Zu den Sorgfaltspflichten des Fahrers eines Kühltransportes

OLG München, Urteil vom 08.03.2012 – 23 U 4203/11

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Angabe von Einzelheiten zu dem Zeitpunkt und dem Ablauf bestimmter Ereignisse (hier: Abschluss eines Versicherungsvertrages) nicht erforderlich, wenn diese für die Rechtsfolgen ohne Bedeutung sind. Misst das Landgericht den Einzelheiten, wie der Vertrag zustande gekommen ist, Bedeutung zu, sind sie durch entsprechende Beweisaufnahme zu klären (Rn. 6).

Bei Verwendung von Fahrzeugen mit klimatechnischen Einrichtungen treffen Frachtführer besondere Sorgfaltspflichten. Die ungenügende Vorkühlung eines Gutes gehört zum äußerlichen Zustand des Gutes, den der Beförderer gemäß Art. 8 Abs. 1 lit. b) CMR bei der Übernahme zu überprüfen hat, und auf den sich folglich die Vermutungswirkung des Art. 9 Abs. 2 CMR erstreckt. Hat der Frachtführer die mangelnde Vorkühlung bei der Übernahme nicht im Frachtbrief vermerkt, ist es folglich seine Sache, die Vermutung des „reinen“ Frachtbriefs für ausreichende Vorkühlung zu widerlegen (Rn.10).

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerinnen wird das Endurteil des Landgerichts München I vom 27.09.2011 samt dem ihm zugrundeliegenden Verfahren aufgehoben.

II. Der Rechtsstreit wird zur weiteren Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Landgericht München I zurückverwiesen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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1. Auf die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts, das die Klage abgewiesen hat, wird Bezug genommen.

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Die Klägerinnen verfolgen mit ihrer Berufung ihre erstinstanzlichen Zahlungsanträge weiter und beantragen hilfsweise unter Aufhebung des angegriffenen Urteils die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht München I. Sie rügen insbesondere, das Landgericht hätte – soweit überhaupt noch Zweifel hinsichtlich der Aktivlegitimation der Klägerinnen bestanden – in die Beweisaufnahme eintreten müssen.

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Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil und beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

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Entscheidungsgründe

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2. Die zulässige Berufung führt gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO auf Antrag der Klägerinnen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit dem zugrundeliegenden Verfahren und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

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a. Das Landgericht hat hinsichtlich der Aktivlegitimation der Klägerinnen die Aufklärung des streitigen Sachverhalts unterlassen. Dies ist ein wesentlicher Verfahrensmangel.

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Die Klägerinnen haben auf Seite 4 der Klage vorgetragen, der Versicherungsvertrag …206 habe am 25.03.2010 bestanden, und im Schriftsatz vom 12.08.2011 (Seite 2, Bl. 106 d. A.), der Vertrag sei entsprechend der als Anlage K 14 vorgelegten Versicherungspolice geschlossen worden. Mehr mussten die Klägerinnen nicht vortragen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Angabe von Einzelheiten zu dem Zeitpunkt und dem Ablauf bestimmter Ereignisse nicht erforderlich, wenn diese für die Rechtsfolgen ohne Bedeutung sind. Misst das Landgericht den Einzelheiten, wie der Vertrag zustande gekommen ist, Bedeutung zu, sind sie durch entsprechende Beweisaufnahme zu klären (BGH, Beschluss vom 12.06.2008, V ZR 223/07, BauR 2008, 1498 m. w. N.). Das Landgericht hat die Anforderungen an die Substantiierung des unter Beweis gestellten Vorbringens überspannt und die auf Seite 5 der Klage benannten Zeugen F. und H. verfahrensfehlerhaft nicht vernommen. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfG NJW 2003, 1655). Das ist unter anderem der Fall, wenn ein Gericht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs missachtet, wonach die Ablehnung eines Beweises für eine erhebliche Tatsache nur zulässig ist, wenn diese so ungenau bezeichnet ist, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann oder wenn sie ins Blaue hinein aufgestellt worden ist (vgl. BVerfG ZIP 1996, 1761, 1762).

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b. Die angefochtene Entscheidung beruht auf diesem Verfahrensfehler. Die Klage ist – aufgrund der festgestellten Tatsachen – nicht aus einem anderen Grund abzuweisen. Für die geltend gemachten Ansprüche der H. Spedition GmbH gegen die Beklagte kommt Art. 17 CMR als Anspruchsgrundlage in Betracht. Die Klägerinnen haben für die weiteren Voraussetzungen eines Forderungsübergangs auf sie Beweis angeboten, und zwar sowohl für die Schadensregulierung (Zeugen F. und H., Bl. 7 der Klage) als auch zur Übersendung der Schadensunterlagen (Zeugen G. und S., Bl. 65 d. A.). Auch diesen Beweisangeboten ist das Landgericht nicht nachgegangen.

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c. Aufgrund dieses Mangels ist eine umfangreiche Beweisaufnahme notwendig.

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Neben den zur Frage der Aktivlegitimation zu vernehmenden Zeugen sind weitere Zeugen zur Beschädigung der streitgegenständlichen Partie Seelachs während der Obhut der Beklagten und zur Höhe des Schadens zu vernehmen; unter Umständen ist auch ein Sachverständigengutachten einzuholen.

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Aufgrund des vorgelegten Frachtbriefs ist davon auszugehen, dass die Ware ausreichend vorgekühlt war. Die Beklagte war nach Transportvertrag (Anlage K 12) verpflichtet, die ausreichende Vorkühlung zu überprüfen. Diese Regelung entspricht Art. 18 Abs. 4 CMR; bei Verwendung von Fahrzeugen mit klimatechnischen Einrichtungen treffen Frachtführer besondere Sorgfaltspflichten. Die ungenügende Vorkühlung eines Gutes gehört zum äußerlichen Zustand des Gutes, den der Beförderer gemäß Art. 8 Abs. 1 lit. b) CMR bei der Übernahme zu überprüfen hat, und auf den sich folglich die Vermutungswirkung des Art. 9 Abs. 2 CMR erstreckt. Hat der Frachtführer die mangelnde Vorkühlung bei der Übernahme nicht im Frachtbrief vermerkt, ist es folglich seine Sache, die Vermutung des „reinen“ Frachtbriefs für ausreichende Vorkühlung zu widerlegen (MünchKommHGB – Jesser-Huß, 2. Aufl. CMR Art. 18, Rn. 23).

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Auch wenn man der Auffassung folgt, dass als innerer Zustand des Gutes die ausreichende Vorkühlung nicht von Art. 9 Abs. 2 CMR umfasst ist (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 11.09.2008, 18 U 132/07, Juris Tz 46) ergibt sich hieraus für den vorliegenden Fall nichts Abweichendes. Auch nach dieser Meinung ist jedenfalls eine Beweislastumkehr dann anzunehmen, wenn der Frachtführer – wie hier – eine ausreichende Übernahmetemperatur ausdrücklich bestätigt (OLG Hamm aaO., Tz 43).

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Dass die vertraglich vereinbarte Temperatur von -20 C° überschritten wurde, ist unstreitig. Die Beklagte hat ferner eingeräumt, dass dies zu einer geringeren Haltbarkeit der Tiefkühlprodukte führt (Seite 7 des Schriftsatzes vom 28.06.2011, Bl. 79 d. A.).

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Strittig ist jedoch, ob dies zur Entwertung der streitgegenständlichen Ware führte. Dazu sind die von Klägerseite benannten Zeugen K. und W. zur Behauptung, die streitgegenständliche Partie sei bei Ablieferung nicht mehr verkehrsfähig gewesen und habe vernichtet werden müssen (Seite 6 der Klage) zu vernehmen sowie der gegenbeweislich benannte Zeuge Gi. (Seite 7 des Schriftsatzes vom 28.08.2011, Bl. 79 d. A.). Beide Parteien haben zu dieser Frage auch Sachverständigenbeweis angeboten. Bestritten und von der Beklagten unter Beweis gestellt (Seite 6 f. des Schriftsatzes vom 28.08.2011, Bl. 78 f. d.A.) ist schließlich die vom Havariekommissar geschilderte Verweigerung einer Begutachtung der Ware durch Li.

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Zum Wert der Ware sind ggf. noch die Zeugen K. und W. (Seite 7 der Klage) und die Zeugin L. (Seite 12 des Schriftsatzes vom 05.05.2011, Bl. 58 d. A., und Seite 7 des Schriftsatzes vom 07.07.2011, Bl. 90 d. A.) zu vernehmen.

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3. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Nr. 10 und 543 Abs. 2 ZPO.

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