SG Düsseldorf zur Erstattung der Kosten eines Magenbypasses wegen Adipositas

SG Düsseldorf, Urteil vom 29.01.2013 – S 11 KR 680/11

Zur Erstattung der Kosten eines Magenbypasses wegen Adipositas

Tenor

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 25.01.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.06.2011 verurteilt, die Kosten des Klägers für eine minimalinvasive Magenverkleinerung zu übernehmen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Kostenübernahme für eine Magenverkleinerung wegen Adipositas.

Der am 00.00.1970 geborene Kläger ist bei der Beklagten versichert. Bei einer Körpergröße von 1,68 m wog er im November 2010 173 kg, was einem Body Mass Index (BMI) von 54,6 kg/m² entspricht. Es handelt sich hierbei um eine Adipositas III. Grades. Bei dem Kläger ist darüber hinaus seit ca. 2009 ein Diabetes mellitus bekannt.

Er beantragte im November 2010 bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Magenbypassoperation. Der Kläger legte insoweit einen Bericht des Chirurgen T vom E1 Krankenhaus E2 mit einer Empfehlung der beantragten Operation sowie weitere Berichte seiner behandelnden Ãrztin N1 und des Arztes E3 vor. Nachdem der Kläger auf Veranlassung der Beklagten Fragebögen zu seinem Essverhalten ausgefüllt hatte, beauftragte die Beklagte den MdK. Dieser gab in seinem Gutachten vom 14.12.2010 an, dass bei dem Kläger ein Nachweis der Durchführung verschiedener Behandlungen bzw. Therapien fehle. Es müsse die endokrinologische Diagnostik komplettiert werden, und eine fachpsychiatrische oder fachpsychologische Vorstellung werde erbeten zum Ausschluss einer Kontraindikation im Vorfeld der adipositaschirurgischen Maßnahme. Ferner fehle ein Nachweis über eine multimodale konservative Therapie über mindestens 6 Monate mit den Säulen Verhaltenstherapie, Bewegungstherapie, wie beispielsweise Wassergymnastik oder Schwimmen und Ernährungstherapie, insbesondere auch die Vorlage eines Ernährungstagebuches, welches konsequent über 7 Tage geführt sein müsste.

Mit Bescheid vom 25.01.2011 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für die Magenbypassoperation ab. Zur Begründung führte sie aus, dass nach dem Gutachten des MdK eine Kostenübernahme zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu empfehlen sei, da die konservativen Therapiemaßnahmen noch nicht in angemessener Weise zur Anwendung gekommen seien. Voraussetzung für eine erneute Prüfung des Antrags sei der kontinuierliche Versuch einer Gewichtsreduktion über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten. Dazu gehörten die Durchführung einer gezielten Ernährungsberatung, Maßnahmen der Bewegungstherapie und eine Verhaltenstherapie.

Dagegen erhob der Kläger unter dem 11.02.2011 Widerspruch und machte geltend, dass nicht chirurgische Therapieoptionen in der Gruppe der Übergewichtigen, zu denen er mit seinem massiven Übergewicht gehöre, allein keine Aussicht auf Erfolg hätten. Bei der Höhe seines Übergewichts sei die begehrte Operation die „ultima ratio“. Denn er leide übergewichtsbedingt an einem erhöhten spontanen Herzinfarktrisiko, einem Diabetes mellitus und einer degenerativen Überlastung seines gesamten Bewegungsapparates.

Die Beklagte legte den Vorgang erneut dem MdK vor. Dieser teilte in seinem Gutachten vom 14.04.2011 mit, dass die medizinischen Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung solange nicht erfüllt seien, bis nicht beispielsweise ein ausführliches Ernährungstagebuch vorgelegt werde. Zudem müsse durch Bescheinigung nachgewiesen werden, dass beispielsweise an einem Diätprogramm über einen längeren Zeitraum teilgenommen worden sei oder auch die Selbsthilfegruppe in einer bestimmten Einrichtung regelmäßig besucht worden sei. Bei dem vorliegenden BMI von 54,6 kg/m² werde aus sozialmedizinischer Sicht die konservative Ausschöpfung zur Gewichtsreduktion empfohlen. Hierbei sei der Nachweis einer multimodalen Behandlung über mindestens 6 Monate zu fordern ebenso wie die obligate psychiatrisch/psychotherapeutische Stellungnahme auf Basis des MdK-Fragebogens.

Dem Widerspruch des Klägers gab die Beklagte nicht statt, sondern wies ihn mit Widerspruchsbescheid vom 16.06.2011 zurück. Darin führte die Beklagte ergänzend aus, dass der Kläger zwar in der Vergangenheit verschiedene Versuche unternommen habe, um eine Gewichtsreduzierung zu erreichen. Eine kontinuierliche, strukturierte und langfristig angelegte ambulante Therapie im Rahmen eines interdisziplinären Gesamtkonzepts sei jedoch nicht durchgeführt worden. Da die geforderten konservativen Behandlungsmethoden bisher nicht ausreichend ausgeschöpft worden seien, seien die Voraussetzung für eine Kostenübernahme des beabsichtigten Adipositas chirurgischen Eingriffs nicht erfüllt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe des Bescheides (Bl. 41 – Bl. 42 der Verwaltungsakten) Bezug genommen.

Der Kläger hat dagegen unter dem 14.07.2011 Klage erhoben und erneut darauf hingewiesen, dass er bereits in der Vergangenheit mehrfach Diätversuche und Maßnahmen zur Gewichtsreduktion (so bspw. in 1985, 1993, 1994) erfolglos absolviert habe. Insoweit sei bei ihm der begehrte Eingriff die ultima ratio.

Der Kläger beantragt daher,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25.01.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.06.2011 zu verurteilen, die Kosten für eine minimalinvasive operative Magenverkleinerung zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie weist darauf hin, dass keinesfalls bestritten werde, dass u.a. auch zur Verbesserung der Begleiterkrankungen beim Kläger eine Gewichtsreduktion erforderlich sei. Dieses hätten auch die Ärzte in vorgelegten Berichten wiederholt bestätigt. Tatsache sei jedoch auch, dass eine Gewichtsreduktion auf verschiedenen Wegen erreicht werden könnte. Die Kostenübernahme für eine chirurgische Therapie der Adipositas sei an bestimmte Voraussetzungen gebunden. Diese seien nach Auffassung der Beklagten nicht erfüllt. Es sei zu prüfen, ob die beim Kläger beabsichtigte Operation die letzte Behandlungsoption (ultima ratio) darstelle. Es werde nicht bestritten, dass der Kläger bereits in der Vergangenheit verschiedene Versuche unternommen habe, sein Gewicht zu reduzieren. Es sei jedoch unter Berücksichtigung der vorgelegten Unterlagen nicht erkennbar, dass mindestens über einen Zeitraum von 6 Monaten eine Diät unter ärztlicher Aufsicht durchgeführt worden sei. Eine derartige multimodale Therapie sei jedoch vor Inanspruchnahme eines chirurgischen Eingriffs erforderlich.

Das Gericht hat zunächst Befundberichte über den Gesundheitszustand des Klägers von dem behandelnden Chirurgen/Proktologen I, vom Orthopäden N2 sowie von der behandelnden Ärztin N1 eingeholt. Nach einer daraufhin erfolgten erneuten Stellungnahme des MdK vom 19.01.2012 hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens und zwar auf internistischem Gebiet von H-M. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt dieses Gutachtens vom 13.08.2012 (Bl. 93 – Bl. 106 der Gerichtsakten), welches den Beteiligten vorab schriftlich mitgeteilt worden ist, Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakten der Beklagten, den Kläger betreffend, Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Kläger ist durch den Bescheid der Beklagten vom 25.01.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.06.2011 in seinen Rechten im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beschwert. Er hat Anspruch auf die von ihm begehrte minimalinvasive operative Magenverkleinerung wegen Adipositas als Sachleistung.

Rechtsgrundlage für die mit der Klage beanspruchte Sachleistung ist § 27 Abs. 1 S. 1 des Sozialgesetzbuches Fünftes Buch (SGB V). Danach haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn diese notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die bei dem Kläger bestehende Adipositas hat Krankheitswert. In der Medizin besteht Einigkeit darüber, dass bei starkem Übergewicht (im Allgemeinen ab einem BMI größer als 30) eine Behandlung mit dem Ziel der Gewichtsreduktion erforderlich ist, weil andernfalls ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Begleit- oder Folgeerkrankungen besteht (BSGE 90, 289 ff.).

Die Leistungspflicht der Krankenversicherung für eine chirurgische Therapie dieser Krankheit kann im vorliegenden Fall nicht mit der Begründung verneint werden, dass der Kläger konservative Maßnahmen nicht ausgeschöpft habe, insbesondere eine sogenannte multimodale Therapie nicht absolviert habe. Denn soweit die chirurgische Behandlung der extremen Adipositas voraussetzt, dass bei dem jeweiligen Versicherten die Indikation einer solchen Therapie gegeben ist, kann das Behandlungsziel einer Gewichtsreduktion auf verschiedenen Wegen erreicht werden. Eine vollstationäre chirurgische Behandlung kommt nur dann in Betracht, wenn sie unter Berücksichtigung der Behandlungsalternativen (diätische Therapie, Bewegungstherapie, medikamentöse Therapie, Psychotherapie) notwendig und wirtschaftlich ist (§ 12 Abs. 1, § 39 Abs. 2 S. 1 SGB V) und nach dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Diskussion aus medizinischer Sicht die Voraussetzungen für eine chirurgische Intervention gegeben sind. Nach den Leitlinien der Fachgesellschaften (z.B. Leitlinie der deutschen Adipositas-Gesellschaft) wird eine minimalinvasive operative Magenverkleinerung nur als ultima ratio gewährt (BSG, a.a.O.; LSG NRW vom 03.11.2005, Az.: L 5 KR 173/04).

Bei dem Kläger ist die beantragte operative Magenverkleinerung durchzuführen, denn sie ist als letzte Behandlungsmöglichkeit im Sinne der oben genannten Rechtsprechung medizinisch notwendig. Dieses ergibt sich zur Überzeugung der Kammer aus dem von Amts wegen eingeholten Gutachten der Sachverständigen Frau H-M vom 13.08.2012.

Der Kläger hat alternative Behandlungsmethoden, wie auch die Beklagte im Übrigen nicht bestreitet, durchgeführt. Die Sachverständige H-M hat sich in ihrem Gutachten mit den vom MdK zur Verfügung gestellten Gutachten, den von dem Kläger vorgelegten medizinischen Unterlagen und den vom Gericht eingeholten Befund- und Behandlungsberichten auseinandergesetzt. Die Sachverständige H-M führt in ihrem Gutachten aus, dass unter Berücksichtigung der bisherigen frustranen konservativen Behandlungsmaßnahmen, zum Teil auch unter stationären Bedingungen, weitere konservative Behandlungsmaßnahmen, welcher Art auch immer, nicht mehr erfolgversprechend im Hinblick auf eine nachhaltige Körpergewichtsreduktion seien. Es habe sich zu keinem Zeitpunkt ein länger andauernder Erfolg der jeweiligen Maßnahmen eingestellt. Insofern sei es nicht mehr realistisch davon auszugehen, dass weitergehende Maßnahmen dieser Art zu einem solchen nachhaltigen Erfolg führen würden, zumal mittlerweile auch ernstzunehmende Folgeerkrankung der jahrzehntelangen Adipositas permagna bestünden. Ein bariatrischer Eingriff sei die einzige erfolgversprechende Therapieoption, um eine nachhaltige Gewichtsreduktion herbeizuführen.

Die Kammer folgt den schlüssig und begründeten Ausführungen der Sachverständigen H-M und ist wie diese der Auffassung, dass für den Kläger keine anderen Therapieoptionen mehr in Betracht kommen. Insbesondere ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht vor Durchführung einer Operation noch eine sogenannte multimodale Therapie erforderlich. Denn insoweit hat die Sachverständige H-M in ihrem Gutachten eindeutig ausgeführt, dass alle konservativen Behandlungsmethoden ausgeschöpft worden seien. Wenn sie auch nicht ausdrücklich eine multimodale Therapie nennt, so hat das Gericht keinerlei Zweifel daran, dass unter Ausschöpfung „aller konservativen Behandlungsmethoden“ selbstverständlich auch diese, immer wieder von der Beklagten genannte, gemeint ist.

Die Kammer folgt insoweit den Ausführungen der Sachverständigen und macht sich diese zu Eigen. Auf der Basis dieses Gutachtens ist die Kammer zu dem Ergebnis gelangt, dass im Fall des Klägers eine minimalinvasive Magenverkleinerung medizinisch notwendig und erforderlich ist und auch unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten seitens der Beklagten als Sachleistung zur Verfügung zu stellen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

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