Verstoß gegen ein befristetes Unterlassungsgebot nach § 1 GewaltschutzG kann auch noch nach Fristende geahndet werden, wenn der Verstoss innerhalb der Verbotsfrist erfolgt ist

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 01.06.2015 – 20 WF 35/15

Der Verstoß gegen ein befristetes Unterlassungsgebot nach § 1 GewaltschutzG kann auch noch nach Fristende durch Verhängung eines Ordnungsgeldes geahndet werden, sofern der Verstoß innerhalb der Verbotsfrist erfolgt ist (entgegen OLG Celle, Beschluss vom 21.01.2013, Az. 21 WF 318/12FamRZ 2013, 1758).

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Pforzheim vom 13.2.2015, Az. 2 F 200/14, dahingehend abgeändert, dass das gegen den Antragsgegner verhängte Ordnungsgeld auf 500 EUR herabgesetzt wird. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.

2. Die Kosten beider Instanzen hat der Antragsgegner zu tragen.

3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

4. Der Verfahrenswert wird für das Beschwerdeverfahren auf 1.000 EUR festgesetzt.

Gründe
I.

Das Verfahren betrifft die Vollstreckung eines Unterlassungsgebotes nach dem Gewaltsschutzgesetz.

Mit Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Pforzheim vom 24.6.2014 wurde dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung unter anderem untersagt, sich in einem Umkreis von 100 m „der“ (richtig wohl: um die) Wohnung des Antragstellers ohne vorherige Zustimmung aufzuhalten, sowie sich dem Antragsteller ohne vorherige Zustimmung auf weniger als 100 m zu nähern. Die Anordnung wurde befristet bis 24.12.2014. Die sofortige Wirksamkeit und die Zulässigkeit der Vollstreckung des Beschlusses vor der Zustellung an den Antragsgegner wurden angeordnet. Dem Antragsgegner wurde in dem Beschluss für jeden Fall der Zuwiderhandlung die Festsetzung von Ordnungsgeld, ersatzweise von Ordnungshaft, oder Ordnungshaft, in jeweils bestimmter Höhe angedroht. Auf Antrag des Antragsgegners wurde vom Amtsgericht eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Sodann wurde durch Beschluss vom 10.9.2014 die einstweilige Anordnung vom 24.6.2014 bestätigt sowie erneut die sofortige Wirksamkeit und die Zulässigkeit der Vollstreckung des Beschlusses vor der Zustellung an den Antragsgegner angeordnet. Der Beschluss wurde am 11.9.2014 an den Antragsgegner zugestellt. Im Rubrum beider Beschlüsse ist die Anschrift des Antragstellers zutreffend mit „A-Str. XY, Pforzheim“ angegeben. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die genannten Beschlüsse Bezug genommen. Rechtsmittel wurden nicht eingelegt.

Am 20.10.2014 betrat der Antragsgegner das Mehrfamilienhaus A-Str. XY in Pforzheim und hielt sich gegen Abend zu einem Zeitpunkt zwischen 20:00 Uhr und 22:00 Uhr jedenfalls vor der damaligen Wohnung des W. auf. Diese Wohnung befindet sich ein Geschoss unter der damaligen Wohnung des Antragstellers. Ob der Antragsgegner auch in die Wohnung des W. eingedrungen ist und hierbei gewaltsam das Türglas beschädigt hat, und ob der Antragsteller sich im maßgeblichen Zeitraum in der Wohnung des W. befand, blieb zwischen den Beteiligten streitig und wurde vom Amtsgericht nicht abschließend geklärt.

Auf den Bestrafungsantrag des Antragstellers vom 21.10.2014 hat das Amtsgericht – nach Beweisaufnahme – mit Beschluss vom 13.2.2015 gegen den Antragsgegner wegen einmaliger Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungspflicht, sich der Wohnung des Antragstellers auf einen Abstand von weniger als 100 m zu nähern, ein Ordnungsgeld von 1.000 EUR, ersatzweise, für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, für je 250 EUR einen Tag Ordnungshaft, verhängt. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, dass offen bleiben könne, ob der Antragsgegner tatsächlich in die Wohnung des Herrn W. eingedrungen ist und ob der Antragsteller tatsächlich anwesend war. Denn der Antragsgegner habe sich jedenfalls vor der Wohnungstür des Herrn W. aufgehalten und sich damit der Wohnung des Antragstellers auf einen Abstand von weniger als 100 m genähert. Er habe auch schuldhaft gehandelt. Denn aufgrund der ergangenen Beschlüsse sei ihm die Adresse des Antragstellers bekannt gewesen. Er habe vorsätzlich gehandelt, indem er zumindest billigend in Kauf genommen habe, dass er keine 100 m mehr von der Wohnung des Antragstellers entfernt sein würde.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragsgegners. Er macht geltend, ein schuldhafter Verstoß gegen die Unterlassungsverpflichtung sei nicht nachgewiesen. Zu Unrecht sei das Amtsgericht davon ausgegangen, dass der Antragsgegner sich dem Antragsteller näher als 100 m genähert habe. Es könne dahinstehen, ob dem Antragsgegner aufgrund der ergangenen Beschlüsse oder sonstigen Schriftstücke die damalige Adresse des Antragstellers bekannt gewesen sei. Nicht nachgewiesen sei jedenfalls, dass der Antragsgegner zum damaligen Zeitpunkt Kenntnis von der Adresse des Antragstellers hatte und eine rechtswidrige Annäherung an den Antragsteller zumindest billigend in Kauf nahm. Aus dem Umstand, dass in einigen der Schriftstücke aus dem Verfahren die Adresse des Antragstellers aufgeführt ist, könne nicht zwingend geschlossen werden, dass der Antragsgegner die Adresse auch gekannt habe, zumal aus Sicht eines juristischen Laien das Rubrum einer gerichtlichen Entscheidung im Vergleich etwa zu den Gründen der Entscheidung eher uninteressant sei und daher in aller Regel nicht gelesen werde. Ein Eindringen des Antragsgegners in die Wohnung des W. sei kein schuldhafter Verstoß gegen die hier maßgeblichen Beschlüsse des Amtsgerichts. Selbst unter Fahrlässigkeitsgesichtspunkten habe der Antragsgegner nicht damit rechnen müssen, den Antragsteller in dieser Wohnung anzutreffen. Nach den Angaben des Zeugen W. habe sich der Antragsgegner sodann auch schnell wieder aus der Wohnung zurückgezogen.

Der Antragsteller tritt der sofortigen Beschwerde entgegen. Allein maßgeblich sei vorliegend das an den Antragsgegner gerichtete Verbot, sich der Wohnung des Antragstellers nicht in einem Umkreis von 100 m zu nähern. Der Antragsgegner müsse sich im klaren darüber gewesen sein, welcher Adresse und welcher Person er sich nicht nähern durfte. Man könne wohl davon ausgehen, dass jeder, der ein Schriftstück vom Gericht erhalte, das seine Person betrifft, es auch zu lesen vermöge. Wenn der Antragsgegner die Anordnung des Gerichts nicht oder nur mangelhaft gelesen hätte, müsse davon ausgegangen werden, dass er die Konsequenzen billigend in Kauf genommen habe.

II.

Die gemäß §§ 87 Abs. 4 FamFG, 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde des Antragsgegners ist teilweise begründet.

Allerdings hat der Antragsgegner durch sein Verhalten am 20.10.2014 ein Ordnungsgeld nach §§ 95 Abs. 1 Nr. 4, 96 FamFG, 890 ZPO verwirkt. Denn durch das Betreten des Anwesens A-Str. XY in Pforzheim am 20.10.2014 hat er sich zweifellos der Wohnung des Antragstellers näher als 100 m angenähert und hierdurch gegen das Verbot in Ziff. 1.1 des Beschlusses vom 24.6.2014, bestätigt durch den Beschluss vom 10.9.2014, verstoßen. Zu Unrecht meint die sofortige Beschwerde, das Amtsgericht sei von einem Verstoß gegen das Verbot, sich dem Antragsteller selbst anzunähern, ausgegangen. Auf Letzteres hat das Amtsgericht gerade nicht abgestellt. Die Beschlüsse vom 24.6.2014 und 10.9.2014 waren gemäß § 216 Abs. 1 S. 2 FamFG für sofort wirksam erklärt und somit ohne weiteres gemäß § 86 Abs. 2 FamFG vollstreckbar. Abgesehen davon, dass ohnehin in den Beschlüssen die Vollstreckung vor Zustellung gemäß § 216 Abs. 2 FamFG zugelassen war, war die Zustellung (§ 87 Abs. 2 FamFG) vor der Zuwiderhandlung auch bereits erfolgt. Die nach § 890 Abs. 2 ZPO erforderliche Androhung lag ebenfalls vor.

Der Verhängung eines Ordnungsmittels stand und steht es nicht entgegen, dass das gegen den Antragsgegner ausgesprochene Verbot befristet war bis 24.12.2014 und somit bei Verhängung des Ordnungsmittels durch Beschluss des Amtsgerichts am 13.2.2015 nicht mehr wirksam war. Allerdings hat das Oberlandesgericht Celle mit Beschluss vom 21.01.2013 (Az. 21 WF 318/12FamRZ 2013, 1758; ebenso LAG Hamburg, MDR 1990, 365; ablehnend Keidel/Giers, FamFG, 18. Aufl., § 95 Rn. 16 a; Giers, FamFR 2013, 161) entschieden, dass nach Fristende eines befristeten Unterlassungstitels Ordnungsmittel nicht mehr verhängt werden dürften, selbst wenn die Zuwiderhandlung noch innerhalb des Gültigkeitszeitraums des Unterlassungstitels erfolgt sei. Dieser Entscheidung folgt der Senat nicht. Vielmehr schließt er sich der ebenfalls obergerichtlich vertretenen Ansicht (OLG Stuttgart OLGR 2001, 248; OLG Düsseldorf OLGR 2001, 350; ebenso OLG Nürnberg GRUR 1996, 79 – die mangelnde Vollstreckbarkeit wurde dort nicht daraus hergeleitet, dass zwischenzeitlich die Verbotsfrist geendet hatte, sondern daraus, dass im Erkenntnisverfahren inzwischen übereinstimmende Erledigungserklärungen abgegeben waren) an, dass es für eine Ahndung ausreicht, dass der Verstoß gegen ein befristetes Unterlassungsgebot innerhalb der Verbotsfrist erfolgt ist; weder der Bestrafungsantrag noch die Verhängung des Ordnungsmittels muss sodann innerhalb der Verbotsfrist erfolgen. Im Hinblick auf den dem Ordnungsmittel beizumessenden auch repressiven Charakter (Zöller/Stöber, ZPO, 30. Aufl., § 890 Rn. 5; MünchKomm – ZPO/Gruber, 4. Aufl., § 890 Rn. 2) ist es geboten, stattgefundene Verstöße auch dann zu ahnden, wenn das Unterlassungsgebot inzwischen durch Zeitablauf geendet hat (ebenso mit eingehender Begründung OLG Stuttgart OLGR 2001, 248). Insoweit liegt der Fall anders als dort, wo ein vorläufig wirksames Unterlassungsgebot später durch Aufhebung, Antragsrücknahme, Erledigungserklärungen oder auf andere Weise insgesamt wirkungslos geworden ist.

Die Verhängung eines Ordnungsmittels nach § 890 ZPO setzt weiter Verschulden voraus (vgl. nur Zöller/Stöber, § 890 Rn. 5). Dieses lag ebenfalls vor, da der Antragsgegner fahrlässig gehandelt hat, was ausreicht (Zöller/Stöber a. a. O.).

Keinen Bestand kann allerdings die Feststellung des Amtsgerichts haben, der Antragsgegner habe bedingt vorsätzlich gehandelt. Bedingt vorsätzlich handelt, wer den als möglich erkannten pflichtwidrigen Erfolg billigend in Kauf nimmt (m. Nachw. Palandt/Grüneberg, BGB, 74. Aufl., § 276 Rn. 10). Der Handelnde muss also mit dem möglichen Eintritt des schädlichen Erfolges positiv rechnen. Hat der Handelnde dagegen den möglichen Eintritt des schädlichen Erfolgs nicht erkannt, hätte ihn aber bei gehöriger Sorgfalt voraussehen und verhindern können, kann nur unbewusste Fahrlässigkeit vorliegen (Palandt/Grüneberg, a. a. O., Rn. 12, 13). Weder die Feststellungen des Amtsgerichts noch die Angaben der Beteiligten und des in erster Instanz gehörten Zeugen W. rechtfertigen die Annahme, dass sich der Antragsgegner bei seinem Verhalten zumindest der Möglichkeit bewusst war, zugleich der Wohnung des Antragstellers nahe zu kommen. Vielmehr wollte er eindeutig den W. aufsuchen, möglicherweise ist er auch in dessen Wohnung eingedrungen. Dafür, dass er zugleich den Antragsteller treffen oder sich seiner Wohnung nähern wollte, ist nichts ersichtlich. Es sind auch keine Anhaltspunkte aufgezeigt oder ersichtlich, die die Annahme rechtfertigen können, dass ihm am Abend des 20.10.2014 auch nur bewusst war, dass sich die Wohnung des Antragstellers möglicherweise im selben Anwesen befinden könnte. Seine Einlassung, er habe an diesem Abend überhaupt nicht an den Antragsteller gedacht, lässt sich nicht widerlegen.

Der Antragsgegner handelte jedoch fahrlässig. Die Wohnanschrift des Antragstellers war im Rubrum der Beschlüsse vom 24.6.2014 und 10. 9. 2014 ausdrücklich genannt. Diese Beschlüsse erhielt der Antragsgegner auch zugestellt. Nachdem ihm in diesen Beschlüssen ausdrücklich verboten wurde, sich der Wohnung des Antragstellers zu nähern, konnte vom Antragsgegner im Rahmen der gebotenen gehörigen Sorgfalt ohne weiteres erwartet werden, dass er die Wohnanschrift des Antragstellers zur Kenntnis nimmt und im weiteren Verlauf sorgfältig darauf achtet, den ihm gebotenen Abstand von dieser Wohnung einzuhalten. An dieser gebotenen Sorgfalt hat es der Antragsgegner am Abend des 20.10.2014 vermissen lassen, als er das Anwesen A-Str. XY in Pforzheim betrat.

Angesichts des somit nur noch zu erhebenden Schuldvorwurfs der unbewussten Fahrlässigkeit hält der Senat das vom Amtsgericht gemäß § 890 ZPO festgesetzte Ordnungsgeld von 1.000 EUR für überhöht. Insbesondere kann bei Bemessung des Ordnungsmittels auch nicht ein gegenüber dem Zeugen W. möglicherweise zu Tage getretenes aggressives Verhalten des Antragstellers berücksichtigt werden, denn insoweit besteht kein Bezug zu dem gegenüber dem Antragsteller bestehenden Unterlassungsgebot. Für den lediglich unbewusst fahrlässigen Verstoß erscheint in Abwägung sämtlicher Umstände eine Ahndung in der nunmehr festgesetzten Höhe ausreichend, aber auch geboten.

Trotz des Teilerfolgs der sofortigen Beschwerde werden die Kosten beider Instanzen gemäß §§ 81 Abs. 1 S. 1, 3 FamFG dem Antragsgegner insgesamt auferlegt. § 84 FamFG stellt lediglich eine Sollvorschrift dar, von der in besonders gelagerten Fällen auch abgewichen werden kann. Vorliegend entspricht es pflichtgemäßer Ermessensausübung, auch die Kosten der Beschwerde insgesamt beim Antragsgegner zu belassen. Der Antragsteller hatte in erster Instanz lediglich einen unbezifferten Bestrafungsantrag gestellt; die vom Amtsgericht festgesetzte Höhe hat er weder in erster Instanz gefordert noch in zweiter Instanz verteidigt. Somit war der Antragsteller, auch wenn das vom Amtsgericht bemessene Ordnungsgeld in der Beschwerdeinstanz reduziert wurde, im Verfahren in vollem Umfang erfolgreich.

Die Rechtsbeschwerde wird nach §§ 87 Abs. 4 FamFG, 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO (zur Statthaftigkeit einer Rechtsbeschwerde gem. § 574 ZPO im Anwendungsbereich des § 87 Abs. 4 FamFG vgl. BGH FamRZ 2011, 1729) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen, da der Senat von der veröffentlichten und in der Kommentarliteratur beachteten Entscheidung des OLG Celle vom 21.01.2013 (FamRZ 2013, 1758) abweicht.

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