Verteidiger ist in der Regel verpflichtet, dem Beschuldigten zu Verteidigungszwecken mitzuteilen, was er aus den Ermittlungsakten erfahren hat

LG Dresden, Beschluss vom 04.03.2009 – 3 Qs 167/08

Prozessual zulässige Handlungen des Verteidigers können bereits nicht tatbestandsmäßig sein. Eine sachgerechte Strafverteidigung setzt dabei voraus, dass der Beschuldigte weiß, worauf sich der gegen ihn erhobene Vorwurf stützt. Der Verteidiger ist deshalb in der Regel auch berechtigt und sogar verpflichtet, dem Beschuldigten zu Verteidigungszwecken mitzuteilen, was er aus den Akten erfahren hat. Im gleichen Umfang, wie er ihm den Akteninhalt mitteilen darf, ist er prozessual auch berechtigt, den Beschuldigten über das Verfahren zu unterrichten und ihm sogar Aktenauszüge und Abschriften aus den Akten auszuhändigen. Ausnahmen kommen von diesem Grundsatz grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Information des Mandanten zu verfahrensfremden Zwecken erfolgt oder der Untersuchungszweck gefährdet würde oder dies zu befürchten ist. Deshalb geht der Bundesgerichtshof auch davon aus, dass der Grundsatz der Wahrnehmung berechtigter Verteidigerinteressen eine Einschränkung erfährt, wenn der Verteidiger von den Ermittlungsbehörden geheimgehaltene Maßnahmen, insbesondere im Hinblick auf eine bevorstehende Verhaftung übermittelt. Dies ist aber stets von den Umständen des Einzelfalles abhängig, womit sich jegliche generalisierende Betrachtung von vornherein verbietet (Rn. 10).

Deshalb wird in der Rechtsprechung zu Recht differenziert, ob der Verteidiger die weiter übermittelte Kenntnis des Bestehens eines von den Ermittlungsbehörden geheimgehaltenen Haftbefehls in zulässiger, zufälliger oder unzulässiger Weise erlangt hat (Rn. 11).

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Beschuldigten wird der Beschluss des Amtsgerichts Dresden vom 22.08.2008 (271 Gs 2239/08) aufgehoben.

2. Die bei der Durchsuchung zur Durchsicht mitgenommenen Gegenstände sind ohne vorherige Auswertung an den Beschuldigten unverzüglich herauszugeben.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschuldigten fallen der Staatskasse zur Last.


Gründe

I.

1

Das Amtsgericht Dresden hat ohne vorherige Anhörung mit dem angefochtenen Beschluss gemäß §§ 103, 105 StPO die Durchsuchung der Person und der Kanzleiräume des Beschuldigten und gemäß §§ 94, 98 StPO die Beschlagnahme angeordnet, und zwar der Handakte betreffend des gesondert verfolgten … einschließlich elektronisch gespeicherter Dokumente zu dem Mandatsverhältnis. Der Beschuldigte soll in unlauterer Art und Weise Informationen über das Bestehen eines Haftbefehls gegen … erlangt und diese im Rahmen des Mandatsverhältnisses an jenen weitergereicht haben. Dies soll den Tatbestand der versuchten Strafvereitelung in Tateinheit mit Anstiftung zur Verletzung von Dienstgeheimnissen unter einer besonderen Geheimhaltungspflicht erfüllen.

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In Vollziehung dieses Beschlusses wurde am 04.09.2008 die Kanzlei des Beschuldigten durchsucht und zahlreiche Akten mitgenommen bzw. Dateien mit dem Stichwort „…“ mittels CD kopiert. Die Sichtung der Unterlagen steht unmittelbar bevor.

3

Der Beschuldigte konnte, nachdem ihm zunächst umfassend eine Akteneinsicht verweigert wurde erstmals auf der Grundlage einzelner durch die Staatsanwaltschaft überreichter Aktenteile sich mit Schriftsatz vom 03.11.2008 zu dem Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss sowie dem Tatvorwurf äußern.

4

Im Nachgang hierzu reichte die Staatsanwaltschaft weitere Unterlagen nach, zu denen der Beschuldigte Gelegenheit zur Stellungnahme erhielt.

II.

5

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

6

1. Nachdem die Durchsicht der mitgenommenen Gegenstände nach § 110 StPO noch nicht erfolgt ist, sind die Sachen bislang nicht beschlagnahmt und die Durchsuchung nicht abgeschlossen (Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., Rn. 10 zu § 110). Deshalb kann die von der Verteidigung begehrte Feststellung der Rechtswidrigkeit des Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses mangels noch nicht eingetretener prozessualer Überholung nicht erfolgen.

7

2. Auf die Beschwerde hin war der Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss aufzuheben, weil für seinen Erlass die Voraussetzungen zu keiner Zeit vorgelegen haben.

8

Die Anordnung einer Durchsuchung und Beschlagnahme setzt wegen des Gewichts des Eingriffs Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutzungen hinausreichen, voraus (BVerfG, NStZ-RR 2005, m.w.N.). Hieran fehlt es aber im vorliegenden Einzelfall, sodass das Amtsgericht weder einen Durchsuchungsbeschluss noch eine Beschlagnahmeanordnung hätte erlassen dürfen.

9

a) Zum Zeitpunkt des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses bestand kein konkreter Anfangsverdacht einer (versuchten) Strafvereitelung gemäß § 258 StGB.

10

aa) Prozessual zulässige Handlungen des Verteidigers können bereits nicht tatbestandsmäßig sein (BGHSt 46, 53, 54). Eine sachgerechte Strafverteidigung setzt dabei voraus, dass der Beschuldigte weiß, worauf sich der gegen ihn erhobene Vorwurf stützt. Der Verteidiger ist deshalb in der Regel auch berechtigt und sogar verpflichtet, dem Beschuldigten zu Verteidigungszwecken mitzuteilen, was er aus den Akten erfahren hat (Lüdger, NJW 1951, 744, 745). Im gleichen Umfang, wie er ihm den Akteninhalt mitteilen darf, ist er prozessual auch berechtigt, den Beschuldigten über das Verfahren zu unterrichten und ihm sogar Aktenauszüge und Abschriften aus den Akten auszuhändigen. Ausnahmen kommen von diesem Grundsatz grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Information des Mandanten zu verfahrensfremden Zwecken erfolgt oder der Untersuchungszweck gefährdet würde oder dies zu befürchten ist. Deshalb geht der Bundesgerichtshof auch davon aus, dass der Grundsatz der Wahrnehmung berechtigter Verteidigerinteressen eine Einschränkung erfährt, wenn der Verteidiger von den Ermittlungsbehörden geheimgehaltene Maßnahmen, insbesondere im Hinblick auf eine bevorstehende Verhaftung übermittelt (LK-Ruß, StGB, 11. Aufl., § 258, Rn. 20 a; Schönke-Schröder, StGB, 27. Aufl., § 258, Rn. 20, jeweils m.w.N.). Dies ist aber stets von den Umständen des Einzelfalles abhängig (so ausdrücklich BGHSt 29, 99, 103), womit sich jegliche generalisierende Betrachtung von vornherein verbietet.

11

Deshalb wird in der Rechtsprechung zu Recht differenziert, ob der Verteidiger die weiter übermittelte Kenntnis des Bestehens eines von den Ermittlungsbehörden geheimgehaltenen Haftbefehls in zulässiger, zufälliger oder unzulässiger Weise erlangt hat (OLG Hamburg, Beschluss vom 17.02.1987, (33) 28/96 Ns, 51 Js 85/84, zitiert nach Juris; ähnlich Krekeler, NStZ 1989, 146, 149; Mehle, NStZ 1985, 556, 558).

12

bb) Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Beschuldigte in objektiv unlauterer Art und Weise sich Informationen bei den Strafverfolgungsbehörden verschafft hat, bestehen nicht. Bereits den Vernehmungen der anderweitig verfolgten Polizeibeamten … und … kann entnommen werden, dass bei den Telefonaten des Beschuldigten mit jenen jegliches unlautere Element, wie beispielsweise Täuschung oder gar – wie die Staatsanwaltschaft vermutet – Überredung fehlen. Die Gespräche wurden, wie sich auch den Ausführungen des Beschuldigten im Protokoll gegen seinen Mandanten zu dem Verfahren der Staatsanwaltschaft 309 Js 23987/07 (vgl. Bl. 118 d.A.) zeigt, regelmäßig offen geführt. Dies bestätigt auch der Vermerk des zuständigen Oberstaatsanwaltes vom 05.02.2008 (Bl. 1 ff. d.A.).

13

Darüber hinaus kann es aber auch einem Verteidiger nicht verboten sein, seinen Mandanten über Zwangsmaßnahmen zu informieren. Ein solches generelles Verbot findet im Gesetz keine Grundlage (OLG Hamburg, a.a.O.).

14

Aber auch die Frage nach dem Bestehen eines Haftbefehls als solche ist nicht geeignet, ein tatbestandsmäßiges Verhalten insoweit zu belegen. Alle Zwangsmaßnahmen der StPO haben nämlich eine Einschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten des Betroffenen zur Folge. Deshalb kann gerade die Kenntnis um das Bestehen des Haftbefehls geeignet sein, sinnvolle und Erfolg versprechende Verteidigungshandlungen in die Wege zu leiten, wie die Vorbereitung der Stellungnahme gegenüber dem Haftrichter, die Ausführungen zu den angenommenen Haftgründen, das Angebot einer persönlichen Vernehmung, die Vorbereitung der Beschaffung einer Kaution oder sonstiger Leistungen und Verhaltenspflichten, die entweder den Haftbefehl überflüssig machen oder seine Außervollzugsetzung rechtfertigen (so zutreffend Dahs, BRAK-Mitt. 1987, 163, 164). Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Verteidiger Gegenteiliges unternahm, bestehen nicht. Sie sind auch, nachdem es sich bei dem Beschuldigten um einen seit Jahren in Strafsachen tätigen seriösen Rechtsanwalt handelt, fernliegend. Die bloße Vermutung reicht insoweit aber nicht aus.

15

Vor allem gibt es aber keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Beschuldigte vorsätzlich gehandelt haben könnte. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses stand nämlich fest, dass der anderweitig verfolgte … bereits von der Existenz des Haftbefehls ausgegangen und untergetaucht war, wie dem Protokoll der Haftbefehlseröffnung im Verfahren gegen diesen entnommen werden kann (vgl. B. 117 f. d.A.). Zudem lässt sich der Vernehmung der anderweitig Verfolgten … entnehmen, dass der Mandant des Beschuldigten, der anderweitig verfolgte …, zunächst bei jener angerufen habe und, nachdem er erfahren hatte, dass die Polizei ihn suche, nicht bereits gewesen sei mitzuteilen, wo er sich aufhalte. …sei selbst davon ausgegangen, dass die Polizei ihn mit Sicherheit festnehmen werde. Erst später habe dann der Beschuldigte sich bei der Polizei gemeldet.

16

Darüber hinaus hat der Beschuldigte aber auch anderweitig am 21.02.2008 zu Protokoll des Amtsgerichts Dresden mitgeteilt, dass er seinen Mandanten aufgefordert habe, sich zu stellen (vgl. Bl. 118 d.A.). Im Übrigen spricht offenes Auftreten gegenüber den Ermittlungsbehörden durchaus gegen das Vorliegen einer Strafvereitelungsabsicht. Zu Recht weist zudem der Verteidiger des Beschuldigten darauf hin, dass es mit dem im Durchsuchungsbeschluss angenommenen Vereitelungsvorsatz gänzlich unvereinbar ist, dass es der Beschuldigte war, der mit der zuständigen Staatsanwältin und Ermittlungsrichterin den 21.02.2008 als Termin vereinbarte, zu dem sich auch der … stellte.

17

cc) Ferner sprechen im vorliegenden Einzelfall aber auch allgemeine Erwägungen gegen einen Anfangsverdacht der (versuchten) Strafvereitelung, die letztlich auf dem offenen Auftreten des Beschuldigten gegenüber den Strafverfolgungsbehörden beruhen (vgl. hierzu ausdrücklich auch Bl. 1 ff. d. A.).

18

Bei einem Verteidiger handelt es sich um ein Organ der Rechtspflege, sodass zunächst für diesen spricht, dass er Fragen nach der Existenz eines Haftbefehls allein mit dem Willen stellt, ausschließlich rechtlich zulässige Antworten zu erhalten, zumal die rechtzeitige Kenntnis sogar aus Gründen der zulässigen denkbaren Verteidigungsmaßnahmen geboten sein kann (vgl. zuvor).

19

Diese Fragen beziehen sich eher auf das fehlende Vorliegen eines Haftbefehls oder dahingehend keine entsprechenden Auskünfte zu erhalten, so wie dies offensichtlich die anderweitig verfolgten … und auch Oberstaatsanwalt … getan haben. Solche Fragen sind aber ohne Weiteres zulässig, zumal der Verteidiger seinen Mandanten straflos über nach seiner Erfahrung oder sonstiger Einschätzung zu erwartende Ermittlungshandlungen unterrichten darf (so zutreffend auch AG Köln, StV 1988, 256).

20

b) Es fehlt zudem jeglicher konkreter Anfangsverdacht bezüglich einer Anstiftung zur Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht gemäß § 353 b Abs. 1 Nr. 1 StGB.

21

Auf der Grundlage der Vernehmungen der anderweitig verfolgten … und vor allem … bestehen bereits Zweifel an dem Vorliegen einer vorsätzlich begangenen rechtswidrige Haupttat. Im Regelfall kann nämlich bei einem Beamten der Strafverfolgungsbehörden zunächst grundsätzlich nicht davon ausgegangen werden, dass er unter Verstoß gegen seine Dienst- und Strafnormen geheimhaltungsbedürftige Tatsachen offenbart. Hierzu bedarf es noch weiterer Umstände, zu denen es aber offensichtlich zum Zeitpunkt des Erlasses des Durchsuchungsbeschlusses keine Erkenntnisse gab.

22

Keinesfalls kann aber ohne Vorliegen weiterer Umstände davon ausgegangen werden, dass die Fragen des Beschuldigten einen entsprechenden Tatentschluss bei den anderweitig Verfolgten hervorgerufen haben. Bloße Vermutungen genügen auch hier nicht.

23

Darüber hinaus fehlen aber auch von vornherein konkrete Tatsachen, die die Annahme des Vorliegens eines Anstiftungsvorsatzes insoweit rechtfertigen könnten.

24

Zunächst ist bei einem Organ der Rechtspflege zugute zu halten, dass es rechtmäßige Maßnahmen zur Verteidigung des Mandanten ergreift. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird insoweit auf II. 2. a) cc) verwiesen.

25

c) Demgegenüber war der Durchsuchungsbeschluss nicht (mehr) wegen eines Verstoßes gegen das Rechtstaatsprinzip aufzuheben. Allein aufgrund der Verfügung der Kammer vom 18.09.2008 hat die Staatsanwaltschaft zumindest teilweise dem Beschuldigten nachträglich ihre Entscheidungsgrundlagen offengelegt, sodass mit einer dort verschuldeten Verzögerung der Beschuldigte seine Beschwerde zu begründen vermochte.

26

3. Nach alledem brauchte die Kammer nicht zu entscheiden, ob auch die Art und Weise der Durchführung de Durchsuchung vor Ort rechtswidrig, weil unverhältnismäßig, war. Jedenfalls ist nicht nachvollziehbar, warum zum Auffinden von Handakten einschließlich elektronisch gespeicherter Dokumente betreffend eines Mandanten in einer Anwaltskanzlei von 10.00 Uhr bis zum Teil 13.50 Uhr der Einsatz von drei Kriminalbeamten, drei uniformierten Schutzpolizisten und zwei Beamten der Steuerfahndung neben dem ermittelnden Oberstaatsanwalt erforderlich war.

III.

27

Die Kostenentscheidung beruht auf der analogen Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.

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