BGH, Urteil vom 19.07.2016 – VI ZR 75/15
Der Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens, der darauf zielt, der Patient sei mit der Vornahme des Eingriffs durch einen anderen Operateur einverstanden gewesen, ist nicht erheblich, weil dies dem Schutzzweck des Einwilligungserfordernisses bei ärztlichen Eingriffen widerspricht (§ 823 Abs. 1 BGB).
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluss des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 26. Januar 2015 aufgehoben.
Die Sache wird zur Verhandlung und neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
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Der Kläger macht gegen die Beklagten Ansprüche auf Schmerzensgeld und Feststellung wegen einer von dem Beklagten zu 2 durchgeführten Operation geltend.
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Der Kläger stellte sich am 31. August 2011 wegen eines Morbus Dupuytren an der linken Hand zur chirurgischen Handoperation im Klinikum der Beklagten zu 3 vor. Er wurde von dem Beklagen zu 1, dem Chefarzt der Beklagten zu 3, untersucht. Am 14. September 2011 schloss er eine Wahlleistungsvereinbarung mit der Beklagten zu 3 ab, in der Chefarztbehandlung vereinbart ist. Am 19. September 2011 wurde der Kläger stationär aufgenommen und von dem Beklagten zu 2, dem – nicht liquidationsberechtigten – stellvertretenden Oberarzt der Beklagten zu 3 operiert. In die Operation durch den Beklagten zu 2 hatte der Kläger nicht eingewilligt. Postoperativ stellten sich bei dem Kläger an der operierten Hand erhebliche gesundheitliche Beeinträchtigungen ein.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Ansprüche weiter.
Entscheidungsgründe
I.
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Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung – soweit hier noch erheblich – ausgeführt, dem Kläger sei darin beizupflichten, dass der Eingriff mangels einer rechtsgültigen Einwilligung widerrechtlich gewesen sei. Gleichwohl scheide eine Haftung aus, weil es an einem ersatzfähigen Schaden fehle. Zwar sei für eine hypothetische Einwilligung, wie das Landgericht sie erörtert habe, kein Raum. Der Kläger habe sich bewusst für den Beklagten zu 1 als Operateur entschieden. Es gebe keinen Anhalt dafür, dass er auf einen entsprechenden Gegenvorschlag hin einer Operation durch den Beklagten zu 2 zugestimmt hätte. Indessen hätten die Beklagten den Einwand rechtmäßigen Alternativverhaltens erhoben, indem sie vorgetragen hätten, der Eingriff wäre in seiner konkreten Ausführung nicht anders verlaufen, wenn ihn der Beklagte zu 1 vorgenommen hätte. Das sei unbestritten geblieben und werde außerdem dadurch gestützt, dass der Beklagte zu 2 nach den Feststellungen des Sachverständigen fehlerfrei operiert habe. Der Kläger stünde genauso da, wenn die Operation, wie von ihm erwartet und konsentiert, vom Beklagten zu 1 vorgenommen worden wäre. Wenn der Kläger das in der Berufungsinstanz erstmals in Abrede stelle, könne er damit nicht mehr gehört werden (§ 531 Abs. 2 ZPO).
II.
5
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der Begründung des Berufungsgerichts können die von dem Kläger geltend gemachten Ansprüche nicht verneint werden, § 280 Abs. 1, §§ 278, 823 Abs. 1, §§ 831, 253 Abs. 2 BGB.
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Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist die von dem Beklagten zu 2 durchgeführte Operation ohne die erforderliche Einwilligung des Klägers erfolgt. Zu Recht macht die Revision geltend, dass für den Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens, der darauf zielt, ein anderer Operateur hätte den Eingriff rechtmäßig vornehmen dürfen, im vorliegenden Fall kein Raum ist.
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1. Die Berufung des Schädigers auf rechtmäßiges Alternativverhalten, d.h. der Einwand, der Schaden wäre auch bei einer ebenfalls möglichen, rechtmäßigen Verhaltensweise entstanden, kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für die Zurechnung eines Schadenserfolgs beachtlich sein. Dabei muss der Schutzzweck der jeweils verletzten Norm darüber entscheiden, ob und inwieweit der Einwand im Einzelfall erheblich ist (BGH, Urteile vom 24. Oktober 1985 – IX ZR 91/84, BGHZ 96, 157, 173 – zu pflichtwidrigem Verhalten eines Notars; vom 25. November 1992 – VIII ZR 170/91, BGHZ 120, 281, 286 – zu einer fehlerhaften Ausschreibung; vom 9. März 2012 – V ZR 156/11, NJW 2012, 2022 Rn. 17).
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2. Hier ist den Beklagten der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens verwehrt, weil dies dem Schutzzweck des Einwilligungserfordernisses bei ärztlichen Eingriffen (§ 823 Abs. 1 BGB) widerspricht.
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a) Von jeher leitet die Rechtsprechung das Erfordernis der Einwilligung des Patienten in die Heilbehandlung zur Rechtfertigung des Eingriffs in die körperliche Integrität aus dem Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) und seinem Selbstbestimmungsrecht als Ausfluss des Rechts auf Menschenwürde (Art. 1 GG) her. Geschützt wird damit die Entscheidungsfreiheit des Patienten über seine körperliche Integrität, über die sich der Arzt nicht selbstherrlich hinwegsetzen darf. Die Einwilligung in den ärztlichen Heileingriff bedeutet nämlich in dem durch sie gezogenen Rahmen einen Verzicht auf den absoluten Schutz des Körpers vor Verletzungen, die mit dem Eingriff verbunden sind, darüber hinaus das Aufsichnehmen von Gefahren, die sich aus Nebenwirkungen der Behandlung und möglichen Komplikationen ergeben. In diesem Sinn muss die Frage einer Beeinträchtigung von Körper und Gesundheit durch den Arzt weitgehend aus der Sicht des Patienten abgegrenzt werden, weil es um die Selbstbestimmung geht, wenn er diese seine Rechtsgüter im Verlaufe einer ärztlichen Behandlung und in deren Rahmen zur Disposition stellt (Senat, Urteil vom 14. Februar 1989 – VI ZR 65/88, BGHZ 106, 391, 397 f.).
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Daraus leiten sich Verhaltenspflichten des Arztes ab, die ihn nicht nur zur Sorgfalt bei der Behandlung des Patienten verpflichten, sondern auch dazu, sich dessen Einwilligung in diese Maßnahmen zu versichern. Erklärt der Patient in Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts, er wolle sich nur von einem bestimmten Arzt operieren lassen, darf ein anderer Arzt den Eingriff nicht vornehmen. Ist ein Eingriff durch einen bestimmten Arzt, regelmäßig den Chefarzt, vereinbart oder konkret zugesagt, muss der Patient rechtzeitig aufgeklärt werden, wenn ein anderer Arzt an seine Stelle treten soll (Senat, Urteil vom 11. Mai 2010 – VI ZR 252/08, NJW 2010, 2580 Rn. 6). Fehlt die wirksame Einwilligung in die Vornahme des Eingriffs, ist der in der ärztlichen Heilbehandlung liegende Eingriff in die körperliche Integrität rechtswidrig (Senat, Urteil vom 14. Februar 1989 – VI ZR 65/88, BGHZ 106, 391, 398).
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b) Vor diesem Hintergrund kann sich der Arzt, der ohne eine auf seine Person bezogene Einwilligung des Patienten operiert hat, nicht darauf berufen, dass der Patient mit der Vornahme des Eingriffs durch einen anderen – zumal besser qualifizierten – Operateur einverstanden gewesen sei. Könnte er sich mit diesem Einwand einer Haftung entziehen, bliebe der rechtswidrige Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten sanktionslos.
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aa) Dem steht nicht entgegen, dass eine Haftung aus der (bloßen) Verletzung der Aufklärungspflicht ohne einen von dem Arzt verursachten Gesundheitsschaden nicht angenommen werden kann (vgl. Senat, Urteil vom 27. Mai 2008 – VI ZR 69/07, BGHZ 176, 342 Rn. 19). Denn im Streitfall hat schon der Eingriff selbst zu einer Verletzung der körperlichen Integrität des Klägers geführt (vgl. Senat, Urteil vom 13. Januar 1987 – VI ZR 82/86 NJW 1987, 1481 unter II 3 b). Zudem ist sein Vertrauen, das er in die oben genannten Verhaltenspflichten der Beklagten gesetzt hat, enttäuscht worden.
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Es kann die Beklagten nicht entlasten, dass die Operation (möglicherweise) bei einem durch den Beklagten zu 1 durchgeführten Eingriff die (genau) gleichen Folgen gehabt hätte. Sonst wäre das Vertrauen nicht wirksam geschützt, das Patienten in die ärztliche Zuverlässigkeit und Integrität setzen müssen, wenn sie ihre absolut geschützten Rechtsgüter im Verlaufe einer ärztlichen Behandlung zur Disposition stellen.
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bb) Diesem Ergebnis entspricht, wovon das Berufungsgericht auch zutreffend ausgeht, dass die Voraussetzungen für eine hypothetische Einwilligung nur dann vorliegen, wenn der Patient eine wirksame Zustimmung zu dem konkreten, gerade durch den operierenden Arzt vorgenommenen Eingriff erteilt hätte (Senat, Urteil vom 9. Juli 1996 – VI ZR 101/95, NJW 1996, 1015 unter II 3 c).
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cc) Im vorliegenden Fall tritt ferner hinzu, dass der Kläger ausweislich der mit der Beklagten zu 3 geschlossenen Wahlleistungsvereinbarung nur unter der Voraussetzung einer Behandlung durch den Chefarzt zur Einwilligung bereit war, § 823 Abs. 1 BGB. Der Patient schließt einen solchen Vertrag im Vertrauen auf die besonderen Erfahrungen und die herausgehobene medizinische Kompetenz des von ihm ausgewählten Arztes, die er sich in Sorge um seine Gesundheit gegen Entrichtung eines zusätzlichen Honorars für die Heilbehandlung sichern will. Demzufolge muss der Wahlarzt die seine Disziplin prägende Kernleistung persönlich und eigenhändig erbringen (Senat, Urteil vom 11. Mai 2010 – VI ZR 252/08, NJW 2010, 2580 Rn. 7). Insbesondere muss der als Wahlarzt verpflichtete Chirurg die geschuldete Operation grundsätzlich selbst durchführen, sofern er mit dem Patienten nicht eine Ausführung seiner Kernleistung durch einen Stellvertreter wirksam vereinbart hat (vgl. zu den an eine solche Vereinbarung anzulegenden Maßstäben BGH, Urteil vom 20. Dezember 2007 – III ZR 144/07, BGHZ 175, 76 Rn. 7 ff.). Vor diesem Hintergrund ist im Streitfall zudem das Vertrauen des Klägers, das dieser in die mit der Beklagten zu 3 geschlossene Wahlleistungsvereinbarung und damit auch in die besonderen Erfahrungen und die herausgehobene medizinische Kompetenz des Beklagten zu 1 gesetzt hat, enttäuscht worden.
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3. Es kommt daher nicht darauf an, ob das Berufungsgericht das Bestreiten des Klägers hinsichtlich des von dem Berufungsgericht angenommenen hypothetischen Kausalverlaufs hätte zurückweisen dürfen (§ 531 Abs. 2 ZPO in Verbindung mit Art. 103 Abs. 1 GG; vgl. Senat, Beschluss vom 3. März 2015 – VI ZR 490/13, NJW-RR 2015, 1278 Rn. 10 ff.).
III.
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Der Beschluss des Berufungsgerichts kann daher keinen Bestand haben, sondern ist aufzuheben und mangels Entscheidungsreife zur Verhandlung und neuen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).