Zur Verkehrssicherungspflicht der Straßenbaubehörde in Bezug auf mobile Verkehrsschilder nach Beendigung einer Baustelle und Ablauf der Genehmigungsdauer

Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 11. Februar 2020 – 7 U 260/19

1. Die Verkehrsregelung mittels Verkehrszeichen (§ 45 StVO) ist eine hoheitliche Aufgabe. Die entsprechende Anordnung sowie auch die Entfernung von Verkehrszeichen obliegt deshalb den Straßenverkehrsbehörden und wenn sie zur Durchführung von Straßenbauarbeiten erfolgt, den Straßenbaubehörden.

2. Private Straßenbaubetriebe handeln beim verkehrsregelnden Betrieb einer Baustelle auf öffentlichen Straßen in Ausübung eines ihnen anvertrauten öffentlichen Amtes als Verwaltungshelfer. Der Straßenbaulastträger kann sich nicht durch einen Verweis auf die Haftung des Bauunternehmers entlasten. In seinem Anwendungsbereich verdrängt § 839 BGB als vorrangige Spezialregelung etwaige konkurrierende Ansprüche aus §§ 823 ff. BGB gegen den Bauunternehmer.

3. Nach Beendigung der Baustelle und Ablauf der Genehmigungsdauer ist ein mobiles Verkehrsschild unverzüglich wieder zu entfernen, weil von ihm ein erhöhtes Gefahrenpotenzial ausgeht, sie sind anfällig gegen Wind und fordern Vandalismus heraus. Diese Gefahren sind nur solange hinzunehmen, wie die Aufstellung verkehrsbedingt erforderlich und genehmigt ist. Nach Ablauf dieser Zeit stellt sich das mobile Verkehrsschild als beseitigungspflichtiges Hindernis dar.

4. Schlechte Sichtverhältnisse bei Dunkelheit und widrige Witterungsverhältnisse (z.B. Nieselregen und nasse Fahrbahn) begründen erhöhte Sorgfaltsanforderungen, die auch für Radfahrer gelten. Der Verstoß gegen das Sichtfahrgebot (§ 3 Abs. 1 S. 4 StVO) und/oder überhöhte Geschwindigkeit (§ 3 Abs. 1 S. 2 StVO) können eine Mitverursachungsquote des Geschädigten von 50 % rechtfertigen.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

I. Der Senat schlägt den Parteien vor, sich gem. § 278 Abs. 6 ZPO wie folgt zu vergleichen:

1. Die Beklagte zahlt an den Kläger 1.000,00 €.

2. Mit diesem Vergleich und der Zahlung gem. Ziffer 1 sind alle Ansprüche des Klägers aus dem Verkehrsunfall vom 01.12.2016 (gegen 02:45 Uhr, Fahrradweg an der Straße L. in Richtung H.-Straße in K.) erledigt, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

3. Die Kosten des Rechtsstreites in beiden Rechtszügen einschließlich des Vergleichs werden gegeneinander aufgehoben.

II. Die Parteien erhalten Gelegenheit, zu dem vorstehenden Vergleichsvorschlag des Senats bis spätestens 05.03.2020 abschließend Stellung zu nehmen.

III. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für den zweiten Rechtszug auf bis zu 2.000,00 € festzusetzen.

Gründe
I.

1
Der Kläger beansprucht von der Beklagten wegen der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten Schadenersatz aufgrund eines Unfalls, den er am 01.12.2016 auf dem Fahrradweg an der Straße L. in K. erlitten hat. Gegen ca. 02:45 Uhr morgens befuhr der Kläger mit seinem Mini-Klapprad der Marke xxx (Sattelhöhe ca. 1 m, Lenkerhöhe ca. 87 cm) mit ca. 20 km/h bei Nieselregen den rechts der Straße L. belegenden Radweg stadteinwärts in Richtung H.-Straße. Aus ungeklärter Ursache war ein mobiles Verkehrsschild (Gefahrzeichen nach § 40 Abs. 6 StVO) quer über den Fahrradweg gekippt. Der Kläger stürzte über den Edelstahlpfahl des Verkehrsschildes, flog über den Lenker und erlitt – trotz Helms – erhebliche Verletzungen. Über den Rettungsdienst kam er in die Notaufnahme des UKSH Kiel und musste dort wegen querfrakturierter Zähne sowie diverser offener Schürfwunden an der Oberlippe und im Gesicht behandelt werden. Unter anderem waren 2/7 des rechten und 1/3 des linken Schneidezahns durch den Sturz abgebrochen.

2
Das mobile Verkehrsschild gehörte der Firma L. F. (…), die im Auftrag der Beklagten (Tiefbauamt) in der Nähe der Unfallstelle (an der dortigen Bushaltestelle) eine Baustelle betrieben hatte. Unstreitig war diese Baustelle bereits Wochen vor dem Unfall beendet und aufgehoben worden, wobei das Gefahrenschild am rechten Gehwegrand ohne Funktion abgestellt war. Dem Kläger, der den Radweg häufiger benutzte, war dieses mobile Verkehrsschild schon Tage vor dem Unfall rechts am Gehweg stehend aufgefallen. Noch am 29.11.2016 (2 Tage vor dem Unfall) hatten Mitarbeiter der Beklagten im Zuge einer Begehung den Zustand der Straße L. kontrolliert, zu diesem Zeitpunkt stand das Schild noch am rechten Gehwegrand in unmittelbarer Nähe der Unfallstelle.

3
Die Beklagte hat behauptet, dass die Baustelle zum Unfallzeitpunkt zwar nicht mehr betrieben worden sei, eine Abnahme der Bauarbeiten der Firma F. aber noch ausgestanden hätte (Beweis: Zeugnis D.). Die Beklagte hat ferner behauptet, das Verkehrsschild sei offensichtlich mutwillig umgestürzt und verschoben worden. Eine permanente Kontrolle bzw. lückenlose Überwachung der Straße sei wirtschaftlich nicht darstellbar.

4
Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil vom 15.11.2019 die Klage abgewiesen. Ein Verstoß gegen Verkehrssicherungspflichten läge nicht vor. Die Pflicht zum Entfernen von Verkehrszeichen nach Beendigung einer Baustelle treffe den Bauunternehmer, nicht aber den öffentlich-rechtlichen Baulastträger. Im Übrigen sei die Beklagte für das strafbare Verhalten unbekannter Dritter nicht verantwortlich.

5
Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er beantragt, das angefochtene Urteil zu ändern und

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1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 961,13 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (08.05.2019) zu zahlen und

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2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle aus dem streitgegenständlichen Unfall vom 01.12.2016 noch entstehenden Schäden zu ersetzen.

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Die Beklagte beantragt,

9
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

II.

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1. Hier kommt eine Haftung der Beklagten als Trägerin der Straßenbaulast (§ 13 StrWG SH) gem. Art. 34 GG i.V.m. §§ 839 BGB, 10 Abs. 4 StrWG SH dem Grunde nach in Betracht.

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Die Beklagte kann sich im Außenverhältnis nicht dadurch entlasten, dass sie den Kläger wegen der geltend gemachten Pflichtverletzung zum Entfernen von Verkehrszeichen (hier: Gefahrzeichen nach § 40 Abs. 6 StVO) nach Beendigung der Baustelle an den Bauunternehmer verweist. Die Firma F. handelte beim verkehrsregelnden Betrieb der Baustelle in Ausübung eines ihr anvertrauten öffentlichen Amtes als Verwaltungshelferin (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 29.07.2015, I-11 U 32/14, veröffentlicht in juris). Die Verkehrsregelung mittels Verkehrszeichen (§ 45 StVO) ist eine hoheitliche Aufgabe. Die entsprechende Anordnung sowie auch die Entfernung von Verkehrszeichen obliegt gem. § 45 Abs. 3 StVO den Straßenverkehrsbehörden und wenn sie zur Durchführung von Straßenbauarbeiten erfolgt, den Straßenbaubehörden (§ 45 Abs. 2 S. 1 StVO). Die Stadt K. hat als Straßenbaubehörde mit Blick auf die Baustelle L. in K. verkehrsrechtliche Anordnungen im Sinne von § 45 Abs. 2 StVO für von ihr veranlasste Bauarbeiten erlassen, mit welcher die durch die Bauarbeiten notwendigen Verkehrsbeschränkungen geregelt wurden. Diese Anordnungen waren von dem beauftragten Unternehmer (hier die Firma F.) strikt einzuhalten und umzusetzen. Die Mitarbeiter der Firma F. handelten deshalb bei der Aufstellung des Verkehrsschildes (entsprechend auch bei der Entfernung) in Ausübung eines ihnen anvertrauten öffentlichen Amtes. In seinem Anwendungsbereich verdrängt § 839 BGB deshalb als vorrangige Spezialregelung in diesem Fall etwaige konkurrierende Ansprüche aus §§ 823 ff. BGB gegen den Bauunternehmer.

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2. Die Beklagte hat ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt, weil sie das mobile Verkehrsschild (Gefahrzeichen nach § 40 Abs. 6 StVO) nicht unverzüglich nach Beendigung der Baustelle und Ablauf der Genehmigungsdauer wieder entfernt bzw. den Bauunternehmer zur zeitnahen Entfernung des Verkehrsschildes aufgefordert hat. Sie kann sich nicht dadurch entlasten, dass die Baustelle noch nicht abgenommen worden ist. Unstreitig war die Baustelle bereits Wochen vor dem Unfall wieder aufgehoben und für den Verkehr freigegeben worden. Das mobile Verkehrsschild stand funktions- und nutzlos schon viele Tage vor dem Unfall am rechten Gehwegrand in unmittelbarer Nähe der späteren Unfallstelle herum. Dies haben die Mitarbeiter der Beklagten selbst bei ihrem Kontrollgang am 29.11.2016 noch festgestellt.

13
Nach Beendigung der Baustelle und Ablauf der Genehmigungsdauer ist ein mobiles Verkehrsschild unverzüglich wieder zu entfernen. Von mobilen Verkehrsschildern geht ein erhöhtes Gefahrenpotenzial aus, sie sind anfällig gegen Wind und fordern Vandalismus heraus (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 01.02.2017, 7 U 97/16, NJW-RR 2017, 986 – 988 = juris Rn. 18 m.w.N.). Diese Gefahren sind nur hinzunehmen, solange die Aufstellung eines mobilen Schildes verkehrsbedingt erforderlich und genehmigt ist. Nach Ablauf dieser Zeit stellt sich das mobile Verkehrsschild als beseitigungspflichtiges Hindernis dar. Insoweit oblag der Beklagten eine entsprechende Verkehrssicherungspflicht, gegen die sie schuldhaft verstoßen hat. Die Beklagte hat nicht dafür gesorgt, dass das mobile Schild unverzüglich nach Beendigung der Bauarbeiten wieder entfernt wird. Hier lagen zwischen der Beendigung der Baustelle und dem Unfall am 01.12.2016 unstreitig mehrere Wochen. Entsprechend dem vorgelegten Auszug aus dem Begehungsbuch der Beklagten (Anlage Bekl. 2, Bl. 185 GA) wurde die Straße L. durch den Mitarbeiter der Beklagten V. noch am 29.11.2016 kontrolliert, der zwar das nutzlose Verkehrsschild rechts neben dem Gehweg gesehen, dies aber nicht als Sicherheitsmangel beanstandet hat. Die Beklagte hatte mithin genügend Zeit gehabt, auf die Entfernung des mobilen Verkehrsschildes hinzuwirken. Dies hat sie schuldhaft unterlassen.

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3. Dem Kläger fällt hier jedoch ein nicht unerhebliches Mitverschulden nach § 254 Abs. 1 BGB zur Last. Die Verkehrssicherungspflicht dient nicht dazu, das allgemeine Lebensrisiko auf den Sicherungspflichtigen abzuwälzen. Schlechte Sichtverhältnisse bei Dunkelheit und widrige Witterungsverhältnisse (hier: Nieselregen und nasse Fahrbahn) begründen erhöhte Sorgfaltsanforderungen. Auch für Radfahrer gilt das Sichtfahrgebot (§ 3 Abs. 1 S. 4 StVO) und dass die Geschwindigkeit den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Witterungsverhältnissen anzupassen ist (§ 3 Abs. 1 S. 2 StVO). Angesichts der widrigen Sicht- und Wetterverhältnisse war die Geschwindigkeit des Klägers auf seinem Mini-Klapprad von ca. 20 km/h zu hoch. Nach vorläufiger Auffassung des Senats ist darin zwar kein haftungsausschließendes Mitverschulden zu sehen, dies rechtfertigt jedoch eine Mitverursachungsquote von 50 %.

15
In Anbetracht der vorstehenden rechtlichen Ausführungen schlägt der Senat den Parteien deshalb den o.g. Vergleich vor.

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