AG Königs Wusterhausen, Urteil vom 15.06.2011 – 4 C 572/10
Es ist weder dem Flugkapitän, noch der Beklagten anzulasten, wenn der Pilot einen Fluggast nicht gegen seinen Willen befördert, sondern dem Wunsch des Fluggastes Rechnung trägt und ihn wieder aussteigen lässt. Es braucht an dieser Stelle nicht vertiefend geprüft zu werden, ob derjenige, der eine zwangsweise Beförderung einer Person gegen ihren Willen zu verantworten hätte, sich dadurch tatbestandlich einer Freiheitsberaubung schuldig machen würde. Jedenfalls ist die Entscheidung des Piloten, den „abtrünnigen“ Fluggast einen Ausstieg zu ermöglichen, nicht zu beanstanden. Daran ändert auch der Umstand nicht, dass dadurch eine Vielzahl weiterer Fluggäste weitere zeitliche Verluste erlitten (Rn. 7).
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits werden den Klägern auferlegt.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Von der Darstellung eines Tatbestandes wird gemäß § 313 a ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig aber unbegründet.
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Die Kläger haben wegen der Annullierung des Fluges Paris Orly – Berlin-Schönefeld am 12. Juli 2010 gegen die Beklagte keine Ausgleichsansprüche. Die Annullierung erfolgte vorliegend aufgrund außergewöhnlicher Umstände im Sinne des Artikels 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 (nachfolgend: EU-VO). Dies gilt namentlich auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es sich bei Artikel 5 Abs. 3 EU-VO um einen (auch) nach der Rechtssprechung des erkennenden Gerichtes restriktiv auszulegenden Ausnahmetatbestand handelt.
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Das erkennende Gericht hat sich im Rahmen der im Termin am 9. Mai 2011 durchgeführten Beweisaufnahme durch die uneidliche Vernehmung der Zeugen R. und S. davon überzeugt, dass die Annullierung des Fluges für die Beklagte auch unter Rückgriff auf alle ihr zumutbaren Maßnahmen nicht vermeidbar war. Die Zeugen R. und S. bekundeten übereinstimmend, gut nachvollziehbar, glaubhaft und letztlich so auch überzeugend, dass die Annullierung letztlich auf zwei kumulativ zusammenwirkende Ursachen zurückzuführen ist, die nach Auffassung des Gerichtes sowohl jeweils für sich als auch in dieser Verkettung nichts der Sphäre der Beklagten zurechenbar waren.
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Wie die Zeugen übereinstimmend und glaubhaft bekundeten, kam es zunächst aufgrund der örtlichen Wetterverhältnisse zu einer Verzögerung von über einer Stunde im Verhältnis zur geplanten Abflugzeit. Hinzu kam eine weitere wetterbedingte Verschiebung des Fluges als, nachdem das Boarding schon stattgefunden hat und die Passagiere sich im Flugzeug befanden, sich die Wetterbedingungen erneut verschlechterten und die Maschine, welche bereits unterwegs zur Abflugbahn war, im Hinblick auf die Schließung des Flughafens erneut zurück musste.
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Es ist allgemein anerkannt, dass es sich bei schlechtem, einen Start nicht zulassenden Wetterbedingungen, um außergewöhnliche Umstände i.S.d. Ausnahmetatbestandes der EU-VO handelt.
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Hinzu kam vorliegend noch der Meinungswandel einer Passagierin, welche sich nachdem sie bereits eingecheckt hatte und auch an Bord Platz genommen hatte, auf einmal weigerte, mitzufliegen. Der Zeuge R. wusste insoweit aus eigener unmittelbarer Wahrnehmung zu bekunden, dass die Frau ursprünglich an ihn mit dem Anliegen herangetreten war, aus Rücksicht auf ihr zurückbleibendes Kleinkind, doch nicht mehr mitfliegen zu wollen. Er schilderte detailreich und sehr gut nachvollziehbar, dass es weder ihn, noch seiner Vorgesetzten, der Frau L., noch den Flugkapitän gelang, die Frau von ihrem Vorhaben die Maschine zu verlassen, abzubringen. Es ist weder dem Flugkapitän, noch der Beklagten anzulasten, wenn in einer solchen, durchaus seltenen (in der Rechtssprechung des erkennenden Gerichtes, welches in den zurückliegenden Jahren jeweils mit einer dreistelligen Zahl von „Fluggastentschädigungsverfahren“ befasst wurde, kam es das erste Mal vor) Situationen, der Pilot den Fluggast nicht gegen seinen Willen befördert, sondern dem Wunsch des Fluggastes Rechnung trägt. Es braucht an dieser Stelle nicht vertiefend geprüft zu werden, ob derjenige, der eine zwangsweise Beförderung einer Person gegen ihren Willen von Paris nach Berlin zu verantworten hätte, sich dadurch tatbestandlich einer Freiheitsberaubung schuldig machen würde. Jedenfalls ist die Entscheidung des Piloten, den „abtrünnigen“ Fluggast einen Ausstieg zu ermöglichen, nicht zu beanstanden. Daran ändert auch der Umstand nicht, dass dadurch eine Vielzahl weiterer Fluggäste weitere zeitliche Verluste erlitten. Der Wankelmut des weiblichen Fluggastes beanspruchte vorliegend nicht nur die 20 bis 30 Minuten, welche die Gespräche bis zur Entscheidungsfindung mit ihr beanspruchte, sondern hatte zur Folge, dass das Flugzeug von allen Passagieren und den mitgebrachten Gegenständen geräumt werden musste, um aus Sicherheitsgründen zu gewährleisten, dass nicht dem „abtrünnigen“ Fluggast zurechenbares Gepäck an Bord verblieb. All das kostete nach den glaubhaften Bekundungen des Zeugen R. etwa weitere 40 Minuten.
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All dies hatte zur weiteren Folge, dass die zuvor bereits erteilte Starterlaubnis zwischenzeitlich hinfällig geworden war und auf eine neue gewartet werden musste.
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Nach alledem ist zu konstatieren, dass aufgrund der benannten außergewöhnlichen Umstände bei dem Flug Paris – Athen, die Maschine für den spät am Tag vorgesehenen Flug Paris – Berlin-Schönefeld – bereits absehbar – nicht mehr zur Verfügung stehen konnte, so dass der Beklagten im Hinblick auf das Ausgeführte letztlich nichts anderes übrig blieb, als in Abwägung der konkreten Umstände schadensbegrenzend tätig zu werden und der entstandenen Gesamtsituation Rechnung tragend, den Flug Paris Orly – Berlin-Schönefeld zu annullieren.
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Nicht zur Folge vermag das erkennende Gericht insoweit der Auffassung der Kläger, außergewöhnliche Umstände im Sinne der Norm lägen deshalb nicht vor, da die Beklagte gehalten sei, eine hinreichende Anzahl von Reservemaschinen vorzuhalten, um bei dem – sicherlich immer wieder vorkommenden – Ausfall einer Maschine aus welchen Gründen auch immer zügig reagieren und den „gefährdeten“ Flug mit einer Ersatzmaschine doch realisieren zu können. Ungeachtet einmal der Frage, der (auch wirtschaftlichen) Zumutbarkeit entsprechender Vorhaltekosten, hat der Zeuge S. im Rahmen seiner Vernehmung nachvollziehbar dargelegt, dass die pünktliche oder auch nur mit einer unerheblichen Verspätung belastete Durchführung des Fluges selbst bei Vorhandensein einer Ersatzmaschine nicht gewährleistet gewesen wäre, da im Fall des Einsetzens einer Ersatzmaschine eine Ersatzcrew zu rekrutieren gewesen wäre, welche grundsätzlich 1 1/2 Stunden Zeit gehabt hätte, um zum Flughafen zu gelangen und noch eine weitere Stunde um sich dort auch fertig zu machen. Sodann wäre der Flugplan bei der Flugaufsicht einzureichen gewesen. Als spät eingereichter Flugplan hätte er eine entsprechende niedrigere Floriität erhalten, so dass – am 12. Juli 2010 bei einer niedrigeren Flurietät eine Verzögerung von etwa 210 Minuten zu erwarten gewesen wäre. Da auch ferner nach wie vor vieles von den Wetterbedingungen abhängig geblieben wäre, wäre auch weiterhin die „Auflösung des Rückstaus“ an aufgeschobenen Flügen nicht zuverlässig prognostizierbar gewesen.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO.
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Die Entscheidung bezüglich der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Ziffer 11, 711, 713 ZPO.
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Die Voraussetzungen einer Berufungszulassung, trotz Nichterreichens der Berufungsbeschwerde sind weder dargelegt noch ersichtlich.