Zum Anspruch auf Schmerzensgeld aufgrund des Anhustens gegen das Gesicht während der Corona-Pandemie

AG Braunschweig, Urteil vom 29. Oktober 2020 – 112 C 1262/20

Zum Anspruch Schmerzensgeld aufgrund des Anhustens gegen das Gesicht während der Corona-Pandemie

Tenor

1. Der Beklagte wird verurteilt an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 250,- EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.05.2020 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 75 %, der Beklagte zu 25 %.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beiden Parteien wird nachgelassen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht zuvor die jeweilige Gegenseite Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand
1
Der Kläger nimmt den Beklagten auf Zahlung von Schmerzensgeld wegen absichtlichen Anhustens in Anspruch.

2
Der Kläger ist als L. d. B. M., Ü. und K. bei der S. B. angestellt.

3
Am 04.04.2020 übte der Kläger diese Tätigkeit auf dem Gelände der Marktanlage am A. in B. aus. Seine amtliche Funktion war durch das Tragen von uniformmäßiger Kleidung auch nach außen erkennbar. Er überwachte dabei die Personenkontrolle und trug Sorge dafür, dass wegen der Corona-Pandemie nur die zugelassene Anzahl an Personen in größerem Abstand Zugang zum Markt erhielten. Zu diesem Zweck hielt er sich etwa 20 Meter vom Eingangsbereich entfernt auf. Der Beklagte stand vor dem Einlass in der dort entstandenen Warteschlange an. Aus zwischen den Parteien streitigen Gründen kam es dazu, dass dem Beklagten von dem eingesetzten Sicherheitspersonal kein Einlass gewährt werden sollte. Der Beklagte betrat daraufhin ohne Erlaubnis des Sicherheitspersonals gegen 11:00 Uhr den A.. Die Angestellten des Sicherheitsdienstes informierten den Kläger per Handzeichen über den unerlaubten Zutritt, woraufhin dieser den Beklagten aufsuchte und anwies den Markt zu verlassen und sich ordnungsgemäß in der Schlange anzustellen. Im weiteren Verlauf ist das Geschehen zwischen den Parteien streitig. Als Reaktion hustete der Beklagte dem Kläger jedenfalls absichtlich mehrfach in das Gesicht.

4
Es kam auch zu einer polizeilichen Aufnahme der Geschehnisse.

5
Der Kläger begab sich als Folge des Anhustens in eine zweiwöchige Selbstquarantäne und litt aufgrund der Unsicherheit über eine mögliche Infektion und der daraus resultierenden psychischen Belastung mindestens eine Woche an schlaflosen Nächten.

6
Mit anwaltlichem Schreiben vom 28.04.2020 wurde der Beklagte mit Frist bis zum 15.05.2020 auf, dem Kläger den Betrag in Höhe von 1.000,- EUR zu zahlen.

7
Der Kläger behauptet, der Beklagte habe beim Anstehen den Sicherheitsabstand in der Warteschlange nicht eingehalten und sei dann aufgefordert worden nicht zu drängeln. Nachdem der Sicherheitsdienst ihn in die Warteschlange gebeten habe, habe er angefangen zu diskutieren und dann – unstreitig – ohne Erlaubnis die Absperrung des Marktes überschritten. Als er den Beklagten mit einem Sicherheitsabstand von 1,5 m angesprochen habe, habe dieser den Kläger mit den Worten „Nazi“, „du bist ausländerfeindlich“, „du Arschloch“, „das ist das Dritte Reich“ beleidigt. Dabei habe sich der Beklagte dem Kläger genähert, ohne auf dessen Aufforderung zurückzugehen und Abstand zu halten zu reagieren. Als der Beklagte sich dem Gesicht des Klägers schließlich auf circa 20 cm genähert habe, habe er ihm mehrfach absichtlich ins Gesicht gehustet. Der Kläger habe den Beklagten sodann umgedreht und vom Wochenmarkt heruntergezogen. Es folgten weitere Beleidigungen seitens des Beklagten, woraufhin die Polizei hinzugerufen wurde.

8
Der Kläger behauptet, die Voraussetzungen zur Durchführung eines Corona-Tests hätten nicht vorgelegen, da er keine Symptome aufgewiesen hätte. Er ist der Meinung, ein Schmerzensgeldbetrag in Höhe von 1.000,- EUR sei angemessen, da das Anhusten eine Verletzungshandlung gegen die Gesundheit des Klägers darstellen würde. Soweit er seinen Anspruch zunächst auch auf die von ihm behaupteten Beleidigungen gestützt hat, hat er mit Schriftsatz vom 29.07.2020 mitgeteilt, dass er nunmehr den vollen Betrag allein auf das Anhusten stütze.

9
Der Kläger beantragt,

10
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen hierauf in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.05.2020 zu bezahlen, dessen Höhe durch das Gericht festgesetzt wird.

11
Der Beklagte beantragt,

12
die Klage abzuweisen.

13
Er behauptet, ein anderer Marktbesucher habe unrichtigerweise behauptet, dass er gedrängelt habe, woraufhin er von den Sicherheitsbeamten nicht auf den Markt gelassen werden sollte. Da die Anschuldigung des Drängelns falsch gewesen sei, sei er seiner Meinung nach, mit gutem Recht auf den Markt gelaufen. Im Verlauf der Auseinandersetzung mit dem Kläger sei dieser ihm zu nah gekommen und habe den Sicherheitsabstand von 1,5 m nicht mehr eingehalten. Der Beklagte behauptet, er habe sich bedroht gefühlt und als Reaktion darauf gehustet um den Kläger dazu zu bringen wegzugehen. Hierbei sei bestimmt noch 1 m Abstand zwischen den beiden gewesen. Er habe den Kläger sodann gefragt was er falsch gemacht habe und als dieser sagte, er habe sich nicht richtig in die Warteschlange gestellt, habe er den Markt freiwillig verlassen. Er habe sich sodann wieder in die Warteschlange gestellt und als ihm der Eintritt wieder verwehrt wurde, sei er laut geworden. Der Kläger habe ihn dann zusammen mit anderen Standinhabern beleidigt.

14
Der Beklagte behauptet, er habe den Kläger an dem Donnerstag nach dem besagten Vorfall bei der Eintrittskontrolle auf dem Markt im Prinzenpark gesehen. Zudem sei es für den Kläger ohne Probleme möglich gewesen, einen sogenannten „Walk-in“ Corona-Test zu machen.

15
Die Klage ist dem Beklagten am 27.06.2020 zugestellt worden.

Entscheidungsgründe
16
Die Klage ist zulässig, aber nur teilweise begründet.

I.

17
Der Austausch des Klagegrundes, dahingehende, dass der volle Schmerzensgeldbetrag allein auf das Anhusten gestützt wurde, war gemäß § 263 ZPO zulässig. Die Klageänderung war jedenfalls sachdienlich, da sie einen weiteren Prozess vermeidet.

II.

18
Die Klage ist nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

1.

19
Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 250,- EUR aus § 823 Abs. 1 BGB i. V. m. § 253 Abs. 2 BGB.

20
Nach der Vorschrift des § 253 Abs. 2 BGB kann auch wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden, wenn wegen der Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten ist.

a)

21
Ein Anspruch auf Schadensersatz wegen einer Gesundheits- und Körperverletzung des Klägers ist hier dem Grunde nach gegeben.

22
Das Anhusten stellt eine Gesundheits- und Körperverletzung dar. Eine Körperverletzung ist jeder unbefugte Eingriff in die Integrität der körperlichen Befindlichkeit. Eine Gesundheitsverletzung ist jede nicht unerhebliche, vom normalen körperlichen Zustand nachteilig abweichende Veränderung oder deren Steigerung, unabhängig davon, ob der Verletzte Schmerzen empfindet. Nach diesem Maßstab kann ein Anhusten nur im Ausnahmefall tatbestandsmäßig sein. Eine solche Ausnahme liegt hier vor. Zugrunde zu legen sind alle Umstände zum Zeitpunkt der Verletzungshandlung. Seit dem 23.03.2020 galten bundesweit strenge Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen aufgrund der sich ausbreitenden Gefahr durch das hochansteckende Covid-19-Virus. Insbesondere war auch aus Infektionsschutzgründen in die Armbeuge zu husten und zu niesen. Es lag damit eine allgemeine Gefahrenlage vor. Das Anhusten gegen das Gesicht, bei dem unweigerlich körperliche Aerosole freigesetzt werden, ist unter diesen Umständen über die Grenze hinzunehmender Bagatellen hinaus geeignet, das körperliche Wohlbefinden und die Gesundheit zu beeinträchtigen. Die Gesundheitsbeeinträchtigung resultiert hierbei aus den potentiellen Viren in den körpereigenen Aerosol-Partikeln. Zudem können auch psychische Beeinträchtigungen eine Gesundheitsverletzung darstellen, wenn sich diese nicht nur als Befindlichkeitsstörungen auswirken, sondern Krankheitswert haben und sich körperlich auswirken. So erfüllen etwa Brechreiz als Reaktion auf ein Anspucken und Magenschmerzen als Angstreaktion die Voraussetzungen einer Gesundheitsschädigung.

23
Der Kläger war infolge der angespannten und unsicheren Lage zu Beginn der Covid-19-Pandemie psychisch sehr belastet. Es war nicht ausgeschlossen, dass er sich bei dem Anhusten mit Covid-19 infiziert hat, insbesondere, da ein Test hierauf nach Aussage des Gesundheitsamtes aufgrund mangelnder Symptome nicht erfolgen konnte, was allgemein bekannt ist. Insoweit ist der Einwand des Beklagten, der Kläger habe sich doch testen lassen können, unbeachtlich. Da es sich bei Covid-19 um ein hochansteckendes Virus handelt, ist eine Infektion durch Anhusten ohne weiteres möglich. Zudem ist auch ein symptomloser Verlauf möglich. Infolge dieser psychischen Belastung litt der Kläger für mindestens eine Woche unter Schlaflosigkeit in Form von Ein- und Durchschlafschwierigkeiten. Auch hat er sich für zwei Wochen in eine freiwillige Selbstquarantäne begeben, sich also so verhalten, als wäre er in Kontakt mit dem Virus gekommen. Er hat zwar gearbeitet, dabei jedoch jeglichen Kontakt zu seinen Kollegen und zuhause zu seiner Familie, insbesondere seinen Eltern, gemieden. Der Vortrag des Beklagten, er habe den Kläger arbeiten sehen, steht insofern im Einklang mit der Schilderung des Klägers.

24
Durch die Angst in Kombination mit den Schlafstörungen wurde ein von den normalen körperlichen Funktionen abweichender Zustand hervorgerufen, welcher mit einer Woche auch von einiger Dauer war. Zwischen der Schlaflosigkeit aufgrund der Sorge über eine mögliche Infektion und dem Anhusten des Beklagten besteht ein entsprechender Zurechnungszusammenhang, wobei diese Folgewirkung der Schlaflosigkeit insbesondere auch über das allgemeine Lebensrisiko hinausgeht. Unerheblich ist dabei, ob noch 100 cm oder 20 cm zwischen den Gesichtern der Parteien war. Sie waren jedenfalls nah genug aneinander, dass eine Infektion möglich war.

25
Der Beklagte handelte auch rechtswidrig, insbesondere war das Anhusten nicht durch Notwehr gerechtfertigt. Der Beklagte hat schon keine Umstände substantiiert dargelegt, die eine Notwehrsituation darstellen würden. Seine Angabe, er habe sich bedroht gefühlt, ist als Schutzbehauptung zu werten. Im Rahmen seiner informatorischen Anhörung hat er zugegeben, den Kläger angehustet zu haben, weil er sich über diesen geärgert habe und er weggehen sollte. Eine Bedrohungssituation schilderte er hingegen nicht.

26
Es liegt auch ein Verschulden des Beklagten vor. Die Auswirkungen seines Anhustens auf den Kläger nahm der Beklagte jedenfalls billigend in Kauf. Die besonderen Umstände der Corona-Pandemie und die gerade zu Beginn auch mit Blick auf die dramatische Situation in den europäischen Nachbarländern herrschende große Unsicherheit waren allgemein und auch dem Beklagten bekannt. Dies gab er in seiner informatorischen Anhörung zu. Er gab insbesondere auf Nachfrage des Gerichts an, dass ihm bewusst war, dass viele Menschen in großer Sorge wegen des Infektionsgeschehens sind und es deswegen nicht überraschend sei, wenn der Kläger nach dem Anhusten psychisch belastet gewesen sei. Seiner Meinung nach, sei die Sorge aber völlig übertrieben und unangemessen, da das Coronavirus nicht gefährlicher sei als jeder Grippeerreger.

27
Nach der Überzeugung des Gerichts zeugt die Wahl des Anhustens als Reaktion auf die Anweisungen des Klägers auch davon, dass der Beklagte dieses Verhalten gezielt im Zusammenhang mit der Pandemie einsetzte, da dieses eines der Hauptsymptome der Erkrankung ist. Er hat dabei vor dem Hintergrund der allgemeinen Unsicherheit über die Pandemie bewusst für das Anhusten entschieden, da er sich ungerecht behandelt fühlte, weil ihm der Zutritt zum Markt verweigert worden war. Im Hinblick auf eine mögliche Infektion zeigte der Beklagte zudem auch noch in dem Termin zur mündlichen Verhandlung keinerlei Einsicht.

b)

28
Für die Höhe des Ausgleichs des immateriellen Schadens kommt es auf das Ausmaß der konkreten Lebensbeeinträchtigung des Geschädigten an, also auf Art und Umfang der Folgen. Schmerzensgeld hat grundsätzlich eine doppelte Funktion. Zum einen soll der Verletzte einen Ausgleich für erlittene Schmerzen und Leiden erhalten. Das Schmerzensgeld soll ihn in die Lage versetzen, sich Erleichterung und Annehmlichkeit zu verschaffen, die erlittenen Beeinträchtigungen jedenfalls teilweise auszugleichen. Darüber hinaus soll das Schmerzensgeld dem Verletzten auch Genugtuung verschaffen für das, was ihm der Schädiger insbesondere bei vorsätzlichen Taten angetan hat. Dabei sind im vorliegenden Fall nicht nur die Schlafstörungen und die Sorgen des Klägers um eine mögliche Infektion zu berücksichtigen. Dem Kläger war es nach dem Vorfall nicht möglich, sich auf eine Covid-19-Infektion testen zu lassen, da diese nur bei Symptomen erfolgt. Ihn plagten somit für zumindest eine Woche Unsicherheiten und Sorgen über eine mögliche Infektion, deren Verlauf und die Möglichkeit der Ansteckung seines Umfelds. Insbesondere zu Beginn der Pandemie herrschte noch allgemeine Unsicherheit über den Verlauf einer Covid-19-Infektion und deren Spätfolgen. Der Kläger durfte sich somit berechtigterweise um seine Gesundheit sorgen.

29
Diese Sorgen um seine Gesundheit begründen als psychische Folgen eine Erhöhung des Schmerzensgeldes über den für die erlittenen körperlichen Auswirkungen in Form der Schlafstörungen zuzusprechenden Betrag hinaus. Zudem muss auch die innere Einstellung des Beklagten, der den Kläger vorsätzlich angehustet hat und dabei zumindest billigend eine mögliche Infektion mit Covid-19 in Kauf genommen hat, Berücksichtigung finden. Der Beklagte zeigte auch im Nachgang keinerlei Verständnis für etwaige Sorgen des Klägers, vielmehr vertrat er die Einstellung, dass es jederzeit zu der Ansteckung mit tödlichen Krankheiten kommen könne. Das Gericht hat bei der Bemessung des Schmerzendgeldes auch berücksichtigt, dass sich der Kläger aufgrund der Angst einer Infektion zwei Wochen in Selbstquarantäne begeben hat. Die von dem Kläger erlebte Selbstquarantäne ist zwar nicht vergleichbar mit einer behördlich angeordneten Quarantäne. Dem Kläger war es nämlich weiterhin möglich zu arbeiten und seine Häuslichkeit zu verlassen, wenngleich dies mit einem größeren Abstand zu anderen Personen geschah als normalerweise. Nichtsdestotrotz stellt dies auch eine nicht ganz unerhebliche Einschränkung dar.

30
Das Gericht hält daher unter Abwägung aller maßgeblichen Umstände auf Seiten des Klägers und des Beklagten ein Schmerzensgeld von insgesamt 250,- EUR für angemessen und ausreichend zur Abgeltung der durch das Anhusten erlittenen Folgen. Ein darüberhinausgehender Anspruch war abzulehnen. Die Auswirkungen überschreiten zwar die Grenze der Bagatelle, sind jedoch insgesamt im unteren Bereich der Erheblichkeit einzustufen.

2.

31
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 280 Abs. 1, 2, 286 Abs. 1, 288 BGB i. V. m § 187 BGB analog. Mit Ablauf der ihm gesetzten Frist befand sich der Beklagte in Verzug.

III.

32
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO.

33
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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