Zur Unterscheidung zwischen Obliegenheit und einer Risikobegrenzung

OLG München, Urteil vom 03.03.2011 – 23 U 4357/10

Bei der Unterscheidung zwischen einer Obliegenheit und einer Risikobegrenzung kommt es nicht nur auf Wortlaut und Stellung einer Versicherungsklausel an. Entscheidend ist vielmehr der materielle Gehalt der einzelnen Klauseln. Hierbei kommt es darauf an, ob die Klausel eine individualisierende Beschreibung eines bestimmten Wagnisses enthält, für das der Versicherer Versicherungsschutz gewähren will, oder ob sie in erster Linie ein bestimmtes Verhalten des Versicherungsnehmers fordert, von dem es abhängt, ob er einen zugesagten Versicherungsschutz behält oder ob er ihn verliert. Vor diesem Hintergrund ist Ziffer 3.2.1 AVB Frachtführer 1998 als verhüllte Obliegenheit anzusehen (Rn. 6)

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 30.07.2010, Az. 3 HKO 25949/09, wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus diesem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.


Gründe

I.

1

Die Klägerin fordert aufgrund eines abgesonderten Deckungsanspruchs eine Versicherungsleistung im Zusammenhang mit einem Unfall, der sich im März 2007 ereignete. Das Landgericht, auf dessen Feststellungen Bezug genommen wird, hat die Klage abgewiesen.

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Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihren erstinstanzlichen Zahlungsantrag weiter. Sie rügt, das Landgericht habe die in Ziffer 3.2.1. der Versicherungsbedingungen enthaltene Klausel fälschlicherweise als Risikoausschluss gewertet, und trägt ferner insbesondere vor, sie habe das Gewicht des Transportguts mit Schriftsatz vom 14.07.2010 (Bl. 42/47 d.A.) bestritten, nachdem sie mit Schriftsatz vom 02.06.2010 (S. 5 = Bl. 32 d.A.) noch das vom Erstgericht im Urteil übernommene tatsächliche Ladegewicht vorgetragen hatte.

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Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil.

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Auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen.

II.

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Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

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1. Der Senat sieht 3.2.1 AVB Frachtführer 1998 (Anlage B 1) als verhüllte Obliegenheit. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es bei der Unterscheidung zwischen einer Obliegenheit und einer Risikobegrenzung nicht nur auf Wortlaut und Stellung einer Versicherungsklausel an. Entscheidend ist vielmehr der materielle Gehalt der einzelnen Klauseln. Hierbei kommt es darauf an, ob die Klausel eine individualisierende Beschreibung eines bestimmten Wagnisses enthält, für das der Versicherer Versicherungsschutz gewähren will, oder ob sie in erster Linie ein bestimmtes Verhalten des Versicherungsnehmers fordert, von dem es abhängt, ob er einen zugesagten Versicherungsschutz behält oder ob er ihn verliert (BGH, Urteil vom 24.05.2000, Az. IV ZR 186/99, Tz. 11 m.w.N.). Die Überschrift „Ausschlüsse“ sowie Wortlaut und Stellung der Klausel selbst sprechen zwar für einen objektiven Risikoausschluss. Ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer muss hier aber erkennen, dass es darum geht, beim Transport öffentlich-rechtliche Vorschriften einzuhalten, also von ihm ein vorbeugendes, gefahrminderndes Verhalten verlangt wird. Er kann die Klausel nicht dahin verstehen, dass bei irgendeinem Verstoß gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften auch ohne seine Kenntnis und ohne sein Verschulden kein Versicherungsschutz besteht.

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2. Ein Obliegenheitsverstoß des Versicherungsnehmers der Beklagten im Sinne des § 6 VVG a.F. liegt objektiv vor, da sein Fahrzeug überladen war. Der Zug hatte bei einer zulässigen Zuladung von 10,04 t 11,96 t geladen. Letzteres hat das Landgericht festgestellt aufgrund des einleuchtenden Klägervortrags, der sich auf die als Anlage K 2 vorgelegte Ladeliste gestützt hat. An dieser Feststellung sind Zweifel im Sinne des § 529 ZPO nicht erkennbar, zumal auch das Gewicht der 75 – leeren – Gitterboxen zu berücksichtigen ist, das bei einem Leergewicht von ca. 85 kg pro Gitterbox bereits ca. 6,4 t beträgt. Laut Ladeliste bestehen keine Anhaltspunkte für eine völlig ungleiche Beladung der Boxen, von den jeweils 7, 30, 24 und 16 gleichartig beladen waren.

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Dass die Klägerin in dem nicht nachgelassenen Schriftsatz ihren bisherigen Sachvortrag im Schriftsatz vom 18.03.2010 (S. 3 = Bl. 16 d.A.), den sie mit Schriftsatz vom 02.06.2010 (S. 5 = Bl. 32 d.A.) bestätigte, geändert hat, gab dem Landgericht keinen Anlass, erneut in die mündliche Verhandlung einzutreten. Einen Verstoß gegen § 156 ZPO, den die Beklagte auch nicht gemäß § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO gerügt hat, sieht der Senat darin nicht. Die Beklagte hat nämlich in dem nachgelassenen Schriftsatz vom 07.07.2010 (Bl. 39/41 d.A.) lediglich die von der Klägerin bereits mit Schriftsatz vom 19.02.2010 als Anlage K 3 vorgelegten Zulassungspapiere erläutert, nicht aber neuen Prozessstoff eingeführt, der eine Stellungnahme der Klägerin erforderlich gemacht hätte. Das Wiederholen des Bestreitens in der Berufungsbegründung ist damit ein Angriffsmittel im Sinne von § 531 Abs. 2 ZPO. Die Nichtgeltendmachung im ersten Rechtszug – bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin sogar gegensätzlich vorgetragen – beruht auf Nachlässigkeit, da das Ladungsgewicht schon vorprozessual (Schreiben vom 07.11.2007, Anlage K 4) und in der Klage (S. 5) und der Klageerwiderung (S. 2 f. = Bl. 10 f. d.A.) erörtert worden war.

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3. Die insoweit vortrags- und beweispflichtige Klägerin (vgl. Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 6 Rn. 107; Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., § 6 Rn. 124) hat bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz weder zu einem fehlenden Verschulden im Sinne von § 6 Abs. 3 VVG a.F. noch einer fehlenden Kausalität vorgetragen.

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Die Beklagte hat bereits in der Klageerwiderung (S. 3 = Bl. 11 d.A.) vorgetragen, die Überladung, von der der Versicherungsnehmer Kenntnis gehabt habe, sei offensichtlich der Auslöser des Unfalls gewesen. Der Vortrag der Klägerin in der Berufungsbegründung, der ausdrücklich auf den Schriftsatz vom 14.07.2010 Bezug nimmt, ist mithin strittig und neu; er kann nach § 531 Abs. 2 ZPO nicht zugelassen werden.

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4. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 708 Nr. 10, 711, und 543 Abs. 2 ZPO.

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