BGH, Urteil vom 09.05.1995 – VI ZR 158/94
1. Zweck der Regelung des ProdHaftG § 1 Abs 2 Nr 5 ist es nur, die Haftung für sog Entwicklungsrisiken auszuschließen. Die Voraussetzung dieser Vorschrift für einen Haftungsausschluß des Herstellers kann daher nicht bei einem Fabrikationsfehler, sondern nur bei einem Konstruktionsfehler erfüllt sein.
2. Zum Umfang der Überprüfungs- und Befundsicherungspflicht des Herstellers kohlensäurehaltiger Mineralwässer vor und nach der Befüllung von Mehrwegflaschen, deren Unterlassung zu einer Beweislastumkehr bezüglich der Frage führen kann, in wessen Einfluß- und Gefahrenbereich eine etwaige Beschädigung einer Flasche entstanden ist.
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden das Urteil des 32. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 21. März 1994 aufgehoben und das Urteil des Landgerichts Essen vom 29. April 1993 teilweise abgeändert.
Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle sich aus dem Schadensereignis vom 27. Juni 1990 ergebenden materiellen Schäden zu ersetzen, soweit Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind.
Soweit die Klägerin Ersatz immateriellen Schadens beansprucht, wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
1
Die Beklagte vertreibt kohlensäurehaltiges Mineralwasser, das sie in Mehrweg-Glasflaschen abfüllt, und zwar teilweise in den sog. Brunneneinheitsflaschen und teilweise in Flaschen, die eine stärkere Wanddicke und eine andere Form haben. Am 27. Juni 1990 holte die damals neunjährige Klägerin zwei Flaschen Mineralwasser der Beklagten mit dem dickwandigeren Glas aus dem Keller der elterlichen Wohnung. Sie setzte die Flaschen zunächst im Hausflur ab, um die Kellertür zu verschließen. Als die Klägerin die Flaschen wieder hochheben wollte, explodierte eine Flasche. Dadurch flogen Glassplitter in ihr linkes Auge, was zu einer perforierenden Hornhaut-Skleraverletzung mit Irisprolaps und Oberlidverletzung führte. Trotz einer Augenoperation beträgt das Sehvermögen der Klägerin nur noch 0,6 p. Bei ihr besteht ein Astigmatismus.
2
Vor der Wiederbefüllung der zu der Beklagten zurückgebrachten gebrauchten Mehrwegflaschen durchlaufen diese das folgende Verfahren: Das in Kisten befindliche Leergut wird mit einem Palettierer auf Rollbahnen gesetzt. Von dort werden die Kisten lagenweise auf ein Förderband gebracht. Auf diesem findet, während sich die leeren Flaschen noch in den Kisten befinden, eine Sichtkontrolle durch zwei Mitarbeiter der Beklagten statt, die den Auftrag haben, Fremdflaschen und beschädigte Flaschen auszusortieren. Anschließend packt ein Greifer den Inhalt von je drei Wasserkästen, und zwar dergestalt, daß danach an je einer Gummitulpe eine Flasche aufgehängt ist. Mit dem Greifer, der über dem Förderband läuft, werden die Flaschen dann in die Waschanlage transportiert. Dort durchlaufen sie mehrere Spritzzonen. Nach dem Verlassen der Waschanlage werden die Flaschen auf dem Förderband weiter transportiert. Dabei erfolgt durch einen Mitarbeiter der Beklagten eine weitere Sichtkontrolle der an ihm vorbeiziehenden Flaschen. Danach folgt der Durchlauf durch den sog. Flascheninspektor, eine elektronisch arbeitende Inspektionsmaschine, in der Flaschenboden und Flaschenmündung der einzelnen Flasche einer Lichtkontrolle unterzogen werden. Bei Beschädigung an diesen Stellen führt eine Lichtbrechung dazu, daß die Flasche aussortiert wird. Danach erfolgt eine weitere Sichtkontrolle auf dem Förderband. Anschließend gelangen die Flaschen über ein Transportband in den Füller. Vor Einlauf in diesen werden sie noch einmal auf dem Band visuell überprüft. Im Füller gelangen sie zunächst in die Vorspannkammer. Darin werden sie einem Vorspanndruck von 5 bar ausgesetzt. Dieser ist etwa 1,7 bar höher als der Abfülldruck bei der Auffüllung mit Mineralwasser. Nach Verlassen der Vorspannkammer werden die Flaschen befüllt, danach einer nochmaligen Sichtkontrolle unterzogen und alsdann etikettiert. Bevor die Flaschen auf das Förderband gelangen, findet eine weitere Sichtkontrolle statt. Mit dem Förderband werden die Flaschen anschließend zur Verpackungsanlage transportiert, dort mit Gummitulpengreifern in Kästen eingestellt und zum Versand befördert. Auf diese Weise werden in einer Stunde etwa 15.000 Flaschen befüllt.
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Die Klägerin hat behauptet, unmittelbar am Bruchausgang habe sich auf der äußeren Glasoberfläche der geplatzten Flasche eine ca. 4 mm breite Ausmuschelung befunden. Es sei nicht auszuschließen, daß diese Beschädigung im Zeitpunkt der Auslieferung der Flasche bestanden und zu dem Bruch geführt habe. Die Klägerin hat sich dazu auf das in dem von ihr eingeleiteten Beweissicherungsverfahren erstattete Gutachten der staatlichen Materialprüfungsanstalt in D. berufen.
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Die Klägerin hat von der Beklagten einen angemessenen Schmerzensgeldkapitalbetrag und eine Schmerzensgeldrente von monatlich 500 DM verlangt und die Feststellung begehrt, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihr alle sich aus dem Schadensfall vom 27. Juni 1990 ergebenden materiellen Schäden zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageansprüche weiter.
Entscheidungsgründe
I.
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Sachverständig beraten hat das Berufungsgericht, dessen Urteil in VersR 1995, 103 und in ZfS 1994, 247 abgedruckt ist, festgestellt, Ursache für das Zerplatzen einer mit Sprudelwasser gefüllten Glasflasche sei immer eine Oberflächenverletzung. Grund für ein spontanes Platzen einer Flasche seien feinste Haarrisse im Glas, die sich weiter entwickelten. Schon kleinste mechanische Einwirkungen, unter Umständen bereits das Anfassen mit warmer Hand, könnten dann ausreichen, um unvermittelt einen Flaschenbruch auszulösen. Im Streitfalle habe es sich um eine solche Flasche mit Haarrissen gehandelt.
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Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Beklagte hätte diese durch Haarrisse beschädigte Flasche aus dem Produktionsgang herausnehmen müssen. Die Beklagte treffe jedoch kein Verschulden daran, daß die Flasche in den Verkehr gelangt sei, so daß die Voraussetzung für einen Schmerzensgeldanspruch, nämlich die schuldhafte Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht, nicht erfüllt sei. Es handle sich bei der geplatzten Flasche um einen trotz aller zumutbaren Vorkehrungen unvermeidbaren “Ausreißer”. Der Hersteller eines mit besonderen Risiken behafteten Produkts müsse sich zwar vor dessen Inverkehrbringen zuverlässig vergewissern, daß sein Produkt keine Mängel habe. Da die technischen Einrichtungen und das Kontrollverfahren im Betrieb der Beklagten aber nach der Beurteilung des Sachverständigen dem derzeitigen Stand der Technik entsprächen und auch ein solches Kontrollverfahren nicht sicherstellen könne, daß keine durch Haarrisse beschädigten Flaschen den Betrieb verlassen, bestehe ein Restrisiko, das nach den Erkenntnissen des Sachverständigen bei der Verwendung von Glasflaschen nicht vermeidbar sei. Dieses Restrisiko habe sich im Streitfalle verwirklicht.
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Eine Haftung der Beklagten nach dem Produkthaftungsgesetz vom 15. Dezember 1989 (BGBl I 2198) für die materiellen Zukunftsschäden scheidet nach Ansicht des Berufungsgerichts nach dessen § 1 Abs. 2 Nr. 5 ebenfalls aus, da der Fehler der Flasche nach dem Stand der Wissenschaft und Technik nicht hätte erkannt werden können, wie sich aus den Ausführungen im Berufungsurteil zur deliktischen Haftung ergebe.
II.
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Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision nicht stand.
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1. Rechtsfehlerhaft verneint das Berufungsgericht Ansprüche der Klägerin auf Ersatz materiellen Schadens gemäß § 1 ProdHaftG.
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a) Mit Erfolg wendet sich die Klägerin mit einer Verfahrensrüge gegen die Feststellung des Berufungsgerichts, bei der in der Hand der Klägerin geplatzten Mineralwasserflasche habe es sich um eine solche mit Haarrissen gehandelt. Für eine solche Feststellung fehlt, wie die Revision und auch die Revisionserwiderung rügen, eine tragfähige Grundlage. Die Klägerin hatte, wie das Berufungsgericht im Tatbestand des Berufungsurteils selbst erwähnt, vorgetragen, daß sich auf der äußeren Glasoberfläche der geplatzten Mineralwasserflasche eine ca. 4 mm breite Ausmuschelung befunden hat, was schon in dem von der staatlichen Materialprüfungsanstalt in D. in dem im Beweissicherungsverfahren erstatteten Gutachten bestätigt worden ist. Bereits die Materialprüfungsanstalt D. war, worauf die Revision hinweist, davon ausgegangen, daß diese Ausmuschelung, die bereits einige Zeit vor dem Bruch entstanden sein konnte, unmittelbar zum Bruch der Flasche geführt habe. Auch der Sachverständige V. hat bei seiner mündlichen Anhörung vor dem Berufungsgericht darauf hingewiesen, es sei anzunehmen, daß die Flasche im Bereich der Ausmuschelung am Flaschenhals gesprungen sei. War das aber der Fall, dann war die Flasche im Zeitpunkt des Schadenseintritts mit einem Fehler behaftet, der zum Platzen der Flasche geführt haben konnte.
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Ist die Flasche infolge der Ausmuschelung geplatzt, dann haftet die Beklagte für alle materiellen Schäden der Klägerin gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG. Die Beklagte könnte ihre Haftung nur dann abwenden, wenn sie beweisen könnte (§ 1 Abs. 4 Satz 2 ProdHaftG), daß nach den Umständen davon auszugehen ist, daß die Flasche den Fehler, der den Schaden verursacht hat, noch nicht hatte, als sie diese in den Verkehr gebracht hat (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 ProdHaftG). Einen geeigneten Beweis hierfür hat die Beklagte jedoch in den Tatsacheninstanzen nicht angetreten. Sie hat sich nur zu ihrer Behauptung, die Flasche wäre bereits in ihrem Betrieb geplatzt, wenn die Ausmuschelung schon vorhanden gewesen wäre, ehe sie dem Vorspanndruck unterworfen worden sei, auf das sachverständige Zeugnis des Zeugen C., ihres Produktionsleiters, bezogen. Dies hat auch der Zeuge C. bestätigt. Damit ist aber nicht ausgeschlossen, daß die Ausmuschelung zwar erst nach dem Abfüllen, aber noch im Einfluß- und Gefahrenbereich der Beklagten entstanden ist.
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Ein Haftungsausschluß nach § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG kommt bei einer solchen Sachverhaltsgestaltung nicht in Betracht, da eine Ausmuschelung auf jeden Fall erkannt werden konnte.
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b) Aber selbst wenn die Mineralwasserflasche nicht im Bereich der Ausmuschelung, sondern an einer anderen Stelle infolge eines Haarrisses geplatzt sein sollte, wovon das Berufungsgericht offenbar ausgeht, können Schadensersatzansprüche aus § 1 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG nicht mit der Begründung des Berufungsgerichts ausgeschlossen werden, der Fehler habe nach dem Stand der Wissenschaft und Technik nicht erkannt werden können.
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aa) Das Berufungsgericht geht rechtlich einwandfrei davon aus, daß ein Produkt gemäß § 3 Abs. 1 ProdHaftG einen Fehler hat, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände berechtigterweise erwartet werden kann. Wie das Berufungsgericht weiterhin zutreffend ausführt, erwartet ein Verbraucher, daß eine Sprudelwasserflasche keine Beschädigungen hat, auch keine Haar- und Mikrorisse, die zu einer Explosion der Flasche führen. Der Erwartung der Verbraucher auf Fehlerfreiheit würde nicht entgegenstehen, wenn solche Flaschenmängel technisch nicht feststellbar und damit nicht behebbar sind. Ist dennoch ein solcher Riß vorhanden, dann liegt, wie das Berufungsgericht ebenfalls richtig erkennt, ein sog. Fabrikationsfehler, wenn auch möglicherweise in Form eines sog. “Ausreißers” vor (vgl. dazu Senatsurteile vom 26. November 1968 – BGHZ 51, 91, 105 <Hühnerpest> und vom 3. Juni 1975 – VI ZR 192/73 – VersR 1975, 922, 923 <Spannkupplung>.
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bb) Solche “Ausreißer” sind nicht deshalb, weil sie trotz aller zumutbaren Vorkehrungen unvermeidbar sind, Fehler, die im Sinne des Art. 7 Buchst. e der EG-Produkthaftungsrichtlinie und des in Umsetzung dieser Richtlinie in deutsches Recht geschaffenen § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG nach dem Stand der Wissenschaft und Technik nicht erkannt werden konnten.
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Zweck der Regelung in diesen beiden Vorschriften ist es nur, die Haftung für sog. Entwicklungsrisiken auszuschließen (vgl. Hollmann, DB 1985, 2389, 2395; Honsell, JuS 1995, 211, 213; Kort, VersR 1989, 1113; Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kennzahl 3602, S. 20; Magnus, JZ 1990, 1100, 1101; Produkthaftungshandbuch/Graf von Westphalen 1989, § 60 Rdn. 78, 79; Rolland, Produkthaftungsrecht, 1990, § 1 ProdHaftG, Rdn. 140; Schmidt-Salzer, Kommentar EG-Richtlinie Produkthaftung, Art. 7, Rdn. 108; Taschner in: Taschner/Frietsch, Produkthaftungsrecht und EG-Produkthaftungsrichtlinie, 2. Aufl., 1990, Art. 7, Rdn. 34; vgl. auch amtliche Begründung zum Entwurf des Produkthaftungsgesetzes, BT-Drucksache 11/2447 vom 9. Juni 1988, S. 15). Erfaßt werden die Fälle, in denen die zum Schaden führende gefährliche Eigenschaft des Produkts im Zeitpunkt seiner Inverkehrgabe mit allen der Wissenschaft und Technik zur Verfügung stehenden Mitteln nicht zu entdecken war (Kort, aaO, S. 1115 f.; Kullmann/Pfister, aaO, S. 21 f; Rolland, aaO, Rdn. 143; Schmidt-Salzer, aaO; Taschner, aaO, Rdn. 35; vgl. auch von Marschall, PHI 1991, 166, 169). Die verschuldensunabhängige Haftung des Herstellers sollte begrenzt sein auf das objektiv Mögliche, auf die Verwertung des Gefahrenwissens, das im Zeitpunkt des Inverkehrbringens zur Verfügung stand (Schmidt-Salzer, aaO, Rdn. 107 a.E.). Entwicklungsrisiken sind nur Gefahren, die von der Konstruktion eines Produkts ausgehen, aber nach dem neuesten Stand der Technik nicht zu vermeiden waren (vgl. Senatsurteil BGHZ 51, 91, 105; Kullmann/Pfister, aaO, Kennzahl 1520, S. 10; Produkthaftungshandbuch/Foerste, § 24 Rdn. 83; Simitis, Gutachten C zum 47. Deutschen Juristentag, S. 47), nicht aber die bei der Produktion nicht zu vermeidenden Fehler. Bei der Schaffung der EG-Richtlinie Produkthaftung war man sich deshalb einig, daß die Voraussetzung des Art. 7 Buchst. e nicht bei einem Fabrikationsfehler, sondern nur bei einem sog. Konstruktionsfehler erfüllt sein kann (vgl. Taschner, aaO Rdn. 38; Werner Lorenz, ZHR 151 (1987), 1,14). Auch der deutsche Gesetzgeber wollte für den Bereich des Produkthaftungsgesetzes nur die Haftung für eine von einem Produkt ausgehende Gefahr ausschließen, die in der Entwicklungs- und Konstruktionsphase bei Anwendung aller zumutbaren Sorgfalt nicht erkennbar war. “Nur wenn die potentielle Gefährlichkeit des Produkts nicht erkannt werden konnte, weil diese Erkenntnismöglichkeit zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens (noch) nicht weit genug fortgeschritten war”, sollte die Haftung ausgeschlossen sein (vgl. amtliche Begründung zum Entwurf des ProdHaftG, aaO). Der “Ausreißer-Einwand” dagegen sollte bei der verschuldensunabhängigen Haftung nicht mehr zulässig sein (vgl. Schmidt-Salzer, BB 1986, 1103, 1106).
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Die potentielle Gefährlichkeit von Mehrwegglasflaschen, die mit kohlensäurehaltigen Getränken befüllt werden, ist jedoch seit langem bekannt und hat auch schon wiederholt die Rechtsprechung beschäftigt (vgl. z.B. Senatsurteile vom 7. Juni 1988 – BGHZ 104, 323 Limonadenflasche und vom 8. Dezember 1992 – VI ZR 24/92 – NJW 1993, 528 = VersR 1993, 367 Mineralwasserflasche ; Senatsbeschlüsse vom 7. März 1978 – VI ZR 143/77 – VersR 1978, 550 <Cola-Flasche> und vom 16. März 1993 – VI ZR 139/92 – VersR 1993, 845, 848 <Limonadenflasche>). Der Sicherheitsmangel solcher Glasflaschen besteht, wie das Berufungsgericht festgestellt hat, darin, daß sie platzen können, wenn feinste Haarrisse im Glas vorhanden sind, die sich weiterentwickeln. Entstehen solche Fehler in den zur Wiederbefüllung vorgesehenen Flaschen während des Abfüllvorganges oder bleiben vorher entstandene Haarrisse unerkannt, dann sind das jedenfalls keine bei der Konstruktion entstandenen Entwicklungsfehler. Die Haftung für solche sog. “Ausreißer” kann dann nicht durch § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG ausgeschlossen sein.
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Auch in einem solchen Fall könnte deshalb die Haftung der Beklagten aus § 1 Abs. 1 Satz 1 ProdHaftG nur entfallen, wenn sie beweisen könnte, daß nach den Umständen davon auszugehen ist, daß der Haarriß noch nicht vorhanden war, als sie die wiederbefüllte Flasche in den Verkehr gegeben hat. Einen dahingehenden Beweis hat die Beklagte aber in den Tatsacheninstanzen nicht einmal angetreten.
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c) Einer Vorlage der Sache an den EuGH bedarf es nicht. Der Begriff des “Standes von Wissenschaft und Technik” in § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHaftG, der aus Art. 7 Buchst. e der EG-Richtlinie stammt, muß zwar EG-einheitlich ausgelegt werden (vgl. Produkthaftungshandbuch/Foerste, § 60 Rdn. 83 a.E.).
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Soweit die Auslegung gemeinschaftsrechtlicher Begriffe in Betracht kommt, ist das letztinstanzliche Gericht eines Mitgliedstaates grundsätzlich auch zur Anrufung des EuGH verpflichtet (Art. 177 Abs. 2 EWG-Vertrag). Im Streitfalle ist jedoch nicht der Begriff des Standes der Wissenschaft auszulegen. Es geht vielmehr nur darum, ob und wie weit der deutsche Gesetzgeber von der ihm in Art. 15 Abs. 1 Buchstabe b der EG-Richtlinie Produkthaftung eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, abweichend von Art. 7 Buchstabe b der Richtlinie eine Haftung des Herstellers eingreifen zu lassen. Diese Frage ist allein von den nationalen Gerichten zu entscheiden. Aber selbst bei Auslegung eines von der EG- Richtlinie verwendeten Begriffes ist eine Vorlage an den EuGH nur geboten, wenn die betreffende Auslegungsfrage in der Rechtsprechung oder im Schrifttum umstritten ist (vgl. Dauses, JZ 1979, 125, 126) bzw. wenn das Gericht in einer entscheidungserheblichen Frage von der Rechtsprechung des EuGH abweichen will (vgl. BVerfG, NJW 1988, 2173). Auch diese beiden Voraussetzungen sind im Streitfalle nicht erfüllt.
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2. Mit Erfolg wendet sich die Revision aber auch gegen die Ausführungen des Berufungsgerichts, soweit es deliktische Schadensersatzansprüche und damit einen Anspruch auf Schmerzensgeld verneint.
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a) Das Berufungsgericht geht insoweit allerdings rechtlich einwandfrei davon aus, daß für die Feststellung, ob ein bestimmter Produktfehler, z.B. die Ausmuschelung an der Bruchstelle der Mineralwasserflasche oder Haarrisse, bereits im Verantwortungsbereich des Herstellers entstanden oder jedenfalls nicht entdeckt worden ist, eine Beweislastumkehr in Betracht kommen kann, wenn der Hersteller im Interesse des Verbrauchers gehalten war, das Produkt auf seine einwandfreie Beschaffenheit hin zu überprüfen und den Befund zu sichern, er aber dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist (Senatsurteile BGHZ 104, 323, 330 und vom 8. Dezember 1992, aaO). Mit Recht hält das Berufungsgericht infolgedessen auch die Beklagte – wie alle Verwender von Mehrwegglasflaschen für Sprudelgetränke – für verpflichtet, ein Kontrollverfahren durchzuführen, das es gewährleistet, daß der Zustand jeder Flasche zuverlässig ermittelt und daß, soweit das nach dem neuesten Stand der Technik möglich und der Beklagten zumutbar ist, alle gefahrenträchtigen Flaschen von der Wiederverwertung ausgeschlossen werden.
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b) Soweit das Berufungsgericht jedoch meint, die Beklagte habe im Streitfalle ihre Überprüfungs- und Befundsicherungspflicht erfüllt, halten seine Ausführungen den Verfahrensrügen der Revision nicht stand.
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aa) Im Ergebnis unbegründet ist allerdings die Rüge der Revision, das Berufungsurteil enthalte keine Feststellungen dazu, ob bei der Beklagten öfter gebrauchte Flaschen ausgesondert wurden. Solche Feststellungen erübrigten sich, da eine etwaige Verletzung der entsprechenden Pflicht der Beklagten nicht ursächlich für den Schaden war. Aus den Feststellungen der staatlichen Materialprüfungsanstalt D. in dem Beweissicherungsverfahren ergab sich nämlich, daß der allgemeine Zustand der äußeren Flaschenoberfläche der geplatzten Flasche auf eine relativ geringe Anzahl von Umläufen schließen lasse. Damit konnte das Berufungsgericht davon ausgehen, daß die Flasche, durch die die Klägerin verletzt wurde, auch bei Beachtung der Befundsicherungspflicht nicht wegen zu häufiger Umläufe aus dem Verkehr hätte gezogen werden müssen.
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bb) Mit Recht beanstandet die Revision jedoch, daß das Berufungsgericht nicht zu der Behauptung der Klägerin entsprechend ihrem Antrag ein weiteres Gutachten darüber eingeholt hat, daß der Vorspanndruck von 5 bar, dem die Beklagte die zur Wiederbefüllung bestimmten Flaschen unmittelbar vor der Befüllung mit Mineralwasser unterzieht, völlig unzureichend war. Das war verfahrensfehlerhaft (vgl. schon Senatsurteil vom 8. Dezember 1992, aaO, S. 369 unter 5.). Veranlassung für die Einholung eines Gutachtens hatte das Berufungsgericht im Streitfalle vor allem deshalb, weil die Brunneneinheitsflaschen der Deutschen Mineralbrunnen, die eine geringere Wandstärke haben als die Flasche, durch welche die Klägerin verletzt worden ist, teilweise schon mit einem Vorspanndruck von 5,5 bis 6 bar versehen werden, und das nicht einmal ausreicht, um sämtliche berstgefährdeten Flaschen auszusondern (vgl. Senatsurteil vom 8. Dezember 1992, aaO, S. 369; OLG Frankfurt, VersR 1993, 845, 847). Wenn bei der den Schaden der Klägerin verursachenden Flasche dickwandigeres Glas verwendet wurde, war damit möglicherweise der theoretische Festigkeitswert ihres Glases erhöht (vgl. OLG Frankfurt, VersR 1993, 845, 846). Das könnte deswegen naheliegen, da die Beklagte vorgetragen hatte, der Berstdruck bei ihren Flaschen liege bei mindestens 25 bar. Das Berufungsgericht mußte deshalb besondere Feststellungen dazu treffen, ob der von der Beklagten gewählte Vorspanndruck bei ihren dickwandigeren Flaschen überhaupt den erforderlichen Ausleseeffekt haben konnte. Dabei war es jedoch nicht erforderlich, daß ein etwaiger höherer Vorspanndruck alle Flaschen mit Haarrissen zum Platzen brachte. Die Maßnahmen der Befundsicherung, bei deren Unterlassung eine Beweislastumkehr eintritt, müssen nicht die Explosion von Getränkeflaschen in Verbraucherhand völlig ausschließen. Es genügt, daß dadurch eine signifikante Verringerung des Produktrisikos erfolgt (Senatsbeschluß vom 16. März 1993 – VI ZR 139/92 – Limonadenflasche – VersR 1993, 845, 848).
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cc) Begründet ist auch die weitere Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe die Beweisantritte der Klägerin dazu übergangen, daß betriebsinterne Beschädigungen, wie die auf der Unfallflasche möglicherweise vorhandene Ausmuschelung, nach den bei der Beklagten beobachteten Produktionsabläufen anläßlich der innerbetrieblichen Kontrollen nicht erkannt werden können.
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Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß der elektronische Flascheninspektor, den die Beklagte benutzt, nur Schäden am oberen Rand der Flasche und am Flaschenboden erkennen kann. Deshalb durfte es sich nicht mit dem Gutachten des Sachverständigen V. begnügen, der erwähnt hatte, die Konstruktion einer Maschine, die auch andere Schäden erkenne, sei bislang nicht realisierbar. Wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 8. Dezember 1992 (aaO) entschieden hat, bedeutet die von einem Mineralbrunnen geschuldete Befundsicherung die Sicherstellung eines Kontrollverfahrens, durch das der Zustand einer jeden Flasche ermittelt und gewährleistet wird, daß – soweit technisch möglich – alle nicht einwandfreien Flaschen von der Wiederverwendung ausgeschlossen werden. Das heißt nicht, daß ein Mineralbrunnen nur die möglichen maschinellen Überprüfungen schuldet. Soweit durch maschinelle Überprüfung Fehler von Flaschen nicht festgestellt werden können, diese aber durch menschliche Sichtkontrollen erkannt werden können, trifft ihn die Pflicht, jede einzelne Flasche einer solchen Kontrolle zu unterziehen. Die Beklagte hat zwar vor und nach dem Befüllungsvorgang mehrere Sichtkontrollen in ihrem Betrieb vorgesehen. Es ist jedoch nicht ersichtlich, daß dabei jede Flasche genau in Augenschein genommen werden kann, zumal die erste Kontrolle, die durch zwei Mitarbeiter erfolgt und bei der sowohl die Fremdflaschen als auch beschädigte Flaschen ausgesondert werden sollen, bereits stattfindet, wenn die Flaschen noch in den Kästen stehen. Es erscheint auch höchst unwahrscheinlich, daß bei den späteren Sichtkontrollen die Mitarbeiter der Beklagten jede Flasche genau auf alle Fehler, insbesondere auch auf kleine, nur mehrere Millimeter breite Ausmuschelungen, hin untersuchen können, wenn in einer Stunde im Betrieb der Beklagten 15.000 Flaschen abgefüllt werden und demgemäß auch eine solche Anzahl Flaschen jeweils in einer Stunde der Sichtkontrolle eines Mitarbeiters unterzogen wird, also rund 4 Flaschen pro Sekunde, und dabei auch auf andere Umstände, z.B. Verschmutzungen und – nach dem Befüllen – die Füllhöhe sowie die richtige Etikettierung, zu achten ist.
III.
29
Bei dieser Sachlage muß das Berufungsurteil aufgehoben werden.
30
Soweit die Klägerin mit ihrer Feststellungsklage Ansprüche auf Ersatz materiellen Schadens geltend macht, ist die Klage bereits jetzt zur Entscheidung reif. Da die Flasche, durch die die Klägerin verletzt wurde, nach dem Sachvortrag der Parteien und den getroffenen Feststellungen nur entweder im Bereich einer Ausmuschelung oder aufgrund von Haarrissen, die sich an anderer Stelle der Flasche befanden, explodiert sein kann, war auf jeden Fall ein Fehler im Sinne des § 3 ProdHaftG die Ursache der Verletzung der Klägerin. Die Beklagte haftet somit gemäß § 1 ProdHaftG für allen materiellen Schaden der Klägerin, so daß der Feststellungsklage stattgegeben werden konnte. Einer Einschränkung der Haftung bedurfte es nicht, da nicht ersichtlich ist, daß der Schaden der Klägerin den auch für die Schädigung einer Einzelperson geltenden Haftungshöchstbetrag des § 10 Abs. 1 ProdHaftG übersteigen wird.
31
Soweit die Klägerin darüberhinaus noch ein Schmerzensgeld und eine Schmerzensgeldrente verlangt, war die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der beiden Rechtsmittelzüge, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es die noch erforderlichen Feststellungen treffen kann.
32
Für die neue Verhandlung wird noch auf folgendes hingewiesen:
33
Sollte das Berufungsgericht aufgrund der neuen Verhandlung zu dem Ergebnis gelangen, daß entsprechend dem Vortrag der Klägerin an der geplatzten Flasche eine Ausmuschelung vorhanden war, dann käme für die Frage, ob diese erst auf dem Vertriebsweg oder im Einfluß- oder Gefahrenbereich der Eltern der Klägerin entstanden war, eine Beweislastumkehr in Betracht, wenn sich herausstellen sollte, daß die Beklagte ihre Pflicht zur Befundsicherung verletzt hat. Die Beklagte, die sich insoweit nicht entlastet hat, wäre in diesem Fall der Klägerin auch dann zum Schadensersatz verpflichtet, wenn die Flasche nicht an der Ausmuschelung, sondern an einer anderen Stelle infolge eines Haarrisses geplatzt wäre. Die Nichtaussonderung der Flasche wäre auch bei dieser Gestaltung ursächlich für die Verletzung der Klägerin. Da auch die Aussonderung äußerlich beschädigter Flaschen dazu dient, die Verbraucher vor der Explosion von Flaschen zu schützen, würde auch der durch das Platzen der Flasche infolge eines Haarrisses entstandene Schaden der Klägerin im Schutzbereich der verletzten Verhaltenspflicht liegen.
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Sollte sich bei der neuen Verhandlung ergeben, daß keine Ausmuschelung an der Flasche vorhanden war und deshalb auch weder diese noch ein unter der Ausmuschelung vorhandener Haarriß Ursache des Platzens der Flasche sein konnte, sondern ein feinster, mit dem menschlichen Auge nicht sichtbarer Haarriß an anderer Stelle der Flasche, dann schuldet die Beklagte der Klägerin kein Schmerzensgeld, wenn sie ihre Befundsicherungspflicht nicht verletzt hat, wenn also der Berstdruck in Ordnung war und wenn auch die Zeitspanne, in der die Flaschen dem Vorspanndruck ausgesetzt waren, ausreichend lang bzw. der Beklagten eine verlängerte Druckprüfung nicht zumutbar war (vgl. dazu LG Nürnberg-Fürth, NJW-RR 1991, 287).