Zur Zulassung zum Wiederholungsversuch einer Erfolgskontrolle trotz nicht erfolgter Vorlage eines Gesundheitsattests, wenn amtsärztliche Bescheinigung von Gesundheitsbehörden generell nicht mehr ausgestellt wird

Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 12.08.2016 – 2 ME 150/16

Zur Zulassung zum Wiederholungsversuch einer Erfolgskontrolle trotz nicht erfolgter Vorlage eines Gesundheitsattests , wenn amtsärztliche Bescheinigung von Gesundheitsbehörden generell nicht mehr ausgestellt werden.

Tenor

Dem Antragsteller wird unter Beiordnung von Rechtsanwalt B., Göttingen, Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren bewilligt.

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Göttingen – 4. Kammer – vom 24. Juni 2016 geändert:

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragsteller im aktuell laufenden Prüfungszeitraum (Nachklausur am 2. September 2016) zur schriftlichen Erfolgskontrolle für das Prüfungsfach „Praktikum der vegetativen Physiologie“ vorläufig zuzulassen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 3.750,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren ist begründet. Die Rechtsverfolgung des Antragstellers hat aus den Gründen unter II. hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig. Der Antragsteller erfüllt auch die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114 Abs. 1, 115 ZPO). Die Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten beruht auf § 121 Abs. 1 ZPO.

II. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, soweit dieses den Erlass der einstweiligen Anordnung abgelehnt hat, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihn im aktuell laufenden Prüfungszeitraum (Nachklausur am 2. September 2016) vorläufig zur schriftlichen Erfolgskontrolle für das Prüfungsfach „Praktikum der vegetativen Physiologie“ zuzulassen, hat Erfolg.

Die Beschwerde ist uneingeschränkt zulässig. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ergibt sich aus den im Beschwerdeverfahren gestellten Anträgen und den Ausführungen auf Seite 2 der Beschwerdebegründung mit der gebotenen Eindeutigkeit, dass der Antragsteller den erstinstanzlichen Beschluss nur insoweit zur Überprüfung des Senats stellen will, als sein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt wird.

Die Beschwerde ist auch begründet. Unter Berücksichtigung der von dem Antragsteller im Beschwerdeverfahren angeführten und vom Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfenden Gründe ist nicht nur der bereits erstinstanzlich zu Recht bejahte Anordnungsgrund, sondern auch ein Anordnungsanspruch auf Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung glaubhaft gemacht. Auf der Grundlage des Sach- und Streitstandes, wie er sich im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes darstellt, ist davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 3. Dezember 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Januar 2016 die leistungsnachweispflichtige Lehrveranstaltung „Praktikum der vegetativen Physiologie“ zu Unrecht gemäß § 13 Abs. 4 der Anlage 1 zur Studienordnung für den Studiengang Zahnmedizin an der Antragsgegnerin (Amtl. Mitteilungen Nr. 4 vom 27.1.2015, S. 29) für endgültig nicht bestanden erklärt hat. Dem Antragsteller steht für diese Lehrveranstaltung nach vorläufiger Einschätzung ein weiterer – letzter – Wiederholungsversuch zu.

Dem steht nicht entgegen, dass der Antragsteller aufgrund des vor dem Verwaltungsgericht Göttingen geschlossenen Vergleichs vom 21. Mai 2015 – 4 A 48/14 – (nur) noch einen letzten Wiederholungsversuch für die Erfolgskontrolle im „Praktikum der vegetativen Physiologie“ in Anspruch nehmen konnte und er an der Erfolgskontrolle am 4. September 2015, zu der er automatisch angemeldet war, nicht teilgenommen hat. Diese Nichtteilnahme führt voraussichtlich nicht dazu, dass die Erfolgskontrolle als nicht bestanden gilt, denn es handelte sich nach den in diesem Eilverfahren maßgeblichen Erkenntnissen um ein begründetes Fernbleiben im Sinne des § 12 Abs. 1 der Anlage 1 zur Studienordnung Zahnmedizin. Nach dieser Regelung gilt eine Erfolgskontrolle im Rahmen einer leistungsnachweispflichtigen Lehrveranstaltung als „nicht bestanden“, wenn eine Studierende oder ein Studierender diese nicht antritt. Bei begründetem Fernbleiben von der Erfolgskontrolle hat die Studierende oder der Studierende die Gründe für das Fernbleiben nachzuweisen. Der Nachweis zwingender Gründe ist über ein offizielles Dokument zu führen und unverzüglich vorzulegen. Bei Erkrankung ist der Nachweis durch ein ärztliches Attest zu belegen. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung anstelle eines Attests wird nicht anerkannt. Der Rücktritt von der Prüfung ist spätestens am Prüfungstag vor Beginn der Prüfung gegenüber der Kursleiterin oder dem Kursleiter zu erklären (z.B. fernmündlich).

1. Die Antragsgegnerin hätte in den angefochtenen Bescheiden nicht davon ausgehen dürfen, dass diese Voraussetzungen nicht gewahrt worden sind und deshalb die Erfolgskontrolle als „nicht bestanden“ zu bewerten war.

a) Dabei ist zunächst dem Erfordernis einer unverzüglichen Erklärung des Rücktritts gegenüber der zuständigen Stelle genügt, obgleich der Antragsteller entgegen § 12 Abs. 1 der Anlage 1 zur Studienordnung Zahnmedizin offenbar nicht spätestens am Prüfungstag (4. September 2015) vor Beginn der Prüfung gegenüber der Kursleitung eine eigene Erklärung abgegeben hat. Aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls war die Abgabe einer solchen eigenen und unmittelbaren Erklärung entbehrlich. Der Antragsteller, der sich mit der Antragsgegnerin in dem oben genannten gerichtlichen Vergleich über die Modalitäten eines etwaigen Rücktritts von der Prüfung geeinigt hatte, hatte sich im Vorfeld der Prüfung am 3. September 2015 vergeblich um die Erteilung einer amtsärztlichen Bescheinigung bemüht und ist daraufhin an das Verwaltungsgericht herangetreten, um die weitere Vorgehensweise zu klären. Ausweislich des Schreibens des Verwaltungsgerichts vom 3. September 2015 an die Stabsabteilung Rechts- und Grundsatzangelegenheiten der Antragsgegnerin wurde mit dem Antragsteller „besprochen, dass er zur UMG gehen solle, um die Frage der Prüfungsfähigkeit dort klären zu lassen. Sobald er von dort ein Attest erhalte, werde er es an die Universitätsmedizin D. und das Gericht schicken.“ Dieses Schreiben hat die Antragsgegnerin am 3. September 2015 erhalten und ausweislich des Vermerks auf dem Faxsendebericht noch am gleichen Tage an Prof. F. weitergeleitet. Damit war – auch gegenüber der Kursleiterin Prof. F. – hinreichend dokumentiert, dass der Antragsteller an der Erfolgskontrolle wegen einer Erkrankung nicht teilnehmen werde. Dementsprechend hat sich die Antragsgegnerin im behördlichen Verfahren – anders als im Gerichtsverfahren – auch nicht darauf berufen, der Rücktritt sei nicht entsprechend den Vorgaben des § 12 Abs. 1 der Anlage 1 zur Studienordnung Zahnmedizin erklärt worden.

8b) Die Entscheidung der Antragsgegnerin, der Antragsteller habe zwingende Gründe für sein Fernbleiben nicht unverzüglich nachgewiesen, ist auf der derzeitigen Tatsachengrundlage rechtswidrig.

9aa) Dabei kann sich die Antragsgegnerin entgegen ihrem Vorbringen im gerichtlichen Verfahren nicht darauf berufen, der Antragsteller habe seine Erkrankung nicht durch ein amtsärztliches Attest nachgewiesen. Zwar haben sich die Beteiligten in dem gerichtlichen Vergleich vom 21. Mai 2015 dahin geeinigt, dass der Nachweis einer Erkrankung nur auf diesem Wege erfolgen könne. Dabei gingen die Beteiligten aber übereinstimmend davon aus, dass dem Antragsteller die Möglichkeit der Einholung einer solchen amtsärztlichen Bestätigung einer Erkrankung ohne weiteres offenstehen werde. Nur so erklärt sich auch die Regelung in § 12 Abs. 1 Satz 8 der Anlage 1 zur Prüfungsordnung Zahnmedizin. Das ist jedoch nach den derzeitigen Erkenntnissen nicht der Fall. Der Leiter des Gesundheitsamts D. hat gegenüber dem Antragsteller und dem Verwaltungsgericht erklärt, dass solche amtsärztlichen Atteste bereits seit gut 1 1/2 Jahren nicht mehr ausgestellt würden; das sei auch bei anderen Gesundheitsämtern wie dem des Landkreises G. der Fall. Der Antragsteller hat zudem geltend gemacht, bei den Gesundheitsämtern der Landkreise G. und H. vorgesprochen und dort ebenfalls die Auskunft erhalten zu haben, eine solche Bescheinigung könne ihm – wohl auch schon deshalb, weil er seinen Wohnsitz nicht in deren Bezirk habe (vgl. hierzu etwa § 7 Abs. 2 Satz 1 NGöGD) – nicht ausgestellt werden. Ob die Weigerung der Gesundheitsämter, amtsärztlich in Bezug auf die Frage der Prüfungsfähigkeit Stellung zu nehmen, rechtlich angreifbar ist, ist in diesem Zusammenhang ohne Belang. Damit im Zusammenhang stehende Streitigkeiten können jedenfalls in prüfungsrechtlichen Verfahren nicht zu Lasten der Studierenden gehen. Insoweit werden ihnen nämlich von der jeweiligen Hochschule, die ein solches Erfordernis in ihrer Studienordnung aufstellt, unzumutbare wenn nicht sogar unerfüllbare Mitwirkungspflichten auferlegt. Das gilt im hier zu entscheidenden Fall auch für den Antragsteller. Das hat wohl auch die Antragsgegnerin so gesehen, da sie sich im angefochtenen Bescheid nicht auf das Fehlen eines entsprechenden Nachweises gestützt und im Widerspruchsbescheid ausdrücklich erklärt hat, das Attest werde grundsätzlich anstelle des geforderten amtsärztlichen Attestes anerkannt.

bb) Die Antragsgegnerin hätte die Anerkennung der von dem Antragsteller vorgelegten Nachweise (Ärztliche Atteste der Diplom-Psychologin I. /Dr. med. J. vom 3. September 2015 und der Dr. med. J. vom 18. Dezember 2015) nicht ohne weiteres verweigern dürfen. Indem sie sich ohne weitere Aufklärungsmaßnahmen auf die inhaltliche Unzulänglichkeit dieser Bescheinigungen berufen hat, hat sie ihrer gegenüber dem Antragsteller bestehenden, aus dem Prüfungsrechtsverhältnis folgenden Fürsorgepflicht nicht genügt („Grundrechtsschutz durch Verfahren“, vgl. hierzu BVerwG, Beschl. v. 12.3.2004 – 6 B 2.04 -, juris, Urt. v. 12.11.1997 – 6 C 11.96 -, BVerwGE 105, 328, Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 6. Auflage, Rdnrn. 268 ff.); die angefochtenen Bescheide sind aufgrund dieser Pflichtverletzung rechtswidrig.

(1) Wohl nicht zu beanstanden ist allerdings die Auffassung der Antragsgegnerin, die beiden Atteste genügten für sich genommen nicht den Anforderungen, die an einen Nachweis der Prüfungsunfähigkeit zu stellen sind.

12Das Gebot, die Chancengleichheit bei berufsbezogenen Prüfungen (Art. 12 Abs. 1 GG) zu sichern, macht es erforderlich, den Rücktritt von einer solchen Prüfung mit der Folge einer zusätzlichen Wiederholungsmöglichkeit nur dann zu gestatten, wenn die Gründe hierfür der Prüfungsbehörde nachvollziehbar offenbart worden sind und auf diese Weise einem Missbrauch wirksam vorgebeugt wird (vgl. bereits beschließendes Gericht, Beschl. v. 23.4.1999 – 10 M 1330/99 -, juris). Dabei ist die Rechtsfrage, ob eine gesundheitliche Beeinträchtigung den Abbruch oder Nichtantritt einer Prüfung rechtfertigen kann, von der zuständigen Prüfungsbehörde in eigener Verantwortung zu entscheiden. In der ihr vorzulegenden – hier von § 12 Abs. 1 der Anlage 1 zur Studienordnung geforderten – ärztlichen Bescheinigung sind die gesundheitlichen Beeinträchtigungen und die sich aus ihnen ergebenden Auswirkungen auf die Prüfung so zu beschreiben, dass die Prüfungsbehörde in die Lage versetzt wird, selbständig über die Prüfungsfähigkeit zu befinden. Eine nähere Beschreibung der Beeinträchtigungen und deren Auswirkungen kann entbehrlich sein, wenn bereits aufgrund einer mitgeteilten Diagnose einer akuten Krankheit die Prüfungsunfähigkeit offensichtlich ist. Der Hinweis des Arztes, der Prüfling sei prüfungsunfähig, genügt nicht (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Beschl. v. 6.8.1996 – 6 B 17.96 -, DVBl 1996, 1379, OVG NRW, Beschl. v. 19.11.2014 – 14 A 884/14 -, juris, Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 6. Auflage 2014, Rdnr. 275 ff. m.w.N.).

Auf Letzteres bezieht sich wohl auch der Hinweis in § 12 Abs. 1 der Anlage 1 zur Studienordnung Zahnmedizin, wonach eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – die in ihrer Ausfertigung für den Arbeitgeber lediglich die Auskunft der Arbeitsunfähigkeit enthält, nicht aber Einzelheiten über Beeinträchtigungen oder die Art der Erkrankung – zum Nachweis der Prüfungsunfähigkeit nicht ausreiche. Ein solcher Hinweis ist der Sache nach nicht zu beanstanden. Soweit in der Literatur gefordert wird, die Anforderungen des Nachweises einer Prüfungsunfähigkeit denen des Nachweises der Arbeitsunfähigkeit anzugleichen (vgl. Zimmerling, MedR 2001, 634), ist es zwar zutreffend, dass die Weitergabe von Informationen über den Gesundheitszustand einer Person stets mehr oder weniger stark deren Privat- bzw. Intimsphäre berührt. Dem trägt prinzipiell die ärztliche Schweigepflicht Rechnung. Die ärztliche Schweigepflicht ist jedoch nicht berührt, wenn ein Prüfling aus eigenem Entschluss, nämlich um die zur Entscheidung über die Prüfungsfähigkeit berufene Stelle in die Lage zu versetzen, die Richtigkeit der erhobenen Behauptungen nachzuprüfen, ein Attest der Prüfungsbehörde vorlegt. Lehnt der Prüfling dies unter Berufung auf den Schutz der Privat- oder der Intimsphäre ab, kann das von der betreffenden Verwaltungsbehörde zwar nicht erzwungen werden. Die Konsequenz eines solchen Verhaltens besteht jedoch im Regelfall darin, dass die Behörde zum Nachteil der Person vom fehlenden Nachweis der behaupteten Tatsachen ausgehen darf, wenn sich die Richtigkeit der Behauptung nicht auf andere Weise bestätigt (vgl. Oberverwaltungsgericht des Saarlandes, Urt. v. 26.1.2012 – 2 A 331/11 -, juris). Diese Anforderungen an die Plausibilisierung der Prüfungsunfähigkeit rechtfertigt – wie bereits dargelegt – bei berufsbezogenen Prüfungen der Grundsatz der Chancengleichheit (Art. 12 Abs. 1 GG). Gerade das unterscheidet die Situation auch von der des Nachweises der Arbeitsunfähigkeit gegenüber dem Arbeitgeber (vgl. bereits beschließendes Gericht, Beschl. v. 23.4.1999 – 10 M 1330/99 -, juris, Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 6. Auflage, Rdnr. 279, zweifelnd Zimmerling, MedR 2001, 634).

Weder die Bescheinigung der Diplom-Psychologin I. /Dr. med. J. vom 3. September 2015 noch diejenige der Dr. med. J. vom 18. Dezember 2015 erfüllen die danach nach allgemeinen prüfungsrechtlichen Grundsätzen an ein ärztliches Attest zu stellenden Voraussetzungen. Insoweit hat das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss zutreffend ausgeführt:

„Diesen Anforderungen wird das von dem Antragsteller vorgelegte Attest vom 3.9.2015 nicht gerecht. Nach der Bescheinigung stellte sich der Antragsteller „stark belastet“ in der Psychotherapeutischen Ambulanz vor. Was als „stark belastet“ angesehen wird, hängt von den jeweiligen subjektiven Einschätzungen ab. Ein objektiv vermittelbares Krankheitsbild (z.B. bestimmte körperliche Begleiterscheinungen wie Zittern oder Unruhe) ist damit nicht verbunden. Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit des Antragstellers während der Prüfung (z.B. fehlende Konzentrationsfähigkeit) fehlen vollständig. Da „stark belastet“ keine akute Krankheit beschreibt, ist die Prüfungsunfähigkeit auch nicht offensichtlich. Im Übrigen gibt die Ärztin lediglich ihre eigene Einschätzung, der Antragsteller sei nicht prüfungsfähig, wieder. Diese Einschätzung obliegt jedoch – wie bereits ausgeführt – der Prüfungsbehörde und nicht den attestierenden Ärzten.

(…)

Unabhängig hiervon hat der Antragsteller auch nach dem Hinweis der Antragsgegnerin auf die Nichtanerkennung des Attests durch Bescheid vom 3.12.2015 kein aussagekräftiges Attest vorgelegt. Ergänzend zu der ersten Bescheinigung stellt die Ärztin hier lediglich fest, dass eine studienunabhängige Symptomatik mit Krankheitswert bestanden habe, die auch ausführlich von der behandelnden Psychologin der Psychosozialen Beratungsstelle dokumentiert und attestiert worden sei. Diese Diagnose sei bestätigt worden. Welche Symptomatik bestand, geht aus dem Attest ebenso wenig hervor wie die Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit des Antragstellers. Die ausführliche Dokumentation der Psychologin war nicht beigefügt.“

(2) Die Antragsgegnerin hätte es jedoch – aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles – nicht bei der Feststellung belassen dürfen, dass die vorgelegten Bescheinigungen den Anforderungen an einen hinreichenden Nachweis der Prüfungsunfähigkeit nicht genügen. Denn der Antragsteller ist seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen, indem er unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern und mithin zu dem frühestmöglichen Zeitpunkt, zu dem es von ihm zumutbarerweise erwartet werden konnte (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 7.10.1988 – 7 C 8.88 -, BVerwGE 80, 282, u. v. 13.5.1998 – 6 C 12.98 -, BVerwGE 106, 369), das Attest der Diplom-Psychologin I. /Dr. med. J. vom 3. September 2015 noch an dem Tag, als er es nach seinem – von der Antragsgegnerin nicht bestrittenen – Vortrag erhalten hat (4. September 2015), an die Antragsgegnerin weitergeleitet hat.

Dabei durfte der Antragsteller davon ausgehen, dass die Antragsgegnerin die Anerkennung seines Rücktritts nicht bereits deshalb verweigern würde, weil er keine amtsärztliche Bescheinigung vorlegen konnte. Denn er hatte dafür Sorge getragen, dass die Unmöglichkeit (bzw. jedenfalls Unzumutbarkeit) der Erlangung einer solchen Bescheinigung gegenüber der Antragsgegnerin hinreichend durch die Auskunft des Leiters des Gesundheitsamtes D. an das Verwaltungsgericht Göttingen, die wiederum der Antragsgegnerin mitgeteilt worden war, dokumentiert war.

Der Antragsteller durfte weiter davon ausgehen, dass er einen adäquaten Ersatz für eine amtsärztliche Bescheinigung beigebracht hatte, indem er eine Bescheinigung der Psychotherapeutischen Ambulanz für Studierende der Universität D. (PAS) vorgelegt hatte. Die PAS ist fachlich und organisatorisch der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universitätsmedizin D. – also einer organisatorischen Einrichtung der Antragsgegnerin – zugeordnet. In ihrem Internetauftritt führt die PAS aus: „Ferner gehört es zu unseren Aufgaben, krankheitsbedingte Studien- und Prüfungsunfähigkeit festzustellen und gegebenenfalls zu attestieren. Hinweis: Wenn eine derartige Bescheinigung bzw. ein Attest gewünscht wird, sollten genaue Informationen über die Erfordernisse hieran mitgebracht werden.“. Damit ist die PAS als organisatorische Einrichtung der Antragsgegnerin aber aus objektiver Sicht nicht nur über den Verdacht erhaben, Gefälligkeitsatteste für Prüflinge zu Lasten der Antragsgegnerin auszustellen, sondern sie nimmt sogar nach außen hin gerade die besondere Kompetenz für die Ausstellung von Attesten über eine Prüfungsfähigkeit in Anspruch. Für den Antragsteller bestand danach kein Anhaltspunkt, dass die Antragsgegnerin die Bescheinigung der PAS nicht als adäquaten Ersatz für eine amtsärztliche Bescheinigung akzeptieren könnte.

Angesichts dessen war der Antragsteller auch nicht gehalten, den Inhalt der erteilten Bescheinigung zu hinterfragen. Ein Prüfling, der sich an die PAS wendet, darf aufgrund deren Stellung und der von ihr in Anspruch genommenen Kompetenz darauf vertrauen, dass er eine Bescheinigung erhält, die jedenfalls nicht an grundlegenden formalen Mängeln leidet. Der Hinweis im Internetauftritt der PAS „Wenn eine derartige Bescheinigung bzw. ein Attest gewünscht wird, sollten genaue Informationen über die Erfordernisse hieran mitgebracht werden.“, rechtfertigt jedenfalls so lange keine andere Beurteilung, als es sich – wie hier – um grundlegende Anforderungen handelt, denen jedes eine Prüfungsunfähigkeit bescheinigende ärztliche Attest genügen muss. Unerheblich ist es in diesem Zusammenhang, dass der Antragsteller mit der PAS lediglich einen privatrechtlichen Behandlungsvertrag geschlossen hat.

Vor diesem Hintergrund bedarf es im Eilverfahren keiner weiteren Klärung, ob Frau Dr. J. den Antragsteller zudem – was die Erforderlichkeit der ergänzenden Vorlage der Bescheinigung des Studentenwerks D. vom 3. September 2015 anbelangt – wenig zielführend beraten hat, was die Antragsgegnerin in ihrer Beschwerdeerwiderung allerdings nicht in Abrede gestellt hat.

Dies zugrunde gelegt, hätte es der Antragsgegnerin oblegen, weitere Nachforschungen anzustellen, bevor sie den Antragsteller negativ bescheidet. Aufgrund der oben geschilderten Besonderheiten ist der Fall bezogen auf weitere Nachforschungspflichten der Prüfungsbehörde nicht anders zu betrachten, als derjenige, in dem der Prüfling ein amtsärztliches Attest vorlegt (vgl. hierzu BVerwG, Beschl. v. 22.6.1993 – 6 B 9.93 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 316, OVG des Saarlandes, Urt. v. 26.1.2012 – 2 A 329/11 -, juris, OVG NRW, Beschl. v. 18.4.2002 – 14 A 308/02 -, juris, und Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 6. Auflage, Rdnr. 281). Dabei hatte die Antragsgegnerin nicht nur die Möglichkeit, gegenüber den aus ihrem eigenen Haus stammenden Ausstellern der Atteste ihre Vorgaben zu deren inhaltlicher Gestaltung zu verdeutlichen, ihr hätte auch der Weg offen gestanden, den Antragsteller darauf hinzuweisen, dass sie das Attest so nicht akzeptiere; in diesem Fall hätte es dem Antragsteller oblegen, erneut an die Psychologin/Ärztin heranzutreten. Dass die letztgenannte Vorgehensweise im Widerspruchsverfahren keinen Erfolg gezeigt hat, kann die Antragsgegnerin nicht für sich ins Feld führen. Denn jedenfalls im Widerspruchsverfahren, nachdem Frau Dr. J. einerseits ihre medizinische Beurteilung nochmals bekräftigt und andererseits erneut dokumentiert hatte, dass sie die allgemeinen Anforderungen an ein die Prüfungsunfähigkeit bestätigendes Attest offenbar nicht kennt, wäre es Aufgabe der Antragsgegnerin gewesen, ihr gegenüber auf eine weitere Konkretisierung der Atteste hinzuwirken. Dass eine solche Konkretisierung nicht mehr zeitnah zur Prüfung hätte erfolgen können, hat die Antragsgegnerin selbst zu verantworten, da sie den Antragsteller erst drei Monate nach dem Prüfungstermin dahin beschieden hat, ihr genüge das vorgelegte Attest für einen Nachweis der Prüfungsunfähigkeit nicht.

2. Obgleich damit eine Prüfungsunfähigkeit des Antragstellers am Prüfungstag nach wie vor nicht ärztlich bestätigt ist, spricht jedenfalls nach vorläufiger Einschätzung überwiegendes dafür, dass eine solche am 4. September 2015 vorlag.

Dabei kommt vor allem der in den Attesten der Diplom-Psychologin I. /Dr. med. J. vom 3. September 2015 und der Dr. J. vom 18. Dezember 2015 zum Ausdruck kommenden Einschätzung einiges Gewicht zu. Es ist, wie bereits oben hervorgehoben, dem Grunde nach davon auszugehen, dass von ihrer Seite kein Gefälligkeitsattest ausgestellt und auch der Hinweis „studienunabhängige Symptomatik von Krankheitswert“ im Attest vom 18. Dezember 2015 nicht leichtfertig aufgenommen worden ist. Ebenfalls zu würdigen ist die von dem Antragsteller – leider erst im Beschwerdeverfahren – vorgelegte „Bescheinigung zur Vorlage beim Gesundheitsamt“ der Psychosozialen Beratungsstelle des Studentenwerks D. (Dr. K.) vom 3. September 2015 (Gerichtsakte, Bl. 148). Darin ist u.a. ausgeführt, dass der Antragsteller an einer generalisierten Angststörung (ICD – 10: F 41.1 mit rezidivierenden depressiven Episoden (F 31.1) leide, welche zu einer starken Leistungseinschränkung besonders in schwierigen Lebenssituationen führe.

In der im Beschwerdeverfahren vorgelegten amtsärztlichen Bescheinigung des Dr. L. vom 14. März 2016 (Gerichtsakte, Bl. 193) wird dem Antragsteller außerdem für das Sommersemester 2015 und die anschließende Zeit bis Dezember 2015 zu 100% Studierunfähigkeit bescheinigt. Ab Januar 2016 habe die Studierfähigkeit 60% betragen. Es wird außerdem darauf hingewiesen, dass der Antragsteller am 7. September 2015 wegen eines Ulnarisrinnensyndroms operiert worden sei.

Die auch im Widerspruchsbescheid der Antragsgegnerin thematisierte Frage, ob der Antragsteller an einem – die Annahme der Prüfungsunfähigkeit nicht rechtfertigenden – Dauerleiden leide, hat das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 24. Juni 2016 gleichen Rubrums – 4 B 278/16 -, allerdings wohl ohne Kenntnis der Bescheinigung der Psychosozialen Beratungsstelle des Studentenwerks D. (Dr. K.) vom 3. September 2015, verneint.

Letztlich ist damit die Frage nach der Prüfungsunfähigkeit des Antragstellers am Prüfungstag im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht abschließend zu beantworten. Ihre Klärung bleibt ggf. dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Dies geht aufgrund der oben beschriebenen Besonderheiten des Einzelfalles aber nicht zu Lasten des Antragstellers. Da sich im Eilverfahren keine anderslautenden Erkenntnisse mit hinreichender Sicherheit gewinnen lassen, legt der Senat seiner Entscheidung die von der PAS bescheinigte Prüfungsunfähigkeit zugrunde. Hinzu kommt, dass die zusätzliche Teilnahme des Antragstellers an der ohnehin durchgeführten Leistungskontrolle für die Antragsgegnerin mit vergleichsweise geringem Aufwand verbunden ist. Dagegen ergäbe sich für den Antragsteller bei Nichtteilnahme und Abwarten der Hauptsacheentscheidung ein erheblicher Zeitverlust (vgl. hierzu auch Sächs. OVG, Beschl. v. 8.1.2011 – 2 A 315/10 -, juris).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Dabei ist der Senat davon ausgegangen, dass der erstinstanzlich gestellte Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO in Bezug auf die Kostenentscheidung keine Auswirkungen hatte, wie das Verwaltungsgericht auch durch die Festsetzung des Streitwerts (keine Erhöhung des Streitwerts aufgrund des außerdem gestellten Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO) dokumentiert hat; dies entspricht dem Rechtsgedanken des § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG.

Das Verfahren über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist gerichtskostenfrei; nach § 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO werden außergerichtliche Kosten nicht erstattet.

Die Streitwertentscheidung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 36.1, 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Beilage 2/2013 zu NVwZ-Heft 23/2013, S. 57 ff.).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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