OLG Frankfurt, Urteil vom 04. Juni 2013 – 16 U 231/12
Zur fristlosen Kündigung eines Gastschulvertrages über einen Aufenthalt in den USA wegen Drogenbesitzes eines minderjährigen Gastschülers
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 16. November 2012 verkündete Urteil der 24. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main (2 – 24 O 143/12) abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
1
Die Parteien streiten um das Bestehen von Schadensersatzansprüchen des Klägers aus der fristlosen Kündigung eines Gastschulvertrages. Gegenstand des Vertrages war der Aufenthalt des damals minderjährigen Sohnes des Klägers für die Zeit vom 22. August 2010 bis 20. Juni 2011 in O1 (USA). Der Sohn des Klägers besuchte dort die Schule und wohnte bei Gasteltern.
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Dem Gastschulvertrag lag eine Liste „Regeln“ bei, die sowohl die Eltern als auch der Sohn des Klägers am 1.11.2009 unterschrieben haben. Regel Nr. 2 lautet dabei wie folgt:
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„Die Einnahme von Drogen aus nichtmedizinischen Gründen ist A-Schülern ohne Ausnahme strengstens untersagt. A-Schüler dürfen verschreibungspflichtige Medikamente und/oder illegale Drogen weder kaufen, verkaufen, noch besitzen, sofern der Hausarzt des Schülers nicht seine Zustimmung gegeben und die Medikamente verschreiben hat. Wenn A ausreichende Beweise vorliegen, dass ein Schüler im Verdacht steht, illegale Drogen zu benutzen, kann er zu einem Drogentest herangezogen werden.“
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Am Ende der Regeln findet sich unter der Überschrift „(Vorzeitige) Beendigung des akademischen Auslandesjahres“ direkt oberhalb der Unterschriften folgender Text:
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„Jeder Schüler, der den A-Regeln, den Regeln der Gastfamilie oder den lokalen/nationalen Gesetzen nicht entspricht, kann von dem akademischen Auslandsjahr ausgeschlossen werden und auf eigene Kosten nach Hause geschickt werden. … Ich verstehe die o.g. Regeln und verpflichte mich, während meines akademischen Auslandsjahres diese Regeln zu beachten.“
6
Auf Anlage B 1, Bl. 81 d.A. wird Bezug genommen.
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Am 20. April 2011 wurden bei einer Kontrolle im Rucksack des Sohnes des Klägers nach verspäteter Rückkehr aus der Pause in einem Seitenfach versteckt ein abgerauchter Joint („Stummel“) etwa in Fingernagelgröße und Drogenutensilien gefunden. Der im Rucksack befindliche Pullover des Sohnes des Klägers roch nach Marihuana. Auf Anlage B 2, Bl. 82 d.A. wird Bezug genommen. Der Sohn erhielt für diesen Tag einen Schulverweis wegen des Verdachts, Marihuana konsumiert zu haben. Für den Folgetag wurde ihm der Schulbesuch wieder gestattet, weitere Sanktionen von Seiten der Schule erfolgten nicht.
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Der Sohn des Beklagten wandte sich gegen den Vorwurf, er selbst habe Marihuana konsumiert und unterzog sich deshalb 6 Tage nach dem Vorfall freiwillig einem Drogentest, der auch ohne Nachweis von Drogen oder verbotener Substanzen blieb. Die Drogenutensilien habe er für einen Freund aufbewahrt. Sie seien dann im Rucksack vergessen worden, was auch erklären könne, dass die Kleidung im Rucksack nach Marihuana gerochen habe. Auf den Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 11.09.2012 S. 4 (Bl. 95 d.A.) wird Bezug genommen.
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Am 26. April 2011 kündigte die Beklagte den Vertrag fristlos und schickte den Sohn des Klägers – trotz Widerspruch und anwaltlicher Intervention der Eltern – vorzeitig am … nach Hause. Der Kläger und seine Frau hatten ursprünglich geplant, den Sohn nach Ende des Gastschuljahres am 20. Juni 2011 bei der Gastfamilie abzuholen, um gemeinsam in den USA Urlaub zu machen. Der gemeinsame Rückflug war erst für den 15. Juli 2011 geplant. Infolge der vorzeitigen Rückreise des Sohnes des Klägers bereits im April entstanden dem Kläger zusätzliche Kosten, wegen deren Einzelheiten auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen wird.
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Die 24. Zivilkammer hat in seiner Entscheidung vom 16. November 2012 der Klage teilweise stattgegeben. Das Gericht geht in seiner Entscheidungsbegründung davon aus, dass der Gastschulvertrag nicht ohne vorherige Abmahnung des Sohnes des Klägers hätte gekündigt werden dürfen. Die Abwägung der beiderseitigen Interessen rechtfertige eine sofortige Kündigung nicht. Auch wenn bei dem Sohn des Klägers die Reste eines Joints gefunden worden seien, habe es sich dabei um die erste Verfehlung gehandelt, bisher habe der Sohn mit seinem Verhalten keinen Anlass zu Beanstandungen gegeben. Auch die Schule habe den Vorfall nicht zum Anlass genommen, den Sohn von der Schule zu verweisen, eigener Drogenkonsum sei dem Sohn nicht bewiesen worden. Die Beklagte selbst habe, obwohl ihre Regeln dies vorsahen, den Vorfall auch nicht zum Anlass genommen, ihren Verdacht auf Drogenkonsum durch einen eigenen sofortigen Drogentest zu erhärten. Der Unrechtsvorwurf gegen den Sohn des Klägers sei als geringfügig einzustufen, was eine Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nach Abmahnung zumutbar mache. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
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Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Sie ist der Auffassung, jeder Besitz von Drogen rechtfertige den Ausschluss eines Schülers vom Gastschuljahr, da dies dem Vertrag die Vertrauensbasis entziehe. Sie trage als Veranstalterin von Gastschulreisen für Minderjährige gegenüber den Eltern eine besonders hohe Verantwortung, was sie zum Schutz der noch jugendlichen Gastschüler auch zu einer sofortigen Beendigung des Aufenthalts berechtige. Auch das kurzfristige Aufbewahren von Drogen für einen anderen sei nach den Regeln der Beklagten verboten. Im Übrigen behauptet sie, die vom Sohn des Klägers erzählte Geschichte sei schlicht unglaubwürdig. Er sei der Schule bei verspäteter Rückkehr aus der Pause wegen geröteter Augen und Marihuanageruch aufgefallen, was eigenen Konsum des Jugendlichen nahelege.
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Die Beklagte beantragt:
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Das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 16. November 2011, 2 – 24 O 143/12, wird abgeändert.
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Die Klage wird abgewiesen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung der Berufungsklägerin zurückzuweisen.
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Er verteidigt die angefochtene Entscheidung. Es sei auch vollkommen ungeklärt, was im dem Joint-Stummel tatsächlich enthalten war. Der Sohn habe sich auch freiwillig einem Drogentest unterzogen, um alle Vorwürfe zu entkräften. Im Übrigen sei der Vorwurf Teil einer Kampagne des Sohns der Gastmutter, der dem Sohn des Klägers übelgenommen habe, dass dieser trotz seiner großen Talents bei dieser Sportart nicht mehr in seinem Footballteam spielen wolle. In einem Schriftsatz vom 22. Mai 2013 trägt der Kläger vor, aus der Tatsache, es sei ein Joint-Stummel gefunden worden nicht darauf geschlossen werde könne, der Sohn habe Drogen in Besitz gehabt.
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Zur Ergänzung wird im Übrigen auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II.
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Die Berufung ist zulässig und in der Sache auch begründet.
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Die Rechtsausführungen des Landgerichts sind in der Sache im Kern zwar nicht zu beanstanden. Allerdings teilt der Senat deren Schlussfolgerungen nicht. Es sind nicht alle Aspekte berücksichtigt worden, die bei der Abwägung der Interessen entscheidend sind, was das Urteil rechtsfehlerhaft macht (§§ 513, 546 ZPO).
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Entgegen der Auffassung des Landgerichts bedurfte es hier vor dem Ausspruch der Kündigung aus wichtigem Grund keiner Abmahnung nach § 314 Abs. 2 Satz 1 BGB. Denn es lagen besondere Umstände vor, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der Parteien zu dem Ergebnis führen, dass der Beklagten das Festhalten am Vertrag nicht zugemutet werden konnte (§ 323 Abs. 1 Nr. 3 BGB). Das Vertrauensverhältnis für die weitere Durchführung des Vertrages ist zerstört. Mit der Aufbewahrung eines Joint-Rests für einen Bekannten im April 2011 hat der Sohn des Klägers gegen das Verbot, Drogen zu besitzen verstoßen. Dies rechtfertigte eine sofortige Beendigung seines Gastaufenthaltes. Auf die Menge verbotener Substanzen und deren Zusammensetzung kommt es im Hinblick auf die klar gefasste Regel 2 nicht an. Denn diese verbietet den Gastschülern jeden Drogenbesitz. Zwar ist es richtig, dass der beim Sohn des Beklagten gefundene Joint-Stummel nur eine sehr geringfügige Menge enthalten haben kann und dies wohl weder in Deutschland noch in den USA Grundlage einer strafrechtlichen Verurteilung bieten würde. Diese Erwägung gibt aber – ebenso wie die Tatsache, dass sich der Sohn freiwillig einem Drogentest unterzogen hat und der Umstand, dass der Joint-Rest offenbar nicht dem Sohn des Klägers gehörte – nicht den Ausschlag bei der Güterabwägung.
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Neben den auf das Verhalten des Sohnes bezogenen Umständen kommt dem Zweck des Gastschulvertragsverhältnisses und den sich daraus ergebenden unternehmerischen Interessen der Beklagten besonders Gewicht bei der Interessenabwägung zu. Der Abschluss eines Gastschulvertrages setzt ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien voraus, ohne dass die Durchführung eines Auslandsaufenthaltes von minderjährigen und in ihrer Persönlichkeit noch nicht abschließend gefestigten Schülern nicht möglich ist. Denn das Gastschulunternehmen trägt in dieser Zeit – neben den Gasteltern – eine erhebliche erzieherische Mitverantwortung für die Jugendlichen. Denn diese sind während des Auslandsaufenthalts den erzieherischen Einwirkungen der Eltern fast völlig entzogen. Den Verhaltensanforderungen, die ein Gastschulunternehmen – wie hier die Beklagte mit den Regeln der Anlage B 1 – bei Abschluss des Vertrages an ihre Gastschüler stellt, kommt so eine besondere Tragweite zu. Denn hiermit hat die Beklagte das Leitbild des erzieherischen Handlungsrahmens festgelegt, dem sich das Gastschulunternehmen verpflichtet sieht und auf dessen Einhaltung die Eltern bei Vertragsschluss vertrauen dürfen. Sie konkretisieren die vertraglichen Aufsichts- und Fürsorgepflicht der Beklagten. Der Einhaltung der Regeln durch die Gastschüler liegt dabei nicht nur im Eigeninteresse der Gastschüler und ihrer Eltern. Ihr kommt eine erhebliche Außenwirkung zu, die den Erfolg der weiteren Geschäftstätigkeit eines Gastschulunternehmens beeinflusst. Nur wenn die Beklagte ihre Grundanforderungen an Gastschüler im Ausland auch strikt durchsetzt, können die angesprochenen Verkehrskreise ihrerseits Vertragstreue erwarten. Gerade bei Gastschülern im Jugendalter ist dabei der Maßstab für den Umgang mit Drogen besonders wichtig. Denn es trifft zu, dass dies für Eltern, die erwägen ihrem Kind ein Gastschuljahr in den USA zu finanzieren, ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl des Gastschulunternehmens ist. Das gleiche gilt für Gasteltern, die entscheiden müssen, ob sie einen ausländischen Gastschüler für ein Jahr in ihre Familie aufnehmen. Diese Geschäftsbeziehungen der Beklagten werden empfindlich gestört, wenn hier Zweifel an der Belastbarkeit des entgegengebrachten Vertrauens aufkommen. Dem Sohn des Klägers waren diese Regeln auch hinreichend bekannt, da er sie unterschrieben hat. Er wusste, dass von ihm im Ausland erwartet werden würde, jeden Kontakt mit Drogen während des Gastschuljahres zu unterlassen.
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Auf die Menge, die Art des Besitzes oder sonstiger Faktoren kommt es dabei nicht entscheidend an. Die Regeln sind klar gefasst. Bei dieser Sachlage konnte der Sohn des Klägers nicht davon ausgehen, dass der Kontakt mit Drogen geduldet werden würden. Bei der hier vorzunehmenden Abwägung fällt dagegen vergleichsweise weniger stark ins Gewicht, welche Sanktion die Auslandsschule ausgesprochen hat oder wie der Vorfall erzieherisch zu bewerten wäre, wenn er sich im Inland ereignet hätte. Denn das Verhalten des Sohnes des Klägers unterliegt schlicht im Inland anderen Regeln, als bei einem Gastaufenthalt im Ausland. Es besteht zu dem Gastschulunternehmen ein eigenes schutzwürdiges Vertrauensverhältnis, das für Erziehungsmaßnahmen der Gastschule ohne Bedeutung ist. Beim Drogenbesitz kommt es auch nicht darauf an, ob Fremd- oder Eigenbesitz vorliegt. Denn dies ist auch im deutschen Betäubungsmittelrecht für die Strafbarkeit nach §§ 29 Abs. 1 Nr. 1 und 3 BtMG ohne Bedeutung. Es genügt, wenn der Betroffene weiß oder dies billigend in Kauf nimmt, dass in dem für einen anderen aufbewahrten Gegenstand Drogen enthalten sind.
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Es muss hier entgegen der Ansicht des Klägers in der Berufung auch nicht mehr aufgeklärt werden, ob und in welchen Mengen sich tatsächlich Marihuana oder andere verbotene Substanzen in dem Stummel befanden. Das Landgericht hat den Umstand, dass im Rucksack des Sohns des Klägers „die Reste eines Joints“ gefunden wurden im Tatbestand des Urteils zu Recht als unstreitig dargestellt. Der Klägervertreter hat im Schriftsatz vom 11. September 2012 den Inhalt der E-Mail in Anlage B 2 des Schriftsatzes der Beklagten vom 23. Juli 2012, die sich näher mit den Fundumständen befasst, nicht bestritten, was in diesem Zusammenhang erforderlich gewesen wäre. Es wird weiter nur vorgetragen, der Sohn des Klägers habe keine Drogen konsumiert, der in der E-Mail erwähnte „Marihuana roach from a joint“ gehöre einem Bekannten, im Übrigen stelle der Besitz eines angerauchten Joints und von Papers keine Straftat dar. Auch dass Sachen des Sohns nach Marihuana gerochen haben, wird weiter nicht bestritten, sondern nur gerechtfertigt. Der Begriff Joint-Rest ist auch hinreichend klar. Alle Beteiligten, auch der Sohn des Klägers, gingen vorgerichtlich und im Rahmen des hier geführten Rechtsstreits übereinstimmend immer davon aus, dass es sich um einen Marihuana-„Joint“-Stummel und nicht etwa um eine normale nur tabakhaltige Zigarette gehandelt hat. Der Begriff „Joint“ wird unzweifelhaft sowohl in Deutschland als auch in den USA ausschließlich für drogenhaltige Reste einer selbstgedrehten Zigarette benutzt. Nur weil Reste von Joints immer auch Reste von Drogen enthalten, werden diese auch überhaupt aufbewahrt und nicht etwa einfach weggeworfen. An diesem Vortrag muss der Kläger sich in der Berufung festhalten lassen.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf § 91 Abs. 1, § 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Revision war nicht nach § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert. Denn die Entscheidung beruht auf einer tatsachengestützten Einzelfallabwägung. Entgegen der Ansicht des Klägers im Schriftsatz vom 22. Mai 2013 war auch die Rückübertragung auf den Senat nach § 526 Abs. 2 ZPO nicht angezeigt. Denn es haben sich seit der Übertragung auf die Einzelrichterin in der Sache keine neuen Erkenntnisse oder Umstände ergeben, die eine andere Bewertung des Falls rechtfertigen.