Reinigungsflug der Bienen kein Ausdruck einer spezifischen Tiergefahr

LG Dessau-Roßlau, Urteil vom 10.05.2012 – 1 S 22/12

§ 833 S. 1 BGB hat mit dem Merkmal „durch ein Tier“ nur solche Schäden im Auge, die durch die spezifische Tiergefahr hervorgerufen werden, d. h. durch das von keinem vernünftigen Wollen des Tieres geleitete, willkürliche, unberechenbare Verhalten des Tieres, das sich gerade als Ausdruck der gefährlichen tierischen Natur darstellt. Hierunter fällt das artspezifische Verhalten von Bienen nicht, wobei es nicht darauf ankommt, dass es hier nicht um einen Ausflug der Bienen zwecks Blütenbefruchtung geht, sondern um einen alljährlich im Frühjahr erfolgenden sog. Reinigungsflug der Bienen. Auch dieser Reinigungsflug ist Teil des artspezifischen Verhaltens von Bienen Rn. 3).

2. Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB ist ebenfalls nicht begründet, da der Überflug der Bienen als unwesentliche Beeinträchtigung der Benutzung des Grundstücks auch dann nach § 906 Abs. 1 Satz 1 BGB zu dulden ist, wenn auf dem alljährlichen Reinigungsflug Bienenkot auf das Grundstück verbracht wird.

Tenor

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Amtsgerichts Bitterfeld-Wolfen vom 22.12.2011 – 7 C 814/11 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das Urteil des Amtsgerichts Bitterfeld-Wolfen vom 22.12.2011 – 7 C 814/11 – ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.


Tatbestand

I.

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Von der Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen (§§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO, § 26 Nr. 8 S. 1 EGZPO).


Entscheidungsgründe

II.

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Die zulässige Berufung ist unbegründet.

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1. Unabhängig von der Frage der objektiven Rechtswidrigkeit der potentiellen Eigentumsverletzungshandlung scheidet ein Schadensersatzanspruch der Kläger aus § 833 S. 1 BGB (Tierhalterhaftung; Gefährdungshaftung) schon deshalb aus, weil die hier behauptete Art von Schäden (Verschmutzungsschäden infolge eines sog. Reinigungsfluges von Bienen) nicht vom Schutzzweck der Norm erfasst ist. § 833 S. 1 BGB hat mit dem Merkmal „durch ein Tier“ nur solche Schäden im Auge, die durch die spezifische Tiergefahr hervorgerufen werden, d. h. durch das von keinem vernünftigen Wollen des Tieres geleitete, willkürliche, unberechenbare Verhalten des Tieres, das sich gerade als Ausdruck der gefährlichen tierischen Natur darstellt (RGZ 141, 406, 407; BGH, NJW 1976, 2130; NJW-RR 2006, 813). Hierunter fällt das artspezifische Verhalten von Bienen nicht, wobei es nicht darauf ankommt, dass es hier nicht um einen Ausflug der Bienen zwecks Blütenbefruchtung geht, sondern um einen alljährlich im Frühjahr erfolgenden sog. Reinigungsflug der Bienen. Auch dieser Reinigungsflug ist Teil des artspezifischen Verhaltens von Bienen (RGZ, a. a. O.). Die von der Berufung vorgenommene Differenzierung zwischen einerseits dem „Bienenüberflug als solchem“ und andererseits dem Reinigungsflug mit dem Abkotungsvorgang ist bei der Zuordnung zu artspezifischen und damit § 833 S. 1 BGB nicht unterfallenden Verhaltensweisen von Bienen unangebracht.

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2. Den Klägern steht auch kein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB zu. Es fehlt an der vorausgesetzten objektiven Rechtswidrigkeit der schädigenden Handlung, nämlich des Reinigungsfluges der Bienen, der nach der Behauptung der Kläger die aufgezeigten Verschmutzungen hervorgerufen haben soll. Zu Recht hat das Amtsgericht angenommen, dass die Kläger nach § 906 Abs. 1 S. 1 BGB zur Duldung eines Bienenüberflugs, mag es sich bei ihm auch um den frühjährlichen sog. Reinigungsflug handeln, verpflichtet sind. Aus dieser Duldungspflicht bzw. dem Fehlen eines Verbietungsrechtes der Kläger folgt, dass die Einwirkung nicht rechtswidrig i. S. d. §§ 823 ff. BGB ist (BGH, NJW 1992, 1389; NJW-RR 2000, 537; Palandt/Bassenge, 71. Aufl., § 906 BGB, Rn. 14).

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a) Anders als die Berufung meint, ist § 906 Abs. 1 S. 1 BGB nicht deshalb unanwendbar, weil zwischen dem „Bienenüberflug als solchem“ und dem Reinigungsflug mit Abkotungsvorgang zu unterscheiden wäre. Eine solche Unterscheidung legt § 906 Abs. 1 S. 1 BGB in dem maßgeblichen Merkmal der „ähnlich von einem anderen Grundstück ausgehende(n) Einwirkungen“ nicht nahe. Entgegen der Berufung ist der wachshaltige Bienenkot nicht als ein größerer, festkörperlicher Gegenstand (Grobimmission) anzusehen, der gemeinhin nicht unter den Begriff der „ähnlichen Einwirkung“ gefasst wird (Palandt/Bassenge, 71. Aufl., § 906 BGB, Rn. 5). Weder die Größenverhältnisse des Bienenkotes noch die in der Rechtsprechung anerkannten Beispiele für teils deutlich größere „ähnliche Einwirkungen“ (bspw. Laub, Nadeln, Fäkalien; vgl. Palandt/Bassenge, 71. Aufl., § 906 BGB, Rn. 11) legen eine Einordnung als Grobimmission nahe (so auch ausdrücklich für Bienenkot: RGZ 141, 406, 409). Diese Bewertung entspricht auch dem Sinn und Zweck des § 906 BGB, der das dem Eigentümer grundsätzlich zustehende Ausschließungsrecht (§ 903 BGB) mit den Bedürfnissen des praktischen Lebens in Einklang bringen will (RGZ 141, 406, 408 f.; BGH, Urteil vom 24.01.1992, Az. V ZR 274/90, juris-Rn. 7). Warum es, wie die Berufung meint, zwar möglich sein soll, dieses Anwendungsziel der Vorschrift für den Bienenflug zwecks Blütenbefruchtung zu verfolgen, hingegen beim sog. Reinigungsflug der Bienen § 906 BGB nicht eingreifen soll, ist nicht erklärbar.

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b) Nicht zu folgen vermag die Kammer der Berufung in ihrer Auffassung, wonach § 906 BGB keine Duldungspflicht der Kläger begründen könne, weil es sich bei dem sog. Reinigungsflug von Bienen nach dem Winter nicht um einen unkontrollierbaren und unbeherrschbaren Vorgang handele. Der abstrakte Ausgangspunkt dieses klägerischen Gedankengangs ist richtig: Unter § 906 BGB fallen grenzüberschreitende Einwirkungen, die in ihrer Ausbreitung weitgehend unkontrollierbar und unbeherrschbar sind (BGH, NJW 1992, 1389). Das trifft aber auf den Reinigungsflug von Bienen zu. Zwar behaupten die Kläger – insoweit dem dezidierten Vortrag des Beklagten zu den biologischen und zeitlichen Hintergründen des alljährlichen Reinigungsfluges von Bienen entgegentretend (vgl. S. 1 der Klageerwiderung und S. 3 des Beklagtenschriftsatzes vom 23.09.2011) -, es wäre dem Beklagten durchaus möglich und zumutbar gewesen, „die Bienenstöcke vor dem Ausfliegen vom Grundstück zum Feldrain zu bringen“. Sie verkennen dabei jedoch, wie sich aus allgemein zugänglichen Informationsquellen zu Bienen im Allgemeinen und zum Reinigungsflug im Besonderen ergibt (bspw. in der freien Enzyklopädie „Wikipedia“ oder auf der Website www.beeventure.de), dass der Zeitpunkt des Reinigungsfluges gerade nicht „fix“ ist, sondern witterungsabhängig variiert. Die Bienen verlassen den eigenen Stock üblicherweise ab Temperaturen von über 10 Grad Celsius im Frühjahr, manchmal aber auch noch im Winter, um sich Erleichterung zu verschaffen. In Einzelfällen kann es vorkommen, dass sie schon bei milden Wintertemperaturen die Beute verlassen, um den Reinigungsflug durchführen. Die Vorstellung der Kläger, der Zeitpunkt des anstehenden Reinigungsfluges lasse sich derart eingrenzen und gewissermaßen so punktgenau bestimmen, dass der Imker zu diesem vermeintlich exakt bestimmbaren Zeitpunkt die Beuten „ins freie Feld bzw. an den nahegelegenen Waldrand (…) tragen und den Ausflug dort (…) starten“ könne (S. 3 der Berufungsbegründung), deckt sich also nicht mit der naturgegebenen Realität. Was die Ausrichtung der Bienenstöcke (als potentiell beeinträchtigungsreduzierende Maßnahme) angeht, ist festzuhalten, dass die Bienen in der Regel nicht nur einseitig in eine einzige Richtung fliegen, mithin auch hierdurch ein Reinigungsflug von Bienen über dem Nachbargrundstück mit Abkotungsvorgang nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. bspw. die Information des Institutes für Bienenkunde, Celle, im Internet). Nach alledem kann von einem beherrsch- und kontrollierbaren Vorgang, wie ihn die Berufung in dem Ausfliegen der Bienen zwecks Reinigungsfluges sieht, nicht gesprochen werden.

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c) Richtigerweise hat das Amtsgericht eine wesentliche Benutzungsbeeinträchtigung verneint und damit eine Duldungspflicht nach § 906 Abs. 1 S. 1 BGB bejaht. Die von dem alljährlichen Reinigungsflug ausgehende Beeinträchtigung des klägerischen Grundstücks ist als nur unwesentlich zu bewerten.

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aa) Maßgeblich für die (Un-) Wesentlichkeit ist, wovon das Ausgangsgericht richtig ausgegangen ist, das Empfinden eines verständigen Durchschnittsbenutzers des betroffenen Grundstücks in seiner durch die Natur und seine Lage geprägten konkreten Beschaffenheit (Palandt/Bassenge, 71. Aufl., § 906 BGB, Rn. 17 m. w. N.). Bei Wohngrundstücken ist dabei in den Blickpunkt zu rücken, ob das Wohnen an Annehmlichkeit spürbar verliert und der Grundstückswert gemindert wird (BGH LM Nr. 64). Einmalige Einwirkungen sind dabei tendenziell als eher unwesentlich zu bewerten (OLG Schleswig, NJW-RR 1986, 884).

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bb) Daran gemessen spielt es sehr wohl, anders als die Berufung meint, eine Rolle, dass die (streitige) Einwirkung durch den Reinigungsflug der Bienen, nachdem der Beklagte die Beuten mit insgesamt 16 Bienenvölkern nunmehr im vierten Jahr auf dem Nachbargrundstück hält, erst einmal aufgetreten ist, nämlich im Frühjahr 2011. Auch ist es für die Beurteilung der (Un-) Wesentlichkeit von Bedeutung, dass der Beklagte mit (nur) 16 Bienenvölkern eine überschaubare, ortsübliche Bienenhaltung betreibt, von der mit dem alljährlichen Reinigungsflug eine artspezifisch-normale Einwirkung ausgeht. Die Ortsüblichkeit dieser Bienenhaltung hat das Amtsgericht auf S. 4 f. des angefochtenen Urteils, worauf zwecks Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, mit zutreffenden Erwägungen dargestellt und dabei in sachgerechter Weise den ländlichen Umgebungscharakter zugrunde gelegt.

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cc) Soweit die Berufung den abstrakten Satz aufstellt, bei einer „substantiellen Eigentumsverletzung“, die hier vorliege, komme es auf die Einmaligkeit der Beeinträchtigung nicht an, steht hier hinter eine Entscheidung des BGH (NJW 1999, 1029), in der es um sprengungsbedingte Erschütterungen ging, die einen erheblichen Sachschaden an einem Gebäude des beeinträchtigten Grundstücks verursacht hatten. Schon der dortige Sachverhalt lässt erkennen, wie massiv und gewichtig die Eigentumsverletzung/-beschädigung sein muss, um zu der von der Berufung vertretenen Bewertung zu gelangen. Hier liegt ein vergleichbarer Sachverhalt nicht vor. Das gilt umso mehr, als die zuletzt zur Gerichtsakte gereichten Farbbilder (angegebenes Aufnahmedatum: 16.04.2012) erkennen lassen, dass die nach Behauptung der Kläger ausschließlich vom Abkotungsüberflug herrührenden Flecken im Bereich des Haustürvordaches und des Pooldaches nicht (mehr) so massiv ins Auge springen, sondern offenbar witterungsbedingt in ihrem äußeren Erscheinungsbild abgemildert sind. Dass auf den aktuellsten Fotos hingegen bei einem Heranzoomen jedes einzelnen Dachziegels des Hausdaches die Flecken recht groß erscheinen, hängt erkennbar mit der optischen Perspektive zusammen, was sich auch im Vergleich zu dem Foto der Haustürüberdachung zeigt, auf dem ein Ausschnitt des Daches mit üblicher Sichtentfernung zu sehen ist; auf diesem Bild ist mit dem bloßen Auge eine nennenswerte, optisch ins Gewicht fallende Verschmutzung nicht zu erkennen.

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dd) Die Kammer sieht sich bei dieser Bewertung der aufgezeigten Verschmutzungen als nur unwesentliche Beeinträchtigung im Einklang mit der Rechtsprechung, nicht nur der des Reichsgerichtes (RGZ 141, 406, 409 f.), sondern auch der der Verwaltungsgerichte zum baurechtlichen Rücksichtnahmegebot. So hat der VGH Mannheim in einem Urteil vom 11.11.1993 (Az. 5 S 2352/92) zur Zulässigkeit einer Bienenhaltung auf einem Außenbereichsgrundstück ausgeführt, die bei einem Reinigungsflug möglichen Verschmutzungen im Bereich des Nachbargrundstücks könnten „allenfalls“ als „eine Unannehmlichkeit“ angesehen werden, „die nicht den Grad einer qualifizierten Störung erreicht, wie sie für eine Verletzung des Rücksichtnahmegebotes erforderlich ist“ (BauR 1994, 210, 212).

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d) Mangelt es demnach an einer wesentlichen Beeinträchtigung, so kommt es auf den von der Berufung in den Fokus gerückten § 906 Abs. 2 S. 1 BGB nicht an, der unter bestimmten Voraussetzungen einen Abwehranspruch trotz einer wesentlichen Benutzungsbeeinträchtigung für ausgeschlossen erklärt. Davon unabhängig gilt hinsichtlich des Vorbringens der Kläger, der Beklagte könne durch zumutbare Maßnahmen die Beeinträchtigung durch einen Reinigungsüberflug der Bienen verhindern, das oben im Zusammenhang mit der (vermeintlichen) Beherrschbarkeit des Reinigungsüberflugs Gesagte: Es ist nach den natürlich-biologischen Rahmenbedingungen eben nicht einfach möglich, die Bienenkörbe zu einem vermeintlich fixierbaren Zeitpunkt „ins freie Feld bzw. an den nahegelegenen Waldrand zu tragen und den Ausflug dort zu starten“ (S. 3 der Berufungsbegründung).

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3. Einem nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch der Kläger aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB steht die mangelnde Wesentlichkeit der Beeinträchtigung entgegen. Überdies wäre unter den oben im Zusammenhang mit der (Un-) Wesentlichkeitsfrage erörterten Wertungsgesichtspunkten eine unzumutbare Beeinträchtigung der ortsüblichen Benutzung des in einer ländlichen Gegend belegenen Klägergrundstücks zu verneinen.

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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10 ZPO n. F.

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5. Die Revision war nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO vorliegt.

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