Zur Frage der Anordnung der Zwangsvollstreckung ohne vorherige Anhörung des Schuldners

LG Heidelberg, Beschluss vom 31.01.2019 – 5 T 3/19

Zur Frage der Anordnung der Zwangsvollstreckung ohne vorherige Anhörung des Schuldners

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen den Beschluss des Amtsgerichts Heidelberg vom 11.12.2018, Az. 4 K 131/18, wird zurückgewiesen.

2. Der Schuldner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe
I.

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Der Schuldner wendet sich dagegen, dass das Amtsgericht Heidelberg – Zwangsversteigerungsgericht – gegen ihn ohne vorherige Anhörung die Zwangsvollstreckung angeordnet hat.

2
Der Schuldner ist Eigentümer eines bebauten Grundstücks in W., das unter anderem mit einer Grundschuld der Gläubigerin belastet ist, wegen der er sich in notarieller Urkunde der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen hat. Die Gläubigerin beantragte mit Schreiben vom 28.09.2018 die Anordnung des Zwangsversteigerungsverfahrens, worauf das Amtsgericht durch den Rechtspfleger mit Beschluss vom 19.10.2018 aufgrund der vollstreckbaren Ausfertigung der Grundschuldbestellungsurkunde die Zwangsvollstreckung anordnete; wegen des genauen Inhalts der Entscheidung wird auf die Beschlussformel und die Gründe (AS 13 ff.) Bezug genommen. Auf entsprechendes Ersuchen wurde am 29.10.2018 der Zwangsversteigerungsvermerk ins Grundbuch eingetragen.

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Gegen den Beschluss hat der Schuldner am 05.11.2018 Vollstreckungserinnerung eingelegt und beanstandet, dass er vor Erlass keine Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten habe. Auf die im Schreiben vom 19.11.2018 (AS 39 ff.) enthaltene weitere Begründung wird Bezug genommen. Der Rechtspfleger hat der Erinnerung am 10.12.2018 nicht abgeholfen; mit Beschluss vom 11.12.2018, zugestellt am 13.12.2018, hat der Richter die Erinnerung zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, dass in § 15 ZVG keine Anhörung des Schuldners vorgesehen sei, damit der Schuldner die Vollstreckung nicht durch Verfügungen vereitle. Rechtliches Gehör werde nachgeholt.

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Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 02.01.2019 eingelegte sofortige Beschwerde des Schuldners. Zur Begründung führt der Schuldner an, dass die Erwägungen des Amtsgerichts eher für bewegliche Sachen zuträfen, eine solche Handhabung bei Immobilien aber weniger sachgerecht sei, da sie nicht beiseitegeschafft werden könnten. Zu einer Anhörung habe umso mehr Anlass bestanden, als das Amtsgericht die Vollstreckungsvoraussetzungen nicht sorgfältig prüfe, sondern lediglich Titel, Klausel und Zustellung. Die aus dem Grundbuch ersichtliche Anordnung der Zwangsvollstreckung erschwere es ihm, eine Umfinanzierung vorzunehmen, zumal die Möglichkeit einer einstweiligen Einstellung nach § 30a ZVG in der Praxis leerlaufe.

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Der Schuldner beantragt sinngemäß,

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den angegriffenen Beschluss dahingehend abzuändern, dass der Beschluss des Amtsgerichts vom 19.10.2018 aufgehoben und der Vollstreckungsantrag der Gläubigerin zurückgewiesen wird.

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Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde am 21.01.2019 nicht abgeholfen.

II.

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1.) Die nach §§ 793 ZPO, 95 ZVG statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde bleibt in der Sache erfolglos. Das Amtsgericht hat die Erinnerung des Schuldners zu Recht zurückgewiesen.

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a) Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet, dass der Betroffene Gelegenheit erhält, sich zu dem einer Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt grundsätzlich vor deren Erlass zu äußern und damit das Gericht in seiner Willensbildung zu beeinflussen (statt aller BVerfG NJW 2004, 141 [146]). Das gilt aber im Hinblick auf kollidierende verfassungsrechtlich geschützte Interessen anderer Beteiligter nicht unbeschränkt. Wenn der Schutz gewichtiger Interessen die Überraschung eines Beteiligten unabweisbar erfordert, ist es ausnahmsweise zulässig, ihn erst nach der Entscheidung anzuhören (BVerfG NJW 1984, 719). Das ist der Fall, wenn eine vorherige Anhörung den Zweck der Maßnahme vereitelte oder wenn die Entscheidung nach vorheriger Anhörung zu spät käme (BVerfG NJW 1991, 1283 [1285]). Die Sicherung gefährdeter Interessen kann es namentlich gebieten, die Betroffenen vor Anordnung der Beschlagnahme nicht anzuhören, um sie nicht zu warnen, insbesondere wenn eine richterliche Prüfung erfolgt (BGH NJW 1965, 1171).

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Demgemäß ist im Anordnungsverfahren als Teil der Zwangsvollstreckung und mithin gerichtlichem Verfahren Art. 103 Abs. 1 GG zwar anwendbar (a.A. wohl Stöber, Zwangsversteigerungsgesetz, 21. Aufl. 2016, § 15 Rn. 28.1), doch ist im Rahmen der Zwangsvollstreckung der Grundsatz des vorherigen rechtlichen Gehörs weitgehend zu Gunsten einer nachträglichen Anhörung des Schuldners eingeschränkt (Seibel, in: Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2918, Vor § 704 Rn. 28). Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Zwangsvollstreckung ausnahmslos auf Grundlage eines Vollstreckungstitels erfolgt, an dessen Entstehung der Schuldner entweder mitgewirkt hat oder doch hätte mitwirken können. Auch insoweit liegt die Sache anders als bei der vom Schuldner angeführten strafrechtlichen Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 EMRK), denn im Falle der Zwangsvollstreckung steht bereits fest, dass der Schuldner Adressat des titulierten, noch nicht erfüllten Anspruchs ist. Weiter ist zu berücksichtigen, dass aufgrund der Formalisierung des Vollstreckungsverfahrens ohnehin der Prüfungsumfang der Vollstreckungsorgane und mithin auch die denkbaren rechtlich erheblichen Einwendungen stark beschränkt sind und die Beteiligten insoweit auf weitergehende Rechtsbehelfe verwiesen werden. Vor allem aber sind das von Art. 14 GG geschützte, durch den Titel verbürgte Eigentumsrecht des Gläubigers und sein Anspruch auf Justizgewähr aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 GG kollidierende verfassungsrechtlich geschützte Interessen und rechtfertigen daher eine Einschränkung des Art. 103 Abs. 1 GG, wenn der Vollstreckungserfolg gefährdet würde (BVerfG NJW 1981, 2111 [2112]). Demgemäß ist gerade für Vollstreckungsmaßnahmen mit beschlagnahmendem Charakter (§ 829 Abs. 1 ZPO, § 21 Abs. 2 InsO) teils ausdrücklich geregelt, dass eine Anhörung des Schuldners unterbleibt (§ 834 ZPO; Umkehrschluss aus § 21 Abs. 3 Satz 1 InsO), teils wird dem Schuldner erst unmittelbar vor Beginn der Vollstreckung Gelegenheit zur freiwilligen Leistung (§ 59 Abs. 2 GVGA zu § 808 ZPO) und damit auch zur Erhebung von Einwendungen gegeben. Auch im Umkehrschluss aus §§ 733 Abs. 1, 891 Satz 2 ZPO sowie aus der Existenz des Rechtsbehelfs der Vollstreckungserinnerung nach § 766 ZPO, durch die rechtliches Gehör durch das Vollstreckungsgericht gewährt wird (Preuß, in: BeckOK ZPO, Vorwerk/Wolf, 31. Edition Stand: 01.12.2018, § 766 Vorbemerkung), folgt, dass das Zwangsvollstreckungsrecht aus Gründen des Gläubigerschutzes in weitem Umfang von einer Einschränkung des vorherigen rechtlichen Gehörs ausgeht. Das gilt regelmäßig auch für die Anordnung der Zwangsversteigerung nach § 15 ZVG (vgl. Rainer Sievers, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 3. Auflage 2015, § 15 Rn. 40, 44; Stöber, Zwangsversteigerungsgesetz, 21. Aufl. 2016, § 15 Rn. 28.1; zu § 21 InsO Vallender, in: Uhlenbruck, Insolvenzordnung: InsO, 15. Auflage 2019, § 21 Rn. 44), die zugunsten des Gläubigers als Beschlagnahme des Grundstücks wirkt (§ 20 Abs. 1 ZVG). Ob die Gefährdung tatsächlich besteht, muss das zuständige Gericht im Einzelfall unter Abwägung aller Umstände prüfen und entscheiden, wobei es nicht gehindert ist, allgemeine Erfahrungssätze zu berücksichtigen. Die Entscheidung darüber, ob von der vorherigen Anhörung des Vollstreckungsschuldners abgesehen werden kann, bleibt somit dem richterlichen Ermessen im Einzelfall überlassen (BVerfG NJW 1981, 2111 [2112]). Die Gewährleistung des Zwecks der Zwangsversteigerung macht regelmäßig auch die Nichtanhörung des Schuldners vor der Anordnung der Zwangsversteigerung erforderlich (BGH, Beschluss vom 17. August 1984 – IX ARZ 7/84 –, juris).

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b) Nach diesem Maßstab ist die Entscheidung des Amtsgerichts nicht zu beanstanden.

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(1) Es ist nicht ersichtlich, dass das Amtsgericht ermessensfehlerhaft gehandelt hätte, indem es die Zwangsvollstreckung ohne vorherige Anhörung des Schuldners angeordnet hat. Der Zwangsvollstreckung liegt der allgemeine Erfahrungssatz zugrunde, dass Vollstreckungsschuldner regelmäßig nicht im Interesse des Vollstreckungsgläubigers handeln, sondern eine Erfüllung des titulierten Anspruchs vermeiden wollen. Das ist keine Diskriminierung des Schuldners, wie er meint, sondern strukturell in dem Interessengegensatz der Parteien angelegt. Andernfalls bedürfte es keines Zwangsvollstreckungsrechts. Entgegen der Ansicht des Schuldners ist es auch nicht so, dass bei der Immobiliarzwangsvollstreckung eine der Vollstreckung in körperliche Sachen vergleichbare Gefährdung des Vollstreckungserfolgs ausgeschlossen ist. Das folgt bereits daraus, dass die Beschlagnahme durch den Anordnungsbeschluss auch bewegliche Sachen umfasst, nämlich die Gegenstände, auf welche sich bei einem Grundstücke die Hypothek erstreckt (§ 20 Abs. 2 ZVG i.V.m. §§ 1120 ff. BGB), und der Gläubiger insoweit schutzbedürftig ist (BGH, Beschluss vom 17. August 1984 – IX ARZ 7/84 –, juris). Aber auch hinsichtlich der Liegenschaft selbst, die fraglos nicht im wörtlichen Sinne beiseite geschafft werden kann, schützt die Beschlagnahme den Gläubiger durch das daraus folgende Verfügungsverbot (§ 23 ZVG) vor Verzögerungen und Beeinträchtigungen seines Vollstreckungsvorhabens, und zwar auch den – wie im Streitfall – dinglichen Gläubiger namentlich davor, dass das Grundstück mit Wirkung für ihn veräußert wird (§ 26 ZVG). Zwar beeinträchtigt eine Veräußerung sein Grundpfandrecht als solches nicht, doch führt eine Veräußerung vor Beschlagnahme nach § 28 ZVG zur einstweiligen Einstellung des Verfahrens (Böttcher, in: Böttcher, ZVG, 6. Auflage 2016, § 26 Rn. 3), bis – und zwar auch bei dinglicher Unterwerfungserklärung nach § 800 ZPO wie im Streitfall (BGH DGVZ 2018, 179 [180]) – eine Rechtsnachfolgeklausel nach § 727 ZPO erteilt ist. Neben diesem Zeitverlust drohen dem dinglichen Gläubiger weitere faktische Nachteile, etwa durch eine den Verkehrswert mindernde Teilung des Grundstücks, vor der die Beschlagnahme ihn schützen würde (Böttcher in Böttcher, ZVG, 6. Auflage 2016, § 23 Rn. 10 ff.) und die er andernfalls nicht verhindern kann (Kral in BeckOK GBO, Hügel, 34. Edition Stand: 01.12.2018, § 7 Rn. 18). Die vom Schuldner beanstandete Eintragung des Versteigerungsvermerks im Grundbuch (§ 19 Abs. 1 ZVG) dient gerade diesem Gläubigerschutz, indem die Wirksamkeit gutgläubiger Verfügungen verhindert wird (Rainer Sievers, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 3. Auflage 2015, § 19 Rn. 1). Der Schuldner trägt vor diesem Hintergrund keine besonderen Umstände vor, die Anlass gegeben hätten, von dem gewöhnlich sachgerechten Verfahren abzuweichen. Insbesondere ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass für das Amtsgericht erkennbar eine Beeinträchtigung der Gläubigerin beispielsweise deshalb ausgeschlossen gewesen wäre, weil dem Haftungsverband der Hypothek unterliegende Gegenstände nicht vorhanden und Veräußerungen ausgeschlossen gewesen wären.

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(2) Im Übrigen hat der Schuldner, dessen rechtliches Gehör im Rahmen des Erinnerungs- und Beschwerdeverfahrens nachgeholt worden ist, in diesen Stellungnahmen nichts vorgetragen, was einer Anordnung der Zwangsvollstreckung entgegenstünde. Es trifft insoweit nicht zu, dass ein Amtsgericht hierbei keine eingehende Prüfung der Vollstreckungsvoraussetzungen vornehme. Vielmehr sind vor der Anordnung die allgemeinen und die besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen zu prüfen (Rainer Sievers, in: Kindl/Meller-Hannich/Wolf, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 3. Auflage 2015, § 15 Rn. 1), aber auch nur diese. Der Schuldner verkennt möglicherweise, dass die von ihm aufgeführten Prüfungspunkte Titel, Klausel und Zustellung gerade die wesentlichen Vollstreckungsvoraussetzungen sind. Die vom Schuldner gewünschte Möglichkeit, ohne Beeinträchtigung durch einen Zwangsversteigerungsvermerk eine Umschuldung versuchen zu können, ist demgegenüber keine Vollstreckungsvoraussetzung und steht der Anordnung nicht entgegen, sondern kann allenfalls im Rahmen des § 30a ZVG berücksichtigt werden, worüber das Amtsgericht noch nicht entschieden hat.

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2.) Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen (und die Rechtssache entsprechend nicht auf die Kammer zu übertragen, § 568 Satz 2 ZPO). Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts, § 574 Abs. 2 ZPO. Die Beschwerdeentscheidung wendet lediglich die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung auf einen konkreten Einzelfall an.

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