Zur Verkehrssicherungspflicht des Reiseveranstalters

OLG Koblenz, Urteil vom 01.12.2011 – 2 U 1104/10

Nach der Rechtsprechung des BGH hängt die Frage, wie häufig und in welchem Umfang die im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht erforderlichen Überprüfungen vorzunehmen sind, von den Umständen des Einzelfalles ab, wobei auch die Frage der Zumutbarkeit für den Reiseveranstalter zu berücksichtigen ist (Rn. 6). 

Ein Reiseveranstalter kann darauf vertrauen, dass von allgemein nicht als besondere Gefahrenquelle anzusehenden und mit dem EU-Sicherheitszertifikat “CE” ausgestatteten Plastikstühlen, die zu Beginn der Saison neu angeschafft und stichprobenartig überprüft worden waren, ohne dass sich Beanstandungen ergeben hatten, während der laufenden Saison keine bei der täglichen Reinigung der Stühle nicht offenbar werdende Gefahr für die Urlauber ausgehen wird (Rn. 6).

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 9. Zivilkammer – Einzelrichter – des Landgerichts Koblenz vom 17.08.2010 wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen dem Kläger zur Last.

3. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 13.500,00 € festgesetzt.

4. Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.
1

Der Kläger begehrt von der Beklagten Ersatz materiellen und immateriellen Schadens aufgrund einer Verletzung, die er nach seinem Vortrag während eines von der Beklagten vermittelten Urlaubaufenthalts in einem Hotel in …[X]/Kroatien erlitten hat. Wegen der Sachdarstellung im Einzelnen wird auf den Beschluss des Senates vom 06.10.2011 und ergänzend auf den gesamten Akteninhalt verwiesen.

II.
2

Die Berufung des Klägers gegen das die Klage abweisende Urteil des Landgerichts ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen, weil das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist. Zur Begründung wird zunächst auf den Hinweisbeschluss des Senates vom 06.10.2011 Bezug genommen. Der Kläger hat hierzu rechtliches Gehör erhalten und mit Schriftsatz vom 21.11.2011 der Anwendung des § 522 Abs. 2 ZPO widersprochen.

3

Die Ausführungen des Beklagten in diesem Schriftsatz führen jedoch nicht zu einer vom Hinweisbeschluss des Senates vom 06.10.2011 abweichenden Beurteilung.

4

Entgegen der Auffassung des Klägers ist über den Hergang des von diesem behaupteten Unfalls kein Beweis zu erheben. Der Kläger hat hierzu in der Klageschrift vorgetragen, er habe auf einem lediglich aus Plastik bestehenden Schalenstuhl auf dem Balkon seines Hotelzimmers gesessen und gelesen; plötzlich sei das hintere rechte Bein des Plastikstuhls entzwei gebrochen. Aufgrund dessen sei er mit seinem Hinterkopf an der sich hinter ihm befindlichen Betonwand aufgeschlagen und dann mit seinem Rücken auf den Boden des Balkons geprallt, der ebenfalls betoniert gewesen sei. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht hat er ergänzt, er habe, als er auf dem Stuhl saß, gemerkt, dass er nach hinten weggegangen sei. Er habe festgestellt, dass der Stuhl “weich” geworden sei. Es sei dann ein Stuhlbein eingeknickt, er meine, dass es das rechte hintere Stuhlbein war. Aufgrund dessen sei er zu Boden gestürzt und mit dem Kopf gegen die Betonwand geschlagen. Irgendwelche “Schaukelbewegungen” habe er nicht gemacht, bevor der Stuhl eingeknickt sei. Er habe “ganz normal” auf dem Stuhl gesessen. Dieser – von der Beklagten bestrittene – Vortrag kann zu Gunsten des Klägers unterstellt werden, so dass eine Beweiserhebung hierüber nicht veranlasst ist. Entgegen der Ansicht des Klägers liegt in dieser Wahrunterstellung kein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs. Soweit der Kläger nunmehr ausführt, bei Durchführung der Beweisaufnahme hätte sich herausgestellt, dass es einerseits offenkundig sei, dass von Einrichtungsgegenständen – hier der Plastikstuhl auf dem Balkon – des Vertragshotels Gefahr für die Gäste, hier den Kläger, ausgehe und dass von einer dementsprechenden Überprüfung durch das Personal des Vertragshotels überhaupt keine Rede sein könne, stellt er auf Tatsachen ab, die von ihm nicht vorgetragen sind und durch Ausforschung der angebotenen Zeugin erst ermittelt werden sollen. Das ist im Zivilprozess nicht zulässig.

5

Auch irrt der Kläger, wenn er meint, eine mögliche Erkennbarkeit des Schadens des Plastikstuhls durch ihn sei ohne jeglichen Belang und führe keinesfalls zu einer Mitverantwortung für den entstandenen Schaden oder gar einen Haftungsausschluss der Beklagten. War der Stuhl erkennbar beschädigt, als der Kläger sich auf ihn setzte, handelte er auf eigene Gefahr und muss die Folgen hieraus nach den Grundsätzen des § 254 BGB selbst tragen. War die Schadensanlage aber nicht erkennbar, kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie bei der vom Kläger geforderten Überprüfung durch Beauftragte der Beklagten aufgefallen wäre. Auch insoweit ist die vom Kläger erhoffte Beseitigung von Unklarheiten im Wege der Beweisaufnahme auf eine unzulässige Ausforschung gerichtet, nachdem sein Vortrag keinerlei Anhalt dafür bietet, wie und woran bei einer Überprüfung die Schadensanlage hätte erkannt werden können.

6

Nach der Rechtsprechung des BGH hängt die Frage, wie häufig und in welchem Umfang die im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht erforderlichen Überprüfungen vorzunehmen sind, von den Umständen des Einzelfalles ab (vgl. BGHZ 103, 298, Tz 27), wobei auch die Frage der Zumutbarkeit für den Reiseveranstalter zu berücksichtigen ist. Insoweit ist im vorliegenden Fall von Bedeutung, dass es – anders als in den vom BGH entschiedenen Sachverhalten (BGHZ 103, 298: Balkongitterbefestigung; BGH, NJW 2006, 3268: Wasserrutsche; BGH, NJW 2007, 2549: Spielveranstaltung mit Schuhwürfen) – hier nicht um allgemein als gefahrtragend anzusehende Einrichtungen oder Veranstaltungen geht, bei denen eine regelmäßige Überprüfung auch während der jeweiligen Saison erwartet werden kann. Vielmehr konnte die Beklagte darauf vertrauen, dass von den allgemein nicht als besondere Gefahrenquelle anzusehenden und mit dem EU-Sicherheitszertifikat “CE” ausgestatteten Plastikstühlen, die zu Beginn der Saison neu angeschafft und stichprobenartig überprüft worden waren, ohne dass sich Beanstandungen ergeben hatten, während der laufenden Saison keine bei der täglichen Reinigung der Stühle nicht offenbar werdende Gefahr für die Urlauber ausgehen würde. Da auch nicht ersichtlich ist, dass Probleme der Standsicherheit in der vom Kläger geschilderten Art in der Vergangenheit bereits aufgetreten waren, hatte die Beklagte keinen Anlass, zu weitergehenden Überprüfungen. Eine regelmäßige Überprüfung sämtlicher Plastikhotelstühle auf den Balkonen der Urlaubshotels während der laufenden Saison ist dem Reiseveranstalter unter solchen Umständen nicht zumutbar.

III.
7

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97, 708 Nr. 10 n.F. ZPO.

Dieser Beitrag wurde unter Reiserecht abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.