächst nicht bekannt war und erst durch Fax des Betreuers vom 29.03.2012 bekannt gemacht wurde.
4
Mit Schreiben vom 30.03.2012 (Bl. 28 f. d.A.) kündigte der Landkreis „…“ an, die Gewährung der Grundsicherungsleistungen ab dem 01.02.2008 zurückzunehmen oder alternativ auf die Versicherungssumme in Form einer Abtretung zugreifen zu wollen.
5
Durch Schreiben vom 12.04.2012 hat der Betreuer beantragt, die ihm für seine Tätigkeit im Zeitraum 10.01. bis 09.04.2012 zustehende Vergütung in Höhe von 924,00 Euro gegen die Staatskasse festzusetzen. Dabei hat der Betreuer den Vermögensstatus von mittellosen, in eigener Wohnung lebenden Betroffenen zugrunde gelegt. Mit Schreiben vom 24.04.2012 (Bl. 47 d.A.) hat der Betreuer seinen Vergütungsantrag dahingehend korrigiert, dass nunmehr ausgehend von dem Status eines vermögenden, in eigener Wohnung lebenden Betroffenen ein Betrag in Höhe von 1.122,00 Euro aus der Staatskasse begehrt werde.
6
Hiergegen hat sich die Bezirksrevisorin in ihrer Stellungnahme vom 04.05.2012 (Bl. 49 f. d.A.) ausgesprochen und zur Begründung ausgeführt, weil der Betroffene bereits seit dem Jahr 2008 Sozialleistungen bezogen habe und deswegen nach Bekanntwerden des Versicherungsvertrages umgehend eine Rückforderung eingeleitet worden sei, könne der Betreuer nicht nach dem Status eines vermögenden Betreuten abrechnen, zumal nicht ersichtlich sei, weshalb der Betreuer erst am 29.03.2012 den Sozialleistungsträger über das Bestehen der Versicherung informiert habe.
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Der Betreuer hat seinen Antrag verteidigt und mit Schreiben vom 11.05.2012 (Bl. 54a d.A.) die Auffassung vertreten, der Betroffene könne erst mit dem Eingang des Rückforderungsbescheides des Landkreises Kassel am 21.04.2012 und mithin nach dem Ende des Vergütungszeitraums als mittellos angesehen werden.
8
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 15.05.2012 (Bl. 58 d.A.) die Vergütung antragsgemäß festgesetzt auf 1.122,00 Euro, zu erstatten aus der Staatskasse. Zugleich hat das Amtsgericht ausdrücklich die Beschwerde gegen diese Entscheidung zugelassen.
9
Mit ihrer Beschwerde vom 23.05.2012 (Bl. 63 f. d.A.) wendet sich die Bezirksrevisorin gegen den Beschluss des Amtsgerichts und begehrt eine Reduzierung der Vergütung auf 924,00 Euro.
10
Das Amtsgericht hat dem Rechtsmittel nicht abgeholfen und die Verfahrensakte der Kammer zur Entscheidung vorgelegt.
II.
11
Die gemäß §§ 292 I, 168, 58 I FamFG statthafte Beschwerde gegen die Festsetzung der Vergütung des Betreuers wahrt Form und Frist der §§ 63, 64 FamFG und ist auch im Übrigen zulässig. Das Nichterreichen des Beschwerdewertes von 600,01 € gemäß § 61 I FamFG steht der Zulässigkeit der Beschwerde nicht entgegen, weil das Amtsgericht ausdrücklich die Beschwerde nach § 61 II FamFG zugelassen hat. Das Land Hessen, vertreten durch die Staatskasse beim dem Landgericht „…“, als Schuldner des Vergütungsanspruchs sowie Gläubiger eines etwaigen Regressanspruches ist am Festsetzungsverfahren beteiligt (Beschluss der Kammer vom 17.09.2009, Az.: 3 T 118/09) und gemäß § 304 FamFG beschwerdebefugt. Die Staatskasse wird gemäß Abschnitt IV Nr. 12 a) aa) der Geschäftsordnung für Bezirksrevisorinnen und Bezirksrevisoren (BezRevGO) vom 29.07.2010 (JMBl. S. 203) von der Bezirksrevisorin vertreten.
12
Die Beschwerde konnte in der Sache keinen Erfolg haben. Dem Betreuer steht die beantragte Vergütung in voller Höhe zu.
13
Hat das Betreuungsgericht wie hier festgestellt, dass der berufene Betreuer nach Maßgabe von §§ 1908i I, 1836 I BGB, 1 I VBVG berufsmäßig tätig wird, hat es ihm auf Antrag eine Vergütung zu bewilligen, § 1 II 1 VBVG i.V.m. §§ 292 I, 168 FamFG. Die Vergütung kann nach dem Ende der Führung der Betreuung oder bei laufender Betreuung nach dem Ablauf von jeweils drei Monaten für diesen Zeitraum geltend gemacht werden (§ 9 S. 1 VBVG). Der Anspruch erlischt, wenn er nicht binnen 15 Monaten nach seiner Entstehung beim Betreuungsgericht geltend gemacht wird (§ 2 VBVG).
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(1) Die Höhe der einem Berufsbetreuer zustehenden Pauschalvergütung bestimmt sich nach §§ 1908i, 1836 I BGB i.V.m. §§ 4, 5 VBVG und ist abhängig von der Dauer der Betreuung, der Zuordnung der Betreuung zu einer der in § 5 VBVG genannten Betreuungsgruppen sowie der Qualifikation des Betreuers.
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Bei der Zuordnung zur Betreuungsgruppe des nicht im Heim lebenden vermögenden Betreuten gemäß § 5 I 2 VBVG beträgt der zugrundezulegende Stundenansatz in den ersten drei Monaten der Betreuung 8,5 Stunden, im vierten bis sechsten Monat 7 Stunden, im siebten bis zwölften Monat 6 Stunden und danach 4,5 Stunden monatlich.
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Dem Betreuer steht auch im verfahrensgegenständlichen Abrechnungszeitraum der für vermögende Betreute zu gewährende Stundenansatz von monatlich 8,5 Stunden zu.
17
Er verfügte bis zur Rückforderung des in der Lebensversicherung gebundenen Kapitals von ca. 11.000,00 € im April 2011 über Sparvermögen. Zudem unterfällt das Hausgrundstück nicht dem Schonvermögen.
18
Hinsichtlich der Lebensversicherung gilt Folgendes:
19
Eine nachträglich, d.h. zwischen Ende des Vergütungszeitraums und Vergütungsfestsetzung eingetretene Mittellosigkeit führt nicht zu einer Reduzierung des für die Berechnung der Vergütung des Betreuers zugrunde zu legenden Stundenansatzes i. S. v. § 5 VBVG (vgl. OLG Hamm NJW-RR 2009, 509; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 15.04.2008, 20 W 37/08; Palandt, BGB, 70. Auflage, Anhang zu § 1836, § 5 VBVG Rn. 6). Der Pauschalierung der Betreuervergütung liegt die Erwägung zugrunde, dass bei nicht mittellosen Betreuten regelmäßig ein höherer Arbeitsaufwand anfällt als bei mittellosen Betreuten. War der Betreute aber im jeweiligen Vergütungszeitraum nicht mittellos, so reduziert sich der pauschal ermittelte und der Vergütung zugrunde gelegte Arbeitsaufwand des Betreuers nicht nachträglich durch Eintreten von Mittellosigkeit.
20
Lediglich bei der Frage der Bestimmung des Schuldners der Vergütung ist eine nachträglich eingetretene Mittellosigkeit von Bedeutung; denn dabei ist auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung der letzten Tatsacheninstanz und nicht auf den Vergütungszeitraum abzustellen (dazu sogleich).
21
Entgegen der Ansicht der Bezirksrevisorin führt auch der Umstand, dass der Rückzahlungsanspruch des Sozialleistungsträgers bereits im Abrechnungszeitraum dem Grunde nach bestand, nicht dazu, dass vorliegend hinsichtlich der Berechnung der Vergütung des Betreuers von Mittellosigkeit auszugehen wäre. Bei der Ermittlung des Vermögensstandes findet eine Saldierung des Aktivvermögens mit den Verbindlichkeiten nicht statt (vgl. Palandt, BGB, 70. Auflage, § 1836 c Rn. 9).
22
Dem Betreuer kann auch nicht vorgeworfen werden, den zur Rückzahlung geltend gemachten Betrag nicht schon früher an den Sozialleistungsträger erstattet zu haben.
23
Die Betreuerbestellung wurde erst zum 09.01.2012 wirksam und der Betreuer hat im Zuge der Einreichung des Vermögensverzeichnisses am 12.04.2012 und mithin ca. 3 Monate nach Übernahme der Betreuung zur Begründung angeführt, die Einreichung habe sich deshalb verzögert, weil sich die Zusammenarbeit mit dem Betroffenen „etwas mühsam“ gestalte. Mit Schreiben vom 20.09.2012 (Bl. 86 f. d.A.) hat der Betreuer ergänzend ausgeführt, der Betroffene habe das Bestehen des Versicherungsvertrages zunächst auch vor ihm geheim gehalten. Erst durch Kontoauszüge sei er auf Zahlungsvorgänge gestoßen. Die Versicherung habe auf die Anfrage vom 02.03.2012 hin erst mit Schreiben vom 27.03.2012 geantwortet.
24
Weil der Landkreis „…“, nachdem ihn der Betreuer über das Bestehen des Versicherungsvertrages in Kenntnis gesetzt hatte, mit Schreiben vom 30.03.2012 eine Rückforderung ankündigte, könnte man den Betroffenen lediglich für den letzten Monat des Abrechnungsquartals als mittellos ansehen, weil der Landkreis „…“ auf den speziellen Vermögensgegenstand „Versicherungsvertrag“ seinen Zugriff bereits angekündigt hatte und man der Ansicht seien könnte, dieser Vermögensgegenstand stehe für die Bezahlung der Betreuervergütung nicht mehr zur Verfügung. Eine rechtsverbindliche Festsetzung der Rückforderung durch den Landkreis Kassel erfolgte indes erst mit Verwaltungsakt vom 21.04.2012 und mithin nach dem Ende des Vergütungszeitraums.
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Dies kann jedoch letztendlich dahinstehen, denn der Betroffene verfügt über weiteres einzusetzendes Vermögen, nämlich ein von ihm selbst bewohntes Hausgrundstück, eine ehemalige Gaststätte nebst Wohnung.
26
Dieses Grundvermögen ist nach den Angaben im Vermögensverzeichnis unbelastet und wird vom Betroffenen, der offensichtlich keine Kinder und keinen Partner hat, allein bewohnt. Damit handelt es sich nicht um Schonvermögen i.S.v. § 90 Abs. 2 SGB XII. Gemäß § 90 Abs. 2 Ziff. 8 SGB XII zählt zum Schonvermögen lediglich ein angemessenes Hausgrundstück, das vom Betroffenen selbst oder zusammen mit Angehörigen ganz oder teilweise bewohnt wird und nach dem Tode des Betroffenen von seinen Angehörigen bewohnt werden soll. Jedenfalls für die letztgenannte Voraussetzung ist hier nichts ersichtlich. Zwar kann vom Betroffenen eine Veräußerung des Hauses zum Zwecke der Zahlung der Betreuervergütung hier nicht verlangt werden. Dies würde – wenn man das Haus trotz der Größe und angesichts des angegebenen Wertes noch als angemessen erachtet – eine unzumutbare Härte im Sinne von § 90 Abs. 3 SGB XII darstellen. Eine Verwertung des Vermögens in Form einer dinglichen Belastung (vgl. LG Braunschweig, Beschluss v. 24.11.2008, 8 T 429/08) ist dem Betroffenen indes zumutbar.
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Damit ist der Betroffene als vermögend anzusehen. Dem Betreuer steht eine Vergütung von 8,5 Stunden pro Monat zu.
28
Nach § 4 I VBVG beträgt die dem Betreuer zu bewilligende Vergütung 27 € je Stunde. Verfügt er über besondere Kenntnisse, die für die Führung der Betreuung nutzbar sind, so erhöht sich der Stundensatz entsprechend seiner Qualifikation auf 33,50 € (§ 4 I 2 Ziff. 1 VBVG) bzw. auf 44 € (§ 4 I 2 Ziff. 2 VBVG). Nach § 4 II 1 VBVG gelten die Stundensätze auch Ansprüche auf Ersatz anlässlich der Betreuung entstandener Aufwendungen sowie anfallende Umsatzsteuer ab. Die vom Amtsgericht vorgenommene Einstufung der Qualifikation des Betreuers in den höchsten Stundensatz von 44,00 € wird von den Beteiligten nicht in Zweifel gezogen. Ein Grund zur Beanstandung ist angesichts der im Vergütungsantrag ausgewiesenen Qualifikation des Betreuers als Rechtsanwalt auch nicht ersichtlich.
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Insgesamt steht dem Betreuer damit für den Zeitraum 10.01.2012 – 09.04.2012 eine Vergütung in Höhe von 1.122,00 € zu.
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(2) Schuldner der Vergütung des Berufsbetreuers ist grundsätzlich der Betreute (Palandt, BGB, 70. Aufl., Anh. zu § 1836, § 1 VBVG Rn. 14). Sie ist nach § 1 II 2 VBVG nur dann aus der Staatskasse zu zahlen, wenn der Betreute mittellos ist. Für die Frage der Mittellosigkeit ist im Regelfall auf den Zeitpunkt der Entscheidung der letzten Tatsacheninstanz abzustellen (OLG München, Beschluss vom 21.02.2007 – 33 Wx 13/07, Entscheidung der Kammer vom 17.12.2007 – 3 T 548/07; Palandt, BGB, 70. Aufl. § 1836d Rn. 6).
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Aufgrund der obigen Ausführungen kann der Betroffene nicht als mittellos angesehen werden. Gleichwohl war die Vergütung antragsgemäß aus der Staatskasse zu zahlen. Diese hat in Vorleistung zu treten, weil die Verwertung des Vermögens noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Es entspricht allgemeiner Meinung, dass der Staat für die (zeitnahe) Vergütung des von ihm eingesetzten berufsmäßigen Betreuers zu sorgen hat (BayObLG FamRZ 2004, 305). Die Staatskasse kann sich dann im Wege des Regresses schadlos halten.
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Damit war die Beschwerde zurückzuweisen.
33
Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst. Das Land Hessen ist von Gerichtskosten befreit (§ 11 Abs. 1 KostO). Erstattungsfähige außergerichtliche Kosten des Betreuers sind nicht angefallen.
34
Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf § 70 Abs. 2 FamFG. Die Einzelheiten zum Einsatz selbst genutzter Immobilien zum Zwecke der Zahlung der Betreuervergütung sowie zur Vorleistungsverpflichtung der Staatskasse sind bislang höchstrichterlich nicht umfassend geklärt.
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Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung. Zudem erfordern die Fortbildung des Rechts sowie die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts.