Zur Kündigung eines Wohnraummietvertrages wegen Lärmbelästigung sowie Beleidigung und Bedrohung eines Mitmieters

LG Dortmund, Urteil vom 14.06.2017 – 1 S 62/16

Es ist nicht Sache eines Mieters, sich die Gründe einer Kündigung aus einem umfangreichen Schriftwechsel oder ähnlichem „zusammenzusuchen“. Dennoch genügt eine (präzise) Bezugnahme auf die der Klageschrift bzw. dem Kündigungsschreiben beigefügten Beschwerde-E-Mails der sich gestört fühlenden Mitmieterin dem Begründungserfordernis für eine verhaltensbedingte Kündigung.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 29.01.2016 verkündete Urteil des Amtsgerichts Dortmund – Az.: 412 C 4909/15 – abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, die Wohnung im Hause I-Straße in E im 1. Obergeschoss, 1. Wohnung von links, bestehend aus 2,5 Zimmern, Küche, Bad, Diele, Flur (49,59 m2) nebst Kellerräumen geräumt an die Klägerin herauszugeben.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe
I.

1
Auf die Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO verzichtet.

II.

2
Die zulässige Berufung hat Erfolg. Rechtsfehlerhaft hat das Amtsgericht einen Räumungsanspruch der Klägerin aus § 546 Abs. 1 BGB und § 985 BGB verneint.

3
1. Die im Schriftsatz der Klägerin vom 28.05.2015 erklärte und dem Beklagten am 09.07.2015 zugestellte ordentliche Kündigung ist wirksam und hat das zwischen den Parteien bestehende Mietverhältnis beendet.

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a) Die Wirksamkeit der Kündigung scheitert entgegen der Auffassung des Amtsgerichts nicht daran, dass die Kündigungsbegründung in der Klageschrift vom 28.05.2015 nicht ausreichend substantiiert sei.

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aa) Zwar tritt die Kammer der Rechtsauffassung des Amtsgerichts uneingeschränkt bei, dass es nicht Sache eines Mieters ist, sich die Gründe einer Kündigung aus einem umfangreichen Schriftwechsel oder ähnlichem „zusammenzusuchen“. Auch gibt die von der Klägerin hier gewählte Form der Schriftsatzkündigung unnötig Anlass, für eine rechtliche Auseinandersetzung mit der Frage einer hinreichenden Kündigungsbegründung. Es wäre insoweit unschwer möglich und aus anwaltlicher Vorsicht geboten gewesen, durch eine Übernahme der seitens der Zeugin T erhobenen Beschwerden in die Klageschrift an geeigneter Stelle die von dem Amtsgericht für durchgreifend erachteten Zweifel von vornherein zu vermeiden. Darauf hat die Kammer die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 27.04.2017 bereits hingewiesen.

6
bb) Zu einem Zusammensuchen der Kündigungsgründe aus einem umfangreichen Schriftwechsel oder ähnlichem war der Beklagte allerdings angesichts der der Klageschrift beigefügten Beschwerde-E-Mails der Zeugin T, auf welche in der Klageschrift auch ausdrücklich zur Darstellung der im einzelnen ausgeführten Verhaltenspflichtverletzungen Bezug genommen wird, gleichwohl nicht veranlasst. Denn neben der ausdrücklich in der Klageschrift gerügten Ruhestörung am 28.04.2015 (richtig: 27.04.2015) monieren sogleich die ersten beiden der Klageschrift beigefügten Beschwerde-E-Mails vom 21.04.2015 und 28.04.2015 erhebliche Ruhestörungen und Beleidigungen seitens des Beklagten im Nachgang der Abmahnung vom 22.01.2015.

7
Dadurch wird dem Begründungserfordernis des § 573 Abs. 3 BGB und auch des § 569 Abs. 4 BGB entgegen der Auffassung des Amtsgerichts genügt.

8
(1) Der Sinn und Zweck der Regelungen in §§ 569 Abs. 1, 573 Abs. 3 S. 1 BGB besteht darin, dem Mieter zum frühest möglichen Zeitpunkt Klarheit über seine Rechtsposition zu verschaffen und ihn so in die Lage zu versetzen, rechtzeitig alles Erforderliche zur Wahrung seiner Interessen zu veranlassen (BVerfG, Beschl. v. 31.03.1992 – 1 BvR 1492/91 = NJW 1992, 1877 (1878); BGH, Urt. v. 27.06.2007 – VIII ZR 271/06 = NJW 2008, 2845 (2847) Rn. 23).

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(2) Um den Beklagten in die Lage zu versetzen, seine Rechtsverteidigung gegen die Kündigung sachgerecht vorzubereiten, ist in dem hier gegebenen Fall, dass der behauptete Grund der Kündigung in der Sphäre des Beklagten liegt, erforderlich, dass das Kündigungsschreiben den Kündigungsgrund so bezeichnet, dass er identifiziert und von anderen Gründen unterschieden werden kann (Geib, in: BeckOGK-BGB (Stand: 01.04.2017), § 573 Rn. 163; BGH, Urt. v. 12.05.2010 – VIII ZR 96/09 = NZM 2010, 548 (551) Rn. 36).

10
(3) Vor diesem Hintergrund hätte das Amtsgericht von einer Sachentscheidung über die Rechtfertigung der streitgegenständlichen Kündigung, welche ausgeblieben wäre, wenn der Räumungsanspruch der Klägerin bereits an der formellen Hürde der Begründung des Kündigungsschreibens gescheitert wäre, nach der Wertung des Art. 14 Abs. 1 GG nur dann absehen dürfen, wenn das Kündigungsschreiben nicht dem berechtigten Informationsbedürfnis des Beklagten genügt hätte (vgl. Geib, in: BeckOGK-BGB (Stand: 01.04.2017), § 573 Rn. 161; Hinz, in: Harz/Riecke/Schmid, Handbuch des Fachanwalts für Miet- und Wohnungseigentumsrecht, 5. Aufl. (2015), A. Kap. 14 Rn. 118).

11
(4) Dem berechtigten Informationsbedürfnis des Beklagten wird die Klageschrift, welche ausdrücklich die detaillierten Beschwerden der Zeugin T in Bezug nimmt und zum Gegenstand des Sachvortrags macht, gerecht.

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(a) Dahinstehen kann, ob eine (weitere) Begründung der Kündigung hinsichtlich des Kündigungsgrundes der Ruhestörung überhaupt erforderlich war, weil der Beklagte auf die ihm gegenüber unstreitig ausgesprochene „Abmahnung“ vom 22.01.2015 in seiner E-Mail vom 10.02.2015 entgegnete, seine Verhaltenspflichten künftig insoweit weiterhin verletzen zu wollen und er deshalb den Grund seiner Kündigung bereits kannte (für die Entbehrlichkeit etwa BGH, Urt. v. 06.07.2011 – VIII ZR 317/10 Rn. 10, zitiert nach juris; Hinz, in: Harz/Riecke/Schmid, Handbuch des Fachanwalts für Miet- und Wohnungseigentumsrecht, 5. Aufl. (2015), A. Kap. 14 Rn. 119a).

13
Der Beklagte hat in der E-Mail insoweit ausgeführt, die elektronische Musik auch künftig nicht auslagern zu wollen, da in seinem Proberaum weder eine Internet- noch WLAN-Möglichkeit bestehe. Zwar wolle er für „das Meiste“ aus Rücksicht einen Kopfhörer benutzen, zum „Mastering“ sei dieser indes unnütz. Die Klägerin habe überdies zu beachten, dass die Häuser sehr hellhörig seien.

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Dass der Beklagte angesichts dieser besonderen Sachlage überhaupt einer weitergehenden detaillierten Information bedurfte, zu welchem genauen Zeitpunkt er seine bereits angekündigte Verhaltenspflichtverletzungen umgesetzt habe, erscheint vom Boden der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes jedenfalls zweifelhaft.

15
(b) Die Information hat der Beklagte indes jedenfalls unmittelbar durch die Klageschrift erhalten, indem die Klägerin eine erneute Ruhestörung am 28.04.2015 bis 23:15 Uhr benannte, die auch zu einem Polizeieinsatz führte. Diese Ruhestörung wird auf Seite 2 des der Klageschrift angefügten Anlagenkonvoluts K2 gegenständlich, zeitlich und örtlich minutiös beschrieben und greift auch die in der Klageschrift zitierte Beleidigung auf. Da die Klageschrift selbst ausdrücklich in diesem Zusammenhang auf das Anlagenkonvolut K2 und die darin enthaltenen Beschwerdeschreiben der Zeugin T verweist, konnte für den Beklagten nicht verborgen bleiben, weshalb die streitgegenständliche Kündigung erfolgt. Insbesondere war der Beklagte gerade nicht gehalten, umfangreiche Schriftsätze zur Kenntnis zu nehmen, um die Gründe für die streitgegenständliche Kündigung zu erkennen. Vielmehr genügte insoweit die schlichte Lektüre der Klageschrift und der ersten Seiten des in diesem Zusammenhang ausdrücklich in der Klageschrift in Bezug genommenen Anlagenkonvolutes K2.

16
Dass die Klägerin darüber hinaus weitere Beschwerdeschreiben übersandt hat, ändert daran nichts, weil sich die in der Klageschrift ausdrücklich bezeichneten Verhaltenspflichtverletzungen zwanglos zuordnen lassen und von den weiteren Pflichtverletzungen des Beklagten unterscheiden.

17
b) Die Voraussetzungen für eine ordentliche Kündigung gemäß § 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB liegen vor.

18
aa) Dahinstehen kann, ob die Klägerin bereits aufgrund der zur Überzeugung der Kammer feststehenden Beleidigungen des Beklagten gegenüber der Zeugin T berechtigt war, das Mietverhältnis gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB ohne vorausgehende Abmahnung zu kündigen (so etwa AG Coburg, Urt. v. 25.09.208 – 11 C 1036/08 = BeckRS 2009, 31161). Dahinstehen kann auch, ob eine Abmahnung für die ordentliche Kündigung des Vermieters wegen schuldhafter nicht unerheblicher Pflichtverletzung mit Blick auf den abweichenden Wortlaut des § 543 Abs. 3 BGB und das für eine Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB erforderliche Verschulden des Mieters überhaupt erforderlich ist (dagegen etwa BGH Urt. v. 28.11.2007 – VIII ZR 145/07 = BeckRS 2008, 441 Rn. 26; Blank, in: Blank/Börstinghaus, Miete, 5. Aufl. (2017), § 573 Rn. 13; Hannapel, in: BeckOK-BGB, 42. Ed. (Stand: 01.11.2016), § 573 Rn. 32; Weidenkaff, in: Palandt, 76. Aufl. (2017), § 573 Rn. 13; Hinz, in: Harz/Riecke/Schmid, Handbuch des Fachanwalts für Miet- und Wohnungseigentumsrecht, 5. Aufl. (2015), A. Kap. 14 Rn. 147; Geib, in: BeckOGK (Stand: 01.04.2017), § 573 Rn. 26; Heintzmann, in: Soergel, BGB, 13. Aufl. (2007), § 573 Rn. 5; Rolfs, in: Staudinger (2014), § 573 Rn. 31).

19
bb) Die Klägerin hatte zum maßgeblichen Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung (vgl. Heintzmann, in: Soergel, BGB, 13. Aufl. (2007), § 573 Rn. 17; Rolfs, in: Staudinger (2014), § 573 Rn. 222) jedenfalls ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses, weil der Beklagte nach den Feststellungen der Kammer den Hausfrieden trotz erfolgter Abmahnung durch wiederholte und nachhaltige Lärmbelästigungen schuldhaft gestört und seine Mitmieterin, die Zeugin T, wiederholt grob beleidigt, bedroht und dadurch seine vertraglichen Nebenpflichten gemäß § 241 Abs. 2 BGB mehr als unerheblich verletzt hat (vgl. Heintzmann, in: Soergel, BGB, 13. Aufl. (2007), § 573 Rn. 22).

20
(1) Die Kammer war gehalten, eigene Feststellungen zu den behaupteten Verfehlungen des Beklagten zu treffen, weil das Amtsgericht die gebotenen Feststellungen – von seinem Standpunkt aus konsequent – verfahrensfehlerhaft nicht getroffen hat, § 538 Abs. 1 ZPO.

21
(2) Das Amtsgericht war aufgrund des Anspruches der Klägerin auf rechtliches Gehör verpflichtet, den entscheidungserheblichen Sachvortrag der Klägerin in der nach Art. 103 Abs. 1 GG gebotenen Weise zur Kenntnis zu nehmen und die angebotenen Beweise selbst zu erheben (vgl. BGH, Urt. v. 29.02.2012 – VIII ZR 155/11 = NJW 2012, 1647 (1648) Rn. 14). Dem hat das Amtsgericht nicht genügt, indem es der Sache nach über den Vortrag der Klägerin in der Klageschrift hinaus verlangt hat, die in dem Anlagenkonvolut K2 durch die Beschwerde-E-Mails der Zeugin T minutiös dargelegten Pflichtverletzungen des Beklagten in die dritte Person zu überführen und unmittelbar in die Klageschrift aufzunehmen. Dasselbe gilt für die mit Schriftsatz vom 17.07.2015 zur Akte gereichten Lärmprotokolle und Beschwerdeschreiben, welche die Klägerin ausdrücklich zum Gegenstand ihres Sachvortrages gemacht hat.

22
(a) Zwar ist das Amtsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die geordnete Darlegung von Tatsachen in einem vorbereitenden Schriftsatz nicht durch pauschale Bezugnahmen auf Anlagen ersetzt werden kann, weil das Gericht nicht gehalten ist, von sich aus umfangreiche Anlagen auf möglicherweise erhebliche Tatsachen hin durchzusehen (vgl. BGH, Urt. v. 02.07.2007 – II ZR 111/05 = NJW 2008, 69 (71) Rn. 25).

23
(b) Gleichwohl ist es zulässig, den wesentlichen Inhalt des Sachvortrages zusammengefasst in dem Schriftsatz selbst wiederzugeben und zur Substantiierung auf eine genau bezeichnete Anlage Bezug zu nehmen (Kern, in: Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. (2016), § 130 Rn. 9).

24
(c) Der Konflikt zwischen der durch § 130 Nr. 3 ZPO postulierten prozessualen Formstrenge und der materiell-rechtlichen Billigkeit der hier zu treffenden Entscheidung ist angesichts der abstrahierenden Darstellung in der Klageschrift vom 28.05.2015 dahingehend aufzulösen, dass der in der nicht allzu umfangreichen Anlage enthaltene Text – namentlich den sieben Beschwerdeschreiben der Zeugin T – nicht zusätzlich in dem vorbereitenden Schriftsatz nachzubeten war, weil der Bezug zu der Anlage K2 nachvollziehbar ist (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 75. Aufl. (2017), § 130 Rn. 18, § 131 Rn. 8).

25
(d) Dies gilt umso mehr als der Grad erforderlicher Substantiierung davon abhängt, wie konkret und detailliert der Gegenvortrag ist (LG Dortmund, Beschl. v. 12.06.2017 – 1 S 47/17; BGH, Urt. v. 03.06.2014 – VI ZR 394/13 Rn. 20, zitiert nach juris). Der Beklagte ist dem Vorbringen der Klägerin indes zu keinem Zeitpunkt – selbst nach dem Hinweis der Kammer, dass sie den Vortrag in der Klageschrift zur Kündigung aus prozessualer Sicht als ausreichend ansehe – substantiiert entgegengetreten. Vielmehr ergibt sich ein die Zugeständnisfiktion des § 138 Abs. 3 ZPO ausschließendes Bestreiten der behaupteten Vertragspflichtverletzungen des Beklagten lediglich aus seinem Schriftsatz vom 02.11.2015, wenn dort ausgeführt wird, das Gericht habe konsequent keine Zeugen geladen, sowie aus der Aussage des Prozessbevollmächtigten des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht vom 12.01.2016, wenn dort von behaupteten Verstößen bzgl. ruhestörenden Lärms die Rede ist.

26
(3) Der Beklagte hat seine vertraglichen Nebenpflichten in der in der Klageschrift dargestellten Gestalt wiederholt verletzt, indem er die Zeugin T trotz der mit Schriftsatz vom 23.09.2014 erteilten „Abmahnung“ am 27.04.2015 ohne nachvollziehbaren Anlass erneut beleidigt hat.

27
(a) Der Beklagte hat, indem er der Zeugin T am 27.04.2015 auf ihre telefonische Bitte, die Musik leiser zu stellen, entgegnete, „lass mich in Ruhe du blöde Olle“ und „Du willst doch nur mit mir ficken oder warum rufst Du an“, seiner persönlichen Missachtung gegenüber der Person der Zeugin Ausdruck verliehen, dadurch den Tatbestand des § 185 StGB verwirklicht und mithin seine gegenüber der Klägerin und der Mitmieterin T gemäß § 241 Abs. 2 BGB bestehende vertragliche Nebenpflicht verletzt (vgl. Gramlich, in: ders., Mietrecht, 13. Aufl. (2015), § 573 II. 3.; Hinz, in: Harz/Riecke/Schmid, Handbuch des Fachanwalts für Miet- und Wohnungseigentumsrecht, 5. Aufl. (2015), A. Kap. 14 Rn. 159b; Hannappel, in: BeckOK-BGB, 42. Ed. (Stand: 01.11.2016), § 573 Rn. 32).

28
Dem sind weitere Vertragspflichtverletzungen des Beklagten in der zweiten Hälfte des Jahres 2014 vorausgegangen, indem er der Zeugin T gegenüber u.a. bisweilen geäußert hat, „Drecksau“, „Schlampe“ und „dreckige Fotze“.

29
(b) Dass diese Äußerungen des Beklagten gegenüber der Zeugin erfolgt sind, steht zur Überzeugung der Kammer fest aufgrund der glaubhaften Aussage der Zeugin T in der mündlichen Verhandlung vom 27.04.2017.

30
(aa) Die Zeugin hat auf Nachfrage die Situation der jeweiligen Äußerungen des Beklagten nachvollziehbar darstellen können, indem sie schilderte, den Beklagten regelmäßig auf seine laute Musik angesprochen und ihn gebeten zu haben, diese leiser zu stellen. Diese Schilderungen deckten sich mit den letztlich auch von dem Beklagten selbst eingeräumten gelegentlichen Polizeieinsätzen.

31
(bb) Die Zeugin hat ferner glaubhaft angegeben, die an die Mitarbeiter der Klägerin gesendeten Beschwerde-E-Mails in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der jeweiligen Äußerung verfasst und die dort wiedergegebenen Geschehnisse tatsächlich so wie geschildert erlebt zu haben.

32
(cc) Ferner war die Zeugin in der mündlichen Verhandlung ersichtlich bemüht, den Beklagten in einem Licht erscheinen zu lassen, welches das aus den Beschwerdeschreiben zu entnehmende Bild des Beklagten relativiert. So äußerte sie sich zu den verschiedenen Beleidigungen zurückhaltend erst auf Nachfrage und stellte heraus, dass in jüngster Zeit keine Beleidigungen seitens des Beklagten mehr erfolgt seien.

33
(c) Die gegenüber der Zeugin T am 27.04.2015 geäußerten Beleidigungen erfolgten seitens des Beklagten weiterhin, obwohl die Klägerin bereits mit einem als „Beschwerde wegen ( … ) Beschimpfungen“ bezeichneten Schreiben vom 23.09.2014 u.a. darauf hingewiesen hatte, dass es an verschiedenen ausdrücklich bezeichneten Terminen zu „Bedrohungen und Beschimpfungen“ gekommen sei, weshalb dem Beklagten eine „Abmahnung“ erteilt werde und im Falle neuerlicher Verstöße gegen die Hausordnung mietvertragsrechtliche Schritte gegen ihn eingeleitet würden.

34
Mag das Amtsgericht hierin auch keine Abmahnung gesehen haben, weil es an einer hinreichend konkreten Beschreibung des missbilligten Beleidigungsverhaltens fehlte, konnte sich der Beklagte gleichwohl nicht der Einsicht verschließen, dass an seinem Verhalten Anstoß genommen wurde und er gehalten war, sein Bisheriges zu ändern. Auf die Frage, ob eine Abmahnung den Wortlaut einer beleidigenden Äußerung wiederholen muss, kommt deshalb insoweit nicht an.

35
(4) Der Beklagte hat seine mietvertragliche Rücksichtnahmepflicht zudem dadurch verletzt, dass er die Zeugin bei verschiedenen Gelegenheiten bedroht hat. Die Zeugin hat insoweit glaubhaft angegeben, der Beklagte habe ihr gegenüber geäußert: „ich schlag Dir gleich den Schädel ein“. Überdies hat sie in ihrer E-Mail vom 13.03.2015 an die Klägerin angegeben, der Beklagte habe sie und ihren Sohn in alkoholisiertem Zustand verbal bedroht. Sie habe mittlerweile Angst und bitte die Klägerin, etwas gegen den Zustand zu unternehmen.

36
(5) Der Beklagte hat weiterhin den Hausfrieden nachhaltig gestört, indem er trotz zweier einschlägiger Abmahnungen vom 23.09.2014 und 22.01.2015 u.a. am 13.04.2015 bis zu einer nicht näher nachvollziehbaren Zeit, am 17.04.2015 bis 00:30 Uhr und am 27.04.2015 bis 23:15 Uhr abermals Musik in einer Lautstärke spielte, dass sich die Zeugin T veranlasst sah, die Polizei hinzuzuziehen, nachdem sie zuvor erfolglos versucht hatte, den Beklagte dazu zu bewegen, die Musik leiser zu stellen.

37
(a) Störung durch Lärm kann eine erhebliche Gebrauchsbeeinträchtigung des Wohnwertes einer Wohnung und damit eine vertragliche Nebenpflichtverletzung darstellen, die selbst zu der hier ebenfalls ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung berechtigt, wenn und weil ein Mieter durch sehr häufiges lautstarkes Musikhören andere Mieter des Hauses bis spät in die Nacht hinein oder an den Wochenenden erheblich in ihrer Nachtruhe stört (AG Brandenburg, Urt. v. 24.05.2017 – 31 C 125/16 = BeckRS 2017, 110791 Rn. 80). Dies gilt selbst dann, wenn das Mietverhältnis zuvor mehrere Jahrzehnte ungestört bestanden hat (AG Brandenburg, Urt. v. 24.05.2017 – 31 C 125/16 = BeckRS 2017, 110791 Rn. 62 m.w.N).

38
(b) Von den Gegebenheiten des Einzelfalles, insbesondere den Verhältnissen des Wohnobjekts hängt ab, welche Geräusche insoweit von einem Mieter hinzunehmen sind und welche nicht mehr. In einem Mehrfamilienhaus sind etwa andere Geräusche hinzunehmen als in dem hier streitgegenständlichen hellhörigen Zweifamilienhaus.

39
Sind außerhalb von Feiern aus einem besonderen Anlass stets die „üblichen Wohngeräusche“ hinzunehmen, gilt hinsichtlich des Musikhörens bzw. -spielens als Maßstab grundsätzlich die sog. „Zimmerlautstärke“ (vgl. AG Brandenburg, Urt. v. 24.05.2017 – 31 C 125/16, BeckRS 2017 = 110791 Rn. 82). Dabei ergibt die gebotene Abwägung der wechselseitigen Nutzungsinteressen des Musikliebhabers einerseits und des Ruhesuchenden anderseits, dass zwischen 12:00 Uhr und 14:00 Uhr sowie zwischen 22:00 Uhr und 06:00 Uhr (vgl. § 9 LImSchG NRW) stets die „Zimmerlautstärke“ als Grenze gilt. Aber auch regelmäßigen Lärm außerhalb dieser Zeiträume müssen die übrigen Hausbewohner nicht hinnehmen (vgl. AG Brandenburg, Urt. v. 24.05.2017 – 31 C 125/16 = BeckRS 2017, 110791 Rn. 83 m.w.N.).

40
(c) Zwar existiert kein Messgerät, das anzeigt, wann diese „Zimmerlautstärke“ überschritten wird. Auch ist mit diesem Grenzwert nicht gemeint, dass keinerlei Geräusche aus einer Wohnung herausdringen dürfen. Die „Zimmerlautstärke“ wird nach allgemeiner Lebenserfahrung jedoch dann überschritten, wenn Bewohner anderer Wohnungen durch die Geräusche gestört werden (vgl. OLG München, Urt. v. 03.09.1991 – 25 U 1838/91 = NJW-RR 1991, 1492 (1493); AG Brandenburg, Urt. v. 24.05.2017 – 31 C 125/16, BeckRS 2017 = 110791 Rn. 86). Dies hängt neben der Dauer der Geräuschentwicklung sowohl von ihrer Intensität als auch der Art der Geräusche – wie insbesondere den hier gegebenen lauten und intensiven Bässen – ab. Maßstab ist insoweit, ob ein durchschnittlicher Benutzer einer Nachbarwohnung diese Art Lärmimmission als solche deutlich wahrnimmt (vgl. AG Brandenburg, Urt. v. 24.05.2017 – 31 C 125/16 = BeckRS 2017, 110791 Rn. 85).

41
(d) Nach diesen Maßstäben ist von einer erheblichen Störung des Hausfriedens durch den Beklagten am 13.04.2015, 17.04.2015 und 27.04.2015 auszugehen. Denn dass die Zeugin die Polizei bei den von ihr angegebenen insgesamt etwa zehn Gelegenheiten – auch zur nächtlichen Stunde und in den vorbezeichneten Fällen – nicht aus einer subjektiven Überempfindlichkeit gerufen, sondern das Verhalten des Beklagten vielmehr Anlass für die Hinzuziehung der Polizei geboten hat, steht zur Überzeugung der Kammer fest aufgrund der übereinstimmenden Aussagen der Zeuginnen T, C und C2. Alle drei Zeuginnen gaben an, aus der Wohnung des Beklagten mehrfach Musik von solcher Lautstärke wahrgenommen zu haben, dass es zu Vibrationen der Wände bzw. eines an der Wohnungsdecke der Zeugin T angebrachten Ventilators resp. in einem Regal aufgestellter Holzfiguren gekommen ist.

42
Ferner hat die Zeugin T glaubhaft geschildert, dass die herbeigerufenen Beamten bei einem früheren Einsatz die Stereoanlage des Beklagten sichergestellt sowie bei einem anderen Einsatz den Beklagten zu einem Spaziergang angehalten haben, damit sich dieser habe beruhigen können. Auch am 17.04.2015 sollen die Beamten die Sicherung im Keller herausgedreht haben, als der Beklagte den herbeigerufenen Beamten nicht öffnete. Es erscheint aus Sicht der Kammer ausgeschlossen, dass die Beamten derartige Maßnahmen ergriffen hätten oder auch nur in der von der Zeugin angegebenen Häufigkeit erschienen wären, wenn das Verhalten des Beklagten beanstandungsfrei gewesen wäre.

43
(e) Der Beklagte ist durch die „Abmahnung“ vom 23.09.2014 und vom 22.01.2015 auch unter Angabe von elf zeitlich konkret benannten Vorkommnissen zur Einhaltung der Ruhezeiten angehalten worden. Weshalb der Beklagte diesen unstreitig erhaltenen Schreiben – wie das Amtsgericht meint – nicht habe entnehmen können, dass das dort bezeichnete Verhalten als Verhaltensverstoß gewertet und entsprechend missbilligt werde und der Beklagte überdies gehalten sei, sein künftiges Verhalten anders einzurichten, ist nicht ersichtlich. Insbesondere hat der Beklagte die „Abmahnungen“ ausweislich seiner E-Mail vom 10.02.2015 auch entsprechend verstanden, indem er seine laute Musik einräumte, aber zugleich erklärte, aus praktischen Bedürfnissen seine elektronische Musik gleichwohl weiterhin in der Wohnung zu hören bzw. zu bearbeiten.

44
(6) Aufgrund der Aussage der Zeugin T fest steht zur Überzeugung der Kammer auch, dass es vor dem Ausspruch der Kündigung zu erheblichen vertraglichen Nebenpflichtverletzungen des Beklagten gekommen ist, welche auch den Ausspruch einer Abmahnung rechtfertigten.

45
(a) Das von der Zeugin in ihrem Beschwerdeschreiben vom 16.01.2015 gerügte Trommeln auf dem Boden, Heulen wie ein Tier und ab 11:00 Uhr dauerhaft anhaltende Abspielen lauter Musik am 24.12.2014, welches die Zeugin letztlich gegen 22:00 Uhr veranlasste, die Polizei zu rufen, nachdem wiederholte Versuche der Zeugin und ihres Besuches, durch Anrufe und Klingen an der Haustür den Beklagten dazu zu bewegen, dies zu unterlassen, stellen vertragliche Nebenpflichtverletzungen dar.

46
Dass sich der Sachverhalt so wie in dem Beschwerdeschreiben dargestellt ereignet hat, steht zur Überzeugung der Kammer fest, weil die Zeugin glaubhaft angegeben hat, die in dem Beschwerdeschreiben gegenüber der Klägerin gerügten Vorkommnisse in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang aufgeschrieben zu haben. Zudem wird die aus der Wohnung des Beklagten bisweilen herrührende laute Musik – wie ausgeführt – insbesondere auch von der Zeugin C bestätigt, die sich nur zweimal wöchentlich im Sommer vormittags und im Winter in der Zeit von etwa 10:00 Uhr bis 13:00 Uhr in der Wohnung der Zeugin T aufgehalten hat und gleichwohl in diesem verhältnismäßig kurzen Zeitfenster dort gelegentlich sehr laute Musik wahrgenommen hat.

47
(b) Weitere vertragliche Nebenpflichtverletzungen stellen auch das laute Musikhören am 25. und 26. Dezember 2014 sowie das nach der Abmahnung vom 22.01.2015 stattgefundene laute Musikhören ab 03:00 Uhr bis zum späten Mittag am 13.01.2015 und am 12.03.2015 mit wenigen Unterbrechungen von 12:00 Uhr bis 03:00 Uhr des Folgetages dar.

48
(c) Dass es auch im Vorfeld der ersten Abmahnung vom 23.09.2014 zu den dort aufgeführten Ruhestörungen durch laute Musik am 19., 20., 25., 26 und 28.06. in der Mittagszeit und in der Nacht zwischen 00:30 Uhr und 02:15 Uhr sowie am 05. und 11.07.2014 gekommen ist, steht aufgrund der Aussage der Zeugin T ebenfalls zur Überzeugung der Kammer fest.

49
(7) Der Beklagte hat seine auch ohne ausdrückliche Regelung in dem Mietvertrag vom 08.03.1996 bestehende Verpflichtung, die Hausordnung einzuhalten, d.h. keine aus dem Mietvertrag folgenden Nebenpflichten zu verletzen und keine anderen Mieter zu beleidigen oder zu bedrohen, schuldhaft verletzt. Denn das gemäß § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutete Vertretenmüssen des Beklagten (vgl. BGH, Urt. v. 13.04.2016 – VIII ZR 39/15 = BeckRS 2016, 09457 Rn. 17) hat dieser nicht widerlegt.

50
2. Die aufgrund des seit 1996 bestehenden Mietverhältnisses gemäß § 573c Abs. 1 BGB einzuhaltende neunmonatige Kündigungsfrist ist angesichts des Zugangs der Kündigung am 09.07.2015 bereits abgelaufen, sodass aufgrund des Räumungsantrags der Klägerin keine Ausführungen zu der Frage veranlasst sind, ob das Mietverhältnis durch die zugleich ausgesprochene fristlose Kündigung beendet worden ist.

51
Nur ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass dies angesichts der massiven Beleidigungen und Ruhestörungen durch den Beklagten und die – entgegen der Auffassung des Amtsgerichts – zureichenden Abmahnungen der Fall sein dürfte.

52
3. Die Klägerin ist auch nicht gemäß § 242 BGB gehindert, ihren aufgrund der Kündigung vom 28.05.2015 bestehenden Räumungsanspruch gegen den Beklagten durchzusetzen, weil seit der Kündigung zwischenzeitlich mehr als 2 Jahre vergangen sind und die Klägerin im Berufungsverfahren keine weiteren Pflichtverletzungen des Beklagten vorgetragen hat. Denn der erhebliche zeitliche Abstand zum Ausspruch der Kündigung ist maßgeblich veranlasst durch die bereits am 29.01.2016 ergangene angefochtene Entscheidung. Darauf hatte die Kammer bereits in der mündlichen Verhandlung vom 27.04.2017 hingewiesen, ohne dass der Beklagte diesem Hinweis entgegengetreten ist.

III.

53
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO.

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