Zur Auskunftspflicht des behandelnden Arztes bei Kindeszeugung durch heterologe Insemination

Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 06.02.2013 – I-14 U 7/12

Auskunftspflicht des behandelnden Arztes bei Kindeszeugung
durch heterologe Insemination

Ein durch heterologe Insemination gezeugtes Kind kann vom behandelnden
Arzt Auskunft über seine genetische Abstammung verlangen.
Das hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Hamm am
06.02.2013 entschieden und damit das anderslautende erstinstanzliche
Urteil des Landgerichts Essen abgeändert.

Die im März 1991 geborene Klägerin war durch eine im Jahre 1990 im
Institut des beklagten Arztes in Essen durchgeführte heterologe Insemination
gezeugt worden. Sie hat vom Beklagten als behandelndem
Arzt Auskunft über den Samenspender verlangt, um in Erfahrung zu
bringen, von welchem Mann sie abstammt. Der Beklagte hat die Auskunft
mit der Begründung verweigert, er habe mit den seinerzeit beteiligten
Personen vereinbart, dass der Samenspender anonym bleibe.
Das aus dieser Absprache folgende Geheimhaltungsinteresse sei höher
zu bewerten als das Auskunftsbegehren der Klägerin. Er sei zur
Verschwiegenheit verpflichtet. Außerdem könne er die möglichen Samenspender
nicht mehr benennen, weil die ihre Identifizierung ermöglichenden
Unterlagen nicht mehr vorhanden seien.

Nach der Entscheidung des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts ist
das Auskunftsbegehren der Klägerin gerechtfertigt.

Das Interesse der Klägerin, ihre Abstammung zu erfahren, sei höher zu
bewerten als die Interessen des Beklagten und der Samenspender an
einer Geheimhaltung der Spenderdaten. Geheimhaltungsinteressen der
Mutter und des gesetzlichen Vaters seien nicht zu berücksichtigen, weil
sie mit der Auskunftserteilung an die Klägerin einverstanden seien.
Zum Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und zur Menschenwürde
der Klägerin gehöre ein autonomer Bereich privater Lebensgestaltung,
in dem sie ihre Persönlichkeit entwickeln und wahren könne.

Um ihre Persönlichkeit verstehen und entfalten zu können, müsse die
Klägerin die für diese konstitutiven Faktoren kennen. Hierzu zähle auch
ihre Abstammung.

Hinter diese fundamentale Rechtsposition müssten die Freiheit zur Berufsausübung auf Seiten des Beklagten sowie sein Persönlichkeitsrecht
und die Persönlichkeitsrechte der auf ihre Anonymität vertrauenden
Spender zurücktreten. Die Persönlichkeitsrechte dieser seien nicht in
ihren zentralen Bereichen betroffen. Der Beklagte und die Spender seien bereits deswegen weniger schutzbedürftig, weil sie die Folgen einer anonymen Samenspende im Vorhinein hätten berücksichtigen und sich auf die mit einem Auskunftsverlangen des gezeugten Kindes für sie verbundenen Folgen hätten einstellen können. Für ein vorrangiges Recht der Klägerin spreche zudem die nicht zur Disposition der Beteiligten stehende familienrechtliche Rechtslage. Nach dieser habe dem Beklagten wie auch den Spendern bei der künstlichen Zeugung klar sein müssen, dass jedenfalls das gezeugte Kind die gesetzliche Vaterschaft zu einem späteren Zeitpunkt würde anfechten können und es dann ein Recht auf Feststellung der Vaterschaft des Samenspenders mit allen sich daraus ergebenden rechtlichen Konsequenzen haben würde. Auf diesen Zusammenhang wiesen auch die seinerzeit geltenden Richtlinien der Deutschen Ärztekammer hin. Da der Beklagte zur Auskunft verpflichtet sei, verstoße er gegen keine ärztliche Schweigepflicht und begehe keine Straftat, wenn er die Auskunft erteile, er handle insoweit nicht unbefugt.

Dass ihm eine Auskunftserteilung unmöglich sei, habe der Beklagte nicht bewiesen. Die Auskunft sei dem Beklagten erst dann unmöglich, wenn er die benötigten Informationen auch nach einer umfassenden Recherche in seiner Praxis nicht mehr beschaffen könne. In diesem Zusammenhang habe der Beklagte bereits widersprüchlich vorgetragen. Die vor dem Senat durchgeführte Beweisaufnahme habe seine Darstellung zudem nicht bestätigt. Auch nach der hierzu vom Beklagten abgegebenen Stellungnahme könne der Senat nicht davon ausgehen, dass der Beklagte bereits eine vollständige Befragung seiner damaligen Mitarbeiter vorgenommen und eine umfassende Recherche nach den vermeintlich fehlenden Unterlagen veranlasst habe.

Die Revision wurde nicht zugelassen.

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