Zur Verkehrssicherungspflicht der Kirchengemeinde in der Kirche

OLG Koblenz, Beschluss vom 12. Juli 1990 – 5 W 419/90

1. Es stellt keine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht dar, wenn in einer katholischen Kirche vom erhöhten Altarraum eine nicht besonders gekennzeichnete Treppenstufe zum Taufbecken hinführt. Stolpert ein zur Taufe zu spät gekommener Besucher beim eiligen Gang durch den Altarraum zum Taufbecken auf dieser Treppenstufe, so hat er sich den Unfall selbst zuzurechnen.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluß der 3. Zivilkammer des Landgerichtes Trier vom 01. Juni 1990, durch die ihr die beantragte Prozeßkostenhilfe versagt worden ist, wird zurückgewiesen.

Gründe
1
Die Antragstellerin will die Beklagte auf Ersatz materiellen Schadens (3.664,10 DM) sowie Schmerzensgeld (mindestens 10.000,00 DM) in Anspruch nehmen, weil sie am 27.03. 1988 in der Pfarrkirche St. M., gestürzt ist, da die Beklagte ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt habe, und ihr hierdurch Schaden entstanden sei.

2
Das Landgericht hat die für die Durchführung der Klage beantragte Prozeßkostenhilfe durch den angefochtenen Beschluß versagt, da die beabsichtigte Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg böte.

3
Die Kammer hat auf die Beschwerde der Klägerin dahin entschieden, dem verweigernden Beschluß nicht abzuhelfen (Bl. 56 GA).

4
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin (§ 127 Abs. 2 ZPO) ist unbegründet, da die Klage in der Tat keine hinreichende, also nach ihrer Schlüssigkeit und Beweisbarkeit, Aussicht auf Erfolg bietet.

5
Das Landgericht hat zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Ersatz des materiellen Schadens und auch Schmerzensgeld (§§ 823 Abs. 1, 847 BGB) verneint, weil die Beklagte keine ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt und dadurch die geltend gemachten Nachteile herbeigeführt hat; jedenfalls aber fällt eine Pflichtverletzung der Antragsgegnerin gegenüber dem eigenen Verhalten der Antragstellerin nicht ins Gewicht (§ 254 BGB).

6
Dafür, ob und in welchem Umfange für die Antragsgegnerin eine Verpflichtung bestand, die Treppenkante der einen Stufe vom Altarraum zum Taufbecken hinunter zu kennzeichnen – sei es durch eine Klebebandmarkierung, sei es durch ein Hinweisschild oder sei es durch besondere Beleuchtung – sind maßgebend, einerseits die Erwartungen, die in einem Besucher durch Zweck und Gestaltung eines Raumes üblicherweise geweckt werden, sowie das seitens der Antragsgegnerin zu erwartende Verhalten der Besucher unter Berücksichtigung ihrer Anzahl/Dichte (Mü-Ko, 2. Auflage, § 823 BGB Rdn. 204, 205; 207, 208).

7
Diese Gesichtspunkte ergeben für den vorliegenden Fall folgendes:

8
Von der baulichen Gestaltung einer katholischen Kirche her ist zu erwarten, daß die Fläche, auf der der Altar steht, gegenüber seiner Umgebung herausgehoben ist. Die farbliche Gestaltung dieses so herausgehobenen Altarraumes und die seiner unmittelbar angrenzenden Umgebung hängt vielfach davon ab, was beabsichtigt ist, damit sinnfällig auszudrücken. Es kann sein, daß damit die Hervorhebung des Altarraumes noch besonders verstärkt werden soll, was durch farbliche Unterschiede deutlich gemacht werden kann; es kann aber auch sein, daß hierdurch neben der Hervorhebung des Altarraumes gleichzeitig aber auch die Verbindung dieses Altarraumes und des Kultes mit dem Kirchenraum ausgedrückt sein soll. Hier ist nach der Ortsbesichtigung des Landgerichtes vom letzteren auszugehen.

9
Der Zweck einer so gestalteten mit einem hervorgehobenen Altarraum versehenen Kirche läßt von den Besuchern erwarten, daß sie diesen hervorgehobenen Bereich, der den Mittelpunkt des kultischen Geschehens der Kirchenmitglieder bildet, durch einen Kirchenbesucher, wenn überhaupt, so doch mit Zurückhaltung betreten, durchquert und verlassen wird.

10
Es ist zu erwarten, daß die Kirchenbesucher die Sonderstellung des hervorgehobenen Altarraumes, der nach den Vorstellungen der sie gestaltenden Religionsgemeinschaft ein heiliger Ort ist, schon mit Rücksicht auf das Gefühl und die Achtung der Kirchenmitglieder berücksichtigen.

11
Dies alles hätte die Klägerin veranlassen müssen, wenn überhaupt, dann doch behutsam und vorsichtig den Altarraum zu betreten und zu durchqueren, zumal sie bei dessen Betreten bereits durch eine Stufe auf die besondere Gestaltung aufmerksam gemacht worden war.

12
Dies gilt besonders dann, wenn, wie die Antragstellerin weiter behauptet, am Schadenstag der Himmel fast den ganzen Tag über bedeckt gewesen sein, und es von 11.00 Uhr bis 17.00 Uhr geregnet haben sollte. Dann war nämlich zu erwarten, daß ein Kirchenraum, der vielfach schon bei normaler Beleuchtung nur eingeschränkt erhellt ist, dämmerig wirkt, mithin also besondere Vorsicht geboten war.

13
Sollte nun die Klägerin geglaubt haben, schnell und zielstrebig unter Mißachtung aller dieser Umstände das Taufbecken zu erreichen, weil die Feierlichkeiten bereits begonnen hatten, wie sie im Klageentwurf vorträgt, so muß sie sich das damit eingegangene Risiko auch zurechnen lassen.

14
Sicherlich ist in Betracht zu ziehen, daß durch die Tauffeierlichkeiten an dem Taufbecken, das in einer Flucht mit dem Eingangsbereich und dem Altarraum liegt, in einem Besucher der Gedanke geweckt wird, geradewegs den Kirchenraum zu durchqueren und zudem auch dessen Aufmerksamkeit durch die Feierlichkeit angezogen wird. Indessen rechtfertigt ein solches unmittelbar dem Ziel zustrebende Verhalten, das die besonderen Verhältnisse eines Altarraums der katholischen Kirche außer Acht läßt, nicht, das damit übernommene Risiko auf einen anderen abzuwälzen.

15
Daß, wie die Antragstellerin weiter behauptet, schon mehrere Unfälle an dieser Stufe sich ereignet haben (Bl. 10/49 GA) – einer „vor einigen Jahren“ sowie zwei im Juni 1987 – erfordert keine andere Betrachtungsweise. Dies kann darauf zurückzuführen sein, daß auch diese Kirchenbesucherinnen ähnlich, wie die Klägerin, die durch die Örtlichkeit gebotene Vorsicht und Zurückhaltung mißachtet haben.

16
Im übrigen wird auf die Ausführungen des angefochtenen Beschlusses verwiesen.

17
Ein Kostenausspruch unterbleibt (Thomas-Putzo, 15. Auflage, § 127 ZPO, Anmerkung 4).

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