VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.04.2016 – 9 S 582/16
Bei Personen mit Asperger-Syndrom auftretende sog. Overloads (akute Reizüberflutung infolge autistischer Filterstörung) sind grundsätzlich nicht geeignet, eine zum Prüfungsrücktritt berechtigende Prüfungsunfähigkeit im Rechtssinne zu begründen.
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt … …, … …, … …, wird abgelehnt.
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 25. Februar 2016 – 1 K 270/16 – wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500,– EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit §§ 114 ff. ZPO hat keinen Erfolg. Denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten ist zu berücksichtigen, dass Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes gebietet. Es ist zwar verfassungsrechtlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll allerdings nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Dies bedeutet zugleich, dass Prozesskostenhilfe nur verweigert werden darf, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 22.05.2012 – 2 BvR 820/11 -, Juris Rn. 10; stRspr.).
Ein Erfolg der gemäß § 146 Abs. 1 VwGO statthaften und auch sonst zulässigen Beschwerde gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes durch das Verwaltungsgericht erscheint fernliegend.
1. Die von der Antragstellerin dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, ergeben nicht, dass das Verwaltungsgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Unrecht abgelehnt hat.
Das Verwaltungsgericht hat entschieden, dass die Antragstellerin keinen Anordnungsanspruch auf vorläufige Anerkennung ihres Rücktritts von der Wiederholungsprüfung „Kristalle – Minerale – Gesteine II“ am 21.07.2015 und der Modulabschlussprüfung „Raum und Zeit“ am 22.07.2015 und auf vorläufige (weitere) Zulassung zu diesen Prüfungen glaubhaft gemacht hat. Die Antragsgegnerin dürfte nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich ausreichenden summarischen Prüfung zu Recht angenommen haben, dass ein krankheitsbedingter Rücktrittsgrund im Sinne von § 23 Abs. 2 der Prüfungsordnung für den Studiengang Bachelor of Science (B. Sc.) bei den Prüfungen am 21.07.2015 und 22.07.2015 nicht vorgelegen habe. Die Einschätzung der Antragsgegnerin, aus dem vorgelegten Attest vom 21.07.2015 lasse sich keine über die – unbestrittene – Grunderkrankung der Antragstellerin hinausgehende krankheitsbedingte Prüfungsunfähigkeit ableiten, halte auch unter Berücksichtigung des im Gerichtsverfahren vorgelegten Attests von Dr. R. vom 26.01.2016 der gerichtlichen Überprüfung stand. Die krankheitsbedingte Prüfungsunfähigkeit, welche einen Rücktritt begründen könne, sei vom so genannten Dauerleiden zu unterscheiden. Entgegen der von der Antragsgegnerin vertretenen Auffassung könne es auch im Rahmen eines Dauerleidens damit verbundene „Krankheitsspitzen“ geben, die zu einer krankheitsbedingten Prüfungsunfähigkeit führen könnten. Eine akute Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes durch eine solche „Krankheitsspitze“ müsse jedoch Leistungseinschränkungen nach sich ziehen, die sich von den gewöhnlichen Leistungseinschränkungen, denen der Prüfling aufgrund seines Dauerleidens ausgesetzt sei, deutlich abhöben. Das im Attest vom 21.07.2015 beschriebene Krankheitsbild unterscheide sich nicht vom Dauerleiden als genereller Einschränkung der Leistungsfähigkeit der Antragstellerin. Wie sich aus den im Rahmen von Anträgen auf Gewährung eines Nachteilsausgleichs vorgelegten Stellungnahmen der behandelnden Ärzte ergebe, leide diese an einem Asperger-Syndrom, welches sich bei ihr u.a. durch Reizüberflutung, Konzentrationsschwierigkeiten und Probleme bei der Aufmerksamkeitslenkung zeige. Insbesondere könne häufig ein sogenannter Overload auftreten, wobei die Antragstellerin nicht mehr in der Lage sei, die Reize zu filtern. Genau wegen dieser Schwierigkeiten sei ihr bei schriftlichen Prüfungen ein Nachteilsausgleich in Form von Schreibverlängerungen und der Zurverfügungstellung eines separaten Raums gewährt worden. Dem Attest könne nicht entnommen werden, dass das Grundleiden kurzzeitig ein Ausmaß angenommen habe, welches die damit verbundenen Leistungseinschränkungen erheblich verstärkten. Auch dem Attest vom 26.01.2016 könne nicht entnommen werden, dass die Leistungsfähigkeit der Antragstellerin krankheitsbedingt derart eingeschränkt gewesen sei, dass eine Prüfungsunfähigkeit vorgelegen habe. Die danach bei ihr festgestellten Leistungseinschränkungen (verlängerte Antwortlatenzen, Konzentrationsschwierigkeiten, Probleme mit Selbstorganisation und Aufmerksamkeitslenkung, Reizüberflutung und deutlicher Anspannungszustand) entsprächen genau dem, was ihr Grundleiden ausmache und zur Gewährung des Nachteilsausgleichs geführt habe.
Die mit der Beschwerde vorgetragenen Gründe sind nicht geeignet, die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Antragstellerin habe keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, in Frage zu stellen.
Nach § 23 Abs. 2 Satz 1 der (Rahmen-)Prüfungsordnung der Antragsgegnerin für den Studiengang Bachelor of Science, der gemäß § 1 Abs. 2 auch für den hier einschlägigen Studiengang „Geowissenschaften“ gilt (vgl. Anlage A A.I.2.A), wird der Rücktritt auf schriftlichen Antrag genehmigt, wenn ein Studierender/eine Studierende wegen Krankheit oder aus einem anderen wichtigen Grund gehindert ist, eine Prüfung fristgemäß abzulegen. Eine krankheitsbedingte Prüfungsunfähigkeit kommt danach grundsätzlich als Rücktrittsgrund in Betracht. Denn gesundheitliche Beeinträchtigungen, die eine erhebliche Verminderung der Leistungsfähigkeit während der Prüfung bewirken, würden zu einem Prüfungsergebnis führen, das nicht die durch die Prüfung festzustellende wirkliche Befähigung des Kandidaten wiedergäbe. Um die hierin liegende Beeinträchtigung der Chancengleichheit des Prüflings zu verhindern, ist deshalb anerkannt, dass ein durch Erkrankung prüfungsunfähiger Kandidat die Möglichkeit besitzt, von der Prüfung zurückzutreten und diese ohne Anrechnung auf bestehende Wiederholungsmöglichkeiten neu zu beginnen (vgl. Senatsbeschluss vom 02.04.2009 – 9 S 502/09 -, juris, m.w.N.; Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 6. Auflage 2014, Rn. 249 ff.).
Anknüpfungspunkt der Anerkennung entsprechender Beeinträchtigungen für den Rücktritt ist dabei, dass die im Zustand der Erkrankung erbrachte Prüfung nicht die „normale“ Leistung des Prüflings widerspiegelt. Keine Prüfungsunfähigkeit in diesem Sinne kann deshalb angenommen werden, wenn die Beeinträchtigung auf einer in der Person des Prüflings liegenden generellen Einschränkung seiner Leistungsfähigkeit beruht. Bei einem derartigen „Dauerleiden“ handelt es sich um eine erhebliche Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes, die die Einschränkung der Leistungsfähigkeit trotz ärztlicher Hilfe bzw. des Einsatzes medizinisch-technischer Hilfsmittel nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft bedingt (vgl. Senatsbeschluss vom 09.03.2015 – 9 S 412/15 -, VBlBW 2015, 514; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 03.12.2015 – 14 B 1292/15 -, juris). Dauerleiden sind inhaltlich prüfungsrelevant, wenn sie eine in der Person des Prüflings auf unbestimmte Zeit begründete generelle Einschränkung seiner durch die Prüfung festzustellenden Leistungsfähigkeit darstellen. Dadurch wird der Aussagewert des Ergebnisses der Leistungskontrolle nicht verfälscht, sondern der Sache nach bekräftigt, weil das Dauerleiden als persönlichkeitsbedingte Eigenschaft und generelle Einschränkung der Leistungsfähigkeit das normale und reguläre Leistungsbild des Prüflings bestimmt (Senatsbeschlüsse vom 09.03.2015 und vom 02.04.2009, jeweils a.a.O.; Niehues/Fischer/Jeremias, a.a.O., Rn. 258). Die Frage, ob eine gesundheitliche Beeinträchtigung zu einer Prüfungsunfähigkeit im Rechtssinne führt, macht daher die Unterscheidung erforderlich, ob es sich um eine aktuelle und zeitweise Beeinträchtigung des Leistungsvermögens handelt oder ob die Leistungsminderung auf ein „Dauerleiden“ zurückgeht, dessen Behebung nicht in absehbarer Zeit erwartet werden kann und das deshalb auch bei der Feststellung der Leistungsfähigkeit des Prüflings berücksichtigt werden muss (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 03.07.1995 – 6 B 34.95 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 352, und vom 13.12.1985 – 7 B 210.85 -, juris; Senatsbeschlüsse vom 09.03.2015 und vom 02.04.2009, jeweils a.a.O.; Niehues/Fischer/Jeremias, a.a.O., Rn. 258).
Ob die Voraussetzungen der Prüfungs(un)fähigkeit gegeben sind, ist eine Rechtsfrage, die die Prüfungsbehörde anhand des von ihr ermittelten Sachverhaltes in eigener Verantwortung zu beantworten hat (vgl.BVerwG, Beschlüsse vom 14.07.2004 – 6 B 30.04 -, und vom 06.08.1996 – 6 B 17.96 -, jeweils juris). Entsprechendes gilt im Hinblick auf das Vorliegen eines Dauerleidens. Auch insoweit hat die Prüfungsbehörde in eigener Verantwortung eine prüfungsrechtliche Würdigung der ärztlicherseits beschriebenen Umstände und Auswirkungen einer Erkrankung auf das Leistungsvermögen des Prüflings in der Prüfung vorzunehmen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 06.08.1996, a.a.O.; Niehues/Fischer/Jeremias, a.a.O., Rn. 278).
Mit dem Beschwerdevorbringen wird nicht aufgezeigt, dass das Verwaltungsgericht die von der Antragstellerin hinsichtlich der Prüfungstermine am 21. und 22.07.2015 geltend gemachten körperlichen Beeinträchtigungen im Ergebnis zu Unrecht als „Dauerleiden“ eingestuft hat.
Die Antragstellerin bringt vor, Dr. R. habe in seiner ergänzenden ärztlichen Stellungnahme vom 26.01.2016 ausgeführt, der „akute (sensorische) Overload“ unterscheide sich vom Asperger-Syndrom und sei mit diesem keineswegs identisch. Der Overload sei ein akuter Zustand, der einen meist klar definierten Anfang und ein meist klar definiertes Ende habe. In der Stellungnahme wie auch in dem Attest vom 21.07.2015 werde erläutert, dass es sich um eine zeitlich begrenzte, vorübergehende Beeinträchtigung handele. Damit wird indes gerade nicht belegt, dass es sich bei den sog. „Overloads“ um Leistungsbeeinträchtigungen handelt, die unabhängig von der bei der Antragstellerin unstreitig bestehenden chronischen Grunderkrankung des „Asperger-Syndroms“ auftreten und etwa einer anderen Erkrankung zuzuordnen wären. In dem Attest vom 21.07.2015, mit dem der Antrag der Antragstellerin auf Genehmigung des Rücktritts von den Prüfungen begründet wurde, hat Dr. R. die bei der Untersuchung der Antragstellerin festgestellten „Krankheitssymptome/Art der Leistungsbeeinträchtigung“ explizit mit „Asperger-Syndrom – akuter overload (Syndrom akuter Reizüberflutung infolge autistischer Filterstörung)“ bezeichnet. In seiner ärztlichen Stellungnahme vom 26.01.2016 erläutert er den Zusammenhang von Grunderkrankung und „Overload“ wie folgt:
„…Vom Asperger-Syndrom selbst unterscheidet sich der sogenannte „Overload“, bei dem es sich um eine Überlastung des reizverarbeitenden Systems im Gehirn durch sensorische Reize führt (Vgl. Attwood, T.: Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom; Stuttgart: Trias-Verlag). Overload-Zustände sind prinzipiell bei verschiedenen Erkrankungen möglich und können in Extremsituationen sogar bei Normalpersonen auftreten. Bei Menschen mit einem Asperger-Syndrom treten Overloads gehäuft auf, da aufgrund der Erkrankung die vorbewusst arbeitenden Reizfilter deutlich schlechter funktionieren als bei gesunden Menschen. I. R. der fehlenden oder reduzierten Filterfunktion dringen mehr sensorische Reize ins Bewusstsein durch und müssen vom Betreffenden dann auch bewusst verarbeitet werden, wodurch das informationsverarbeitende System dann rasch überlastet ist.
Symptome eines sensorischen Overloads sind Anspannungszustände, ein Eindruck von „Weggetretenheit“, verlängerte Antwortlatenzen bis hin zum Mutismus (kurzfristiges Wegbleiben der aktiven Sprache), Störungen der Konzentration und Aufmerksamkeitslenkung, ein erhöhter Stresslevel und im Extremfall Dissoziationen. Die Fähigkeit zur Selbstorganisation und Priorisierung von Aufgaben lässt im Zustand eines sensorischen Overloads deutlich nach. Aufgrund der reduzierten Fähigkeit zur Konzentration und Aufmerksamkeitslenkung, sowie aufgrund der reduzierten Fähigkeiten im Bereich Priorisierung und Selbstorganisation liegt aus ärztlicher Sicht im Zustand des Overloads eine erhebliche Beeinträchtigung des Leistungsvermögens akut vor.…“
Insbesondere die fachärztliche Aussage, bei Menschen mit einem Asperger-Syndrom träten Overloads gehäuft auf, da aufgrund der Erkrankung die vorbewusst arbeitenden Reizfilter deutlich schlechter funktionierten als bei gesunden Menschen, spricht hier für das Vorliegen eines spezifischen und engen Zusammenhangs zwischen der chronischen Grunderkrankung und der „Krankheitsspitze“ des Overloads. Danach stellt die fehlende oder reduzierte Filterung von Reizen ein typisches und dauerhaftes Merkmal bei Menschen mit Asperger-Syndrom dar. Dass dieses Merkmal bei der Antragstellerin auch in „normalen“ Phasen der Erkrankung erhebliche Wahrnehmungsstörungen und damit prüfungsrelevante Beeinträchtigungen der geistigen Leistungsfähigkeit auslöst, wird durch die Atteste bzw. ärztlichen Stellungnahmen bestätigt, die zur Begründung von Anträgen der Antragstellerin auf Gewährung eines Nachteilsausgleichs vorgelegt wurden und die dazu führten, dass ihr bei schriftlichen Prüfungen ein Nachteilsausgleich in Form von Schreibzeitverlängerungen und der Zurverfügungstellung eines separaten Raumes gewährt wurden. So hat Dr. R. in seinem Ärztlichen Attest vom 10.12.2013 einen generellen Nachteilsausgleich für das Studium der Antragstellerin für indiziert gehalten und dabei u.a. gefordert, dass diese Prüfungen in einem separaten, eigenen und ruhigen Raum durchführen könne, „um nicht durch die Reize permanent abgelenkt zu sein.“ Auch sollten schriftliche Prüfungen um 20 % verlängert werden, da die Antragstellerin aufgrund ihres Asperger-Syndroms weniger schnell die wesentlichen Punkte eine Prüfungsfrage erfasse und deswegen mehr Zeit benötige, um sie zu strukturieren. In einer an das Prüfungsamt der Antragsgegnerin gerichteten E-Mail vom 13.01.2014 hat Dr. R. auszugsweise ergänzend mitgeteilt:
„…ad 1) Im Rahmen des Asperger-Syndroms fehlt Frau … weitgehend die Fähigkeit, Reize zu filtern. Sie ist deutlich schlechter als normale Personen in der Lage, Störreize zu ignorieren, z.B. Nebengeräusche in einer Prüfung.
ad 2) und 3) Die Fähigkeit zur (intuitiven) Erfassung dessen, was wichtig oder relevant ist und was nicht, ist bei Frau … durch das Asperger-Syndrom (AS) deutlich reduziert. Menschen mit AS neigen dazu, sich massiv in Details zu verzetteln, sofern sie nicht bewusst gegensteuern. Aus diesem Grund muss der Prozess der Priorisierung vollständig bewusst ablaufen und braucht dementsprechend sehr viel mehr Zeit und kognitive Anstrengung als bei Normalpersonen.…“
Entsprechende Aussagen finden sich in einem Attest desselben Arztes vom 16.03.2015 zu einem früheren Antrag auf Nachteilsaugleich (Behördenakte, S. 170 bis 172).
Auf der Grundlage dieser Stellungnahmen des Arztes, der die Antragstellerin im Rahmen der am Universitätsklinikum Freiburg, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, eingerichteten Spezialsprechstunde für das Asperger-Syndrom behandelt, besteht für den Senat nach Aktenlage kein Zweifel daran, dass insbesondere die fehlende oder reduzierte Filterung von Reizen sowie die Priorisierungsmängel und die damit verbundenen Einschränkungen der geistigen Leistungsfähigkeit das normale bzw. reguläre Leistungsbild der Antragstellerin prägen. Dass es bei der Antragstellerin Phasen unterschiedlich starker Leistungseinschränkungen gibt bis hin zu dem – gegenüber „Normalpersonen“ gehäuft auftretenden – sog. Overload, ändert nichts daran, dass dies auf einer persönlichkeitsbedingten Eigenschaft (Asperger-Syndrom) und einer generellen Einschränkung ihrer Leistungsfähigkeit beruht. Jedenfalls ein in diesem Sinne „schwankendes Krankheitsbild“ rechtfertigt die Annahme eines Dauerleidens. Auch der wegen eines Overloads fehlgeschlagene Prüfungsversuch bleibt die Folge einer die Persönlichkeit prägenden und deshalb nicht irregulären Leistungsbeeinträchtigung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.12.1985, a.a.O.). Darauf, ob der Overload der „typische dauerhafte Zustand der Antragstellerin als Asperger-Autistin“ ist, kommt es nicht an. Ob ein „Dauerleiden“ die Leistungsfähigkeit des Prüflings auch dann prägt, wenn dieses ein schwankendes Krankheitsbild aufweist mit Stadien, in denen das Leistungsvermögen des Prüflings (überhaupt) nicht eingeschränkt ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13.12.1985, a.a.O.; juris; VG Berlin, Urteil vom 11.02.2015 – 12 K 100.14 -, juris), bedarf hier keiner Entscheidung.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der im Beschwerdeverfahren vorgelegten neuerlichen Stellungnahme des Dr. R vom 15.03.2016. Zwar ist dieser die – vor dem Hintergrund der angefochtenen Entscheidung nachvollziehbare – Tendenz zu entnehmen, die die bei der Antragstellerin infolge des Grundleidens dauerhaft bestehenden Beeinträchtigungen abzuschwächen und die Beeinträchtigungen während sog. Overloads insbesondere in zeitlicher Hinsicht (in den letzten Jahren zwei bis drei Mal pro Jahr meist zwei bis drei Tage andauernd) hiervon deutlich abzugrenzen und herauszustellen („aus medizinischer Sicht mit Bestimmtheit nicht als Dauerzustand im Rahmen des Grundleidens Asperger-Syndrom zu betrachten, sondern als selten auftretende Krankheitsspitze“). Mit den dortigen Angaben wird allerdings der oben festgestellte spezifische Sachzusammenhang zwischen den bei der Antragstellerin mit dem Asperger-Syndrom an sich einhergehenden Leistungseinschränkungen und den Beeinträchtigungen in Phasen des Overloads nicht ernsthaft in Frage gestellt. Auch diese Stellungnahme lässt an der generellen Anfälligkeit der Antragstellerin für Reizüberflutung keinen Zweifel. Weiter heißt es dort, Aufmerksamkeitslenkung und Priorisierung seien im Rahmen des Asperger-Syndroms „durchweg schwierig, i.R. des akuten Overloads verschlechtert sich auch in diesem Bereich die Funktionsfähigkeit noch einmal zusätzlich deutlich.“ Soweit einzelne Aussagen („Ebenso leidet sie keineswegs unter dauerhaften Konzentrationsstörungen, …“; „Es sei abschließend hervorgehoben, dass insbesondere die Konzentrationsfähigkeit Frau …, sofern sie nicht reizüberflutet ist, weitgehend als normal zu betrachten ist, ..“) möglicherweise im Widerspruch zu früheren Äußerungen des Arztes im Zusammenhang mit den Anträgen auf Nachteilsausgleich stehen sollten, misst ihnen der Senat keine maßgebliche Bedeutung zu. Dies gilt erst recht mit Blick darauf, dass sich die ärztlichen Äußerungen im Rahmen der Verfahren auf Gewährung eines Nachteilsausgleichs gerade auf die Leistungseinschränkungen bezogen, die bei der Antragstellerin im Hinblick auf die Prüfungssituation als Folge des Asperger-Syndroms zu prognostizieren waren und denen deshalb im vorliegenden Zusammenhang besondere Relevanz zukam. In der Stellungnahme vom 15.03.2016 enthaltenen Angaben des behandelnden Arztes zum Alltagsverhalten („Üblicherweise antwortet Frau … flüssig auf Fragen…“; „…dass insbesondere die Konzentrationsfähigkeit Frau … … weitgehend als normal zu betrachten ist“) kommt demgegenüber eine geringere Aussagekraft zu.
Vor diesem Hintergrund ist auch das Beschwerdevorbringen, Asperger-Autisten könnten sich bei reizfreier Umgebung gerade sehr gut und sehr lange am Stück konzentrieren und der gewährte Nachteilsausgleich solle den Eintritt eines Overloads verhindern, könne aber einen eingetretenen und akuten Overload nicht „reparieren“, nicht geeignet, die gerichtliche Einschätzung in Frage zu stellen. Gerade die Zielrichtung des Nachteilsausgleichs, den Eintritt eines Overloads zu verhindern, belegt im Übrigen den engen sachlichen Zusammenhang zwischen den dauerhaften Leistungseinschränkungen und den Beeinträchtigungen durch einen Overload.
2. Auch der Einwand, das Verwaltungsgericht hätte zumindest feststellen müssen, dass der Widerspruch gegen den Bescheid vom 23.11.2015 aufschiebende Wirkung hat, verfängt nicht. Entgegen der Rechtsansicht der Antragstellerin entfaltet der Widerspruch nicht etwa aufschiebende Wirkung mit der Folge, dass diese weiterhin rechtlich als zugelassene Studentin zu gelten hätte. Sachdienliche Klageart bezüglich des negativen Prüfungsbescheids ist allein die Verpflichtungsklage, der gemäß § 80 Abs. 1 VwGO keine aufschiebende Wirkung zukommt (vgl. nur Senatsbeschluss vom 11.09.1986 – 9 S 2171/86 -, juris).
II.
Aus den genannten Gründen erweist sich die Beschwerde ebenfalls als erfolglos.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 36.4 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs 2013 (VBlBW 2014, Sonderbeilage zu Heft 1). Der danach anzusetzende Ausgangswert von 5.000,– EUR ist im Hinblick auf den vorläufigen Charakter des Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes zu halbieren (vgl. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs).
Hinsichtlich des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe bedarf es weder einer Kostenentscheidung noch einer Streitwertfestsetzung, weil das Prozesskostenhilfeverfahren eine Kostenerstattung nicht kennt (vgl. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO).
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO sowie § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG hinsichtlich der Streitwertfestsetzung).