Bauunternehmer muss sich ggf. vor Baggerarbeiten nach Versorgungsleitungen erkundigen

BGH, Urteil vom 21.11.1995 – VI ZR 31/95

Bestehen nach den örtlichen Gegebenheiten Anhaltspunkte für die Existenz privater Versorgungsleitungen (hier: Antennenkabel) in öffentlichem Grund, so muß sich ein Bauunternehmer vor der Durchführung von Baggerarbeiten sorgfältig nach dem Vorhandensein und ggf dem Verlauf solcher Leitungen erkundigen.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen vom 4. Januar 1995 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Revision fallen den Beklagten zur Last.

Von Rechts wegen

Tatbestand
1
Die Klägerin verlangt als Schadensversicherer der U. Antennenservice GmbH aus übergegangenem Recht gemäß § 67 VVG von den Beklagten Schadensersatz wegen der Beschädigung eines Antennenkabels. Das Kabel der U. GmbH war in B. zwischen der F.-Straße und der A.-Straße aufgrund eines Gestattungsvertrages mit der Stadt B. in öffentlichem Grund verlegt. Es wurde beschädigt, als die Beklagte zu 1), ein Straßenbauunternehmen, unter Einsatz eines Baggers mit Stemmvorsatz Erdarbeiten ausführte. Die Beklagte zu 2) ist die persönlich haftende Gesellschafterin der Beklagten zu 1).

2
Die Klägerin hat geltend gemacht, die Beklagte zu 1) habe aufgrund der örtlichen Gegebenheiten Anlaß gehabt, mit Antennenkabeln zu rechnen. Sie habe sich nicht ausreichend nach dem Verlauf von öffentlichen und privaten Leitungen im Baustellenbereich erkundigt. Die Beklagten hätten der Klägerin als Schadensersatz die Kosten der Neuverlegung des Kabels in Höhe von 13.047,25 DM und Mahnauslagen von 12 DM zu erstatten.

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Das Landgericht hat ein Verschulden der Beklagten zu 1) verneint und die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat sie dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Hiergegen richtet sich die (zugelassene) Revision der Beklagten, mit der sie die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erstreben.

Entscheidungsgründe
I.

4
Das Berufungsgericht meint, die Beklagte zu 1) habe gegen ihre Organisationspflichten verstoßen und somit das Kabel der U. GmbH schuldhaft beschädigt. Sie habe sich mit den ihr nach ihrer Behauptung von der “Stabsstelle” der Stadt B. übergebenen Plänen der kommunalen Versorgungsunternehmen, in denen keine Erdkabel verzeichnet gewesen seien, nicht zufriedengeben dürfen, zumal ihr von der “Stabsstelle” keine ausdrückliche Zusicherung der Kabelfreiheit des Erdbodens gemacht worden sei. An der Baustelle sei mit privaten Antennenkabeln zu rechnen gewesen, da in augenfälliger Weise auf den Häusern weitgehend keine Dachantennen zu sehen gewesen seien und sich aus den der Beklagten zu 1) übergebenen Plänen ergeben habe, daß dort auch keine Erdkabel der Telekom verlegt worden seien. Überdies sei in einschlägigen Baukreisen in B. bekannt gewesen, daß die Wohnanlagen in der Umgebung der Baustelle weitgehend mit Gemeinschaftsversorgungsleitungen ausgestattet worden seien. Die Beklagte zu 1) habe gewußt, daß auch private Unternehmen Erdverkabelungen durchführen. Sie habe deshalb über die Information der “Stabsstelle” hinaus Nachforschungen nach privaten Erdkabeln anstellen und sich, eventuell über die Verwaltung der Wohnanlage oder die Hausmeister, bei der Hauseigentümerin nach solchen Kabeln erkundigen müssen. Ein etwaiges Mitverschulden der U. GmbH, das sich aus einer unzureichenden Tiefe der verlegten Kabel ergeben könnte, stelle die Beklagte von der Haftung keinesfalls völlig frei; über eine sich daraus eventuell ergebende Kürzung der Schadensersatzansprüche der Klägerin könne im Betragsverfahren entschieden werden.

II.

5
Das Berufungsurteil hält der revisionsgerichtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.

6
1. Mit Recht macht die Revision freilich geltend, daß die vom Berufungsgericht aufgezeigten hohen Anforderungen, die von der Rechtsprechung an die Pflicht von Tiefbauunternehmern gestellt werden, sich vor der Durchführung von Erdarbeiten an öffentlichen Straßenflächen nach der Existenz und dem Verlauf unterirdisch verlegter Versorgungsleitungen zu erkundigen (vgl. Senatsurteile vom 20. April 1971 – VI ZR 232/69VersR 1971, 741 f. und vom 9. Juli 1985 – VI ZR 118/84VersR 1985, 1147 f.), nicht ohne weiteres auf private Leitungen und Kabel erstreckt werden können. Denn mit der Existenz solcher Leitungen in öffentlichem Grund muß der Straßenbauunternehmer nicht in gleichem Maße rechnen wie mit Strom-, Gas- oder Wasserleitungen der örtlichen oder überörtlichen Versorgungsunternehmen oder mit Telefonleitungen der Deutschen Bundespost bzw. der Telekom. Das Vorhandensein der letztgenannten Leitungen liegt jedenfalls in bebauten Gegenden regelmäßig auch ohne weitere Anhaltspunkte nahe; dies trifft auf private Leitungen nicht in gleicher Weise zu. Daß sich hieraus unterschiedliche Anforderungen an die Erkundigungspflicht nach öffentlichen und nach privaten Leitungen ergeben, hat aber auch das Berufungsgericht nicht verkannt. Es gründet nämlich die von ihm bejahte Pflichtverletzung der Beklagten zu 1) entscheidend auf die Feststellung, daß im Streitfall hinreichende Anhaltspunkte für die Existenz privater Antennenkabel bestanden haben.

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2. Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen diese tatrichterliche Würdigung der örtlichen Gegebenheiten.

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a) Unstreitig befand sich die Schadensstelle innerhalb einer großen Wohnsiedlung der G. GmbH. Schon dieser Siedlungscharakter legte es nahe, an die Existenz auch privat verlegter Versorgungsleitungen von und zu etwaigen Gemeinschaftseinrichtungen (zentrale Heizungsanlage; Gemeinschaftsantenne o.ä.) zu denken.

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b) Hinzu kam, daß in der Siedlung, wie das Berufungsgericht feststellt, weitgehend Dachantennen auf den Häusern fehlten. Die Revision zieht nicht in Zweifel, daß dies auch von der Beklagten zu 1) zu erkennen war. Ihre Rüge, das Fehlen von Dachantennen sei kein konkreter Anhaltspunkt für die Existenz privater Erdkabel, greift nicht durch. Sicherlich können Häuser grundsätzlich auch über andere Empfangseinrichtungen verfügen. Im Streitfall war insoweit jedoch zu bedenken, daß etwaige unter dem Dach angebrachte und deshalb von außen nicht sichtbare Antennenanlagen wegen der unstreitigen Flachdächer der Häuser von vornherein ausschieden, daß keine Anzeichen für eine Installation der von der Revision angesprochenen Parabolantennen sprachen und daß nach den Plänen, die die Beklagte zu 1) von der “Stabsstelle” erhalten haben will, weder die Deutsche Bundespost noch die Telekom dort Erdkabel verlegt hatten. Aus dem letztgenannten Umstand durfte die Beklagte zu 1) angesichts des Fehlens anderer erkennbarer Antennenanschlüsse nicht, wie die Revision geltend macht, den Schluß ziehen, daß überhaupt keine Erdverkabelung vorlag. Es sprach vielmehr nach den örtlichen Gegebenheiten vieles dafür, daß zur Versorgung der in der Siedlung zweifellos betriebenen Rundfunk- und Fernsehgeräte eine private Kabelführung zu einer Gemeinschaftsantenne vorhanden war. Da die von der Beklagten zu 1) nach ihrer Behauptung eingesehenen Pläne über solche privaten Leitungen keine Auskunft gaben, waren sie, wie das Berufungsgericht mit Recht ausführt, insoweit nicht verläßlich (zur Haftung für die Beschädigung privater und deshalb nicht in die städtischen Pläne eingezeichneter Stromkabel siehe auch BGH, Urteil vom 18. Mai 1967 – III ZR 94/65VersR 1967, 859).

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c) Da schon die genannten örtlichen Verhältnisse die Verkehrssicherungspflicht der Beklagten zu 1) begründeten, sich vor dem Einsatz des Baggers sorgfältig nach etwaigen privaten Versorgungsleitungen im Baustellenbereich zu erkundigen, kann es dahinstehen, ob und in welchem Maße diese Erkundigungspflicht noch durch den vom Berufungsgericht festgestellten Umstand verstärkt wurde, daß die Existenz privater Gemeinschaftsversorgungsanlagen in diesem Teil der Stadt B. in den einschlägigen Baukreisen bekannt war. Die Beklagte zu 1) wußte jedenfalls, wie die Revision nicht in Frage stellt, daß auch private Unternehmen Erdverkabelungen von Gemeinschaftsantennen durchführen. Sie hätte sich deshalb vor der Vornahme der Erdarbeiten in dieser Hinsicht näher erkundigen müssen.

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3. Zutreffend weist die Revision allerdings darauf hin, daß als Ansprechpartner für die Erkundigung nach privat verlegten unterirdischen Kabeln und Leitungen, anders als bei den von kommunalen Versorgungsunternehmen erstellten Anlagen, regelmäßig nicht die den Straßenbauunternehmern wie hier der Beklagten zu 1) zumeist unbekannten und auch nicht ohne weiteres zu ermittelnden privaten Verlege-Unternehmen in Betracht kommen. Das steht jedoch der Pflicht zur sorgfältigen Nachforschung nicht entgegen. Die insoweit benötigten Auskünfte können die Straßenbauunternehmer zum einen von der jeweiligen Gemeinde erhalten, da private Leitungen nur mit deren Zustimmung in den öffentlichen Grund eingebracht werden und sie der Gemeinde deshalb bekannt sind. So waren auch hier die Kabel der U.-GmbH aufgrund eines Gestattungsvertrages mit der Stadt B. verlegt worden. Daß ihre Existenz von der Stadt B. der Beklagten zu 1) nicht mitgeteilt worden ist, beruhte darauf, daß diese sich nach ihrem Vorbringen von der “Stabsstelle” der Stadt allein die dort geführten Pläne hatte geben lassen, die nur den Verlauf der Leitungen der kommunalen Versorgungsunternehmen und der Telekom auswiesen, und daß die Beklagte zu 1) nicht darüber hinaus nach etwaigen privat verlegten Kabeln gefragt hatte. Eine generelle Zusicherung der Kabelfreiheit der Straßenfläche an der Baustelle war den Beklagten, wie sie vor dem Berufungsgericht klargestellt haben, von der Stadt ebenfalls nicht erteilt worden.

12
Außer bei der Stadt B. hätte die Beklagte zu 1) sich auch, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, bei der dafür zuständigen Verwaltungsstelle (Bezirkswartbüro) der G. GmbH als Eigentümerin der Wohnsiedlung oder, falls ihr diese nicht bekannt war, bei den Hausmeistern in der Wohnanlage nach der Existenz privater Leitungen erkundigen können. Von dort wäre sie an die G. GmbH verwiesen worden, die ihr dann den Verlauf des Antennenkabels mitgeteilt hätte. Ohne klare Nachfrage nach privaten Leitungen oder Kabeln durfte die Beklagte zu 1) den Bagger mit dem Stemmvorsatz wegen der erkennbaren Gefahr schwerwiegender Leitungsschäden bei ihren Bauarbeiten jedenfalls nicht einsetzen.

13
4. Die Prüfung der Frage, ob auch die U. GmbH ein Mitverschulden an der Schadensentstehung trifft, weil das von der Beklagten zu 1) beschädigte Antennenkabel nicht ausreichend tief verlegt worden war, hat das Berufungsgericht in prozessual zulässiger Weise dem Betragsverfahren überlassen. Dies wird von der Revision nicht angegriffen.

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