Zur Frage, wer Anspruchsgegner bei Haftung für einen Arbeitsunfall auf einer Baustelle ist

BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2018 – VI ZR 34/17

Zur Frage, wer Anspruchsgegner bei Haftung für einen Arbeitsunfall auf einer Baustelle ist

Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten zu 2 wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 22. Dezember 2016 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Beklagten zu 2 gegen das Teil- und Grundurteil des Landgerichts Mainz vom 12. Februar 2016 zurückgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten zu 1 gegen das vorbezeichnete Urteil wird zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens beträgt bis zu 65. 000 €.

Gründe
I.

1
Der Kläger nimmt die Beklagten nach einem Arbeitsunfall vom 17. Juni 2010 wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens sowie auf Feststellung ihrer Ersatzpflicht in Anspruch. Er war am Unfalltag als Arbeitnehmer seiner Streithelferin auf einer Baustelle der Beklagten zu 2, einer Ortsgemeinde, beschäftigt. Die Streithelferin war von der Bauherrin mit Innenausbauarbeiten beim Umbau einer ehemaligen Dorfschule zu einem Gemeindezentrum beauftragt. Der Beklagte zu 1 hatte als Architekt im Auftrag der Beklagten zu 2 das Bauvorhaben geplant und führte die Bauaufsicht. Als der Kläger mit anderen Arbeitern im Bereich des Treppenhauses Gipsplatten an den Wänden befestigen wollte, brachen er und ein Arbeitskollege durch eine Holzabdeckung über dem Treppenauge und stürzen etwa 4 m in die Tiefe. Beide wurden nicht unerheblich verletzt.

2
Der Kläger wirft den Beklagten vor, ihre Verkehrssicherungspflichten verletzt zu haben. Er behauptet, ein von der Beklagten zu 2 beauftragter „Rentnerverein“ habe die Holzabdeckung unfachmännisch errichtet. Die Beklagten hätten die Konstruktion in Kenntnis der Tatsache, dass sie nicht von Fachleuten errichtet worden sei, über Monate geduldet, ohne sich der Tragfähigkeit zu vergewissern.

3
Das Landgericht hat den geltend gemachten Schadensersatzanspruch durch Grund- und Teilurteil dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und dem Feststellungsantrag weitgehend stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Da es gegen sein Urteil die Revision nicht zugelassen hat, möchten die Beklagten mit ihren Nichtzulassungsbeschwerden eine Zulassung der Revision durch das Revisionsgericht erreichen, um ihr Klageabweisungsbegehren weiterzuverfolgen.

II.

4
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten zu 1 hat keinen Erfolg, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.

5
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten zu 2 hat dagegen Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht, soweit dieses ihre Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zurückgewiesen hat. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Beklagten zu 2 auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt.

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1. Das Berufungsgericht hat – soweit hier erheblich – ausgeführt, auch wenn durch die Beweisaufnahme beim Landgericht nicht habe aufgeklärt werden können, wer konkret für die Errichtung der Konstruktion verantwortlich gewesen sei, so sei der Beklagten zu 2 doch bekannt gewesen, dass diese nicht durch Fachkräfte, die als Fachhandwerker auf der Baustelle tätig gewesen seien, errichtet worden sei. Die Beklagte zu 2 sei als Bauherrin zunächst grundsätzlich selbst für die Einhaltung der Verkehrssicherungspflichten auf ihrer Baustelle verantwortlich gewesen. Eine Übertragung der Verkehrssicherungspflichten auf den Beklagten zu 1 oder einen Dritten habe im vorliegenden Fall nicht stattgefunden. Auch wenn der bauleitende Architekt aufgrund seiner eigenen vertraglichen Pflichten gehalten gewesen sei, für die Sicherheit auf der Baustelle zu sorgen, habe eine entsprechende Verkehrssicherungspflicht daneben auch weiterhin für die Beklagte zu 2 bestanden, zumal sie die Einschaltung eines Sicherheits- und Gesundheitskoordinators abgelehnt habe. Die Pflicht zur Gewährleistung der Sicherheit auf der Baustelle habe gegenüber allen Personen bestanden, die sich befugterweise auf der Baustelle aufgehalten hätten. Dazu hätten insbesondere die auftragsgemäß dort arbeitenden Fachunternehmer gehört, insbesondere der Kläger und die Streithelferin. Ob der Kläger in den Schutzbereich der vertraglichen Beziehungen zwischen der Streithelferin und der Beklagten zu 2 einbezogen gewesen sei, könne letztlich dahingestellt bleiben. Maßgeblich sei vorliegend, dass die Verkehrssicherungspflichten der Beklagten zu 2 für alle sich befugtermaßen auf der Baustelle aufhaltenden Personen bestanden hätten. Diese habe sie verletzt, indem sie die Errichtung der Konstruktion durch Nichtfachleute geduldet habe, anschließend, genau wie der Beklagte zu 1, die seit Monaten sich im Treppenhaus befindliche Abdeckungskonstruktion nicht durch einen Fachmann habe überprüfen lassen und dann stattdessen, ohne sich weiter darum zu kümmern, stehen gelassen habe mit der Gefahr, dass die Konstruktion auch, und zwar wiederholt, durch die dort arbeitenden Fachhandwerker benutzt werde.

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2. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Erfolg, dass das Berufungsgericht die Beklagte zu 2 mit diesen Ausführungen in entscheidungserheblicher Weise in ihrem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt hat. Es hat entscheidungserheblichen Parteivortrag der Beklagten zu 2 nicht berücksichtigt, ohne dass sich hierfür eine Grundlage im Prozessrecht findet (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juli 2016 – V ZR 258/15, NJW 2017, 736 Rn. 11; BVerfG, NJW 2001, 1565, 1566).

8
a) Die Nichtzulassungsbeschwerde weist zutreffend darauf hin, dass die Beklagte zu 2 bereits erstinstanzlich bestritten hat, dass der „Rentnerverein“ die Abdeckkonstruktion errichtet habe, und erklärt hat, dass sie davon ausgehe, dass der Rohbauunternehmer dies gemacht habe. Nachdem sich das Landgericht keine Überzeugung hat bilden können, dass der „Rentnerverein“ die Konstruktion angebracht hatte, und die Beklagte zu 2 gleichwohl unter dem Gesichtspunkt eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter verurteilt hat, hat die Beklagte zu 2 in ihrer Berufungsbegründung vorgetragen, dass sich aus dem gesamten Akteninhalt, aber auch aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung, kein Anhaltspunkt ergebe, aus dem abzuleiten wäre, dass der Beklagten zu 2 eine konkrete Gefahrenstelle in Gestalt der Treppenhausabdeckung oder eine etwaige Unzuverlässigkeit des Arbeitgebers des Klägers bekannt und auch nur erkennbar gewesen sei.

9
Darin, dass das Berufungsgericht dennoch unterstellt hat, die Beklagte habe die Errichtung der Konstruktion durch Nichtfachleute geduldet, zeigt sich, dass es diesen Vortrag nicht zur Kenntnis genommen oder nicht erwogen hat.

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b) Die Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich.

11
aa) Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 18. November 2014 – VI ZR 47/13, BGHZ 203, 224 mwN) ist auf einer Baustelle primär der einzelne Bauunternehmer verkehrssicherungspflichtig. Die Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften, die die im konkreten Fall zu beachtenden Sorgfaltspflichten durch Bestimmungen über Sicherheitsmaßnahmen konkretisieren, wenden sich nur an ihn. Sie sollen die Versicherten vor den typischen Gefährdungen des jeweiligen Gewerbes schützen. Diesen Zweck können sie nur erfüllen, wenn sie von dem Unternehmer zu beachten sind, der die Versicherten beschäftigt. Einen mit der örtlichen Bauaufsicht, Bauleitung oder Bauüberwachung beauftragten Architekten trifft – ebenso wie den ihn beauftragenden Bauherren – lediglich eine sogenannte sekundäre Verkehrssicherungspflicht, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Unternehmer in dieser Hinsicht nicht genügend sachkundig oder zuverlässig ist, wenn er Gefahrenquellen erkannt hat oder wenn er diese bei gewissenhafter Beobachtung der ihm obliegenden Sorgfalt hätte erkennen können. In diesem Falle ist er verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer zu verhindern.

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bb) Nach diesen Grundsätzen könnte der Beklagten zu 2 als Bauherrin eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht im Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall des Klägers nur dann angelastet werden, wenn feststünde, dass ihr bekannt oder erkennbar war, dass die Abdeckkonstruktion von Nichtfachleuten errichtet wurde. Von dieser streitigen Tatsache hat sich das Landgericht jedoch gerade keine Überzeugung bilden können und das Berufungsgericht hat hierzu keine Feststellungen getroffen.

13
(1) Entgegen der Auffassungen der Nichtzulassungsbeschwerdeerwiderungen musste die Beklagte zu 2 den Vortrag des Klägers, der „Rentnerverein“ habe die Konstruktion erstellt, nicht über den erfolgten Umfang hinaus bestreiten und mehr als eine bloße Vermutung dafür äußern, wer die Konstruktion errichtet hat. Wie der Senat mehrfach entschieden hat, wird ein Bauherr von seiner Verantwortung für die verkehrssichere Errichtung eines Bauwerks weitgehend dadurch befreit, dass er mit der Planung und Bauleitung einen bewährten Architekten beauftragt. Dies gilt nur dann nicht, wenn er bei einer von ihm selbst erkannten oder für ihn jedenfalls erkennbaren Gefahrenlage keine Abhilfe schafft (vgl. Senatsurteile vom 31. Mai 1994 – VI ZR 233/93, VersR 1994, 996 f. Rn. 16 n. juris; vom 9. März 1982 – VI ZR 220/80, VersR 1982, 595, 596 und vom 11. Mai 1976 – VI ZR 210/73, VersR 1976, 954, 955 Rn. 15 n. juris).

14
(2) Für die Kenntnis oder Erkennbarkeit einer Gefahrenlage durch die Beklagte zu 2 als Anspruchsvoraussetzung trägt nach allgemeinen Grundsätzen der Kläger die Darlegung- und Beweislast. Die Annahme einer sekundären Darlegungslast setzt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass die nähere Darlegung dem Behauptenden nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm zumutbar ist, nähere Angaben zu machen (vgl. etwa Senatsurteil vom 1. März 2016 – VI ZR 34/15, BGHZ 209, 139 Rn. 47 mwN). Diese Voraussetzungen für eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten zu 2 über den Umfang ihres bisherigen Sachvortrags hinaus liegen im Streitfall nicht vor. Nachdem die Beklagte zu 2 die Bauleitung und -aufsicht auf den Beklagten zu 1 übertragen hatte, durfte sie sich mangels gegenteiliger Anhaltspunkte darauf verlassen, dass dieser dafür Sorge trägt, dass die Gewerke auf der Baustelle durch die hiermit beauftragten Fachunternehmen durchgeführt werden. Zwar mag für die Beklagte zu 2 anhand der ihr vorliegenden Vertragsunterlagen erkennbar gewesen sein, welches Fachunternehmen die Konstruktion errichten sollte. Hierzu hatte sie sich jedoch geäußert, indem sie die Vermutung aufgestellt hat, dass das Rohbauunternehmen die Konstruktion erstellt habe. Dagegen sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die Beklagte zu 2 wüsste oder wissen müsste, wer die Konstruktion tatsächlich errichtet hat.

15
c) Die Verurteilung der Beklagten zu 2 ist auch nicht aus anderen Gründen richtig, weil – wie das Landgericht angenommen hat – der Kläger gegen die Beklagte zu 2 einen Anspruch wegen Verletzung eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter im Zusammenhang mit dem Bauhandwerkervertrag zwischen der Beklagten zu 2 und der Arbeitgeberin des Klägers, der Streithelferin, hätte. Die Rechte eines in die Schutzwirkung eines Vertrages einbezogenen Dritten reichen nicht weiter als die des Vertragspartners selbst (vgl. Senatsurteil vom 13. Januar 2009 – VI ZR 205/08, VersR 2009, 413). Das bedeutet im Streitfall, dass auch ein vertraglicher Anspruch der Streithelferin gegen die Beklagte zu 2 wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten voraussetzen würde, dass der Beklagten zu 2 eine Gefahrenlage bekannt oder erkennbar war. Hierzu hat das Berufungsgericht jedoch keine Feststellungen getroffen. Diese wird es nachzuholen haben.

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