BGH, Beschluss vom 30.11.1992 – AnwZ (B) 37/92
Zur angemessenen Vergütung für die Tätigkeit des Abwicklers einer Rechtsanwaltspraxis
Gründe
I.
1
Der Antragsteller wurde mit Verfügung der Präsidentin des Oberlandesgerichts Celle vom 23. Mai 1991 zum Abwickler der Anwaltspraxis des wegen Vermögensverfalls ausgeschiedenen Rechtsanwalts K. bestellt. Nachdem der Antragsteller der Antragsgegnerin bereits zuvor mitgeteilt hatte, daß für ihn als Abwickler keine Gebührenansprüche zu realisieren seien und daß Rechtsanwalt K. zahlungsunfähig sei, beantragte er am 26. Juli 1991, die Vergütung für seine bisherige Tätigkeit auf 8.959,26 DM festzusetzen. Er legte den zeitlichen Umfang seiner Tätigkeit mit 39 1/4 Stunden im einzelnen dar und machte einen Stundensatz von 200 DM zuzüglich Mehrwertsteuer geltend.
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Mit Bescheid vom 22. August 1991 setzte die Antragsgegnerin für die in der Zeit vom 23. Mai bis 14. August 1991 ausgeübte Abwicklertätigkeit als Pauschalvergütung eine Abschlagszahlung von 2.000 DM fest. Sie lehnte die beanspruchte Vergütung von 8.959,26 DM und den Stundensatz von 200 DM ab und behielt sich die Festsetzung der endgültigen Höhe der Vergütung für die Zeit nach Abschluß der Abwicklung vor.
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Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt und die Festsetzung einer Vergütung von 8.959,26 DM beantragt. Der Ehrengerichtshof hat die Vergütung unter Zurückweisung des weitergehenden Antrages auf 6.048,46 DM festgesetzt und die sofortige Beschwerde zugelassen. Gegen diesen Beschluß haben die Antragsgegnerin sofortige Beschwerde und der Antragsteller Anschlußbeschwerde eingelegt.
II.
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Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin ist nach § 223 Abs. 3 BRAO statthaft und auch sonst zulässig. Gegen die Zulässigkeit der Anschlußbeschwerde bestehen ebenfalls keine Bedenken (vgl. BGHZ 71, 314). In der Sache hat jedoch nur die Beschwerde der Antragsgegnerin Erfolg.
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1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist entgegen den von der Antragsgegnerin geäußerten Bedenken zulässig. Nach § 223 Abs. 1 BRAO können Verwaltungsakte, die nach der Bundesrechtsanwaltsordnung ergehen, durch einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung auch dann angefochten werden, wenn es im Gesetz nicht ausdrücklich bestimmt ist. Die Festsetzung der Vergütung für einen amtlich bestellten Vertreter durch den Vorstand der Rechtsanwaltskammer gemäß § 53 Abs. 10 Satz 5 BRAO ist ein Verwaltungsakt i. S. d. § 223 BRAO (Feuerich, BRAO 2. Aufl. § 53 Rdnr. 39; vgl. auch BGHZ 55, 255, 259). Die Anfechtbarkeit des Bescheides vom 22. August 1991 ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Antragsgegnerin noch nicht die endgültige Höhe der Vergütung festgesetzt, sondern nur eine Abschlagszahlung angeordnet hat. Auch dies ist die Regelung eines Einzelfalls und nicht nur eine Vorbereitungshandlung (vgl. Feuerich aaO § 223 Rdnr. 10). Das kommt insbesondere darin zum Ausdruck, daß die Antragsgegnerin den beanspruchten Stundensatz von 200 DM ausdrücklich abgelehnt und der Abschlagszahlung – wie sich ihrem Vorbringen im ehrengerichtlichen Verfahren entnehmen läßt – einen Satz von 50 DM zugrunde gelegt hat. Diese Berechnung der Abschlagszahlung kann der Antragsteller durch einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung überprüfen lassen.
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2. Nach § 55 Abs. 3 Satz 1, § 53 Abs. 10 Satz 4 BRAO hat der Abwickler Anspruch auf eine angemessene Vergütung. Können sich die Beteiligten über die Höhe der Vergütung nicht einigen, setzt der Vorstand der Rechtsanwaltskammer die Vergütung fest (§ 53 Abs. 10 Satz 5 BRAO). Für die festgesetzte Vergütung haftet die Rechtsanwaltskammer wie ein Bürge (§ 53 Abs. 10 Satz 7 BRAO).
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Da die Beteiligten sich wegen der Vermögenslosigkeit von Rechtsanwalt K. nicht auf die Höhe der Vergütung einigen konnten, mußte die Antragsgegnerin die angemessene Vergütung festsetzen. Die Bestimmung der Vergütung steht nicht im Ermessen der Rechtsanwaltskammer. Der Begriff der angemessenen Vergütung ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der der gerichtlichen Nachprüfung unterliegt (Isele, BRAO § 161 Anm. IV E 4 b).
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Im vorliegenden Fall streiten die Parteien im Grunde nur über die Höhe des Stundensatzes, der bei der Berechnung der Vergütung zugrunde zu legen ist. Der Antragsteller beansprucht einen Stundensatz von 200 DM und kommt bei einem Zeitaufwand von ca. 40 Stunden einschließlich Mehrwertsteuer zu einer Vergütungsforderung von 8 959,26 DM. Die Antragsgegnerin hält einen Stundensatz von 50 DM für ausreichend und hat demzufolge nur eine Abschlagszahlung von 2.000 DM bewilligt. Der Ehrengerichtshof hat in der angefochtenen Entscheidung einen Stundensatz von 150 DM als angemessen bezeichnet.
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a) Der Senat hat eine Auskunft der Bundesrechtsanwaltskammer darüber eingeholt, nach welchen Kriterien und in welcher Höhe die einzelnen Rechtsanwaltskammern die Vergütung eines anwaltlichen Vertreters festsetzen. Die Bundesrechtsanwaltskammer hat in der ersten Hälfte des Jahres 1991 zur Frage der Festsetzung der angemessenen Vergütung in Abwicklerfällen eine Umfrage bei allen Kammern durchgeführt, die von der Hälfte der in Betracht kommenden Kammern beantwortet worden ist. Sie hat im wesentlichen folgendes Ergebnis erbracht: Die Kammern legen für die Festsetzung der angemessenen Vergütung in erster Linie den Zeitaufwand, sodann die berufliche Erfahrung und Stellung des Vertreters und schließlich die Dauer der Abwicklung zugrunde. Am häufigsten wird eine pauschale Festsetzung dergestalt vorgenommen, daß entweder ein bestimmter Pauschalbetrag je Monat oder ein bestimmter Pauschalbetrag je aufgewandte Arbeitsstunde festgelegt wird. Bei der Festlegung eines monatlichen Pauschalbetrages wird entweder als Bemessungsgrundlage die angemessene Vergütung eines Angestellten oder sogenannten freien Mitarbeiters in einer Anwaltspraxis gewählt, wobei die Höhe sich hier nach den üblichen Vergütungssätzen im jeweiligen Kammerbezirk richtet, oder es wird, namentlich dann, wenn es sich um einen jungen Rechtsanwalt handelt, die Vergütung für einen Angestellten gemäß BAT II a zugrunde gelegt. Die monatliche Vergütung schwankt zwischen 3.000 DM und 6.000 DM zuzüglich Mehrwertsteuer, wobei von einem 8-Stunden-Arbeitstag ausgegangen wird. Stundenpauschalen werden vor allem dann festgesetzt, wenn die Abwicklung nur einen bestimmten, überschaubaren, kurzfristigen Zeitraum in Anspruch nimmt. Sie betragen häufig 50 DM. In einem Fall ist allerdings ein Satz von 170 DM bewilligt worden, wobei die Vergütung jedoch auf einen Höchstbetrag von 3.400 DM je Monat begrenzt wurde.
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b) Nach Auffassung des erkennenden Senats ist die Zugrundelegung eines Stundensatzes in Fällen der vorliegenden Art kein geeigneter Ansatzpunkt für die Bemessung der angemessenen Vergütung. Es erscheint vielmehr angebracht, eine Gesamtvergütung für einen längeren Zeitraum, etwa einen Monat oder mehrere Monate, festzusetzen. Für die Festsetzung dieser Gesamtvergütung sind im wesentlichen die folgenden Kriterien maßgebend: Ein entscheidender Faktor ist der Zeitaufwand, den der Abwickler für die Bewältigung seiner Aufgabe benötigt. Die berufliche Erfahrung des Abwicklers spielt ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Festsetzung der angemessenen Vergütung. Ein weiterer Gesichtspunkt ist die Schwierigkeit und die Dauer der jeweiligen Abwicklung. Ein Anhaltspunkt für die Bemessung einer monatlichen Pauschalvergütung ist sodann das Gehalt, das für einen Angestellten oder sogenannten freien Mitarbeiter in einer Anwaltspraxis gezahlt wird. Dabei sind auch regionale Unterschiede in den einzelnen Bezirken zu berücksichtigen. Schließlich ist bei der Festsetzung der angemessenen Vergütung für eine Abwicklung auch zu berücksichtigen, daß die Tätigkeit des Abwicklers eine Berufspflicht ist, die im Interesse des Berufsstandes und im Interesse der Rechtspflege geleistet und von der Gemeinschaft der Rechtsanwälte des jeweiligen Bezirks bezahlt wird.
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c) Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist die von der Antragsgegnerin festgesetzte pauschale Abschlagszahlung von 2.000 DM für die Abwicklertätigkeit in der Zeit vom 23. Mai bis 14. August 1991 als angemessen zu bezeichnen. Der Antragsteller hat nach seinen Angaben in neun Wochen (23. Mai bis 26. Juli 1991) ca. 40 Stunden für die Abwicklungstätigkeit aufgewandt. Das sind etwa 4 1/2 Stunden pro Woche, mithin etwas mehr als 1/10 der üblichen wöchentlichen Arbeitszeit. Der Antragsteller ist seit 1987 als Rechtsanwalt tätig. Er war somit bei Übernahme der Abwicklung kein Berufsanfänger mehr, stand aber doch noch am Beginn seiner beruflichen Karriere. Die vom Antragsteller übernommene Abwicklung wies eine mittlere Schwierigkeit auf. Sie war insofern schwierig, als der frühere Rechtsanwalt K. Fremdgelder veruntreut und seit etwa einem halben Jahr die Akten nicht mehr bearbeitet hatte. Andererseits waren teilweise auch einfache Arbeiten wie das Suchen nach Akten zu erbringen. Wie die Auskunft der Bundesrechtsanwaltskammer ergeben hat, schwankt die monatliche Vergütung für eine Vollzeitbeschäftigung zwischen 3.000 und 6.000 DM. Sie kann bei schwierig gelagerten Abwicklungs- oder Vertreterfällen aber auch 8.000 DM betragen (vgl. den Senatsbeschl. vom heutigen Tage – AnwZ (B) 27/92).
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Alles in allem erscheint die für eine Tätigkeit von knapp drei Monaten festgesetzte Abschlagszahlung von 2.000 DM durchaus angemessen. Sie berücksichtigt zwar nicht, daß die Vergütung des Abwicklers jeweils zuzüglich Mehrwertsteuer zu zahlen ist. Dies ist jedoch vertretbar, weil es sich noch nicht um die endgültige Festsetzung der Vergütung, sondern um eine vorläufige pauschale Abschlagszahlung handelt.