LG Mannheim, Urteil vom 04. September 2020 – 1 S 29/20
Allein der Verstoß gegen die Vorgaben zum Dateiformat führt nicht dazu, dass die elektronisch eingereichte Berufungsbegründung (hier: in DOCX-Format) nicht zur Bearbeitung bei Gericht geeignet ist.
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Weinheim vom 18.02.2020 (2 C 85/18) teilweise abgeändert:
a) Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 2.054,06 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.11.2017 zu zahlen.
b) Die Beklagten werden weiter als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 334,75 € als vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.03.2018 zu zahlen.
2. Im Übrigen werden die weitergehende Klage abgewiesen und die weitergehende Berufung zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz haben der Kläger und die Beklagten als Gesamtschuldner jeweils zur Hälfte zu tragen. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger 83 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 17 % zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird für das erstinstanzliche Verfahren auf 4.108,11 € und für das Berufungsverfahren auf 2.464,87 € festgesetzt.
Gründe
I.
1
Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem Verkehrsunfall.
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Der Kläger fuhr am 17.07.2017 mit seinem Kraftfahrzeug auf der […]straße in Weinheim. Die Beklagte zu 1 fuhr mit ihrem Kraftfahrzeug, das seinerzeit bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversichert war, von der Straße „[…]“ in Weinheim kommend in Fahrtrichtung der kreuzenden […]straße. Die […]straße ist gegenüber der Straße „[…]“ vorfahrtsberechtigt. Als der Kläger von der […]straße in die Straße „[…]“ nach links und die Beklagte zu 1 von der Straße „[…]“ in die […]straße nach rechts einbog kam es zur Kollision der beiden Fahrzeuge. Am klägerischen Fahrzeug entstand ein Sachschaden in Höhe von 4.083,11 €.
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Der Kläger behauptet, dass es zur Kollision gekommen sei, nachdem das Beklagtenfahrzeug in den Kreuzungsbereich eingefahren gewesen sei. Es liege ein Vorfahrtsverstoß der Beklagten zu 1 vor. Er habe keine Möglichkeit gehabt, dem Beklagtenfahrzeug auszuweichen. Der Kläger meint, dass dies zur vollen Haftung der Beklagten führe.
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Der Kläger hat in erster Instanz beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 4.108,11 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu verurteilen. Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.
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Die Beklagten behaupten, dass die Beklagte zu 1 die Fluchtlinie zur […]straße noch nicht erreicht, geschweige denn überschritten habe, als es zur Kollision der Fahrzeuge kam. Vielmehr habe der Kläger die Kurve beim Linksabbiegen eklatant geschnitten. Der Unfall sei für die Beklagte zu 1 unabwendbar gewesen. Die Beklagte zu 1 habe zu diesem Zeitpunkt nach rechts keine Sicht in die […]straße gehabt.
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Das Amtsgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen […], das dieser schriftlich ergänzt hat. Auf dieser Grundlage hat das Amtsgericht der Klage teilweise stattgegeben. Es hat einen Vorfahrtsverstoß der Beklagten zu 1 und ein Schneiden der Kurve durch den Kläger festgestellt. Auf dieser Grundlage hat es eine Haftung der Beklagten zu 40 % als angemessen erachtet.
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Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Er meint, dass das Amtsgericht das Sachverständigengutachten nicht kritisch gewürdigt habe. Aufgrund von Fahrzeugen, die am Rand geparkt gewesen seien, sei der Unfall für ihn unvermeidbar gewesen. Er habe die Kurve nicht anders fahren können. Zudem habe der Sachverständige das Splitterfeld nicht korrekt lokalisiert. Auch gebe die informatorische Anhörung der Beklagten zu 1 nicht her, dass sie sich durch das Vorfahren mehr Überblick über die Verkehrssituation habe verschaffen wollen. Schließlich sei die Haftungsquote falsch. Allenfalls wäre ein Haftungsanteil von einem Drittel zu Lasten des Klägers angemessen.
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Die Berufungsbegründung wurde im Dateiformat DOCX eingereicht.
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Der Kläger stellt folgende Anträge:
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Das Urteil des Amtsgerichtes Weinheim vom 26.02.2020 – Az. 2 C 85/18 – wird im Kostenpunkt aufgehoben und wie folgt abgeändert:
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1. Die Beklagten werden verurteilt als Gesamtschuldner an den Kläger € 4.108,11 zzgl. Zinsen hieraus i. H. v. 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.11.2017 zu zahlen.
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2. Die Beklagten werden verurteilt als Gesamtschuldner an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten i. H. v. € 492,54 zzgl. Zinsen hieraus i. H. v. 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.03.2018 zu zahlen.
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Die Beklagten beantragen,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagten halten die Berufung für unzulässig, da die Berufungsbegründungsschrift nicht dem zugelassenen Dateiformat entspreche. Darüber hinaus sei die Berufung unbegründet. Die Feststellungen des Sachverständigen seien nicht zu beanstanden. Das Amtsgericht habe sich hinreichend damit auseinandergesetzt. Die Haftungsquote sei nicht zu beanstanden.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze sowie auf die erstinstanzliche Akte einschließlich der tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil des Amtsgerichtes Bezug genommen.
II.
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1.) Die Berufung ist zulässig.
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Die Berufung wurde insbesondere formgerecht begründet.
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Die als elektronisches Dokument eingereichte Berufungsbegründung war zur Bearbeitung durch das Gericht gem. § 130a Abs. 2 Satz 1 ZPO geeignet. Das elektronische Dokument wurde zwar entgegen § 130a Abs. 2 Satz 2 ZPO i.V.m. § 2 Abs. 1 ERVV nicht in den Dateiformaten PDF oder TIFF, sondern im Dateiformat DOCX von Microsoft Word übermittelt. Dennoch konnte im vorliegenden Fall mit diesem elektronischen Dokument gearbeitet und das Verfahren geführt werden (a). Allein hierauf und nicht auf einen Verstoß gegen § 2 Abs. 1 ERVV kommt es jedoch entscheidend an (b.).
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a.) Die Berufungskammer hat in der elektronischen Akte mit dem Repräsentat des eingereichten elektronischen Dokumentes unproblematisch arbeiten können. Durch das eingesetzte IT-System werden bei Speicherung eines elektronischen Dokumentes in der elektronischen Akte automatisiert sog. Repräsentate erstellt. Dabei handelt es sich um Kopien der elektronischen Dokumente in einem einheitlichen Dateiformat von PDF/A. Die Bildung von Repräsentaten – wie sie § 3 Abs. 2 BGAktFV für die elektronischen Akten der Bundesgerichte ausdrücklich vorsieht – ist aus vielen Gründen erforderlich (dazu ausführlich: Ory/Weth/Gomm, jurisPK-ERV Band 1, Kapitel 6.2, Stand: 28.08.2020, Rn. 128 ff.). Das Gericht arbeitet grds. anhand der Ansichtsebene der elektronischen Akte, die aus den Repräsentaten der in ihr gespeicherten elektronischen Dokumente gebildet wird. Die elektronischen Dokumente im eingereichten Format werden im Hintergrund dieser Repräsentate gespeichert, um im Bedarfsfall auf die Originaldatei zuzugreifen.
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So war es auch im vorliegenden Fall: Das eingereichte elektronische Dokument im Format DOCX wurde als „Original“ in diesem Dateiformat in der elektronischen Akte gespeichert. Gleichzeitig wurde hieraus ein Repräsentat im Format PDF/A erzeugt, das in der elektronischen Akte gespeichert und zur Anzeige gebracht wurde. Die Kammer hat die Berufungsbegründung als Repräsentat gelesen. Die Konvertierung des eingereichten elektronischen Dokuments in das Dateiformat PDF/A war erfolgreich. Die Berufungskammer konnte mit dem Inhalt des elektronischen Dokumentes ohne Probleme arbeiten. Die Verarbeitung des elektronischen Dokumentes verlief auch auf der Geschäftsstelle ohne Probleme. Schließlich bestätigte auch der Beklagtenvertreter – trotz der Rüge der Unzulässigkeit –, dass er mit dem Inhalt des elektronischen Dokumentes arbeiten konnte, wie zudem seine umfassende Erwiderung auf die Berufungsbegründung bestätigt.
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b.) Allein der Verstoß gegen die Vorgaben zum Dateiformat durch § 130a Abs. 2 Satz 2 ZPO i.V.m. § 2 Abs. 1 ERVV führt noch nicht dazu, dass das elektronische Dokument nicht zur Bearbeitung im Sinne des § 130a Abs. 2 Satz 1 ZPO geeignet war.
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Teilweise wird die Ansicht vertreten, dass ein Dokument nur dann zur Bearbeitung geeignet ist, wenn es die in § 130a Abs. 2 Satz 2 ZPO i.V.m. der ERVV bestimmten technischen Rahmenbedingungen erfüllt, unabhängig davon, ob das Gericht oder die Kammer im konkreten Fall mit dem elektronischen Dokument arbeiten konnte (ArbG Lübeck, Urteil vom 9.6.2020 – 3 Ca 2203/19). Danach obliegt es dem Gericht auch dann, wenn mit dem elektronischen Dokument gearbeitet werden kann, sämtliche Vorgaben der ERVV i.V.m. der ERVB 2018 und der ERVB 2019 zu prüfen. Bei einem Verstoß hiergegen soll der Eingang unwirksam sein und das Gericht müsse nach § 130a Abs. 6 ZPO verfahren.
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Dieser Auffassung schließt sich das erkennende Gericht nicht an. Technische Rahmenbedingungen im elektronischen Rechtsverkehr erfüllen keinen Selbstzweck. Sie sollen vielmehr sicherstellen, dass das Gericht mit den eingereichten elektronischen Dokumenten arbeiten kann. In diesem Sinne formuliert auch § 130a Abs. 2 Satz 1 ZPO den Grundsatz für die Anforderungen an elektronische Dokumente, wonach das elektronische Dokument für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein muss.
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Die technischen Rahmenbedingungen für die Bearbeitung nach § 130a Abs. 2 Satz 2 ZPO i.V.m. der ERVV konkretisieren die Geeignetheit nach § 130a Abs. 2 Satz 1 ZPO, beschränken diese jedoch nicht. Eine Konkretisierung der Geeignetheit ist zwingend erforderlich. Andernfalls wüssten die Verfahrensbeteiligten nicht, welchen konkreten technischen Anforderungen ihre elektronischen Dokumente genügen müssten, um tatsächlich geeignet zu sein. Stattdessen kann sich jedermann darauf verlassen, dass seine elektronischen Dokumente für die Bearbeitung durch alle Gerichte in Deutschland geeignet sind, wenn sie den in der ERVV sowie der ERVB 2018 und ERVB 2019 einheitlich bestimmten technischen Rahmenbedingungen genügen. In diesem Umfang garantiert die Justiz eine Bearbeitung, indem sie ihre IT-Systeme auf die Verarbeitung derartiger elektronischer Dokumente einrichtet und optimiert.
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Dies schränkt jedoch die Justiz bei der Bearbeitung elektronischer Dokumente nicht ein. Die Justiz darf auch mit elektronischen Dokumenten arbeiten, wenn sie nicht den technischen Rahmenbedingungen entsprechen. Dies folgt schon daraus, dass im Zivilprozess für elektronische Dokumente, die nicht unter den Anwendungsbereich des § 130a Abs. 1 ZPO fallen, die Anforderungen der ERVV von vornherein nicht gelten (zur abweichenden Regelungssystematik im Strafverfahren, vgl. § 32a Abs. 1 StPO und § 11 ERVV). Umgekehrt besteht jedoch kein Anspruch der Verfahrensbeteiligten, dass die Justiz mit elektronischen Dokumenten arbeitet, die den technischen Rahmenbedingungen nicht genügen. Übermittelt ein Verfahrensbeteiligter ein elektronisches Dokument, das den technischen Rahmenbedingungen nicht genügt, handelt er auf die (eigene) Gefahr hin, dass das Gericht mit dem Dokument nicht arbeiten kann und der Eingang unwirksam ist.
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Entscheidend bleibt danach die grundlegende Anforderung nach § 130a Abs. 2 Satz 1 ZPO, wonach das Dokument zur Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein muss. Schon der Wortlaut der Norm zeigt, dass es auf die subjektive Eignung zur Bearbeitung durch „das“ (jeweilige) Gericht ankommt und nicht durch „alle“ Gerichte. Nur wenn ein Verstoß gegen die technischen Rahmenbedingungen auch tatsächlich dazu führt, dass im konkreten Fall mit dem elektronischen Dokument nicht gearbeitet werden kann, ist der Eingang unwirksam (so im Ergebnis auch H. Müller, NZA 2019, 1120, 1122). Dies ist insbesondere der Fall, wenn das elektronische Dokument sich nicht öffnen bzw. lesen lässt, es sich nicht in das Format des Repräsentats (PDF/A) wandeln, ausdrucken oder in der elektronischen Akte speichern lässt. Derartige Fehler fallen im normalen Geschäftsgang unmittelbar auf, so dass der Hinweis nach § 130a Abs. 6 ZPO auch unmittelbar erteilt werden kann (ähnlich Ory/Weth/H. Müller, jurisPK-ERV Band 2, § 130a ZPO Stand: 01.09.2020, Rn. 38 und 42). Auf die Bearbeitbarkeit durch andere Gerichte oder Verfahrensbeteiligte kommt es hingegen nicht an. Dies sind Folgefragen des Akten- bzw. Dokumentenversandes, die auf verschiedenen Wegen gelöst werden können. Im Zweifel bleibt auch in diesen Fällen stets ein Ausdruck der elektronischen Dokumente nach § 298 ZPO.
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Wollte man alle Einzelheiten der technischen Rahmenbedingungen prüfen, würde dies nicht nur die Kompetenzen der Richterschaft (z.B. zum Verhältnis von PDF/A zu PDF/UA) und die Leistungskapazitäten der Justiz strapazieren (so auch Ory/Weth/Natter, jurisPK-ERV Band 2, § 46c ArbGG, Stand: 01.09.2020, Rn. 35). Vielmehr wäre es zudem nach der hier vertretenen Ansicht nutzlos: Wenn das Gericht mit dem Dokument arbeiten kann, ist der Zweck, der über die technischen Rahmenbedingungen gewährleistet werden soll, auf andere Weise erreicht worden.
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Es wäre nach Ansicht der Kammer schließlich auch mit der Garantie eines effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG sowie Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtstaatsprinzip nicht vereinbar, wenn ein für die Bearbeitung durch das Gericht faktisch folgenloser Verstoß gegen die ERVV zu einer Unwirksamkeit des Eingangs führen würde. Der Zugang zu den Gerichten darf durch Anforderungen des formellen Rechts nicht in unverhältnismäßiger Weise erschwert werden (BVerfG Beschluss vom 22. 10. 2004 – 1 BvR 894/04; vgl. auch Oltmanns/Fuhlrott NZA 2020, 897, 900). Zum formellen Recht zählen auch technische Vorgaben für elektronische Dokumente. Gerade im vorliegenden Fall, in dem es keinerlei Probleme oder auch nur Einschränkungen bei der Arbeit mit dem elektronischen Dokument gab, wäre es nach Ansicht der Kammer unverhältnismäßig den Eingang der Berufungsbegründung allein aufgrund des falschen Dateiformates als unwirksam anzusehen.
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Klarstellend wird darauf hingewiesen, dass das Landgericht Dokumente im Format DOCX nicht generell problemlos verarbeiten kann. Vielmehr kam es in der Vergangenheit mehrfach zu Problemen mit Dokumenten in diesem Dateiformat, so dass eine Arbeit mit ihnen gerade nicht möglich war und jeweils ein Hinweis nach § 130a Abs. 6 ZPO erteilt wurde. Auch wenn eine Arbeit mit diesem Dateiformat im vorliegenden Fall möglich war, können sich die Verfahrensbeteiligten nur dann auf die Eignung zur Bearbeitung verlassen, wenn ihre elektronischen Dokumente den technischen Rahmenbedingungen des § 130a Abs. 2 Satz 2 ZPO i.V.m. der ERVV entsprechen.
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2.) Die Berufung ist teilweise begründet.
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Dem Kläger steht ein Anspruch gegen die Beklagten als Gesamtschuldner aus §§ 7, 18 StVG, bei der Beklagten zu 2 i.V.m. § 115 VVG in Höhe von 50 % zu.
33
a.) Zutreffend hat das Amtsgericht festgestellt, dass der Unfall für den Kläger kein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG darstellt.
34
Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 14.08.2019 sowie seiner Ergänzung vom 07.01.2020 ausgeführt, dass der Kläger beim Abbiegevorgang weiter rechts hätte fahren und so den Unfall hätte vermeiden können. Dies gelte selbst dann, wenn am rechten Fahrbahnrand der […]straße Fahrzeuge geparkt gewesen seien und ein Sicherheitsabstand zu diesen einzuhalten gewesen wäre. Diese Ausführungen des Sachverständigen sind auch anhand der maßstabsgetreuen Abbildung, die der Sachverständige in seine Ergänzung aufgenommen hat, nachvollziehbar und überzeugend. Im Hinblick auf den Kollisionsort hat der Sachverständige zum Splitterfeld ergänzende Ausführungen in der Ergänzung gemacht. Er hat Toleranzen sowie die Wurf- und Rutschweite der Glassplitter berücksichtigt. Der Berufungsbegründung lassen sich keine Anhaltspunkte entnehmen, weshalb an diesen Feststellungen des erfahrenen Sachverständigen zu zweifeln sein sollte. Wie sich den Abbildungen (z.B. Abbildung 26) entnehmen lässt, hat der Sachverständige insb. keine unverhältnismäßigen Wurfweiten zugrunde gelegt.
35
Für die Beklagte zu 1 stellt der Unfall ebenso wenig ein unabwendbares Ereignis dar. Der Sachverständige hat in seiner ergänzenden Stellungnahme ausgeführt, dass die Beklagte zu 1 rund 25 Meter in die […]straße hätte einsehen können und bei entsprechender Reaktion den Unfall vermeiden können, indem sie nicht in den Kreuzungsbereich einfuhr. Diese Feststellungen werden von den Beklagten im Berufungsverfahren auch nicht angegriffen.
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b.) Hinsichtlich der Abwägung der Verursachungsbeiträge gemäß §§ 17 Abs. 1, 18 Abs. 1 und 3 StVG vermag die Berufungskammer den Ausführungen des Amtsgerichtes indessen nicht vollständig zu folgen.
37
Steht die grundsätzliche Haftung beider Parteien fest, so hängt in ihrem Verhältnis zueinander die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes gemäß §§ 17, 18 StVG von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Dabei dürfen bei der Abwägung nur feststehende, d.h. zugestandene, unstreitige oder bewiesene Umstände berücksichtigt werden.
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Abweichend von den Ausführungen des Amtsgerichts erscheint eine Haftungsquote zulasten der Beklagten von 50 % als angemessen.
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i.) Zulasten der Beklagten zu 1 ist ein Verstoß gegen die Vorfahrt nach § 8 StVO in die Abwägung einzustellen. Nach den Feststellungen des Sachverständigen ereignete sich die Kollision der Fahrzeuge 0,6 Meter im Einmündungsbereich der […]straße.
40
Zutreffend weist der Kläger zwar darauf hin, dass ein „Herantasten“ des Beklagtenfahrzeugs sich nicht mit der informatorischen Anhörung der Beklagten zu 1 vereinbaren ließe. Dies legt das Urteil des Amtsgerichts jedoch nicht entscheidungserheblich zugrunde, da es im Ergebnis zutreffend von einem Vorfahrtsverstoß ausging. Dies könnte das Amtsgericht aber nicht, wenn es davon ausginge, dass die Beklagte zu 1 den Anforderungen des § 8 Abs. 2 Satz 2 und 3 StVO genügt hätte.
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ii.) Zulasten des Klägers hat das Amtsgericht dem Grunde nach zutreffend einen Verstoß gegen § 2 Abs. 2 StVO festgestellt, da er beim Linksabbiegen nicht möglichst weit rechts fuhr. Das damit einhergehende Schneiden der Kurve hat das Amtsgericht zu Recht auf die Ausführungen des Sachverständigen […] gestützt. Diese sind auch für das Berufungsgericht überzeugend, wobei zur Vermeidung von Wiederholungen auf vorstehende Ausführungen zum Einwand parkender Fahrzeug und zur Lokalisierung des Splitterfeldes Bezug genommen wird.
42
iii.) Unter Abwägung dieser Umstände erachtet das Berufungsgericht abweichend von der Wertung des Amtsgerichts eine hälftige Schadensteilung für angemessen.
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Das Schneiden der Kurve durch den Vorfahrtsberechtigten beim Linksabbiegen führt noch zu keiner pauschalierten Haftungsverteilung. Entscheidend ist, in welchem Umfang die wechselseitigen Verstöße sich auf die konkrete Entstehung des Unfalles im Einzelfall ausgewirkt haben.
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Der Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot des § 2 Abs. 2 StVO durch den Kläger war erheblich. Er hat nach den Ausführungen des Sachverständigen die Kurve stark geschnitten. Betrachtet man die Abbildungen des Sachverständigen (z.B. Abbildung 26), so zeigt sich, dass der Kläger mit seinem Fahrzeug die gedachte Mittellinie der […]straße nicht nur überfahren hatte, sondern sich selbst auf dieser Hälfte der Fahrbahn zum Kollisionszeitpunkt bereits äußerst links orientiert gefahren ist.
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Allerdings bleibt es dabei, dass auch in einer solchen Konstellation die Vorfahrt des Linksabbiegers zu beachten ist. Das Gericht verkennt nicht, dass die Kollision sich nur 0,6 Meter hinter der gedachten Fluchtlinie der Einmündung befindet. Auch ein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot durch die Beklagte liegt nicht vor. Allerdings hat der Sachverständige auch feststellen können, dass das Beklagtenfahrzeug zum Zeitpunkt der Kollision ungefähr 22 km/h (+/- 5 km/h) schnell war. Durch diese Fahrweise hat die Beklagte die Sichtbarkeit ihres Fahrzeugs für den Kläger erheblich verkürzt. Außerdem spricht diese Geschwindigkeit dagegen, dass die Beklagte zu 1 es mit ihrer Fahrweise – trotz schlechter Sichtverhältnisse, wie sie selbst meint – überhaupt darauf angelegt hatte, den vorfahrtsberechtigten Verkehr zu beachten, bevor sie in den Kreuzungsbereich einfuhr.
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Das Berufungsgericht vermag im Unterschied zum Amtsgericht nicht festzustellen, dass einer dieser beiden Verstöße sich stärker auf die Unfallentstehung ausgewirkt hat. In einer solchen Konstellation erscheint eine hälftige Schadensteilung als angemessen.
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c.) Ausgehend von einem Schaden in Höhe von insgesamt 4.108,11 € errechnet sich so ein Betrag von 2.054,06 €, den die Beklagten dem Kläger zu ersetzen haben.
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Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten als Teil des erstattungsfähigen Schadens gem. § 249 BGB errechnen sich aus einem Gegenstandswert in Höhe des zugesprochenen Betrages.
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Zinsen schulden die Beklagten auf diese Beträge aus Verzug gem. §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB, wobei die Zinshöhe aus § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB folgt.
50
d.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Es war hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Obsiegen und Unterliegen zu berücksichtigen, dass die Klageanträge nur noch Gegenstand der Berufung waren, soweit sie über die Beträge hinausgehen, die durch das Urteil des Amtsgerichts bereits zugesprochen waren. Von einem insoweit weiterverfolgten Antrag in Höhe von 2.464,87 € hat der Kläger nur noch mit weiteren 410,82 € obsiegt.
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Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.