Zur Verkehrssicherungspflicht für Seitenstreifen einer Landesstraße bezüglich der Tragfähigkeit

BGH, Urteil vom 15. Dezember 1988 – III ZR 112/87

Zum Umfang der Verkehrssicherungspflicht für das Bankett einer 3,85 m breiten Landesstraße (hier: Tragfähigkeit hinsichtlich eines 22 t-LKW-Kippers, wenn die Straße nur für Fahrzeuge mit einem Gesamtgewicht von 3,5 t „Anlieger frei“ zugelassen ist).

(Leitsatz des Gerichts)

Tatbestand
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Die Klägerin verlangt vom beklagten Land Schadensersatz wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht.

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Am 27. Mai 1982 gegen 10.40 Uhr befuhr L. mit einem der Klägerin gehörigen vollbeladenen Dreiachser LKW-Kipper D., Gesamtgewicht 22 t, die Landesstraße 138 (L 138) im Bereich der Gemarkung S. in Richtung T.. Er kam von der auf der linken Seite der Saar eingerichteten Baustelle Staustufe S., hatte den Fluß mittels einer Behelfsbrücke überquert und fuhr auf der an der rechten Flußseite entlangführenden L 138 flußaufwärts. In Höhe des Kilometers 7,0 (alt) begegnete ihm ein unbeladener LKW, der von C. gelenkt wurde. L. wich mit seinem LKW nach rechts aus. Dabei brach das Bankett ein und der LKW stürzte die Uferböschung hinab in die Saar.

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Der LKW der Klägerin war mit Erdmassen beladen, die auf der Baustelle der Staustufe S. angefallen waren und im Auftrag der dort tätigen Arbeitsgemeinschaft, die die Streithelfer des beklagten Landes gebildet hatten, zu der „Kippe 7“ gefahren werden sollten. Diese „Kippe 7“ befand sich auf dem rechten Saarufer und war von der Ladestelle am linken Saarufer nur über die damals über die Saar führende Behelfsbrücke bei Kilometer 17,65 und sodann flußaufwärts über die L 138 zu erreichen. Auf der L 138 war im Unfallbereich der Verkehr nur beschränkt zugelassen. Zwischen H. und S. war der Fahrzeugverkehr mit Fahrzeugen über 3,5 t Gesamtgewicht durch das Verkehrszeichen 262 der Anlage zu § 41 StVO verboten. Durch ein Zusatzschild war Anliegern der Verkehr ohne Beschränkung erlaubt. An der Behelfsbrücke bei Kilometer 17,65, über die die Lastkraftwagen zur „Kippe 7“ fuhren, war kein Verkehrsschild angebracht. Im Bereich der Unfallstelle führt die L 138 unmittelbar am Saarufer vorbei, die Fahrbahn ist innerhalb der Begrenzungslinien 3,85 m breit.

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Die Klägerin hat behauptet: Beim Herannahen des von C. gesteuerten LKW habe L. sein Fahrzeug so weit wie möglich an den rechten Fahrbahnrand gefahren und habe angehalten. Dabei sei er mit den rechten Rädern der hinteren Zwillingsreifen jenseits der weißen Begrenzungslinien auf das Bankett gekommen. Unmittelbar nach dem Anhalten seien das Bankett und Teile der Fahrbahn hinten rechts unter dem LKW ausgebrochen, so daß der LKW in das Flußbett der Saar gestürzt sei. Der Unfall sei allein auf den mangelhaften Zustand des Unterbaus der Straße und eine – im Blick auf den Schwerlastverkehr – ungenügende Verkehrsregelung zurückzuführen. Für beide Ursachen sei das beklagte Land verantwortlich.

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Die Klägerin hat zunächst 205.644,78 DM nebst Zinsen vom beklagten Land als Schadensersatz gefordert. Sie hat sodann ihren Anspruch auf 80.648,37 DM nebst 12% Zinsen seit dem 20. November 1982 ermäßigt und im übrigen die Hauptsache für erledigt erklärt.

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Das beklagte Land und die Streithelfer sind dem entgegengetreten und haben beantragt, die Klage abzuweisen.

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Das Landgericht hat durch Urteil vom 9. Februar 1984 die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht durch Urteil vom 17. Dezember 1984 das landgerichtliche Urteil aufgehoben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

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Durch Grund- und Teilurteil vom 28. November 1985 hat das Landgericht die Klage in Höhe von 123.996,41 DM nebst Zinsen abgewiesen. Im übrigen hat es die Klage, soweit sie nicht zurückgenommen worden ist (d.h. in Höhe eines Betrages von 1.000,– DM), dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt.

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Gegen dieses Urteil hat das beklagte Land Berufung eingelegt. Die Klägerin hat sich der Berufung angeschlossen. Das Berufungsgericht hat durch Urteil vom 6. April 1987 beide Rechtsmittel zurückgewiesen.

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Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des beklagten Landes, mit der es seinen Antrag auf völlige Abweisung der Klage weiterverfolgt. Die Klägerin bittet, das Rechtsmittel zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe
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I. Das Berufungsgericht hat eine Haftung des beklagten Landes nach Amtshaftungsgrundsätzen (§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG) bejaht und dazu ausgeführt: Die Bediensteten der Straßenbaubehörde des beklagten Landes hätten die ihnen als Amtspflicht in Ausübung öffentlicher Gewalt nach § 48 Abs. 2 des Landesstraßengesetzes Rheinland-Pfalz auch gegenüber der Klägerin obliegende Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich der L 138 schuldhaft verletzt. Der Unfall sei auf eine mangelnde Tragfähigkeit des Banketts an der Unfallstelle zurückzuführen. Mit einem Befahren des Banketts durch schwere LKW, insbesondere bei Gegenverkehr, hätten die Bediensteten rechnen müssen. Sie hätten daher den Verkehr vor einem Befahren des Banketts warnen oder aber den Schwerlastverkehr auf dem Straßenstück ausschließen müssen. Das sei auch erforderlich gewesen, weil der Randbereich der L 138 objektiv verkehrsunsicher gewesen sei; der Uferrand sei an mehreren Stellen bis unter die Fahrbahn reichend unterspült gewesen. Ein Mitverschulden des Fahrers des LKW’s der Klägerin oder die Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs seien schadensmindernd nicht zu berücksichtigen.

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Diese Ausführungen werden von der Revision mit Erfolg angegriffen.

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II. Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, daß dem beklagten Land die Verkehrssicherungspflicht an der Landesstraße 138 obliegt und daß es für eine Verletzung dieser Pflicht nach Amtshaftungsgrundsätzen einzustehen hat. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann jedoch nicht von einer unfallursächlichen Verletzung dieser Pflicht durch Bedienstete der Straßenbaubehörde ausgegangen werden.

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1. Bei der Beurteilung der Verkehrssicherungspflicht an der L 138, einer öffentlichen Straße, ist zu beachten: Von der verkehrspolizeilichen Beschränkung der Benutzung eines öffentlichen Weges ist die beschränkte Widmung eines öffentlichen Weges, besonders in bezug auf seine Benutzungsart, zu unterscheiden. In aller Regel betreffen die Verkehrszeichen zur Anlage zur Straßenverkehrsordnung nur die verkehrspolizeiliche Beschränkung der Benutzung eines öffentlichen Weges. Der Umfang der Widmung – er ist entscheidend für den Umfang der Verkehrssicherungspflicht – ergibt sich grundsätzlich nicht aus der Beschilderung einer Straße mit Verkehrszeichen entsprechend der Anlage zur Straßenverkehrsordnung. Die Frage, für welche Art Verkehr ein Weg gewidmet ist, beantwortet sich u.a. auch nach seinem äußeren Befund, nach den äußerlich erkennbaren Merkmalen eines Weges unter Berücksichtigung der örtlich gegebenen Verhältnisse und der allgemeinen Verkehrsauffassung. Läßt das äußere Erscheinungsbild des Weges bei den Verkehrsteilnehmern bei Anwendung zumutbarer Sorgfalt keinen Zweifel darüber aufkommen, daß die Widmung inhaltlich beschränkt ist, so geht die Pflicht zur Verkehrssicherung über die Abwendung der diesem Verkehr drohenden Gefahren auch dann nicht hinaus, wenn der Weg gelegentlich in einer die Widmung überschreitenden Weise benutzt wird und der Verkehrssicherungspflichtige dies duldet (Senatsurteile vom 14. Oktober 1957 – III ZR 102/56 = VersR 1957, 817 und vom 12. Juli 1971 – III ZR 126/68 = VersR 1971, 1061; vgl. auch BGH-Urteil vom 24. Januar 1958 – VI ZR 311/56 = LM BGB § 823 Da Nr. 5).

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Diese Umstände sind im Streitfall auch von Bedeutung für den Umfang der Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich des Fahrbahnrandes, des Banketts. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist der LKW der Klägerin in die Saar gestürzt, weil der Fahrbahnrand (das Bankett) hinten rechts nachgab. Bankette sind nicht zur regelmäßigen Benutzung durch den Fahrzeugverkehr bestimmt. Sie brauchen daher nicht so standhaft und tragfähig zu sein wie die Fahrbahn. Bei befestigten Banketten in Form eines Seitenstreifens kann der Kraftfahrer im allgemeinen mit einer gefahrlosen Benutzung rechnen; bei diesen Banketten ist eine Warnung nur nötig, wenn sie auch in Notfällen nicht befahren werden sollen, insbesondere, wenn sie so weich sind, daß ein Kraftwagen sofort abrutscht oder einsinkt. Sind die Bankette aber unbefestigt, bestehen sie insbesondere aus einer nur schmalen Grasnarbe, die sich an eine abfallende Böschung anschließt, dann ist die mangelnde Standfestigkeit auch für ein geringfügiges, vorsichtiges Befahren mit schweren Fahrzeugen jedem einsichtigen Kraftfahrer erkennbar und eine besondere Warnung nicht nötig (Senatsurteile vom 16. Dezember 1968 – III ZR 110/66 = VersR 1969, 280, 281 und vom 12. Juli 1971 aaO).

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2. Diese Grundsätze führen im Streitfall dazu, die Berechtigung der Klageforderung in vollem Umfang zu verneinen. Es kann auf sich beruhen, ob der vom beklagten Land vertretene Rechtsstandpunkt sich auch darauf stützen kann, daß die Zufahrt zur L 138 über die Behelfsbrücke erst durch die Beseitigung einer Sperre möglich geworden war. Die Pflicht zur Verkehrssicherung besteht immer nur, soweit die Straße zur Benutzung zur Verfügung gestellt ist. Falls also eine öffentliche Straße nach dem äußeren Zustand oder aufgrund von Verkehrsschildern nicht für schwere Lastfahrzeuge benutzbar ist, braucht der Pflichtige bei der Sicherung der Straße auf solche Fahrzeuge keine Rücksicht zu nehmen. Danach richtet sich auch der Umfang der Pflichten für etwaige „rechtswidrige“ Benutzer (vgl. Arndt Straßenverkehrssicherungspflicht 2. Aufl. S. 79).

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Hier war die Beschaffenheit der Straße von solcher Art, daß über ihre eingeschränkte Geeignetheit und Bestimmung, einem Verkehr mit Lastkraftwagen der vorliegenden Größe und entsprechender Zuladung zu dienen, kein ernstlicher Zweifel bestehen konnte. Zwar ist die befestigte Fahrbahn bei der Breite von 3,85 m in der Lage gewesen, den Schwerlastverkehr in einer Richtung aufzunehmen. Jedoch konnten zwei sich begegnende Fahrzeuge nicht aneinander vorbeifahren. Das galt auch für den Begegnungsverkehr von Personenkraftwagen. Sie mußten – um gefahrlos aneinander vorbeifahren zu können – die (beiderseits der Fahrbahn) verlaufenden Bankette in Anspruch nehmen. Nun hat sich zwar der leichtere Personenkraftverkehr darauf verlassen dürfen, daß das – in Fahrtrichtung des LKW der Klägerin gesehen – rechts neben der befestigten Fahrbahn verlaufende Bankett so tragfähig war, daß es ein gelegentliches Befahren aufnehmen konnte. Das gilt aber nicht für den hier in Rede stehenden Schwerlastverkehr. Unmittelbar an das Bankett schloß sich die zur Saar hin abfallende Böschung an. Daß ein Widerlager vorhanden war, das den Druck eines beladenen Schwerlastkraftwagens hätte aufnehmen können, war nicht ersichtlich. Schon angesichts dieser Örtlichkeit hat für den Fahrer eines solchen Fahrzeugs bei Anwendung zumutbarer Sorgfalt kein Zweifel darüber aufkommen können, daß der Seitenstreifen nicht zum – auch nur gelegentlichen – Befahren mit einem beladenen Schwerlastwagen bestimmt oder geeignet war. Soweit reichte die Verkehrssicherungspflicht des beklagten Landes nicht. Mag – wie das Berufungsgericht festgestellt hat – das Bankett geteert, an seinem äußeren Ende betoniert und teilweise mit einem Geländer versehen gewesen sein, so können doch diese Umstände im Blick auf die geringe Fahrbahnbreite und die beschränkte Zulassung des Fahrzeugverkehrs (nur Fahrzeuge bis 3,5 t Gesamtgewicht, Anlieger frei) nicht zu einer anderen Beurteilung des Umfangs der Verkehrssicherungspflicht führen. Der Fahrer des LKW der Klägerin hat daher auf eigenes Risiko gehandelt, als er mit dem vollbeladenen Fahrzeug auf den Seitenstreifen auswich.

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3. Auch die Erwägung des Berufungsgerichts, das beklagte Land habe „als Bauherr“ den von der Baustelle Baustufe S. über die Behelfsbrücke auf die L 138 fahrenden Schwerlastverkehr geduldet, führt nicht zu einer Haftung des Landes. Der Gefahr des Abrutschens des schwer beladenen Lastkraftwagens in den Fluß hätte der Fahrer des Fahrzeugs der Klägerin ohne sonderliche Mühe begegnen können, indem er nach vorheriger Verständigung mit dem Fahrer des entgegenkommenden entladenen, also leichteren, Fahrzeugs zur Bergseite hin – nach links – ausgewichen wäre.

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Es kann offen bleiben, ob im Bereich der Unfallstelle der Uferrand „bis unter die Fahrbahn reichend“ unterspült gewesen ist. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist der LKW der Klägerin nicht in eine (unterhöhlte) Fahrbahn eingebrochen, sondern er ist auf dem unbefestigten Seitenstreifen nach hinten rechts weggerutscht. Dabei ist – wie die vorgelegten Lichtbilder ausweisen – die Fahrbahndecke geringfügig mitbeschädigt worden. Unfallursache war allein die mangelnde Tragfähigkeit des Seitenstreifens.

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Dem beklagten Land kann nicht angelastet werden, es unterlassen zu haben, an der Unfallstelle durch Warnzeichen auf die in diesem Bereich nicht genügend gewährleistete Tragfähigkeit des zum Ufer gelegenen Seitenstreifens hingewiesen zu haben. Der Seitenstreifen war, wie dargelegt, nach seinem äußeren Erscheinungsbild nicht zum Befahren mit Schwerlastfahrzeugen gewidmet.

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4. Demnach erweist sich die Klage auch in dem von den Vorinstanzen zugesprochenen Umfang als unbegründet. Sie ist deshalb auf die Revision des beklagten Landes unter entsprechender Änderung dieser Urteile abzuweisen.

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