LG Mainz, Urteil vom 15.01.2003 – 4 O 497/02
Die Festhaltepflicht des Fahrgastes in einem Omnibus dient nicht dem Zweck, den Busunternehmer vor Beschädigung an seinem Fahrzeug zu schützen; dies gilt auch für die Anschnallpflicht.
(Leitsatz des Gerichts
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistungen in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Der Beklagte war Teilnehmer einer Klassenfahrt nach Italien. Für die Durchführung der Reise wurde bei der Klägerin ein Omnibus des Typs Setra S 309 HD, amtliches Kennzeichen …-… 32 gechartert. Während der Rückreise am 18.05.2001 kam es am Gardasee in Italien zu einem Bremsmanöver, bei dem der Fahrer des Omnibusses seine Geschwindigkeit von 30-40 km/h bis zum Stillstand verzögerte. Der Beklagte verließ kurz vor dem Bremsvorgang seinen mit Anschnallgurten versehenen Platz, um einem im Gang liegenden, verletzten Klassenkameraden aufzuhelfen. Als das Bremsmanöver einsetzte, hatte er beide Hände des im Gang sitzenden Mitschülers mit seinen eigenen umgriffen. Zu diesem Zeitpunkt hielt er sich an keinem der Haltepunkte im Bus fest. Durch den Bremsvorgang schleuderte der Beklagte gegen die Windschutzscheibe und stürzte danach auf das Armaturenbrett und beschädigte beides. Den Schülern war sowohl vom begleitenden Lehrpersonal als auch von dem Busfahrer das Herumlaufen im Bus während der Fahrt untersagt worden.
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Die Klägerin trägt vor:
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Ein vor dem Omnibus fahrender PKW habe an einer Abfahrt plötzlich stark abgebremst, ohne den Fahrtrichtungsanzeiger zu betätigen, so dass der Fahrer des Omnibusses seinerseits bis zum Stillstand verzögern musste, um einen Auffahrunfall zu vermeiden. Es habe sich jedoch nicht um eine Vollbremsung gehandelt. Vielmehr habe der Beklagte seine Pflicht, sich während des gesamten Zeitraumes, in dem sich der Bus im Straßenverkehr bewegt, festzuhalten, vernachlässigt.
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Die Klägerin beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 5.229,35 Euro nebst 5 % Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit dem 05.12.2001 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte trägt vor:
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Eine Pflicht zum ständigen Festhalten habe nicht bestanden. Vielmehr sei der eingetretene Schaden auf die durch unzureichenden Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden Fahrzeug nötig gewordene Vollbremsung des Busfahrers zurückzuführen.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung vorbereitend geladener Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 3.12.2002 (Bl. 84 ff d.A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist unbegründet.
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Die Klägerin kann vom Beklagten nicht Ersatz des Schadens am Omnibus, der ihr durch den Vorfall am 18.05.01 entstanden ist, verlangen. Ein solcher Anspruch lässt sich weder aus dem gewohnheitsrechtlich anerkannten Rechtsinstitut der positiven Forderungsverletzung noch aus § 823 Absätze 1 und 2 BGB herleiten. Eine dem Schutze des Eigentums bestehende Verhaltenspflicht hat der Kläger dadurch, dass er den Sicherheitsgurt ablegte und sich von seinem Sitzplatz erhob, nicht verletzt.
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Die Verletzung einer allgemeinen Sorgfaltspflicht oder eines Schutzgesetzes im Sinne von § 823 Absatz 2 BGB führt nur dann zu einer Schadensersatzpflicht, wenn der eingetretene Schaden nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Sorgfaltspflicht fällt. Es muss sich also um Nachteile handeln, die aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen oder die vertragliche Pflicht übernommen worden ist (Palandt-Heinrichs, 61. Aufl., Vorb. § 249 Rdnr. 62), sog. Schutzzwecklehre. Dies ist aber nicht der Fall. Es gilt vielmehr folgendes:
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In dem Umstand, dass der Beklagte gegen die Windschutzscheibe geschleudert wurde liegt schon kein vorwerfbares willensgesteuerten Tun des Beklagten; für sich genommen kann somit daraus eine Haftung des Beklagten von vornherein nicht hergeleitet werden.
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Auch das Aufstehen vom Sitzplatz kann nicht als Anknüpfungspunkt dienen. Die Anschnallpflicht gem. §§ 35a StVZO, 21a I StVO verlangt nicht, dass der Fahrgast eines Omnibusses ununterbrochen seinen Platz einbehalten muss und nicht aufstehen darf. Die Vorschrift des § 21a I Nr. 6 StVO erlaubt Fahrgästen in Kraftomnibussen mit einer Gesamtmasse von mehr als 3,5 t das kurzfristige Verlassen des Platzes, etwa um diesen zu wechseln, ein Gepäckstück zu öffnen oder um etwa eine vorhandene Toilette aufzusuchen (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 21 Abs. Nr. 6 StVO).
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Der Beklagte erhob sich, um einem im Gang liegenden verletzten Klassenkameraden aufzuhelfen. Dieses kurzfristige Verlassen des Sitzplatzes steht mit der gesetzlichen Wertung in Übereinstimmung. Es ist – anders als die Klägerin meint – nicht nur bei ausgesprochenen Notsituationen erlaubt.
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Im übrigen hat auch die Beweisaufnahme nicht ergeben, dass den Schüler eine eindeutige Anweisung durch die aufsichtsführenden Lehrer erteilt worden wäre, während der Fahrt unbedingt auf ihren Sitzplätzen zu bleiben.
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Zwar hat der Fahrer des Busses – der Zeuge K. – ausgesagt, es sei von ihm verboten worden, im Gang des Busses herumzulaufen; die Schüler hätten während der Fahrt sitzen bleiben sollen; dies habe jedenfalls für Fahrten außerhalb von Autobahnen gegolten.
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Die aufsichtsführende Lehrerin – die Zeugin N. – dagegen hat ausgesagt, es sei den Schülern nicht verboten gewesen, sich während der Fahrt zu erheben, um sich Gegenstände aus ihren in den Tragenetzen lagernden Taschen zu holen oder ähnliche notwendige Dinge zu tun.
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Auch daraus, dass sich der Beklagte nach dem Aufstehen von seinem Sitzplatz nicht an einer Haltevorrichtung des Omnibusses festhielt, lässt sich der Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz nicht herleiten.
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Zwar wird von der Rechtsprechung eine Pflicht von Fahrgästen in Bussen angenommen, sich einen sicheren Halt auch gegen unvorhersehbare Bewegungen des Fahrzeuges zu verschaffen. Diesen Halt hatte der Beklagte mit dem ihm zur Verfügung stehenden Sitzplatz samt Anschnallgurt. Als er diesen Sitzplatz während der Fahrt aufgab, hätte er sich auf andere Weise ausreichend sicheren Halt verschaffen müssen. Jedoch dient die Festhaltepflicht ausschließlich dem Zweck, den stehenden Fahrgast selbst und andere Insassen vor der Verletzungsgefahr durch plötzliche Richtungs- oder Geschwindigkeitsänderungen zu schützen. Es geht nicht um die Gefahr, die der stehende Fahrgast für den Omnibus selbst darstellt; diese ist gering. Es geht um den Schutz seiner eigenen Unversehrtheit. Nur diesem Zweck soll die Festhaltepflicht dienen (LG Nürnberg – Fürth, Urteil vom 11.07.1984, Az. 2 S 5135/84; LG Frankfurt am Main NJW-RR 1994,924 f).
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Absatz 1 ZPO.
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Die Entscheidung die vorläufige Vollstreckbarkeit betreffend folgt aus §§ 709 ZPO.