Zur Vollstreckbarerklärung ausländischer Urteile

LG Augsburg, Urteil vom 09.07.2013 81 O 3956/12

Die Begründetheit eines Klageantrags auf Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Urteils gemäß §§ 722, 723 ZPO setzt voraus, dass die ausländische Entscheidung rechtskräftig ist, dass kein Anerkennungshindernis nach § 328 ZPO besteht und dass keine entsprechend § 767 Abs. 2 ZPO zulässige Einwendung geltend gemacht ist (Rn. 20).

Die Vertragsstaaten Deutschland und die Russische Föderation haben durch die Anerkennung der CMR einen völkerrechtlichen Vertrag unterzeichnet, der sicherstellt, dass in dessen Anwendungsbereich die Urteile des jeweiligen anderen Staates ohne sachliche Nachprüfung anerkannt werden (Rn. 33). 

Tenor

I. Das Urteil des Wirtschaftsgerichts des Moskauer Gebietes zum Aktenzeichen A41-34323/11 vom 09. Juni 2012, durch das die Beklagte zur Zahlung von EUR 64.990,88 sowie Russischen Rubeln 36.571,10 verurteilt worden ist, wird für vollstreckbar erklärt.

II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

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Die Klägerin begehrt die Vollstreckbarerklärung eines Gerichts der Russischen Föderation, hilfsweise die Verurteilung der Beklagten zum Ersatz eines Transportschadens.
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Die Klägerin hat ein am 06. Juni 2012 verkündetes und am 09. Juni 2012 im vollen Wortlaut ausgefertigtes Urteil des Wirtschaftsgerichts Gebiet Moskau der Russischen Föderation erwirkt, in dem der Klage stattgegeben wird und der Beklagten auferlegt wird, 64.990,88 €, den Gegenwert der verlorenen Fracht, und 36.571,10 Rubel an staatlichen Gebühren an die Klägerin zu zahlen. Das Urteil trägt einen Rechtskraftvermerk vom 10.07.2012 (insgesamt Anlage K1, mit beglaubigter Übersetzung). Dem Schadensfall lagen CMR Frachtbriefe zugrunde (Anlagenkonvolut K2). Die das Verfahren einleitende Klage wurde der Beklagten am 09.09.2011 durch TNT durchgestellt; sie wurde von der Geschäftsführerin der Beklagten persönlich entgegengenommen. Eine Ladung zur Hauptverhandlung hat die Beklagte am 30.03.2012 erhalten.
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Zum Hilfsantrag behauptet die Klägerin, dass die Parteien durch einen Transportvertrag vom 01.03.2007 verbunden gewesen seien, wobei bei einem Transport von Italien nach Russland im April/Mai 2011 die gesamte Ladung verloren gegangen sei und der Klägerin dadurch ein Schaden in Höhe von 64.990,68 € entstanden sei.
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Die Klägerin ist der Auffassung, dass das Urteil des Wirtschaftsgerichts Gebiet Moskau nach den §§ 722, 723 ZPO für vollstreckbar zu erklären sei und Ausschlussgründe gemäß § 328 ZPO nicht gegeben seien.
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Die Klägerin beantragt:
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Das Urteil des Wirtschaftsgerichts des Moskauer Gebietes zum Aktenzeichen A41-34323/11 vom 09. Juni 2012, durch das die Beklagte zur Zahlung von EUR 64.990,88 sowie Russischen Rubeln 36.571,10 verurteilt worden ist, wird für vollstreckbar erklärt.
Hilfsweise:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 64.990,88 nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszins ab dem 24.06.2011 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt
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Klageabweisung.
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Sie bestreitet die Übergabe der Ware an den Subunternehmer.
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In rechtlicher Hinsicht ist die Beklagte zum Hauptantrag der Auffassung, dass die Anerkennung des ausländischen Urteils nach § 328 ZPO in mehrerlei Hinsicht ausgeschlossen sei.
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Der Beklagten sei das das Verfahren einleitende Dokument nicht ordnungsgemäß zugestellt worden.
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Mit der Russischen Föderation sei die Gegenseitigkeit nicht verbürgt.
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Die Anerkennung des Urteils würde zu einem Ergebnis führen, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts und der CMR offensichtlich unvereinbar sei.
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Zur Ergänzung des Sach- und Streitstands wird auf die Klageschrift vom 15.10.2012, die Klageerwiderung vom 19.12.2012, den Schriftsatz der Klägerseite vom 18.01.2013 und der Beklagtenseite vom 02.04.2013 jeweils nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist nach den §§ 722, 723 ZPO zulässig. Die Zulässigkeit der Vollstreckung aus dem Urteil der Russischen Föderation ist durch Vollstreckungsurteil ohne Prüfung der Gesetzmäßigkeit auszusprechen, weil die Anerkennung des Urteils nicht nach § 328 ZPO ausgeschlossen ist.
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I. Zulässigkeit
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1. Das Landgericht Augsburg ist nach den §§ 722 Abs. 2 S. 1, 17 ZPO örtlich, nach § 71 Abs. 1 GVG sachlich zuständig.
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2. Bei dem Urteil des Wirtschaftsgerichts Gebiet Moskau handelt es sich um ein Urteil im Sinn von § 722 Abs. 1 ZPO. Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass der Rechtskraftvermerk die Formulierung “Schiedsspruch” ergibt. Aus dem Text des Urteils ergibt sich zweifelsfrei, dass es sich um ein Urteil eines staatlichen Gerichts und nicht eines Schiedsgerichts im Sinne der §§ 1034 ff ZPO handelt.
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II. Begründetheit
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Die Begründetheit eines Klageantrags auf Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Urteils gemäß §§ 722, 723 ZPO setzt voraus, dass die ausländische Entscheidung rechtskräftig ist, dass kein Anerkennungshindernis nach § 328 ZPO besteht und dass keine entsprechend § 767 Abs. 2 ZPO zulässige Einwendung geltend gemacht ist. Die Rechtskraft des Urteils ergibt sich aus dem Rechtskraftvermerk. Einwendungen im Sinn von § 767 Abs. 2 ZPO wurden nicht geltend gemacht. Einer näheren Prüfung bedurften deshalb lediglich die Anerkennungshindernisse nach § 328 ZPO. Solche liegen nicht vor.
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1. § 328 Abs. 1 Nr. 2 ZPO (Zustellung des verfahrenseinleitenden Dokuments) Nach § 328 Abs. 1 Nr. 2 ZPO ist die Anerkennung eines ausländischen Urteils ausgeschlossen, wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat und sich hierauf beruft, das verfahrenseinleitende Dokument nicht ordnungsgemäß oder nicht so rechtzeitig zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte.
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Das Wirtschaftsgericht Gebiet Moskau ist von einer ordnungsgemäßen Zustellung ausgegangen. Eine Bindung hieran besteht allerdings im Rahmen der Prüfung des § 328 ZPO nicht. Die Ordnungsmäßigkeit der Zustellung ist nach den am ausländischen Gerichtsort geltenden Zustellungsvorschriften einschließlich der völkerrechtlichen Verträge zu beurteilen. Deutschland und die Russische Föderation sind Unterzeichnerstaaten des Haager Zustellungsübereinkommens. Werden bei einer Auslandszustellung nach dem Haager Zustellungsübereinkommen die Anforderungen des Abkommens gewahrt und bei der Zustellung nur Formvorschriften des Verfahrensrechts des Zustellungsstaates verletzt, wird der Zustellungsmangel nach § 189 ZPO geheilt, wenn das Schriftstück dem Zustellungsempfänger tatsächlich zugegangen ist. Dies gilt auch dann, wenn das gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. a HZÜ anwendbare Recht des Zustellungsstaates eine Heilung nicht vorsieht (BGH, Urteil vom 14.09.2011, XII ZR 168/09).
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Im vorliegenden Verfahren hat die Beklagte in Person ihrer Geschäftsführerin die Klage persönlich ausgehändigt erhalten. Diese ist unbestritten der russischen Sprache mächtig. Die Beklagte kann deshalb lediglich die Verletzung der Formvorschrift des § 166 ZPO einwenden, wonach die Parteizustellung durch den Gerichtsvollzieher zu erfolgen hat, während hier unstreitig die Zustellung durch TNT erfolgt ist. Insoweit handelt es sich lediglich um Formvorschriften des Verfahrensrechts des Zustellungsstaates, die einer Heilung eines Zustellungsmangels nicht entgegenstehen. Es ist deshalb nach § 189 ZPO von einer wirksamen Zustellung auszugehen.
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Durch Anlage K7 einschließlich deren beglaubigter Übersetzung ist auch belegt, dass der Beklagten der Gerichtstermin und dessen Gegenstand bewusst war.
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Zugleich ergibt sich aus den Anlagen K7 und K9, dass die Geschäftsführerin der Beklagten wie von der Klägerin behauptet und nicht bestritten, selbst in russischer Sprache korrespondiert.
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2. § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO (Verstoß gegen den ordre public).
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Eine Anerkennung des ausländischen Urteils ist danach dann ausgeschlossen, wenn sie zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist, insbesondere wenn die Anerkennung mit den Grundrechten unvereinbar ist.
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Dies lässt sich vorliegend weder in materieller noch in formeller Hinsicht feststellen.
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a) In formeller Hinsicht liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass das Verfahren der Russischen Föderation von Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts in einem Maße abweicht, das nach der deutschen Rechtsordnung nicht von einem in einer geordneten rechtsstaatlichen Weise ergangenen Urteil ausgegangen werden kann. Das Urteil vom 06. Juni 2012 in dessen schriftlicher Fassung vom 09. Juni 2012 erfüllt alle Anforderungen, die an ein für eine Auslandszustellung vorgesehenes deutsches Versäumnisurteil zu stellen wären.
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b) In materieller Hinsicht liegt ein Verstoß gegen den ordre republic nur dann vor, wenn das Ergebnis der Entscheidung zu den Grundgedanken der deutschen Rechtsordnung und der in ihr liegenden Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass es in Deutschland für untragbar gehalten wird (Thomas/Putzo, ZPO, 34. Aufl., § 328 Rz. 16). Das ist vorliegend offensichtlich nicht der Fall. Eine Hintertür zur materiell-rechtlichen Überprüfung des ausländischen Urteils stellt § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO nicht dar.
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3. § 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO (verbürgte Gegenseite)
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Ob im Verhältnis zwischen Deutschland und der Russischen Föderation von verbürgter Gegenseitigkeit allgemein ausgegangen werden kann, kann dahinstehen. Die knappe verfügbare Rechtsprechung und Literatur lässt beide Möglichkeiten offen.
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Entscheidend ist vorliegend, dass es sich um eine Auseinandersetzung handelt, die nach der CMR zu beurteilen ist. Hier sind sowohl Deutschland als auch die Russische Föderation Vertragsparteien. Es gilt insoweit die Regelung des Art. 31 Abs. 3 CMR. Die Vertragsstaaten Deutschland und die Russische Föderation haben durch die Anerkennung der CMR einen völkerrechtlichen Vertrag unterzeichnet, der sicherstellt, dass in dessen Anwendungsbereich die Urteile des jeweiligen anderen Staates ohne sachliche Nachprüfung anerkannt werden. Die vom Klägervertreter zitierte Literaturstelle (Münchner Kommentar zum HGB, Art. 31 CMR, Rdnr. 38) ist deshalb überzeugend. Durch die CMR ist für internationale Beförderung von Gütern zwischen Deutschland und der Russischen Föderation die Gegenseitigkeit verbürgt.
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Die Klage hat deshalb im Hauptantrag Erfolg, mit dem Ergebnis, dass ein Vollstreckungsurteil zu erlassen ist. Auf den Hilfsantrag und die materiell-rechtliche Begründetheit des Anspruchs der Klägerin kommt es nicht an.
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III. Nebenentscheidungen
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

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