Zur Haftung des Grundstückseigentümers für Schäden durch Baumsturz

OLG Düsseldorf, Urteil vom 23.07.2013 – I-9 U 38/13, 9 U 38/13

Grundsätzlich obliegt es jedem Eigentümer, die auf seinem Grundstück vorhandenen und unterhaltenen Pflanzen, insbesondere aber Bäume auf Schäden und Erkrankungen in regelmäßigen Abständen zu untersuchen und im Falle des Verlustes der Standfestigkeit zu entfernen, damit von ihnen keine Gefahr ausgeht. Die Kontrolle der im privaten Bereich unterhaltenen Bäume kann der Eigentümer selbst durchführen und muss sich hierbei keines Fachmannes bedienen. Schäden und Erkrankungen können in der Regel von einem Laien hinreichend (z.B. aufgrund abgestorbener Äste, brauner oder trockener Blätter, Verletzungen der Rinde und sichtbaren Pilzbefalls) erkannt und darauf rechtzeitig reagiert werden. Dies gilt auch für ältere Bäume wie für die hier betroffene ca. 200 Jahre alte Eiche. Denn ein allgemein bekannter Grundsatz, dass von älteren (und in der Regel auch alt werdenden) Bäumen eine schwerer zu erkennende Gefahr ausginge, existiert nicht. Eine eingehende fachmännische Untersuchung ist erst bei Zweifelsfragen zu veranlassen. Es überstiege die Anforderungen an den Verkehrskreis der Privateigentümer, die Kontrolle zumindest jedes älteren Baumes einem Fachmann oder Sachverständigen überlassen zu müssen. Schwierigkeiten ergäben sich insbesondere schon daraus, dass es für einen Privateigentümer keine erkennbare Regel gäbe, ab wann ein Baum als älter einzustufen wäre und einer fachmännischen Kontrolle bedürfte, um die Verkehrssicherungspflicht zu erfüllen (Rn. 5).

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Kleve vom 23.01.2013 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe
1

Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.

2

Der Kläger kann als Gebäudeversicherer des geschädigten Versicherungsnehmers H… A… die Beklagte nicht erfolgreich in Regress nehmen (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VVG). Dem Versicherungsnehmer steht gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Ersatzanspruch zu.

1.

3

Ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht besteht nicht. Der Kläger hat nicht bewiesen, dass die Beklagte die ihr obliegenden Verkehrssicherungspflichten verletzt hat.

4

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist derjenige, der eine Gefahrenlage – gleich welcher Art – schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren (vgl. BGH NJW 2006, 610, 611; BGH NJW 2007, 1683, 1684; BGH NJW 2013, 48). Verkehrssicherungspflichtig ist auch derjenige, der in seinem Verantwortungsbereich eine eingetretene Gefahrenlage andauern lässt (vgl. BGH NJW 2013, 48). Zu berücksichtigen ist jedoch, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre utopisch. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine Gefahr erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden. Deshalb muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es sind vielmehr nur die Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, die Schädigung anderer tunlichst abzuwenden. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und die den Umständen nach zuzumuten sind (vgl. BGH NJW 2013, 48 f. m.w.N.).

5

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze und der gesetzlichen Risikozuweisung ist eine Haftung der Beklagten wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht im Hinblick auf die am 12.07.2010 umgestürzte Eiche nicht gegeben. Grundsätzlich obliegt es jedem Eigentümer, die auf seinem Grundstück vorhandenen und unterhaltenen Pflanzen, insbesondere aber Bäume auf Schäden und Erkrankungen in regelmäßigen Abständen zu untersuchen und im Falle des Verlustes der Standfestigkeit zu entfernen, damit von ihnen keine Gefahr ausgeht. Die Kontrolle der im privaten Bereich unterhaltenen Bäume kann der Eigentümer selbst durchführen und muss sich hierbei keines Fachmannes bedienen. Schäden und Erkrankungen können in der Regel von einem Laien hinreichend (z.B. aufgrund abgestorbener Äste, brauner oder trockener Blätter, Verletzungen der Rinde und sichtbaren Pilzbefalls) erkannt und darauf rechtzeitig reagiert werden. Dies gilt auch für ältere Bäume wie für die hier betroffene ca. 200 Jahre alte Eiche. Denn ein allgemein bekannter Grundsatz, dass von älteren (und in der Regel auch alt werdenden) Bäumen eine schwerer zu erkennende Gefahr ausginge, existiert nicht. Eine eingehende fachmännische Untersuchung ist erst bei Zweifelsfragen zu veranlassen. Es überstiege die Anforderungen an den Verkehrskreis der Privateigentümer, die Kontrolle zumindest jedes älteren Baumes einem Fachmann oder Sachverständigen überlassen zu müssen. Schwierigkeiten ergäben sich insbesondere schon daraus, dass es für einen Privateigentümer keine erkennbare Regel gäbe, ab wann ein Baum als älter einzustufen wäre und einer fachmännischen Kontrolle bedürfte, um die Verkehrssicherungspflicht zu erfüllen.

6

Die Beklagte hat im vorliegenden Fall ihrer Verkehrssicherungspflicht genügt:

7

Sie hat die regelmäßige Kontrolle zwar nicht selbst durchgeführt, sondern ihrem Neffen, dem Zeugen A…, übertragen. Eine solche Übertragung der Kontroll- und Überprüfungspflichten bei der Haltung von Bäumen war aber zulässig. Sie bedarf einer klaren Absprache, die die Sicherung der Gefahrenquelle zuverlässig gewährleistet (vgl. BGH NJW 1996, 2646). Der Übertragende muss sich vergewissern, dass der Übernehmende bereit und in der Lage ist, die Pflicht zu erfüllen. Diese Voraussetzungen waren nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Landgericht in der Person des Zeugen A… erfüllt. Er hat eine entsprechende Absprache mit der Beklagten bestätigt, an die er sich auch gebunden fühlte. Nach seinen Bekundungen hatte er in der Folgezeit bereits zwei kritische Bäume fällen lassen. Darauf, ob sich der Zeuge dabei bewusst war, mit Übernahme der Überwachungspflichten auch selbst vertragsrechtlich oder deliktsrechtlich verantwortlich sein zu können, kommt es nicht an. Auch wenn er nach eigener Aussage über keine spezifischen Gartenbaukenntnisse verfügt, war er als unmittelbarer Grundstücksnachbar und Betreiber der Pension „F… H…“ geeignet und in Anbetracht seiner Interessenlage sogar besonders interessiert daran, dass von den erhöht liegenden und grenzständigen Bäumen keine Gefahr ausging. Im Falle eines Verlustes der Standfestigkeit der Eiche wäre er als Erster betroffen und geschädigt gewesen. Allein die Tatsache, dass es sich bei ihm um den Neffen der Beklagten handelt, spricht nicht gegen die Verbindlichkeit der Abrede oder gar gegen seinen Bindungswillen.

8

Die vom Zeugen A… geleistete Tätigkeit war zur Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht auch ausreichend. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts im angefochtenen Urteil verwiesen, denen sich der Senat anschließt.

2.

9

Dem Kläger steht aus übergegangenem Recht auch kein verschuldensunabhängiger nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch gemäß § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog zu. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt ein solcher Anspruch in Betracht, wenn von einem Grundstück im Rahmen seiner privatwirtschaftlichen Benutzung Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen, sofern der davon betroffene Eigentümer aus besonderen Gründen gehindert war, die Einwirkungen gemäß § 1004 Abs. 1 BGB rechtzeitig zu unterbinden (vgl. BGH NJW 2003, 1732, 1733; NJOZ 2005, 174, 177). Ob der Zeuge A… hier Auffälligkeiten an der Eiche hätte erkennen und rechtzeitig einen Beseitigungsanspruch aus § 1004 BGB hätte geltend machen können, was der Kläger ausdrücklich verneint, kann in diesem Zusammenhang dahinstehen. Der Abwehranspruch aus § 1004 BGB setzt nämlich darüber hinaus voraus, dass die Beklagte als „Störer“ verantwortlich war. Dazu reicht ihre bloße Stellung als Eigentümerin des Grundstücks, von dem die Einwirkung ausging, nicht aus. Die Beeinträchtigung muss vielmehr wenigstens mittelbar auf den Willen des Eigentümers zurückgehen (vgl. BGH NJW 1993, 1855, 1856; BGH NJW-RR 2011, 739, 740). Ob dies der Fall ist, ist nicht begrifflich, sondern nur in wertender Betrachtung von Fall zu Fall festzustellen. Entscheidend ist, ob es jeweils Sachgründe gibt, dem Grundstückseigentümer die Verantwortung für ein Geschehen aufzuerlegen (vgl. BGH NJW-RR 2011, 739, 740). Durch Naturereignisse ausgelöste Beeinträchtigungen sind dem Eigentümer danach nur dann zuzurechnen, wenn er sie durch eigene Handlungen ermöglicht oder durch ein pflichtwidriges Unterlassen herbeigeführt hat (vgl. BGHZ 90, 255, 266, BGH NJW 1993, 1855, 1856). Daran fehlt es indes hier:

10

Die Unterhaltung der Eiche auf dem Grundstück der Beklagten entsprach nach den vorliegenden Fotos dem Landschaftsbild und hielt sich damit im Rahmen ordnungsgemäßer Bewirtschaftung (vgl. dazu BGH NJW 2004, 1037, 1039). Konkrete Handlungen der Beklagten, die die Gefahr erst begründet oder maßgeblich erhöht haben könnten, sind nicht ersichtlich. Auch ein für den Schaden ursächliches pflichtwidriges Unterlassen der Beklagten ist nicht feststellbar. Zwar hat der Eigentümer von ihm unterhaltene Bäume, die infolge Krankheit oder Überalterung ihre Widerstandsfähigkeit eingebüßt haben, zu beseitigen (vgl. BGH NJW 1993, 1855, 1856). Die Unterhaltung einer ca. 200 Jahre alten Eiche ist für sich gesehen aber noch nicht zu beanstanden, sondern in Anbetracht des wünschenswerten Erhalts langlebiger und die Region charakterlich gestaltender Bäume zu begrüßen. Diese Baumart kann durchaus ein Alter von mehreren hundert Jahren erreichen. Erst bei erkennbarer Erkrankung und daraus folgender mangelnder Standsicherheit hätte eine ordnungsgemäße Bewirtschaftung Sicherungsmaßnahmen oder eine vollständige Beseitigung des Baumes erfordert. Nach den Feststellungen des Landgerichts war die Erkrankung, unabhängig von der Frage, ob durch den nachträglich festgestellten Würfelbruch die Standfestigkeit der Eiche überhaupt beeinträchtigt war, für einen Laien aber äußerlich nicht zu erkennen. Insoweit kann auch dahinstehen, ob die Erkrankung von einem Baumsachkundigen erkannt worden wäre, denn aus den oben genannten Erwägungen war die Beklagte nicht verpflichtet, einen solchen bei der Baumkontrolle hinzuzuziehen.

11

Dieses Ergebnis steht auch nicht im Widerspruch zum Urteil des Bundesgerichtshofes vom 01.04.2011 (NJW-RR 2011, 739 f.), in dem der Bundesgerichtshof eine Haftung des Nutzers eines elektrisch verstellbaren Bettelementes für einen davon ausgegangenen Brandschaden trotz fehlender Erkennbarkeit des (möglichen) technischen Defektes angenommen hat. Während sich die Störereigenschaft dort allein aus der objektiven Beherrschung der Schadensquelle ergab, treten bei Naturereignissen äußere, von niemandem zu beherrschende Einflüsse hinzu, die bei wertender Betrachtung eine abweichende Würdigung rechtfertigen (vgl. BGH NJW 1993, 1855, 1856; BGH NJW-RR 2011, 739, 740, wo der BGH die Fallgruppe technische Defekte in Tz. 16 gerade unter diesem Gesichtspunkt von Schäden durch Naturereignisse abgrenzt). Vorliegend beruht der Schaden aber auf den Einwirkungen des Sturms vom 12.07.2010, also auf Umständen, die grundsätzlich niemand beherrschen kann und für die auch keine Sicherungspflicht besteht. Ein Sturm der Windstärke 11 (vgl. Wetterkurzgutachten der METEO-data Ltd. vom 26.04.2011, Bl. 44 GA) ist zwar ein denkbares, normalerweise aber nicht zu erwartendes Ereignis (vgl. BGH NJW 1993, 1855, 1856). Den normalen Naturkräften hatte die Eiche dagegen bis dahin standgehalten.

3.

12

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

4.

13

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

14

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 8.162,56 € festgesetzt.

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