Zur Haftung des Bundeslandes Sachsen-Anhalt bei Winter-Unfall eines Wanderers im Nationalpark „Harz“

LG Magdeburg, Urteil vom 07. Februar 2019 – 10 O 503/18 (119)

Zur Haftung des Bundeslandes Sachsen-Anhalt bei Winter-Unfall eines Wanderers im Nationalpark „Harz“

Tenor

1. Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt.

2. Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.

Tatbestand
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Der Kläger macht Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche aus einem Sturz im Nationalpark Harz geltend.

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Der am …1939 geborene Kläger befand sich am 01.03.2017 mit zwei Mitwanderern im Harz, um von O nach S und zurück zu wandern. Es herrschte winterliches Wetter bei einer Temperatur von etwa -3 °C und Schneetreiben. Der Kläger wandert regelmäßig im Harz und war mit Wanderschuhen mit Profil und Spikes ausgerüstet. Zum Zeitpunkt des späteren Unfalls befand sich der Kläger auf dem Wanderweg 17 H ca. 2,5 km oberhalb von S im Tal der Kalten Bode. Die Wandergruppe passierte u. a. die Kreuzung „Dreieckiger Pfahl“, an der eine Karte des Loipenverbundes Hochharz angebracht gewesen ist. Die Karte befand sich im sogenannten Wintermodul. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Fotos Bl. 54 bis 57 d. A. sowie die Ausschnitt Vergrößerung betreffend die Beschilderung der Loipen Bl. 177 d. A. verwiesen. Der Kläger, der ca. 50 m vor seinen Mitwanderern ging, befand sich auf einem leicht abschüssigen Weg, nach unten gehend etwa in dem Bereich der Zahl 2 der Abbildung Bl. 55 d. A., Blaukreuz. Entsprechend der Tafel an der Kreuzung war dieser Wanderweg als Skatingloipe in dem Bereich ausgeschildert. Zuvor (blauer Bereich) handelte es sich um einen gespurten Skiwanderweg. Am Bereich der Unfallstelle hatten Mitarbeiter der Beklagten zwei jeweils 10 m lange und ca. 80 cm breite Gummimatten ausgelegt. Hierbei handelte es sich um gebrauchte Förderbänder aus dem Braunkohletagebau. Hinsichtlich des Aussehens wird auf die Fotos Bl. 8 und 9 d. A. verwiesen. Mit den Gummimatten beabsichtigte die Nationalparkverwaltung Harz zu verhindern, dass Feuchtigkeit aus dem Boden aufsteigt und die Skatingloipe dadurch vereist.

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Auf den Gummimatten lag zum Unfallzeitpunkt eine ca. 3 bis 5 cm hohe nasse Schneedecke. Die Gummimatten waren für einen Fußgänger nicht erkennbar. Der Kläger rutschte auf den glatten Matten aus und stürzte. Der Kläger erlitt bei dem Unfall eine subkapitale Humerusfraktur links und eine Prellung der linken Schulter. Die weiteren Folgen der Verletzung und des Sachschadens, den der Kläger erlitten hat, sind umstritten.

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Am 19.06.2017 wandte sich der Kläger über seinen Rechtsanwalt außergerichtlich an die Nationalparkverwaltung Harz und forderte, dass diese bis spätestens 30.06.2017 ihre Haftung dem Grunde nach anerkenne. Auf eine Strafanzeige des Klägers über seinen Rechtsanwalt vom 04.04.2017 hin hat die Staatsanwaltschaft Magdeburg ein Ermittlungsverfahren gegen unbekannt eingeleitet (955 UJs 75278/17), das im Ergebnis eingestellt wurde.

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Der Kläger ist der Ansicht, dass für seinen Personenschaden ein Schmerzensgeld von mindestens 7.000,00 € angemessen sei.

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Des Weiteren fordert er Schadensersatz i. H. v. 463,23 €. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Seiten 6 bis 8 der Klageschrift Bezug genommen.

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Der Kläger beantragt,

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1. ihm ein Schmerzensgeld in einer Höhe zu bezahlen, die in das Ermessen des erkennenden Gerichts gestellt wird,

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2. den Beklagten zu verurteilen, ihm Schadensersatz i. H. v. 463,33 € nebst Zinsen i. H. v. 5 % über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

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3. ihm vorgerichtliche Anwaltskosten i. H. v. 729,43 € zu erstatten.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Die Beklagte ist der Ansicht, der Kläger hätte als Fußgänger den Weg überhaupt nicht betreten dürfen.

Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist dem Grunde nach begründet.

I.

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Da zwischen den Parteien auch Streitigkeiten über die Höhe des Schmerzensgeldes und des materiellen Schadens bestehen und hier noch weiterer Vortrag und Beweiserhebungen ggf. erforderlich wären, hat die Kammer ein Grundurteil erlassen. Weiterer Vortrag wäre insbesondere im Hinblick auf die auch von der Kammer vertretende Rechtssauffassung des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 18.10.2018, 22 U 97/16, zur taggenauen Schmerzgeldberechnung erforderlich.

II.

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Das beklagte Land haftet gemäß den § 823 Abs. 1, § 249, § 253 BGB.

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Die Haftung des beklagten Landes resultiert daraus, dass es auf dem Weg eine zusätzliche besondere Gefahrenquelle für Wanderer dadurch geschaffen hat, das Mitarbeiter der Nationalparkverwaltung dort Gummimatten auf einer abschüssigen Strecke verlegt haben, die dazu führen konnten, dass Wanderer auf diesen ausrutschen.

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Der Kläger durfte den Weg als Wanderer begehen. Er hat nicht gegen § 6 des Gesetzes über den Nationalpark Harz (Sachsen-Anhalt) verstoßen. Nach dieser Norm ist das Betreten des Nationalparks nur auf den entsprechend kenntlich gemachten Wegen, Loipen oder sonstigen Flächen erlaubt, wobei die zulässige Art und Weise des Betretens sich nach der Kennzeichnung richtet, die die Nationalparkverwaltung in Umsetzung des Wegeplanes vornimmt.

19
Maßgeblich für den Nutzer ist hier der Plan, der sich an dem Einstiegspunkt „Dreieckiger Pfahl“ befunden hat. Hiernach war aus der Wegekennzeichnung nebst Legende (Bl. 55 u. 56 d. A.) lediglich erkennbar, dass der Kläger zunächst einen gespurten Skiwanderweg folgen wird, der anschließend in eine Skatingloipe übergeht. Aus der Karte und der Legende ist nicht ersichtlich gewesen, dass diese Wege allein durch Skiwanderer/Langläufer betreten werden dürfen, nicht aber durch Wanderer.

20
Dies ergibt die Auslegung der Erklärungen der Karte nebst Legende nach dem durchschnittlichen Empfängerhorizont, Rechtsgedanke der §§ 133, 157 BGB.. Der Legende ist zu entnehmen gewesen, dass eine Beschilderung der Loipen existiert, wobei insgesamt vier Schildtypen möglich sind (Abbildungen Bl. 177 d. A.). Eine der Schildtypen ist derjenige, der einen durchgestrichenen Fußgänger im roten Kreis zeigt und mit der Erläuterung „Begehen verboten“ versehen ist. Auf der Übersichtskarte des Loipenverbundes Hochharz war jedoch bei dem streitgegenständlichen Weg bereits nicht auf der Karte die Beschilderung „Begehen verboten“ angebracht. Auch auf dem Weg selbst war keines der Schilder, insbesondere nicht das Schild „Begehen verboten“ angebracht. Die Karte konnte aber für den durchschnittlichen Nutzer lediglich so gelesen werden, dass es vier Schildtypen für Beschilderungen der Loipen gibt. So gibt es ein „Verbotsschild für freie Technik“, ein „Gebotsschild für freie Technik“, ein „Allgemeines Gefahrenzeichen“ und eben das Schild „Begehen verboten“. Wenn aber das Schild „Begehen verboten“ weder auf dem Übersichtsplan im Bereich des Weges angebracht, noch auf der Loipe selbst vorhanden gewesen ist, konnte der durchschnittliche Wanderer nicht daraus schließen, dass ihm das Begehen der Loipe verboten ist.

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Die Legende „Beschilderung der Loipen“ kann auch nicht so gelesen werden, dass generell das Begehen der Loipen verboten ist. Dann hätte die Überschrift beispielsweise lauten müssen „Auf Loipen gilt:“. Im Übrigen zeigen gerade die Alternativen „Verbotsschild für freie Technik“ und „Gebotsschild für freie Technik“, dass auf den Loipen jeweils im konkreten Fall einzelne Dinge angeordnet oder verboten werden und in diesem Fall hätte durch das Verbotsschild „Begehen verboten“ das Betreten der Loipe explizit verboten werden müssen. Dies hat die Nationalparkverwaltung nicht getan.

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Der § 6 des Nationalparkgesetzes sagt auch nichts anderes aus. Der Kläger hat sich gerade auf einen in der Norm erfassten Bereich, einer Loipe, befunden, der ausdrücklich zum Betreten durch Benutzer des Nationalparks vorgesehen ist. Der Kläger ist gerade nicht außerhalb des Wegenetzes gegangen und gestürzt. Demnach wurde durch das Land eine besondere Gefahrenquelle eröffnet, für die es haftet.

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Zwar ist es so, dass kein allgemeines Gebot besteht, andere vor Selbstgefährdung zu bewahren, und kein Verbot, sie zu gefährden oder zur Selbstgefährdung zu veranlassen. Allerdings kann derjenige, der sich selbst verletzt, einen anderen wegen dessen Mitwirkung in Anspruch nehmen, wenn dieser ihm zurechenbar einen zusätzlichen Gefahrenkreis für die Schädigung eröffnet hat. Denn derjenige, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenlage schafft, musst die Schädigung Dritter möglichst verhindern (vgl. Palandt, BGB, 77. Aufl., § 823, Rz. 46 ff. m. N. aus der BGH-Rechtsprechung). Zwar befand sich der Kläger auf einem Weg in der freien Natur, der besondere Vorsicht erfordert. Allerdings hat der Kläger durch seine Ausrüstung mit geeignetem Schuhwerk alles getan, um sich grundsätzlich auch auf einem schneebedeckten abschüssigen Weg bewegen zu können. Nicht damit rechnen musste er, dass sich unter der dünnen Schneeschicht eine rutschige Matte befindet, die auch bei allergrößter Sorgfalt nicht erkennbar gewesen ist.

24
Für Nationalparkverwaltung wäre es auch problemlos möglich gewesen, die besondere Gefahrenlage für Fußgänger zu verhindern. Die Nationalparkverwaltung hätte entweder auf der Übersichtskarte deutlich machen können, dass alle Loipen oder bestimmte Loipen nicht von Fußgängern betreten werden dürfen. Eine andere Alternative wäre gewesen, das der Legende nach vorgesehene „Begehen-verboten-Schild“ an dem Weg aufzustellen. Welchen Weg die Nationalparkverwaltung gewählt hätte, bleibt ihr überlassen. Allerdings hätte sie für eine entsprechend klare Regelung sorgen müssen. Aus der Karte oder der Beschilderung hätte klar erkennbar sein müssen, welche Wege für Fußgänger gesperrt sind.

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