Zur Selbstständigkeit von Berufskraftfahrern ohne eigenes Fahrzeug

Bayerisches LSG, Urteil vom 27.02.2014 – L 7 R 387/14

1. Auch Fahrer ohne eigenes Kfz können selbstständig tätig sein.
2. Die Übernahme landwirtschaftlicher Fahrten ohne eigenes Kfz kann eine selbstständige Tätigkeit darstellen.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 27. Februar 2014 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, auch das Beigeladenen zu 1), in beiden Instanzen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

IV. Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 5.000 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Beigeladene zu 1) seine Tätigkeit für die Klägerin, den Transport von Kartoffeln mit einem Spezial-Lkw, in der Zeit vom 01.04.2011 bis 31.12.2012 in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis oder als Selbstständiger ausübte.

Die Klägerin betreibt ein Fuhrunternehmen, das 90 % ihres Umsatzes aus dem Transport von Kartoffeln bezieht. Die Kartoffeln sind bei einer landwirtschaftlichen Genossenschaft eingelagert und werden von der Klägerin unabhängig von den Jahreszeiten – meist im Wege einer „Just-in-Time“-Lieferung an die jeweiligen Kunden der landwirtschaftlichen Genossenschaften ausgeliefert. Für den Kartoffeltransport verfügt die Klägerin über drei Lkws mit einem Gesamtwert von jeweils 300.000,00 Euro, wovon der Zusatzaufbau für den Kartoffeltransport jeweils 65.000,00 bis 70.000,00 Euro gekostet hat.

Die Lkws der Klägerin werden von dem bei der Klägerin festangestellten Personal gefahren. Nur bei Verhinderung, z. B. Krankheit oder Urlaub, wurde in den Jahren 2011 und 2012 beim Beigeladenen zu 1) angefragt, ob er einzelne Transporte übernimmt und zwar nur Transporte an die Firma B., weil die Firma B. beim Wohnort des Beigeladenen zu 1) liegt. Wenn der Beigeladene zu 1) einen Auftrag nicht übernahm, fuhr der Inhaber der Klägerin selbst. Seit Anfang 2013 fährt der Inhaber der Klägerin stets selbst, wenn Personal unvorhergesehen ausfällt.

Der Beigeladene zu 1) hat eine eigene Landwirtschaft ohne Viehhaltung. Er baut im Wesentlichen Getreide an und verfügt über Wiesen. Zusätzlich fährt der Beigeladene zu 1) für eine landwirtschaftliche Genossenschaft, deren Fahrzeuge er nutzt, in der Zeit von September bis Januar Zuckerrüben, die er über den Maschinenring als landwirtschaftliche Tätigkeit abrechnet. Von der landwirtschaftlichen Alterssicherung ist der Beigeladene zu 1) befreit. Der Schwerpunkt der Erwerbstätigkeit des Beigeladenen zu 1) liegt jedoch auf seiner selbständigen Tätigkeit im Rahmen seines „Landwirtschaftlichen Lohnunternehmens“. Das „Landwirtschaftliche Lohnunternehmen“ betreibt der Beigeladene zu 1) in erster Linie mit vier eigenen Mähdreschern, mit denen er – hauptsächlich in der Region N. – Dreschen auf Lohnbasis anbietet. Der Beigeladene zu 1) fährt im Rahmen seines Landwirtschaftlichen Lohnunternehmens auch für andere Auftraggeber (ca. 20) in der Region bestimmte Fuhren, wie sie in landwirtschaftlichen Betrieben anfallen. Dabei nutzt er regelmäßig Spezialfahrzeuge, auch z. B. Betonmischer, Schotterstreuer, die ihm von den Betrieben zur Verfügung gestellt werden. Der Jahresumsatz des Beigeladenen zu 1) lag in den Jahren 2011 und 2012 jeweils bei ca. 60.000,00 Euro.

Die Klägerin beauftragte für die bei ihr anfallenden Kartoffeltransporte das „Landwirtschaftliche Lohnunternehmen“ des Beigeladenen zu 1). Die einzelnen Aufträge zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen zu 1) wurden ohne schriftliche Vereinbarung abgewickelt. Der Beigeladene zu 1) stellte der Klägerin nach Durchführung eines Auftrags über sein angemeldetes Gewerbe „Landwirtschaftliches Lohnunternehmen“ die Rechnung. Regelmäßig berechnete er für die dreistündige Transportfahrt zur Firma B. pro „Fuhre“ 50,00 oder 60,00 Euro. Wenn der Beigeladene zu 1) bei der Firma B. zu lange Wartezeiten hatte oder eine Fuhre aus anderen Gründen länger dauerte, rechnete er „Facharbeiterstunden“ mit 17,00 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer ab.

Am 10.01.2013 beantragte die Klägerin bei der Beklagten eine Statusfeststellung für die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) für die Zeit vom 01.04.2011 bis Ende 2012.

Nach entsprechender Anhörung stellte die Beklagte mit Bescheid vom 16.05.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.09.2013 fest, dass der Beigeladene zu 1) bezüglich seiner Tätigkeit bei der Klägerin im streitbefangenen Zeitraum abhängig beschäftigt und damit versicherungspflichtig in der Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung gewesen sei. Eine Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung habe nicht bestanden, da der Beigeladene zu 1) überwiegend selbstständig tätig gewesen sei.

Bei einer Gesamtwürdigung aller zu beurteilenden tätigkeitsrelevanten Tatsachen würden die Merkmale für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis überwiegen: – Der Beigeladene zu 1) setze zur Ausübung seiner Tätigkeit kein eigenes Fahrzeug ein. – Der Beigeladene zu 1) sei nicht im Besitz der Erlaubnis nach § 3 Güterverkehrsgesetz oder der Gemeinschaftslizenz nach Art. 3 der EWG-Verordnung 881/92 und übe daher als Lkw-Fahrer kein selbstständiges Gewerbe im Sinne von §§ 407 ff. HGB aus. – Der Beigeladene zu 1) setze ausschließlich die eigene Arbeitskraft ein und sei funktionsgerecht dienend in einer fremden Arbeitsorganisation tätig. – Ein Kapitaleinsatz, der auch mit der Möglichkeit des Verlustes verbunden sei, läge nicht vor. – Zwar habe der Beigeladene zu 1) einzelne Aufträge ablehnen können. Jedoch sei er nach Annahme in der Arbeitsorganisation der Klägerin eingebunden gewesen und deren Weisungsrecht unterlegen. Zielort und Ware seien vorgegeben gewesen. Auch habe er in einem bestimmten Rahmen zeitlichen Vorgaben unterlegen. – Dass der Beigeladene zu 1) mehrere Auftraggeber gehabt habe, sei im Ergebnis nicht relevant, da jedes Beschäftigungsverhältnis für sich zu beurteilen sei. – Zwar seien bei Anschaffung der vier Mähdrescher durch den Beigeladenen zu 1) in nicht unerheblichem Umfang eigenes Kapital mit dem Risiko des Verlustes eingebracht worden in dessen landwirtschaftliches Transportunternehmen. Dies könne hier jedoch nicht als Merkmal für eine selbstständige Tätigkeit gewertet werden, da die Mähdrescher bei der Tätigkeit für die Klägerin nicht zum Einsatz gekommen seien. – Die eigene Arbeitskraft des Beigeladenen zu 1) sei nicht mit einem ungewissen Erfolg eingesetzt worden, da nach Abnahme der Arbeit eine Vergütung erfolgt sei, die erfolgsunabhängig gezahlt wurde. – Für die Ausübung der Tätigkeit bei der Klägerin sei das Vorhandensein eines Kraftfahrzeugs zwingende Voraussetzung. Ohne eigenes Kraftfahrzeug sei der Beigeladene zu 1) zur Ausübung der Tätigkeit von der Klägerin persönlich abhängig, die das Kfz zur Verfügung gestellt hatte.

Hiergegen erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Regensburg mit dem Antrag, die streitgegenständlichen Bescheide aufzuheben und Versicherungsfreiheit auch in der Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung festzustellen. In der mündlichen Verhandlung vom 27.02.2014 schloss sich der Beigeladene zu 1) dem Antrag der Klägerin an.

Mit Urteil vom 27.02.2014 hob das Sozialgericht Regensburg den Bescheid vom 16.05.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.09.2013 auf und stellte fest, dass der Beigeladene zu 1) in seiner Tätigkeit für die Klägerin nicht abhängig beschäftigt war und daher auch keine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung bestanden habe.

Nachdem keine schriftlichen Vereinbarungen vorgelegen hätten, bestimme sich das Gesamtbild der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) bei der Klägerin nach den tatsächlichen Verhältnissen. Die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) habe sich wesentlich von den Tätigkeiten der bei der Klägerin abhängig Beschäftigten unterschieden. Im Gegensatz zu den abhängig Beschäftigten habe es dem Beigeladenen zu 1) nicht egal sein können, wie lange er für eine Fuhre brauchte. Demgemäß habe er bei außergewöhnlicher langer Fahrt gegenüber der Klägerin stundenweise und nicht wie ansonsten üblich mit einem Festpreis pro Fuhre abgerechnet. Der Beigeladene zu 1) habe auch eine unabhängige Stellung gegenüber der Klägerin gehabt, da er in erster Linie seinen Verdienst mit Mähdreschen und Zuckerrübenfahren erzielte und einzelne Aufträge – wie gegenüber anderen Auftraggebern so auch bezüglich der Klägerin – nur annahm, wenn dies seine Haupterwerbstätigkeit – Mähdreschen und Zuckerrübenfahrten – nicht beeinträchtigte.

Gegen das Urteil des Sozialgerichts hat die Beklagte Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt.

Die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) habe sich nach Annahme eines Auftrags von der Tätigkeit der bei der Klägerin festangestellten Fahrer in keiner Weise unterschieden. Gestaltungsspielräume hätten für den Beigeladenen zu 1) nicht bestanden. Die Möglichkeit, Aufträge anzunehmen oder abzulehnen, könne zwar als Indiz für das Vorliegen einer selbstständigen Tätigkeit angesehen werden, weil der Betroffene damit den Umfang seiner Tätigkeit weitgehend selbst bestimmt habe. Jedoch sei es auch im Rahmen abhängiger Beschäftigungsverhältnisse nicht unüblich, dass es bisweilen einem Arbeitnehmer überlassen bleibt, ob er im Anforderungsfall tätig wird oder er ein ob ein konkretes Angebot im Einzelfall ablehnt. Denn auch in solchen Fällen, in denen auf Abruf oder in Vertretungssituationen, beispielsweise wegen Erkrankung ständiger Mitarbeiter, lediglich im Bedarfsfall auf bestimmte Kräfte zurückgegriffen werde, könne dem Arbeitgeber die Möglichkeit eingeräumt sein, ein konkretes Arbeitsangebot abzulehnen. Werde das angetragene Angebot jedoch angenommen, sei die Ablehnungsmöglichkeit nicht mehr entscheidend (LSG Baden-Württemberg, Urteil 17.01.2012, L 11 R 1138/10).

Auch spreche nicht für Selbstständigkeit, dass der Beigeladene zu 1) weitere Auftraggeber hatte. Grundsätzlich finde eine tätigkeitsbezogene und nicht eine personenbezogene Beurteilung statt. Der Beigeladene zu 1) habe keinerlei Unternehmensrisiko gehabt. Soweit das Sozialgericht festgestellt habe, das Kriterium des Unternehmensrisikos müsse aufgrund der besonderen Fallgestaltung in der Gesamtabwägung zurücktreten, sei das nicht nachvollziehbar. Die Klägerin habe das Risiko in Bezug auf die teure Anschaffung der Spezialfahrzeuge für den Kartoffeltransport gehabt. Das Urteil widerspreche der Rechtsprechung zu Lkw-Fahrern ohne eigenes Fahrzeug (z.B. LSG BW, Urteil vom 18.07.2013, L 11 R 1083/12 und LSG BW, Urteil vom 22.01.2014, L 5 R 2731/13).

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 27. Februar 2014 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 16.05.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.09.2013 abzuweisen.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte sowie der Beigeladene zu 1) beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Das Urteil des Sozialgerichts Würzburg sei zutreffend. Der Beigeladene zu 1) sei nicht in die Arbeitsorganisation der Klägerin eingebunden gewesen. Vielmehr sei der Beigeladene zu 1) im Rahmen seines Landwirtschaftlichen Lohnunternehmens als Subunternehmer der Klägerin tätig geworden.

Die Fahrten habe der Beigeladene zu 1) weisungsungebunden vorgenommen. Der Rahmen für die Tätigkeit habe sich nicht aus Weisungen der Klägerin sondern aus den Vorgaben des Auftraggebers der Klägerin ergeben.

Auch habe die Klägerin für die dem Beigeladenen zu 1) erteilten Aufträge niemals abhängig Beschäftigte eingesetzt. Vielmehr habe der Beigeladene zu 1) anstelle des Inhabers der Klägerin die Fahrten durchgeführt.

Letztlich habe der Beigeladene zu 1), anders als andere Lkw-Fahrer ohne eigenes Fahrzeug, über eine unabhängige Stellung verfügt, nachdem der Beigeladene zu 1) ein landwirtschaftliches Transportunternehmen als Selbstständiger mit entsprechendem Unternehmensaufbau betrieben habe.

Die Beigeladenen zu 2) bis 4) haben keine Anträge gestellt.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht Regensburg mit Urteil vom 27. Februar 2014 entschieden, dass der Beigeladene zu 1) seine Tätigkeit bei der Klägerin nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses sondern als Selbständiger ausgeübt und damit in der Zeit vom 01.03.2011 bis 31.12.2012 nicht – wie vom Beklagten mit streitgegenständlichem Bescheid vom 16.05.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.09.2013 festgestellt – in der Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung versicherungspflichtig war.

Der Beigeladene zu 1) war bei seinen Kartoffelfuhren für die Klägerin im Rahmen seines landwirtschaftlichen Lohnunternehmens als Selbständiger und damit nicht sozialversicherungspflichtig tätig. Es lag keine – abhängige – Beschäftigung vor.

Nach § 7 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.

Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Die das Gesamtbild bestimmenden tatsächlichen Verhältnisse sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben.

Ob eine Beschäftigung vorliegt, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Ausgangspunkt ist daher zunächst das Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es sich aus den von ihnen getroffenen Vereinbarungen ergibt oder sich aus ihrer gelebten Beziehung erschließen lässt.

Eine im Widerspruch zu ursprünglich getroffenen Vereinbarungen stehende tatsächliche Beziehung und die hieraus gezogene Schlussfolgerung auf die tatsächlich gewollte Natur der Rechtsbeziehung geht der nur formellen Vereinbarung vor, soweit eine – formlose – Abbedingung rechtlich möglich ist. Umgekehrt gilt, dass die Nichtausübung eines Rechts unbeachtlich ist, solange diese Rechtsposition nicht wirksam abbedungen ist. Zu den tatsächlichen Verhältnissen in diesem Sinne gehört daher unabhängig von ihrer Ausübung auch die einem Beteiligten zustehende Rechtsmacht. In diesem Sinne gilt, dass die tatsächlichen Verhältnisse den Ausschlag geben, wenn sie von Vereinbarungen abweichen. Maßgeblich ist die Rechtsbeziehung so wie sie praktiziert wird und die praktizierte Beziehung so wie sie rechtlich zulässig ist (BSG, Urteil vom 25.01.2006 – B 12 KR 30/04 R, Urteil vom 29.08.2012 – B 12 KR 25/10 R, Urteil vom 29.08.2012 – B 12 R 14/10 R; Urteil vom 30.04.2013 – B 12 KR 19/11 R).

Für die sozialversicherungsrechtliche Einordnung des bestehenden Rechtsverhältnisses ist jedoch weder die von den Beteiligten gewünschte Rechtsfolge noch die von ihnen gewählte Bezeichnung maßgeblich. Die Frage, ob eine Beschäftigung oder eine Selbständigkeit vorliegt, steht nicht zur Disposition der Beteiligten. Der besondere Schutzzweck der Sozialversicherung schließt es aus, über die rechtliche Einordnung allein nach dem Willen der Vertragsparteien und deren Vereinbarung zu entscheiden. Vielmehr sind die relevanten Merkmale zu gewichten.

Diesen Grundsätzen folgend ist Ausgangspunkt zunächst, dass zwischen der Klägerin und dem Beigeladen zu 1) keine schriftliche Vereinbarung bestand. Einzelne Fuhren wurden im Rahmen des jeweiligen Einzelauftrags mündlich besprochen und durchgeführt und anschließend vom landwirtschaftlichen Lohnunternehmen des Beigeladenen zu 1) die Rechnung an die Klägerin gestellt. Für die Prüfung des Status des Beigeladenen zu 1) bedeutet dies, dass zwar grundsätzlich der jeweilige Einzelauftrag zu beurteilen ist, gleichzeitig aber auch, dass es sich um einen Auftrag an das landwirtschaftliche Lohnunternehmen und nicht den Beigeladenen zu 1) als Person gehandelt hat.

Unter Wertung sämtlicher Merkmale, die einerseits für eine abhängige Beschäftigung – wie sie die Beklagte im streitgegenständlichen Bescheid und Widerspruchsbescheid dargelegt und gewürdigt hat – und andererseits für eine selbständige Tätigkeit sprechen, kommt der Senat zu dem Ergebnis, dass der Beigeladene zu 1) im Rahmen seines landwirtschaftlichen Lohnunternehmens die einzelnen Aufträge für die Klägerin als Selbständiger durchgeführt hat.

Dass der Beigeladene zu 1) Transportleistungen mit einem von der Klägerin gestellten Fahrzeug und nicht mit einem eigenen Fahrzeug erbrachte, tritt hier in den Hintergrund. Bei der versicherungsrechtlichen Beurteilung von Fahrertätigkeiten kommt es nicht allein darauf an, ob der Fahrer ein eigenes Fahrzeug für die Transporte einsetzt. Die Tätigkeit als Lkw-Fahrer kann sowohl im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses (vgl. BSG, Urteil vom 09.08.2003, B 2 U 38/02 R und BSG, Urteil vom 22.06.2005, B 12 KR 28/03 R) als auch im Rahmen eines freien Dienstverhältnisses als selbstständige Tätigkeit (vgl. BSG, Urteil vom 27.11.1980, 8a RU 26/80, LSG NRW, Urteil vom 13.09.2007, L 5 R 5/06, BayLSG, Urteil vom 17.11.2006, L 5 KR 293/05) ausgeübt werden. Entscheidend ist letztlich auch hier, welche Merkmale, die für eine abhängige Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit sprechen, überwiegen.

Im Ergebnis ist bei Abwägung der entscheidungserheblichen Merkmale wesentlich darauf abzustellen, dass der Beigeladene zu 1) ein landwirtschaftliches Transportunternehmen betreibt und er ihm Rahmen dieser gewerblichen Tätigkeit Zeiten, in denen er saisonbedingt weniger verdienen kann, dadurch überbrückt, dass er auch zahlreichen weiteren Auftraggebern die Übernahme landwirtschaftlicher Transportfahrten anbietet. Bei Annahme von Einzelaufträgen handelt es sich um eine wichtige Stütze für sein Gewerbe, wenn er für andere Auftraggeber tätig wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Kläger Aufträge ausschließlich im Rahmen landwirtschaftlicher Spezialtransporte angenommen hat und annimmt, diese Aufträge einen regionalen Bezug haben und sich zeitlich einpassen lassen müssen in seine Haupttätigkeiten Mähdreschen und Zuckerrübenfahren. Auch rechnet er wie in der Landwirtschaft üblich „Fuhren“ ab, unabhängig von der dafür benötigten Zeit. Dass er bei unvorhergesehen länger dauernden Fuhren dann Stunden abrechnete, spricht zusätzlich für eine selbständige Tätigkeit. Hierdurch wurde es dem Beigeladenen zu 1) möglich, wirtschaftlich zu arbeiten.

Insbesondere hatte der Beigeladenen zu 1) ein Unternehmensrisiko in Bezug auf sein landwirtschaftliches Lohnunternehmen, für das er in vier Mähdrescher investiert hat. Anders als die Beklagte meint, muss sich ein Unternehmensrisiko nicht aus einem eigens für den Kartoffeltransport angeschafften Spezial-LKW ergeben. Beim Beigeladenen zu 1) kann die selbständige Tätigkeit insoweit nicht am Merkmal eines eigenen Fahrzeugs – nämlich eines Kartoffeltransporters – festgemacht werden. Entscheidend ist hier eine Gesamtbetrachtung der selbständigen Tätigkeit des Beigeladenen zu 1) im Rahmen seines Unternehmens, in das er investiert hat. Zweck seines Unternehmens ist die Ausführung von landwirtschaftlichen Fuhren, die Spezialkenntnisse erfordern. Genau dies tat er auch bei der Klägerin, wenn er Kartoffeltransporte übernahm. Die von der Klägerin erteilten Einzelaufträge sind daher – ebenso wie die Einzelaufträge der zahlreichen anderen, ebenfalls der Landwirtschaft zuzuordnenden Auftraggeber – der Gesamtheit der unternehmerischen Tätigkeit des Beigeladenen zu 1), das auf dessen Spezialkenntnissen für Fuhren jeglicher Art im landwirtschaftlichen Bereich basiert, zuzuordnen.

Eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation der Klägerin ist durch Übernahme der Fuhren nicht erfolgt. Ebenso unterlag der Beigeladene zu 1) bei Durchführung seiner Aufträge keinen Weisungen der Klägerin. Der Beigeladene zu 1) wurde vielmehr als selbständiger Subunternehmer tätig, der den Auftrag der Klägerin im Rahmen der Vorgaben des Auftraggebers der Klägerin selbständig erledigte.

Dies ergibt sich auch daraus, dass der Beigeladene zu 1) im Hinblick auf die Übernahme bzw. Ablehnung eines Auftrags völlig frei war. Der Beigeladene zu 1) hat nur die für ihn wegen seines Wohnortes vorteilhaften Aufträge, die Fuhren an die Firma B. angenommen und das auch nur dann, wenn er hierfür Zeit hatte. Hat er einen solchen Auftrag nicht übernommen, ist der Inhaber der Klägerin selbst gefahren, wie es dieser seit 2013 auch regelmäßig tut.

Im Ergebnis hat die Berufung nach alledem keinen Erfolg. Im vorliegenden Fall überwiegen nach dem Gesamtbild der Tätigkeit trotz der Nutzung fremder Fahrzeuge durch den Beigeladenen zu 1) die für eine selbständige Tätigkeit sprechenden Merkmale. Das Sozialgericht hat mit seinem Urteil vom 27. Februar 2014 den streitgegenständlichen Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides zutreffend aufgehoben und zu Recht festgestellt, dass der Beigeladene zu 1) bei seiner Tätigkeit für die Klägerin nicht abhängig beschäftigt und damit sozialversicherungsfrei auch in der Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung war.

Die Kostenentscheidung beruht § 197a SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt. Die Streitwertfestsetzung ist unanfechtbar, § 177 SGG.

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