Zur Unverzüglichkeit der Stornierung der Reise bei Darmkrebsdiagnose nach routinemäßiger Darmspiegelung

AG München, Urteil 15.04.2009 – 142 C 31476/08

Unverzüglichkeit der Stornierung der Reise bei Darmkrebsdiagnose nach routinemäßiger Darmspiegelung

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei EUR 2.516,50 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten hieraus seit dem 01.09.2008 zu bezahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagtenpartei.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist ein Versicherungsunternehmen.

Der Kläger schloss am 29.08.2007 für sich und seine Frau bei der Beklagten eine Reiserücktrittsversicherung für eine Reise nach Thailand ab. Reisebeginn wäre der 12.11.2007 gewesen. Am 19.10.2007 wurde im Rahmen einer Routineuntersuchung beim Kläger eine Darmspiegelung vorgenommen, in dessen Verlauf auch ein Polyp entfernt und zur histologischen Untersuchung an eine Labor gesandt wurde. Dieser Befund ging entweder am 23.10. oder am 25.10.2007 beim Hausarzt des Klägers ein. Am 09.11.2007 konsultierte der Kläger den Spezialisten Dr. … , der auf Grund weiterer Untersuchungen und nach Beratung mit einem Kollegen beim Kläger Darmkrebs diagnostizierte und den Kläger zu einer kurzfristigen Operation und zur Absage der Reise riet. Am selben Tag stornierte der Kläger die Reise und informierte die Beklagte, dass er wegen einer Darmkrebserkrankung die Reise nicht antreten könne. Es sind Stornokostenhöhe von 5.800,12 Euro angefallen. Hiervon hat die Beklagte außergerichtlich bereits 3.283,62 Euro ausgeglichen.

Der Kläger trägt vor, dass zwar sein Hausarzt Doktor … bereits am 23.11.2007 beziehungsweise 25.11.2007 den histologischen Befund der am 19.10.2007 durchgeführten Darmspiegelung erhalten habe. Dieser habe ihn aber erst am 07.11.2007 hierüber informiert. Erst bei einem Gespräch am 09.11.2007 mit dem späteren Operateur Dr. … sei ihm von der Reise abgeraten worden.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2516,50 Euro nebst 5% Zinsen hieraus seit dem 01.09.2008 sowie vorgerichtliche Kosten in Höhe von 316,18 Euro zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage wird abgewiesen.

Die Beklagte geht davon aus, dass der Kläger gemäß der als Anlage K 8 vorgelegten ärztlichen Bescheinigung bereits am 23.10.2007 von der Erkrankung wusste beziehungsweise diese zumindest objektiv bekannt war. Dass der Kläger hierüber sich erst am 07.11.2007 beziehungsweise 09.11.2007 Gewissheit verschaffte, stellt eine grob fahrlässige Nachlässigkeit dar, die zu seinen Lasten gehe. Es seien daher nur die Kosten zu begleichen, die bei einer rechtzeitigen Anzeige am 23.10.2007 angefallen wären, nämlich 3.283,62 Euro. Diese wurden bereits bezahlt. Das Gespräch zwischen dem Kläger und dem Hausarzt am 07.11.2007 wird vorsorglich mit Nichtwissen bestritten.

Im Übrigen wird auf die ausgetauschten Schriftsätze und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15. viertem 2009 ergänzend Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

Der Kläger hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von 2516,50 Euro nebst der geltend gemachten Verzugszinsen seit dem 01.09.2008. Im Übrigen war die Klage abzuweisen.

Der Anspruch des Klägers ergibt sich aus der unstreitig zwischen den Parteien bestehenden Reiserücktrittsversicherung für die am 29.08.2007 gebuchte Thailand-Reise des Klägers und seiner Frau.

Unstreitig sind durch die Stornierung der Reise am 09.11.2007 Stornokosten in Höhe von 5800,12 Euro angefallen, von denen die Beklagte bislang nur 3283,62 Euro ausgeglichen hat. Beim Kläger lag mit seiner Darmkrebserkrankung ebenfalls unstreitig eine unerwartete schwere Erkrankung vor, wodurch auch ein versichertes Ereignis gemäß der allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten (…) eingetreten war.

Die Anzeige des Versicherungsfalls durch den Kläger bei der Beklagten erfolgte auch unverzüglich im Sinne des Art. 6 Nr. 1 Allgemeiner Teil, § 6 Nr. 1 Teil A VB-ERV 2006.

Unverzüglich in diesem Sinne bedeutet, dass die Anzeige des Eintritts des versicherten Ereignisses ohne schuldhaftes Zögern erfolgt sein muss.

Dies war hier der Fall. Bei der am 19.10.2007 durchgeführten Darmspiegelung beim Kläger handelte es sich unstreitig um eine Routineuntersuchung. Dass hierbei auch ein Polyp entfernt und zur histologischen Begutachtung an ein Labor gesandt wurde ändert nichts daran, dass der Kläger die Untersuchung nicht aufgrund von akuten Beschwerden, die möglicherweise ein Hinweis auf eine schwere Erkrankung hätten sein können, vornehmen ließ. Laut unbestrittenen Vortrags des Klägers hat weder der die Darmspiegelung durchführende Arzt erwähnt, wie lange die Untersuchung des entnommenen Gewebes durch das Labor dauern würde, noch habe der Kläger danach gefragt.

Dass der behandelnde Hausarzt die ihm bereits am 23.10.2007 vorliegenden Ergebnisse der Laboruntersuchung nicht unmittelbar an den Kläger weitergeleitet hat, ist dem Kläger entgegen der Ansicht der Beklagten nicht zuzurechnen. Es mag sich hier (zumal bei der später erstellten Diagnose) um eine grobe Nachlässigkeit des Hausarztes handeln. Diese ist jedoch dem Kläger im vorliegenden Fall nicht zuzurechnen.

Der Hausarzt ist im vorliegenden Vertragsverhältnis nicht Erfüllungsgehilfe des Klägers, denn der Arzt ist keine Dritte Person, der sich der Kläger zur Erfüllung einer Verbindlichkeit bedient hätte. Zwar gilt § 278 BGB über den Rechtsgedanken des § 254 Absatz 2 Satz 2 BGB auch für Obliegenheiten. Hier bestand die Obliegenheit des Klägers jedoch darin, den Eintritt des zu versichernden Ereignisses der Beklagten unverzüglich mitzuteilen. Hierfür hat er sich gerade nicht des Hausarztes bedient, sondern hat diese Mitteilung selbst vorgenommen. Anders wäre der Fall nur dann zu beurteilen, wenn der Kläger den Arzt beauftragt hätte, der Beklagten den medizinischen Befund unverzüglich mitzuteilen und dies der Hausarzt schuldhaft unterlassen hätte. So liegt der Fall hier jedoch gerade nicht.

Zudem ergibt sich für den Kläger im konkreten Einzelfall auch keine Obliegenheit, sich in kürzeren Zeitabständen danach zu erkundigen, ob die Ergebnisse der Laboruntersuchung bereits vorliegen. Dies mag dann in Betracht kommen, wenn der Versicherte aufgrund einer akuten Erkrankung, welche geeignet erscheint, den Reiseantritt zu verhindern, sich einer ärztlichen Untersuchung unterzieht. Sollte aufgrund einer solchen Untersuchung (z. B. eine Computerthomographie) Untersuchungsergebnisse unmittelbar vorliegen, so trifft den Versicherten die Pflicht, sich kurzfristig über diese Ergebnisse zu informieren. In einem solchen Fall dürfte der Versicherte sicher nicht, wie vorliegend, zweieinhalb Wochen zuwarten, bis der ihn behandelnde Arzt sich bei ihm meldet. Im konkreten Fall handelte es sich bei der durchgeführten Darmspiegelung jedoch um eine Routineuntersuchung ohne konkreten Anlaß. Der Kläger mußte aufgrund dieser Umstände nicht mit einer Diagnose rechnen, die einen Reiseantritt unmöglich machen würde. Ihm in dieser Konstellation die Verpflichtung aufzubürden, sich kurzfristig und mehrmals darüber zu informieren, ob die Laboruntersuchungen bereits vorliegen, würde die Anforderungen zur Erfüllung der den Kläger treffenden Obliegenheiten überspannen.

Es kann im übrigen dahingestellt bleiben, ob der Kläger bereits am 7.11.2007 oder erst am 9.11.2007 die Diagnose seiner schweren Erkrankung erhielt. Nach eigenem Vortrag der Beklagten hätte dies an der Höhe der Stornokosten nichts geändert.

Nachdem der Kläger durch Schreiben seines Prozessbevollmächtigten am 8.8.2008 die Zahlung des offenen Betrages von 2.516,50 EUR von der Beklagten forderte, diese jedoch mit Schreiben vom 27.8.2008, eingegangen beim Prozessbevollmächtigten des Klägers am 1.9.2008, eine Zahlung dieses Betrages endgültig verweigerte, befindet sich die Beklagte seit diesem Zeitpunkt in Verzug, § 286 Absatz 1, Absatz 2 Nr. 3 BGB. Die Zinsen ergeben sich dem Grunde nach aus § 288 Absatz 1 BGB, der Höhe nach ebenfalls aus § 288 Absatz 1 BGB, soweit Zinsen insoweit geltend gemacht wurden, das heißt Zinsen lediglich in Höhe von 5 % und nicht Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz.

Die vorgerichtlichen Kosten waren hingegen nicht zu erstatten, da diese laut Vortrag des Klägers erst durch das Mahnschreiben vom 18.8.2008 angefallen sind. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Beklagte jedoch nicht im Verzug, da dieser, wie bereits vorgetragen, erst am 1.9.2008 eintrat. Somit fehlt es hinsichtlich der geforderten vorgerichtlichen Kosten an einer Anspruchsgrundlage.

Insoweit war die Klage auch abzuweisen.

Die Kosten ergeben sich aus §§ 91, 92 Absatz 2 Nr. 1 ZPO, die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708, 709 ZPO.

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