Zur Verkehrssicherungspflicht bezüglich Bodenwellen auf einem Radweg

OLG Celle, Beschluss vom 20. Dezember 2011 – 8 U 226/11

Zur Verkehrssicherungspflicht bezüglich Bodenwellen auf einem Radweg

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das am 31. August 2011 verkündete Urteil des Einzelrichters der 7. Zivil-kammer des Landgerichts Verden ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Dem Kläger wird Gelegenheit gegeben, zu diesem Beschluss schriftsätzlich Stellung zu nehmen bis zum 13. Januar 2012.

2. Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 2.306,47 €.

Gründe
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Die beabsichtigte Zurückweisung durch Beschluss beruht auf § 522 Abs. 2 ZPO. Die Berufung des Klägers hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Darüber hinaus besitzt der Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung. Auch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Senats. Schließlich ist die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht geboten, Gegenteiliges ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

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Dem Kläger steht gegen den beklagten Landkreis kein Anspruch nach den §§ 823, 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG i. V. m. § 10 des NStrG wegen eines Sturzes mit dem Fahrrad auf dem Radweg der Kreisstraße … bei L. am 4. Oktober 2010 gegen 13:30 Uhr zu. Zu Recht ist bereits das Landgericht davon ausgegangen, dass es an der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht durch den beklagten Landkreis fehlt.

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1. Grundsätzlich ist derjenige, der eine Gefahrenlage schafft, verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung Anderer möglichst zu vermeiden (BGH, VersR 2008, 1083; 2007, 659; 2006, 1083; 2003, 1319; OLG Celle, VersR 2007, 1096). Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst danach diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre utopisch. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine Gefahr deshalb erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter Anderer verletzt werden können. Deshalb muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es sind nur die Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, die Schädigung Anderer tunlichst abzuwenden.

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Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schaden zu bewahren und die ihm den Umständen nach zuzumuten sind. Dabei sind Sicherungsmaßnahmen umso eher zumutbar, je größer die Gefahr und die Wahrscheinlichkeit ihrer Verwirklichung sind (BGH, VersR 2005, 279). Kommt es hiernach in Fällen, in denen keine Schutzmaßnahmen getroffen werden mussten, weil eine Gefährdung Anderer zwar nicht völlig ausgeschlossen, aber nur unter besonders eigenartigen oder entfernt liegenden Umständen zu befürchten ist, ausnahmsweise doch einmal zu einem Schaden, so muss der Geschädigte ihn selbst tragen, weil er ein „Unglück“ erlitten hat, dem Schädiger aber kein „Unrecht“ vorzuwerfen ist (BGH, VersR 2006, 1083).

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2. Dem Beklagten obliegt als Träger der Straßenbaulast die Verkehrssicherungspflicht, §§ 2 Abs. 1, 10 NStrG. Der Umfang der Verkehrssicherungspflicht für Straßen und Wege richtet sich danach, für welche Art von Verkehr ein Weg nach seinen äußeren unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse und der allgemeinen Verkehrsauffassung gewidmet ist (BGH, VersR 1989, 847, 848). Die Behörden müssen mit Rücksicht auf die vielfältigen Aufgaben der öffentlichen Hand nur diejenigen Maßnahmen ergreifen, die objektiv erforderlich und nach objektiven Maßstäben zumutbar sind. Deshalb haben sie regelmäßig keine weiteren Pflichten, wenn Verkehrsteilnehmer bei zweckgerechter Benutzung der Straße und Anwendung der gebotenen Aufmerksamkeit etwaige Schäden selbst abwenden können (vgl. BGH, NJW 1970, 1126; VersR 1979, 1055; 1980, 946, 947; OLG Hamm, NJW RR 1999, 753, 754). Dabei muss sich der Straßenbenutzer grundsätzlich den Straßenverhältnissen anpassen und die Straße so hinnehmen, wie sie sich ihm erkennbar darbietet (BGH, VersR 1979, 1055; Brandenburgisches OLG, MDR 1998, 1160). Dies gilt auch für Radwege. Ein Tätigwerden des Verkehrssicherungspflichtigen ist erst dann geboten, wenn Gefahren bestehen, die auch für einen sorgfältigen Benutzer nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzurichten vermag.

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3. Dies vorausgeschickt, ist das Landgericht mit zutreffenden Erwägungen davon ausgegangen, dass es bereits an der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht seitens des Beklagten fehlt.

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a) Es handelt sich um einen Radweg außerhalb der geschlossenen Ortschaft entlang der Kreisstraße …, welcher im Grünstreifen zur Fahrbahn hin mit Bäumen gesäumt ist. Der Weg verläuft gerade und ist übersichtlich und ausweislich der Lichtbilder (Bl. 8 19 d. A.) waren auch die beiden Bodenwellen durch Wurzelaufbrüche, durch welche der Kläger mit seinem Fahrrad zum Sturz kam, gut erkennbar. Bei entsprechender Aufmerksamkeit für den Fahrweg wären sie für den Kläger gut erkennbar gewesen. Dagegen steht auch nicht dessen Einwand, die Bodenwellen seien durch den Wechsel von Licht und Schatten für ihn nicht erkennbar gewesen. Dies sind witterungsbedingte Umstände, auf die er seine Fahrweise einzustellen hat und nicht dem beklagten Landkreis angelastet werden können. Wie bereits das Landgericht ausgeführt hat, ist die Höhe der Bodenwelle mit gut 3,5 cm an der höchsten Stelle nicht so gefahrenträchtig, dass eine Schädigung von Radfahrern naheliegend wäre. Aufbrüche von den Wurzeln naheliegender Bäume sind in Radwegen insbesondere außerhalb geschlossener Ortschaften häufig anzutreffen. Auch auf die diesbezüglichen Ausführungen des Landgerichtes kann verwiesen werden.

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b) Soweit der Kläger mit der Berufungsbegründung nunmehr anführt, dass aufgrund des Alters/Größe dieser jungen Bäume mit Aufbrüchen der Radweg-decke nicht zu rechnen gewesen sei (Bl. 112 d. A. erster Absatz), steht dies gegen einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch den Beklagten, denn wenn dem so ist, musste auch der Beklagte nicht damit rechnen. Zur Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht gehört in subjektiver Hinsicht auch, dass der Pflichtige einen verkehrssicherungswidrigen Umstand, so er denn besteht, hätte erkennen können und müssen. Wie bereits angeführt, ist ein fortwährend kontrollierter und gefahrloser Zustand nicht geschuldet. Dagegen steht auch der vom Kläger selbst mitgeteilte Umstand, dass die Radwegstrecke bis zur Unfallstelle einwandfrei gewesen wäre (Bl. 112 d. A.). Mangels objektiv pflichtwidrigem Zustand des Radweges kommt es auf die subjektiv vorwerfbare Pflichtwidrigkeit zwar nicht mehr an. Dessen ungeachtet kann auch aus dem nachträglichen Aufstellen eines Warnschildes (S. 5 LGU) kein Rückschluss auf ein vorheriges pflichtwidriges Verhalten gezogen werden. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Landkreis dadurch überobligatorisch handelte, um zukünftige Schädigungen zu vermeiden; denn selbst wenn es sich um die adäquate und angemessene Reaktion auf den durch den Unfall des Klägers bekannt gewordenen Zustand des Weges gehandelt hätte, ließe dies nicht den Rückschluss zu, dass dessen Fehlen bis zu diesem Zeitpunkt auf einem pflichtwidrigen Verhalten des beklagten Landkreises beruhte, weil auch die Kontrolldichte und der erforderliche Instandhaltungsaufwand der Verkehrsbedeutung entsprechend anzusetzen ist.

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4. Da es objektiv und subjektiv an einem pflichtwidrigen Verhalten des Beklagten fehlt, kommt es ferner auf ein überwiegendes Mitverschulden des Klägers nicht mehr an. Dennoch kann zur Vermeidung von Wiederholungen auch diesbezüglich auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen werden.

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