Zur Hinweispflicht einer Bank auf von ihr vereinnahmte Rückvergütungen aus Vertriebsprovisionen

LG Kassel, Urteil vom 16.12.2013 – 9 O 978/13

Nimmt ein Interessent im Rahmen einer konkreten Anlageentscheidung die Hilfe eines Kreditinstituts oder Beraters in Anspruch und kommt es daraufhin zu einer Beratung, führt dies auch ohne entsprechende ausdrückliche Abrede oder Vereinbarung eines Entgeltes zu einem Beratungsvertrag..

Eine Bank ist aus dem Anlageberatungsvertrag verpflichtet, über die von ihr vereinnahmte Rückvergütung aus offen ausgewiesenen Vertriebsprovisionen ungefragt aufzuklären (Rn. 32)-

Tenor

1) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 11.814,22 Euro nebst Zinsen in Höhe von 2 % p. a. vom 20.04.2006 bis 19.06.2013 sowie in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.06.2013 zu zahlen Zug um Zug gegen Abtretung aller Rechte aus seiner Beteiligung an der Schifffahrts-Gesellschaft “…” mbH & Co. KG in Höhe von nominal USD 15.000,–.

2) Die Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 837,52 Euro zu zahlen.

3) Es wird festgestellt, dass die Beklagte mit der Annahme der Abtretung zu Ziffer 1) im Verzug ist.

4) Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche finanziellen Schäden zu ersetzen, die über die unter Ziffer 1) bezeichneten Schäden hinausgehen und die in der Zeichnung der Beteiligung des Klägers an der Schifffahrts-Gesellschaft “…” mbH und Co. KG ihre Ursachen haben.

5) Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

6) Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

7) Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand
1
Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadensersatz aufgrund von Anlageberatung.

2
Nach einem Gespräch mit dem Mitarbeiter der Beklagten Herrn … am 28.03.2006, das zunächst zu einem anderen Thema geführt wurde, zeichnete der Kläger eine Beteiligung in Höhe von USD 15.000,– zuzüglich 4 % Agio an Schifffahrts-Gesellschaft “…” mbH & Co. KG; auf Anlage K1 = Bl. 18 ff. d. A. wird Bezug genommen.

3
Am 08.09.2006 überwies er die Beteiligungssumme zuzüglich 4 % Agio, insgesamt 15.600,– USD an die Fondsgesellschaft; dies entsprach nach damaligem Wechselkurs 12.675,71 Euro (1 Euro = 1,2307 USD).

4
Bei dem Gespräch kam zur Sprache, dass die Beklagte für die Vermittlung des Fonds ein Agio erhalten werde. Da dem Kläger das fünfprozentige Agio als zu hoch erschien, wurde ausgehandelt, dass die Beklagte dem Kläger 1 % des Agio erstatte. Über weitergehende Vergütungen wurde nicht gesprochen.

5
Die Beklagte erhielt über das Agio hinaus weitere 4 bis 7 %, abhängig von der Höhe der vermittelten Beteiligungen (Bl. 169 d. A.).

6
Der Kläger behauptet,

7
der Mitarbeiter der Beklagten … habe den Schiffsfonds als seriöse Anlagemöglichkeit mit sicherer Ertragssituation angepriesen; eine Rendite von 7 % sei nahezu sicher. Auch seien die Erträge weitgehend steuerfrei. Herr … habe ihm, dem Kläger, auch versichert, dass die Anlage in den Schiffsfonds für dessen Anlageziele – langfristiger Vermögensaufbau zur Sicherung der Altersvorsorge und problemlose Möglichkeit des Wiederverkaufs – genau geeignet sei. Eine Risikoaufklärung sei nicht erfolgt. Auch alternative Anlagemodelle seien nicht vorgestellt worden. Der Begriff “geschlossener Fonds” – der ihn hätte stutzig werden lassen – sei überhaupt nicht verwendet worden. Auch über das Risiko des Totalverlustes und darüber, dass Beteiligungen an geschlossenen Fonds aufgrund Fehlens eines geregelten Zweitmarktes kaum veräußerlich seien, sei er, der Kläger, nicht aufgeklärt worden. Auch auf das erhebliche Währungsrisiko sei er nicht hingewiesen worden, ebenso wenig darauf, dass im Falle der Insolvenz der Fonds zur Rückzahlung der erhaltenen Ausschüttungen an die Gläubiger verpflichtet werden könnte. Er ist der Ansicht, hierdurch habe die Beklagte ihre Aufklärungspflichten verletzt.

8
Ein ausführlicher Verkaufsprospekt sei nicht vorgelegt, nicht erläutert und nicht ausgehändigt worden. Im übrigen ist der Kläger der Ansicht, auch nach Beklagtenvortrag fehle es an einer rechtzeitigen Übergabe des Prospektes; die Übergabe am Zeichnungstag sei zu spät.

9
Er, der Kläger, habe geglaubt, dass die Beklagte nur das Agio (5 minus 1 = 4 %) erhalte, dass es sich hierbei also um die Gesamtprovision für die Beklagte handele. Der Kläger ist der Ansicht, hierdurch sei ihm die tatsächliche Höhe der Provision verschwiegen worden. Hierin liege eine Aufklärungspflichtverletzung über den Erhalt von Rückvergütungen. Der Kläger ist der Ansicht, dieser Anspruch sei auch nicht verjährt.

10
Der Kläger behauptet weiter, wäre er richtig aufgeklärt worden, hätte er von der Beteiligung Abstand genommen. Insbesondere hätte er nicht gezeichnet, wenn er über die Gesamthöhe der Provision ordnungsgemäß aufgeklärt worden wäre; 5 % hätte er wohl noch akzeptiert, darüber hinaus aber nicht (Bl. 168 d. A.). Der Kläger beruft sich insoweit auch auf die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens; diese gelte auch im Falle unterlassener Aufklärung über Rückvergütungen. Er ist der Ansicht, die Beklagte habe diese Vermutung nicht widerlegt.

11
Hätte er, der Kläger, die streitgegenständliche Anlage nicht gezeichnet, hätte er das Geld zu einem allgemein üblichen Zinssatz angelegt; er begehrt insoweit entgangene Zinsen in Höhe von 2 %.

12
Mit Anwaltsschreiben vom 26.11.2012 forderte der Kläger die Beklagte zur Leistung von Schadensersatz wegen unterbliebener Aufklärung über den Erhalt von Rückvergütungen auf (K2 = Bl. 21 ff. d. A.).

13
Im Rahmen der Vorteilsanrechnung lässt der Kläger sich Fondsausschüttungen in Höhe von 851,22 Euro sowie die Reduktion des Agio in Höhe von 150,– USD (1 % des Agio) anrechnen.

14
Der Kläger beantragt,

15
1.) die Beklagte zu verurteilen, an ihn 11.814,22 Euro nebst Zinsen in Höhe von zwei Prozent p. A. vom 20.04.2006 bis Rechtshängigkeit sowie in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen Zug um Zug gegen Abtretung aller Rechte aus einer Beteiligung an der Schifffahrts-Gesellschaft “…” mbH & Co. KG in Höhe von nominal USD 15.000,–;

16
2.) die Beklagte zu verurteilen, ihm die vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1086,17 Euro brutto zu erstatten;

17
3.) festzustellen, dass die Beklagte mit der Annahme der Abtretung zu Ziffer 1. im Verzug ist;

18
4.) festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche finanziellen Schäden zu ersetzen, die über die unter Ziffer 1. bezeichneten Schäden hin ausgehen und die in der Zeichnung der Beteiligung des Klägers an der Schifffahrts-Gesellschaft “…” mbH und Co. KG ihre Ursachen haben.

19
Die Beklagte beantragt,

20
die Klage abzuweisen.

21
Sie behauptet,

22
der Kläger habe am 28.03.2006 den Prospekt der Beteiligung erhalten; diesbezüglich verweist sie auf das vom Kläger unterzeichnete Protokoll der Kundenberatung (B1 = Bl. 39 ff. d. A.), in dem es unstreitig heißt: “… bestätigt mit seiner Unterschrift, ein Exemplar des Prospektes erhalten zu haben.” Auf Bl. 41 d. A. wird Bezug genommen.

23
Dem Kläger sei es nicht um die Sicherung der Altersvorsorge gegangen, auch sei es ihm nicht auf einen jederzeitigen Wiederverkauf der Anlage angekommen. Der Kläger habe sich vielmehr selbst als risikobewusst beschrieben und habe eine Anlage mit entsprechenden Renditechancen gewollt. Herr … habe nicht abweichend vom Prospekt oder vom Protokoll der Kundenberatung beraten. Auf das Risiko des Totalverlustes sei hingewiesen worden, wie sich aus Ziffer 3 des Beratungsprotokolls und aus Bl. 14 ff. des Prospektes ergebe. Aus dem Protokoll (Ziffer 3.2) und dem Prospekt (Bl. 18) ergebe sich auch, dass kein fungibler Zweitmarkt bestehe und die Anteile nur schwer oder gar nicht veräußert werden könnten. Auch das Währungsrisiko sei angesprochen worden, wie sich aus Ziffer 3 des Beratungsprotokolls und auch aus Seite 16 des Prospektes ergebe. Schließlich sei auch auf das Risiko der wiederauflebenden persönlichen Haftung hingewiesen worden (Bl. 17 des Prospektes).

24
Hinsichtlich der Rückvergütung sei dem Kläger klar gewesen, dass sie, die Beklagte, nicht unentgeltlich tätig geworden sei. Sie ist der Ansicht, darin, dass über die weiteren Vergütungen nicht ausdrücklich gesprochen worden sei, liege kein Beratungsfehler. Jedenfalls sei aber ein etwaiger daraus resultierender Anspruch verjährt. Die Verjährungsfrist habe mit Zeichnung der Anlage begonnen. Es reiche die Kenntnis der Umstände, aus denen sich die Aufklärungspflicht ergebe. Der Kläger habe bereits im Zeitpunkt der Zeichnung gewusst, dass sie, die Beklagte, eine Vergütung erhalte, wenn er auch nicht die genaue Höhe gekannt habe.

25
Die Beklagte bestreitet, dass der Kläger die Beteiligung nicht gezeichnet hätte, wenn er über die Rückvergütungen vollständig aufgeklärt worden wäre. Allenfalls hätte er versucht, einen höheren Rabatt als 1 % herauszuhandeln. Jedenfalls hätte der Kläger die streitgegenständliche Anlage auch gezeichnet, wenn er mehr als 5 % Provision gezahlt hätte (Bl. 169 d. A.). Diesbezüglich verweist die Beklagte darauf, dass der Kläger 2010 bis 2012 Fonds gezeichnet hat, für die sie, die Beklagte, Provisionen von 7 bis 10 % erhalten habe (Bl. 179 f. d. A.). Sie ist der Ansicht, Indizien für die fehlende Kausalität könnten sich auch aus dem nachfolgenden Anlageverhalten des Anlegers ergeben.

26
Schließlich bestreitet die Beklagte, dass dem Kläger ein Schaden in Höhe von 2 % Zinsen p. a. entstanden sei. Als risikobewusster Anleger hätte der Kläger die Gelder nicht sicher angelegt, so dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass er sicher Gewinne erzielt hätte.

27
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe
28
Die zulässige Klage ist – mit Ausnahme eines Teils der Anwaltsgebühren – begründet.

29
Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von 11.814,22 Euro nebst entgangenem Gewinn aus dem Beratungsvertrag in Verbindung mit § 280 BGB.

30
1.) Nimmt ein Interessent im Rahmen einer konkreten Anlageentscheidung die Hilfe eines Kreditinstituts oder Beraters in Anspruch und kommt es daraufhin zu einer Beratung, führt dies auch ohne entsprechende ausdrückliche Abrede oder Vereinbarung eines Entgeltes zu einem Beratungsvertrag (LG Stade, Urteil vom 14.06.2013, 2 O 45/12, zitiert nach juris, Rn. 28). Unstreitig hat die Beklagte den Kläger im Zusammenhang mit der Zeichnung der streitgegenständlichen Anlage beraten (Bl. 34 d. A.).

31
2.) Die Beklagte hat ihre Pflicht, den Kläger über die ihr zufließende Provision aufzuklären, schuldhaft verletzt.

32
a) Eine Bank ist aus dem Anlageberatungsvertrag verpflichtet, über die von ihr vereinnahmte Rückvergütung aus offen ausgewiesenen Vertriebsprovisionen ungefragt aufzuklären (BGH, Urteil vom 26.02.2013, XI ZR 498/11, zitiert nach juris, Rn. 12). Aufklärungspflichtige Rückvergütungen in diesem Sinne sind – regelmäßig umsatzabhängige – Provisionen, die im Gegensatz zu versteckten Innenprovisionen nicht aus dem Anlagevermögen, sondern aus offen ausgewiesenen Provisionen wie zum Beispiel Ausgabeaufschlägen und Verwaltungsvergütungen gezahlt werden, deren Rückfluss an die beratende Bank aber nicht offenbart wird, sondern hinter dem Rücken des Anlegers erfolgt. Hierdurch kann beim Anleger zwar keine Fehlvorstellung über die Werthaltigkeit der Anlage entstehen, er kann jedoch das besondere Interesse der beratenden Bank an der Empfehlung gerade dieser Anlage nicht erkennen (BGH, a. a. O, Rn. 12 m. w. N.)

33
b) Bei den von der Beklagten empfangenen Provisionen handelte es sich um aufklärungspflichtige Rückvergütungen in diesem Sinne. Sie wurden nicht aus dem Anlagevermögen, sondern aus offen ausgewiesenen Provisionen gezahlt.

34
c) Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass bei dem Gespräch zwischen dem Kläger und dem Berater der Beklagten Herrn … über das Agio gesprochen wurde; dieses wurde von 5 % auf 4 % herabgesetzt. Weiter ist unstreitig, dass bei diesem Gespräch über weitergehende Vergütungen nicht gesprochen wurde. Auch unstreitig hat die Beklagte neben dem vierprozentigen Agio weitere 4 bis 7 % erhalten, abhängig von der Höhe der vermittelten Beteiligungen (Bl. 169 d. A.). Diese Aufklärung ist unzureichend, selbst man zugrunde legt, der Kläger sei lediglich davon ausgegangen, dass die Beklagte nur das 5- bzw. 4-prozentige Agio erhalte, ohne dass die Beklagte sich diesbezüglich geäußert habe.

35
Auch in diesem Falle hat die Beklagte den Kläger nämlich nicht darüber aufgeklärt, dass es mit dem Agio von 5 bzw. 4 % eben nicht sein Bewenden hat, sondern vielmehr weitere Gelder an sie fließen. Die Beklagte hat den Kläger also nicht darüber aufgeklärt, dass sie über das Agio hinaus weitere Vergütungen erhält, die sich auf 4 bis 7 % belaufen.

36
Dieses Unterlassen war auch pflichtwidrig. Indem das Agio von 5 % (heruntergehandelt auf 4 %) zum Gegenstand des Gesprächs gemacht wurde, entstand der Eindruck – auch wenn dies nicht ausdrücklich gesagt wurde –, dass es mit einem Geldfluss in dieser Höhe an die Beklagte sein Bewenden haben würde. Die Beklagte hat den Kläger gerade nicht darüber aufgeklärt, dass sie darüber hinaus weitere Vergütungen erhielt. Der Beklagten musste sich aufdrängen, dass ein Kunde, der bereits bei einer offenen Provisionshöhe von 5 % kritisch nachfragt und sogar eine Teilerstattung verhandelt, der Information, dass sogar noch ein weiterer Betrag an die Bank floss, eine wirtschaftliche Bedeutung zukam (LG Stade, Urteil vom 14.06.2013, 2 O 45/12, zitiert nach juris, Rn. 32). Demgegenüber konnte der Kläger zwar infolge der Erklärung der Beklagten erkennen, dass die Bank ein Eigeninteresse durch die Provisionen hatte, es war für ihn aber nicht erkennbar, dass neben dem Agio noch eine weitere verdeckte Zahlung erfolgte (LG Stade, a. a. O., Rn. 32). Für den Kläger entstand der Eindruck, die Beklagte erhalte das Agio, aber darüber hinaus keine weiteren Provisionen mehr. Das Maß des Eigeninteresses der Beklagten an der Vermittlung gerade dieser Anlage war ihm gerade nicht erkennbar.

37
3.) Das Verschulden der Beklagten wird vermutet.

38
4.) Die Aufklärungspflichtverletzung war für den Erwerb der Anlage durch den Kläger auch kausal.

39
Hierbei trägt die Beklagte die Darlegungs- und Beweislast für ihre Behauptung, der Kläger hätte die Beteiligung auch bei gehöriger Aufklärung über die Rückvergütung erworben (BGH, Urteil vom 26.02.2013, XI ZR 498/11, zitiert nach juris, Rn. 17).

40
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist derjenige, der vertragliche oder vorvertragliche Aufklärungspflichten verletzt hat, beweispflichtig dafür, dass der Schaden auch eingetreten wäre, wenn er sich pflichtgemäß verhalten hätte, der Geschädigte den Rat oder Hinweis also unbeachtet gelassen hätte. Diese sogenannte “Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens” gilt für alle Aufklärungs- und Beratungsfehler eines Anlageberaters, insbesondere auch dann, wenn Rückvergütungen pflichtwidrig nicht offengelegt wurden. Es handelt sich hierbei nicht lediglich um eine Beweiserleichterung im Sinne eines Anscheinsbeweises, sondern um eine zur Beweislastumkehr führende widerlegliche Vermutung (BGH, a. a. O., Rn. 19 m. w. N.).

41
Die Beklagte hat den Nachweis, dass der Kläger die Beteiligung auch bei gehöriger Aufklärung über die Rückvergütung erworben hätte, nicht geführt. Die Beklagte bezieht sich darauf, dass der Kläger nachfolgend, 2010 bis 2012, Fonds gezeichnet habe, für die die Beklagte Provisionen von 7 bis 10 % erhalten habe (Bl. 179 f. d. A.). Indes lässt sich aus Anlageentscheidungen der Jahre 2010 bis 2012 nicht zwingend schlussfolgern, welche Entscheidung der Kläger im Jahre 2006, also mehrere Jahre zuvor, getroffen hätte. Insbesondere kann das Einverständnis eines Anlegers mit Provisionen bei anderen Anlagegeschäften nur dann ein gegen die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens sprechendes Indiz darstellen, wenn die anderen Anlagegeschäfte vergleichbare Anlageprodukte zum Gegenstand hatten (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 25.05.2012, 16 U 36/11, zitiert nach juris, Rn. 42). Daran fehlt es hier. Unstreitig hat der Kläger keine weiteren geschlossenen Fonds gezeichnet.

42
5.) Der Klageanspruch ist auch nicht verjährt. Die Verjährung begann nicht bereits bei Zeichnung der Anlage zu laufen.

43
Die erforderliche Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen liegt im allgemeinen vor, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage, sei es auch nur in Form der Feststellungsklage, erfolgversprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist (BGH, Urteil vom 26.02.2013, XI ZR 498/11, zitiert nach juris, Rn. 27). Weder ist notwendig, dass der Geschädigte alle Einzelumstände kennt, die für die Beurteilung möglicherweise Bedeutung haben, noch muss er bereits hinreichend sichere Beweismittel in der Hand haben, um einen Rechtsstreit im Wesentlichen risikolos führen zu können. Auch kommt es grundsätzlich nicht auf eine zutreffende rechtliche Würdigung an. Vielmehr genügt aus Gründen der Rechtssicherheit und Billigkeit im Grundsatz die Kenntnis der den Ersatzanspruch begründenden tatsächlichen Umstände (BGH, a. a. O. m. w. N.).

44
Dabei erfordert der Verjährungsbeginn des Schadensersatzanspruches wegen verschwiegener Rückvergütung grundsätzlich nicht die Kenntnis des Anlegers von deren konkreter Höhe. Die beratende Bank muss den Anleger zwar über Grund und Höhe einer Rückvergütung ungefragt aufklären, so dass die unterlassene Mitteilung über die Höhe der Rückvergütung ein anspruchsbegründender Umstand ist. Von diesem Umstand hat ein Anleger aber denknotwendig bereits dann positive Kenntnis, wenn er weiß, dass die ihn beratende Bank Provisionen für das von ihm getätigte Anlagegeschäft erhält, deren Höhe ihm die Bank nicht mitteilt (BGH, a. a. O. m. w. N.).

45
Die fehlende Kenntnis des Anlegers von der Höhe der Rückvergütung steht indes in solchen Fällen dem Verjährungsbeginn entgegen, in denen die beratende Bank konkrete, jedoch fehlerhafte Angaben zur Höhe der Rückvergütung macht. Denn in diesen Fällen meint der Anleger, über die Höhe der Rückvergütung pflichtgemäß aufgeklärt worden zu sein, weshalb es an der Kenntnis der tatsächlichen Umstände fehlt, aus denen sich die Verletzung der Aufklärungspflicht durch die beratende Bank ergibt (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 30).

46
So liegt es hier. Im Rahmen des Beratungsgesprächs wurde über das Agio – das von 5 auf 4 % herunterhandelt wurde – gesprochen, über weitergehende Vergütungen dagegen nicht. Hierin liegt eine fehlerhafte Angabe zur Höhe der Rückvergütung. Zwar mag die Beklagte nicht ausdrücklich erklärt haben, sie bekomme nicht mehr als das Agio; indes lässt sich das Gespräch aus Sicht eines objektiven Empfängers nicht anders verstehen. Der Kläger handelte das an die Beklagte fließende Agio von 5 % auf 4 % herunter. Dass die Beklagte dann darüber hinaus noch weitere 4 bis 7 % bekommen sollte, wurde im Rahmen des Gesprächs verschwiegen. Es kann keinen Unterschied machen, ob die Beklagte ausdrücklich erklärt, keine weiteren Provisionen zu erhalten, oder ob sich für einen objektiven, neutralen Erklärungsempfänger der Eindruck aufdrängt, dass die Beklagte keine weiteren Provisionen erhält. In beiden Fällen werden im Anleger fehlerhafte Vorstellungen in Bezug auf die Höhe der Rückvergütung erweckt.

47
Dem Kläger ist die Höhe der Rückvergütung auch nicht infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben. Es musste sich ihm nicht aufdrängen, hinsichtlich der Höhe der Rückvergütungen Erkundigungen einzuziehen. Zwar kann es für die Annahme einer grob fahrlässigen Unkenntnis eines Beratenen ausreichend sein, wenn er weiß, dass es Rückvergütungen gab, aber davon absieht, hinsichtlich deren Höhe und Umfang weiter tätig zu werden. Dem Kläger war hier aber gerade nicht bewusst, dass es neben den offengelegten Provisionen noch weitere – pflichtwidrig nicht aufgedeckte – verdeckte Rückvergütungen gab. Nur ein Wissen darum, dass überhaupt noch weitere Rückvergütungen in Betracht kämen, hätte aber Raum für einen Fahrlässigkeitsvorwurf eröffnet. Hier durfte der Kläger im Gegenteil darauf vertrauen, dass, wenn die Bank mit ihm über eine Teilerstattung verhandelte, es weitere Vergütungen, welche darüber hinausgingen, nicht gab (vgl. LG Stade, Urteil vom 14.06.2013, 2 O 45/12, zitiert nach juris, Rn. 43).

48
6.) Der Schaden beläuft sich auf 11.814,22 Euro (vom Kläger aufgewandte Beteiligungssumme plus Agio abzüglich Ausschüttungen von 851,22 Euro abzüglich der Reduktion des Agio von 1 %) (vgl. Bl. 16 d. A.).

49
7.) Diesen Betrag hat die Beklagte an den Kläger zu leisten Zug um Zug gegen Abtretung der Fondsbeteiligung.

50
8.) Der Kläger hat auch einen Anspruch auf entgangenen Gewinn in Höhe von 2 % p. a. vom 20.04.2006 (Annahmeerklärung der Beklagten, vgl. Bl. 20 d. A.) bis Rechtshängigkeit (vgl. Bl. 32 d. A.).

51
Verlangt ein Kapitalanleger Schadensersatz wegen schuldhafter Verletzung des Beratungsvertrages, kann er sich bei der Geltendmachung des ihm entgangenen Gewinns gemäß § 252 S. 2 BGB auf die allgemeine Lebenserfahrung berufen, dass Eigenkapital ab einer gewissen Höhe zu einem allgemein üblichen Zinssatz angelegt wird (BGH, Urteil vom 26.02.2013, XI ZR 345/10, zitiert nach juris, Orientierungssatz 1). Zur Feststellung der Höhe des allgemein üblichen Zinssatzes kann der Tatrichter von der Möglichkeit der Schätzung nach § 287 Abs. 1 ZPO Gebrauch machen (BGH, a. a. O.). Hier wurde der entgangene Gewinn auf 2 % geschätzt.

52
9.) Der Anspruch auf vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren folgt aus dem Gesichtspunkt des Verzuges. Die Gebühren belaufen sich auf 526,– Euro (Wert bis 13.000,– Euro) x 1,3 plus 20,– Euro plus Mehrwertsteuer = 837,52 Euro.

53
10.) Der Kläger hat auch einen Anspruch auf Feststellung des Annahmeverzugs.

54
11.) Der Kläger hat schließlich einen Anspruch auf Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche finanziellen Schäden zu ersetzen, die über die unter Ziffer 1. bezeichneten Schäden hinausgehen und die in der Zeichnung der Beteiligung des Klägers an der Schifffahrts-Gesellschaft “…” mbH und Co. KG ihre Ursachen haben. Das Risiko der gesetzlichen Nachhaftung des § 172 Abs. 4 HGB begründet das Feststellungsinteresse.

II.

55
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht aufgrund von § 709 S. 1, 2 ZPO.

III.

56
Der Streitwert wird auf 12.814,22 Euro festgesetzt (Antrag 1: 11.814,22 Euro; Antrag 2: 0; Antrag 3: 500; Antrag 4: 500,– Euro).

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