Zum Leistungsausschluss der Kaskoversicherung bei Verletzung der Warte- und Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers nach Unfall auf der Autobahn

OLG Koblenz, Beschluss vom 11. Dezember 2020 – 12 U 235/20

1. Ein Versicherungsnehmer, der nach einer Kollision mit der Leitplanke auf der Autobahn die Unfallörtlichkeit verlässt, anschließend auf einem Rastplatz die Beschädigungen an seinem Auto in Augenschein nimmt und seine Fahrt fortsetzt, ohne die Polizei und/oder seine Kaskoversicherung zu informieren, verletzt die Wartepflicht aus E.1.3 der AKB und verwirklicht den objektiven Tatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort.(Rn.14)

2. Hat der Versicherungsnehmer selbst durch die unterlassene Meldung an den Geschädigten, die Polizei oder auch die Kaskoversicherung eine Situation geschaffen, dass nähere Feststellungen insbesondere zur Unfallörtlichkeit im Nachhinein unmöglich werden, sind an die von ihm zu leistende Substanziierung zum Nichtvorliegen eines Schadens erhöhte Anforderungen zu stellen.(Rn.16)

3. Entfernt sich der Versicherungsnehmer ohne Mitteilung an die Polizei oder die Kaskoversicherung von der Unfallstelle und holt er eine Mitteilung auch nicht unverzüglich nach, entstehen der Kaskoversicherung konkrete Feststellungsnachteile, da ihr Feststellungen zu einer möglichen Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit des Fahrzeugführers oder auch dazu, ob der Versicherungsnehmer überhaupt selbst das Fahrzeug gesteuert hat, nicht mehr möglich sind.(Rn.20)

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 03. Februar 2020 gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

2. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 28. Dezember 2020.

Gründe
I.

1
Der Kläger nimmt die Beklagte aus einer bestehenden Vollkaskoversicherung in Anspruch. Er ist Halter des Leasingfahrzeugs …, das er von der …[A] GmbH geleast hat. Der Kläger ist ermächtigt und verpflichtet, alle fahrzeugbezogenen Ansprüche aus einem Schadensfall im eigenen Namen geltend zu machen. Grundlage des Versicherungsvertrags zwischen den Parteien sind die Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung der Beklagten mit Stand 01. Mai 2012 (AKB 2012), wegen deren genauen Inhalts auf die Anlage K3 (Bl. 10 ff. d. A.) Bezug genommen wird.

2
Am 03. Dezember 2016, einem Samstag, befuhr der Kläger gegen 17.30 Uhr mit seinem Fahrzeug die Autobahn … Richtung …[Z], als er ohne Fremdeinwirkung bei Tempo 100 km/h mit der linken Leitplanke kollidierte. Am Fahrzeug des Klägers entstanden über die ganze linke Seite Streifspuren, welche der Kläger auf einem Rastplatz nach der Unfallstelle in Augenschein nahm. Die Schadensanzeige des Klägers gegenüber der Beklagten datiert vom 07. Dezember 2016 (Anlage K2, Bl. 8 f d. A.). Nach der von dem Kläger vorgelegten Rechnung über die Fahrzeugreparatur belief sich der Fahrzeugschaden auf 22.217,16 € (Anlage K4, Bl. 43 d. A.). Die Beschädigungen am Fahrzeug des Klägers ergeben sich aus der Lichtbildanlage zum Gutachten des …[B] (Bl. 95 ff. d. A.).

3
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, da die Beklagte von der Leistungspflicht aus der Vollkaskoversicherung wegen vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung des Klägers gemäß § 28 Abs. 2 S. 1 VVG i. V. m. E.1.3 S. 2, E.7.1 S. 1 AKB 2012 frei geworden sei. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, der Kläger habe gegen seine Obliegenheit aus E.1.3 S. 2 AKB 2012 verstoßen, indem er nach der Kollision mit der Leitplanke die Örtlichkeit ohne anzuhalten verlassen und erst auf einem weiter entfernten Rastplatz angehalten habe.

4
E.1.3 der AKB 2012 lautet:

5
„Sie sind verpflichtet, alles zu tun, was der Aufklärung des Schadensereignisses dienen kann. Dies bedeutet insbesondere, dass Sie unsere Fragen zu den Umständen des Schadensereignisses wahrheitsgemäß und vollständig beantworten müssen und den Unfallort nicht verlassen dürfen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen. Sie haben unsere für die Aufklärung des Schadensereignisses erforderlichen Weisungen zu befolgen“.

6
Darüber hinaus habe der Kläger den Tatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort gemäß § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB verwirklicht, da es an nachvollziehbarem Vortrag seinerseits fehle, dass ein nur völlig belangloser Sachschaden an der Leitplanke entstanden sei. Soweit der Kläger behauptet habe, am Folgetag zweimal die Strecke abgefahren zu sein und die Leitplanke kontrolliert zu haben, reiche dies nicht aus, da dabei eine verlässliche Schadensfeststellung nicht möglich gewesen sei. Der Kläger habe auch vorsätzlich gehandelt. Das Gebot, nach einem Verkehrsunfall die Unfallstelle nicht zu verlassen, sei jedem Kraftfahrer bekannt. Indem er weder die Polizei noch die Beklagte informiert habe, obwohl er den Unfall und den dadurch verursachten Schaden am Pkw bemerkt habe, habe er die Verletzung der Warteobliegenheit zumindest billigend in Kauf genommen. Das unerlaubte Entfernen des Klägers vom Unfallort habe auch zu konkreten Feststellungsnachteilen bei der Beklagten geführt, da insbesondere keine Feststellungen mehr zu möglichen Gründen für einen Wegfall des Versicherungsschutzes oder einer Leistungskürzung in der Person des Klägers mehr möglich gewesen seien.

7
Gegen das ihm am 04. Februar 2020 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit seiner am 17. Februar 2020 eingegangen Berufung, mit der er sein erstinstanzliches Klagebegehren umfassend weiterverfolgt. Er macht insbesondere geltend, er habe keine Obliegenheitsverletzung begangen. Das Einhalten der Obliegenheit, den Unfallort nicht zu verlassen, sei ihm bei Tempo 100 km/h auf einer vielbefahrenen Bundesautobahn unmöglich gewesen. Die Verursachung eines Schadens an der Leitplanke sei zu bestreiten. Eine Verpflichtung zur polizeilichen Meldung oder zur Information eines geschädigten Eigentümers habe nicht bestanden. Der Schaden sei von ihm unverzüglich dem Versicherer gemeldet und alle Auskünfte zum Schaden wahrheitsgemäß erteilt worden. Der Kläger habe weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gehandelt; da für ihn nur ein Eigenschaden erkennbar gewesen sei, sei aus seiner Sicht eine Meldung bei der Polizei nicht geboten gewesen. Darüber hinaus sei eine etwaige Obliegenheitsverletzung seinerseits auch nicht als ursächlich für den Eintritt des Versicherungsfalls oder die Feststellung bzw. den Umfang der Leistungspflicht der Beklagten anzusehen. Die rein theoretische Möglichkeit einer alkohol- bzw. betäubungsmittelabhängigen Verursachung des Verkehrsunfalls könne insoweit nicht ausreichen. Darüber hinaus fehle es an der gemäß § 28 Abs. 4 VVG für die Leistungsfreiheit der Beklagten erforderlichen Belehrung über die Rechtsfolgen einer Verletzung der Aufklärungsobliegenheit.

II.

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Die zulässige Berufung des Klägers hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Das angefochtene Urteil beruht weder gemäß §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO auf einer Rechtsverletzung, d. h. einer Nichtanwendung oder unrichtigen Anwendung einer Rechtsnorm, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrundezulegenden Tatsachen eine andere Entscheidung.

9
Das Landgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen, weil dem Kläger gegen die Beklagte kein Anspruch auf Zahlung einer Versicherungsleistung aus dem zugrundeliegenden Vollkasko-Versicherungsvertrag zusteht. Die Beklagte ist wegen einer Obliegenheitsverletzung des Klägers leistungsfrei geworden, § 28 Abs. 2 S. 1 VVG i. V. m. E.7.1 der dem Vertrag zugrundeliegenden AKB 2012. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen werden. Das Berufungsvorbringen des Klägers führt zu keinem anderen Ergebnis.

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1. Die Beklagte ist nach § 28 Abs. 2 S. 1 VVG i. V. m. E.7.1 der dem Vertrag zugrundeliegenden AKB 2012 von ihrer Leistungspflicht freigeworden, da der Kläger die ihn treffende Aufklärungsobliegenheit gemäß E.1.3 AKB vorsätzlich verletzt hat und den ihn obliegenden Kausalitätsgegenbeweis nicht erbringen kann.

11
Gemäß E.1.3 AKB 2012 ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, alles zu tun, was der Aufklärung des Schadenereignisses dienen kann. Dazu gehört nicht nur die vollständige Beantwortung der Fragen des Versicherers, sondern nach der ausdrücklichen Regelung in E.1.3 AKB 2012 auch, den Unfallort nicht zu verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen. Die letztgenannte Obliegenheit befindet sich erst seit Geltung der Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung 2008 (AKB 2008) in den AKB. In den bis 2008 verwendeten AKB war die Verpflichtung, die Unfallstelle nicht unerlaubt zu verlassen, nicht enthalten. Erst mit E.1.3 AKB 2008 wurde diese Verpflichtung des Versicherungsnehmers ausdrücklich in die AKB als versicherungsvertragliche Obliegenheit aufgenommen. Zuvor war seitens der Rechtsprechung eine Reflexwirkung der strafrechtlichen Vorschrift des § 142 StGB angenommen worden mit der Folge, dass bei Verwirklichung des objektiven und subjektiven Tatbestands dieser Norm auch die Aufklärungsobliegenheit verletzt war. Mit den AKB 2015 wurde der Tatbestand der Obliegenheit ausdrücklich an die Voraussetzungen des § 142 StGB gekoppelt (vgl. Prölss/Martin/Klimke VVG 30. Auflage E.1.1 AKB 2015 Rdnr. 22 m. w. N.; Maier r+s 2016, 64).

12
Der Kläger macht geltend, ein Schaden an der Leitplanke sei bei einer nochmaligen Nachschau durch ihn am Folgetag bei Tageslicht, bei der er zweimal an der Unfallstelle vorbeigefahren sei, nicht erkennbar gewesen sei. Mangels Vorliegens eines Fremdschadens habe er den Tatbestand des § 142 StGB bereits objektiv nicht verwirklicht; die Verpflichtungen aus E.1.3 AKB könnten für den Versicherungsnehmer aber nicht weitergehen als diejenigen aus der strafrechtlichen Vorschrift.

13
Ob eine Obliegenheitsverletzung nach E.1.3 der AKB 2012 nur vorliegt, wenn sowohl der objektive als auch der subjektive Tatbestand des § 142 StGB erfüllt sind (vgl. OLG Saarbrücken r+s 2016, 287; OLG München ZFS 2016, 274; OLG Hamm r+s 2018, 423; Berz/Burmann/Heß, Handbuch des Straßenverkehrsrechts [August 2020] Kapitel 7G Rdnr. 99 ff.) oder ob die AKB 2012 – gleichlautend insofern die AKB 2008 – losgelöst von der Erfüllung des objektiven und subjektiven Tatbestandes des § 142 StGB die eigenständige Obliegenheit formulieren, den Unfallort ohne die Erfüllung der erforderlichen Feststellungen nicht zu verlassen, mit der Folge, dass die Obliegenheitsverletzung etwa auch in den Fällen zu bejahen ist, in denen es am Vorliegen eines Fremdschadens fehlt (vgl. OLG Stuttgart NJW-RR 2015, 286; OLG Frankfurt NZV 2016, 477; KG r+s 2016, 73), kann hier im Ergebnis offenbleiben, auch wenn nach Auffassung des Senats nach dem Wortlaut von E.1.3 AKB 2012 und dem Sinn und Zweck der Aufklärungsobliegenheiten, dem Versicherer die sachgerechte Prüfung der Voraussetzungen seiner Leistungspflicht oder Leistungsfreiheit zu prüfen, viel für die zuletzt genannte Ansicht spricht.

14
Indem der Kläger nach der Kollision mit der Leitplanke auf der Autobahn die Unfallörtlichkeit verließ, anschließend auf einem Rastplatz die Beschädigungen an seinem Auto in Augenschein nahm und seine Fahrt fortsetzte, hat er sowohl die Wartepflicht aus E.1.3 der AKB als auch den objektiven Tatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort verwirklicht. Nach § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB macht sich ein Unfallbeteiligter strafbar, der sich nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt, bevor er eine nach den Umständen angemessene Zeit gewartet hat, ohne dass jemand bereit war, die Feststellungen zu treffen. Dabei ist als Unfall im Straßenverkehr ein plötzliches Ereignis im öffentlichen Verkehr zu verstehen, das mit dessen Gefahren im ursächlichen Zusammenhang steht und zu einem nicht völlig belanglosen Personen- oder Sachschaden führt (vgl. König in Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht StGB § 142 Rdnr. 24 m. w. N.). Eine völlige Belanglosigkeit in diesem Sinne ist nur anzunehmen, wenn für Schäden dieser Art üblicherweise keine Ersatzansprüche geltend gemacht werden, wobei die zu ziehende Grenze oftmals mit 50,00 € angegeben wird (Hentschel/König/Dauer a. a. O. Rdnr. 28 m. w. N.). Das Vorliegen eines nicht lediglich belanglosen Schadens ist dabei nach objektiven Kriterien ex ante zu beurteilen, so dass die Warte- und Anzeigepflichten schon bestehen, wenn zweifelhaft ist, ob ein größerer Schaden entstanden ist oder sich entwickeln wird (vgl. Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB § 142 Rdnr. 11).

15
Angesichts der Beschädigungen am Fahrzeug des Klägers, dokumentiert durch die in Kopie bei der Akte befindlichen Lichtbilder (Bl. 95 ff. d. A.) ist bei vernünftiger Betrachtung und auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Schutzplanken aufgrund ihrer Bauweise und ihres Verwendungszwecks gerade derartige Berührungen mit Kraftfahrzeugen abfangen sollen, davon auszugehen, dass an der Leitplanke ein über der Belanglosigkeitsgrenze liegender Schaden durch den Unfall entstanden ist. Jedenfalls fehlt es insoweit aber, wie das Landgericht zutreffend gesehen hat, an nachvollziehbarem Vortrag des Klägers dazu, dass es sich nur um einen völlig belanglosen Sachschaden gehandelt habe. Er hat diesbezüglich lediglich vorgetragen, am Folgetag zweimal die Strecke (linke Spur der mehrspurigen, vielbefahrenen Autobahn … Richtung …[Z]) abgefahren zu sein, um nach Beschädigungen an der Leitplanke Ausschau zu halten.

16
Zwar ist die Beklagte für das Vorliegen der Obliegenheitsverletzung beweispflichtig. Angesichts der hier gegebenen Sachlage, insbesondere mit Blick auf die erheblichen Beschädigungen am eigenen Fahrzeug, war der Kläger indes gehalten, substantiiert dazu vorzutragen, weshalb die Leitplanke entgegen dem Vortrag der Beklagten nicht beschädigt worden sein soll. Soweit der Kläger erklärt hat, Schäden an der Leitplanke nicht festgestellt zu haben, kann daraus nicht hinreichend auf deren Unversehrtheit geschlossen werden, da ihm eine entsprechende Überprüfung im Vorbeifahren schlechthin nicht möglich war. Der Vortrag, die Schutzplanke sei für derartige Vorkommnisse gerade bestimmt, so dass ein Schaden bei dem Streifvorgang nicht entstanden sein könne, reicht insoweit als bloße Vermutung nicht aus. Da der Kläger durch die unterlassene Meldung an den Geschädigten, die Polizei oder auch die Beklagte selbst die Situation geschaffen hat, dass nähere Feststellungen insbesondere zur Unfallörtlichkeit im Nachhinein unmöglich wurden, sind an die von ihm zu leistende Substantiierung zum Nichtvorliegen eines Schadens erhöhte Anforderungen zu stellen.

17
Der Kläger hat seine Aufklärungsobliegenheit auch vorsätzlich im Sinne des § 28 Abs. 2 VVG verletzt. Für das Bewusstsein der Obliegenheitswidrigkeit genügt eine sogenannte „Parallelwertung in der Laiensphäre“, wonach der Versicherungsnehmer die Merkmale der Obliegenheit im Kern kennt (vgl. Prölss/Martin/Armbrüster § 28 VVG Rdnr. 188 m. w. N:). Das Gebot, nach einem Verkehrsunfall die Unfallstelle nicht zu verlassen (§ 34 Abs. 1 Nr. 1 StVO), ist jedem Kraftfahrer bekannt. Die Verletzung seiner Warteobliegenheit hat der Kläger zumindest billigend in Kauf genommen, als er sich vom Unfallort entfernte und seine Fahrt auch nach kurzem Halt an dem Parkplatz fortsetzte, ohne die Beklagte oder die Polizei zu informieren. Dafür spricht im übrigen auch sein Verhalten am Folgetag, an dem er die Leitplanke an der Unfallstelle überprüft haben will. Zutreffend hat das Landgericht darüber hinaus ausgeführt, dass ein bei dem Kläger möglicherweise eingetretener Schreck eine vorsätzliche Begehungsweise nicht ausschließt.

18
Aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21. November 2012, IV ZR 97/11 (NJW 2013, 936) kann der Kläger zu seinen Gunsten nichts herleiten. Die Entscheidung bezieht sich auf die Verletzung der Handlungspflichten nach § 142 Abs. 2 StGB, die bestehen, nachdem sich der Unfallbeteiligte – was hier nicht der Fall ist – berechtigt oder unentschuldigt vom Unfallort entfernt hat. In diesen Fällen ist nicht in gleicher Weise automatisch von einer Verletzung der allgemeinen Aufklärungsobliegenheit auszugehen wie in den Fällen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort nach § 142 Abs. 1 StGB. Der BGH stellt darauf ab, dass das Aufklärungsinteresse des Versicherers durch einen Verstoß gegen § 142 Abs. 2 StGB nicht in jedem Falle beeinträchtigt wird, weil die Regelung ein Handeln des Versicherungsnehmers unter Umständen noch zu einem Zeitpunkt genügen lässt, zu dem Erkenntnisse bezüglich des Unfalls nicht mehr in gleicher Weise zu gewinnen sind. Dann aber seien die Interessen des Versicherers durch die unmittelbar an ihn oder seinen Agenten erfolgende Mitteilung mindestens ebenso gut gewahrt wie durch eine nachträgliche Benachrichtigung des Geschädigten. Der Versicherungsnehmer, der seinen Versicherer zu einem Zeitpunkt informiert, zu dem er durch Mitteilung an den Geschädigten eine Strafbarkeit nach § 142 Abs. 2 StGB noch hätte abwehren können, verletzt deshalb allein durch die unterlassene Erfüllung der Pflicht nach § 142 Abs. 2 StGB keine Aufklärungsobliegenheit (BGH a.a.O., Rndr. 24).

19
So liegt der Fall hier nicht. Eine innerhalb der Frist des § 142 Abs. 2 StGB erfolgte unverzügliche nachträgliche Mitteilung an die Beklagte durch den Kläger ist nicht erfolgt. Der Unfall ereignete sich am späten Nachmittag des Samstags. Eine unverzügliche Mitteilung liegt selbst dann nicht vor, wenn man unterstellt, dass der Kläger, wie er in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht angab, die Beklagte am Montag kontaktierte, bevor es 2 Tage später zur Schadensanzeige durch ihn kam. Auf die Frage, ob der Kläger in möglichst unmittelbarer Nähe zur Unfallstelle auf dem Standstreifen hätte anhalten müssen oder ob dem das Halteverbot auf Autobahnen (§ 18 Abs. 8 StVO) entgegenstand, kommt es vorliegend nicht an, da der Kläger auch an der nächsten regulären Haltemöglichkeit – möglicherweise der von ihm aufgesuchte Parkplatz – jedenfalls keine Mitteilung an die Polizei oder die Beklagte vorgenommen hat.

20
2. Den nach § 28 Abs. 3 S. 1 VVG vom Versicherungsnehmer zu führenden sogenannten Kausalitätsgegenbeweis hat der Kläger nicht erbracht. Nach dieser Vorschrift ist der Versicherer abweichend von § 28 Abs. 2 VVG zur Leistung verpflichtet, soweit die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich ist. Der Nachweis fehlender Ursächlichkeit ist bei Verletzung einer Aufklärungsobliegenheit erst dann erbracht, wenn feststeht, dass dem Versicherer hierdurch keine Feststellungsnachteile erwachsen sind. Bleibt dies unklar und in der Schwebe, ist der Versicherungsnehmer beweisfällig und der Versicherer nach Maßgabe des § 28 Abs. 2 VVG leistungsfrei geblieben (vgl. Prölls/Martin/Klimke, Versicherungsvertragsgesetz 30. Aufl., E.2 AKP 2015 Rndr. 4 m.w.N; OLG Naumburg NJW 2013, 37 f., OLG Celle R + S 2018, 132). Dadurch, dass sich der Kläger ohne Mitteilung an die Polizei oder die Beklagte von der Unfallstelle entfernt und eine solche Mitteilung auch nicht unverzüglich nachgeholt hat, sind der Beklagten konkrete Feststellungsnachteile entstanden, da ihr Feststellungen zu einer möglichen Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit des Klägers oder auch dazu, ob er überhaupt selbst das Fahrzeug gesteuert hat, nicht mehr möglich waren.

21
Der Auffassung des Klägers, im vorliegenden Fall bestünden keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Entfernung vom Unfallort und die erst später erfolgte Schadensmeldung an die Beklagte Einfluss auf die Feststellung bzw. den Umfang der Leistungspflicht der Beklagten gehabt habe, vermag der Senat nicht zu folgen. Nach den Gesamtumständen des Unfalls (Uhrzeit, Ort, vorangegangene Tätigkeiten des Klägers) ist eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit des Klägers weder ausgeschlossen noch erhöht wahrscheinlich. Gleiches gilt für die Frage, wer das Fahrzeug tatsächlich geführt hat. Die im Nachhinein fehlende Nachprüfbarkeit der entsprechenden Tatsachen ist indes allein auf das Verhalten des Klägers zurückzuführen, so dass es unbillig erschiene, der Versicherung in diesem Punkt eine höhere Darlegungslast aufzuerlegen.

22
3. Auch auf das Fehlen der in § 28 Abs. 4 VVG vorgesehenen Belehrung über die Folgen einer Obliegenheitsverletzung nach Eintritt des Versicherungsfalls kann sich der Kläger nicht erfolgreich berufen. Der Kläger hatte die Obliegenheiten bereits verletzt, bevor die Beklagte von dem Schadensfall erfuhr. Insofern konnten sie auch keine Belehrungspflichten treffen, da ein Belehrungsbedürfnis gewissermaßen aus der Natur der Sache heraus entfällt, wenn spontan von dem Versicherungsnehmer nach Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllende Obliegenheiten, wie hier das Verbleiben an der Unfallstelle, in Frage stehen, bei denen schon in tatsächlicher Hinsicht keine Möglichkeit für eine vorherige Belehrung von Seiten des Versicherers besteht (vgl. Prölls/Martin/Armbrüster § 28 VVG Rndr. 262; OLG Naumburg NJW 2013, 37, 38; OLG Celle r + S 2018, 132, 134).

23
Das Landgericht hat richtig entschieden. Dem Kläger steht ein Anspruch aus dem Versicherungsvertrag gegen die Beklagte nicht zu.

24
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt der Senat aus Kostengründen die Rücknahme des Rechtsmittels nahe. Im Fall der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).

25
Es ist beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 22.217,16 € festzusetzen.

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