Zur Amtshaftung für eine Ausreiseuntersagung

OLG Frankfurt, Urteil vom 17. Dezember 2020 – 1 U 285/19

Zur Verhältnismäßigkeit einer Ausreiseuntersagung gegenüber einem Fußballfan.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 25.09.2019 verkündet Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main teilweise abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 229,96 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.07.2019 sowie außergerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 93,41 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.07.2019 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 63 % und die Beklagte zu 37 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe
A.

1
Der Kläger nimmt die beklagte Bundesrepublik auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens wegen einer Ausreiseuntersagung in Anspruch, die gegen ihn von der Bundespolizei am Flughafen Stadt1 am XX.XX.2018 verhängt wurde.

2
Als der Kläger am XX.XX.2018 mit weiteren Fußballfans mit dem Flug … von Stadt1 über Stadt2 nach Land1 fliegen wollte, um sich dort das am XX.XX.2018 stattfindende Europa-Cup-Spiel des Fußballvereins gegen Fußballverein2 anzusehen, wurde ihm die Ausreise untersagt. Der am XX.XX.1996 geborene Kläger war zu diesem Zeitpunkt strafrechtlich wiederholt wegen Gewalttätigkeiten anlässlich von Fußballspielen in Erscheinung getreten und als sogenannter „Gewalttäter Sport“ im bundespolizeilichen Fahndungsbestand erfasst.

3
In der Ausreiseuntersagungs-Verfügung (Anlage K 3, Bl. 13 d.A.) heißt es unter anderem:

4
„(…) Eine Abfrage im polizeilichen Fahndungssystem ergab, dass Sie als Gewalttäter Sport ausgeschrieben sind. Als Vereinszugehörigkeit wurde dabei Fußballverein3 angegeben.
Da am (…), den XX.XX.2018 um 19.55 Uhr ein Fußballspiel zwischen Fußballverein2 und Fußballverein1 in Stadt3 stattfindet, wurde Ihnen nach einer Gefahrenprognose die Ausreise untersagt. Mit den ausschreibendenden Behörden, der FKB Stadt4 und dem SKB Fußballverein1 wurde Rücksprache gehalten. Nach den uns vorliegenden Informationen sind Sie im Verlauf vergangener Spielaustragungen als gewalttätig aufgetreten. Es muss somit davon ausgegangen werden, dass es bei dem bevorstehenden Fußballspiel zu Wiederholungstaten im Ausland kommen könnte.“

5
Der Kläger hält die Ausreiseuntersagung für rechtswidrig und verlangt Ersatz der Kosten für Fahrten zum Flughafen und zurück, für das Flugticket, für die Eintrittskarte und für die Übernachtung, die er auf insgesamt 270,85 € beziffert. Zudem begehrt er ein Schmerzensgeld in Höhe von jedenfalls 350 € als Ausgleich für entgangenen Erholungswert, Aufregung und Stress sowie für den Eingriff in sein Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit und in sein Persönlichkeitsrecht. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstand wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

6
Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 25.09.2019 abgewiesen. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.

7
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Er rügt eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör und eine Verletzung materiellen Rechts und macht im Wesentlichen geltend, das Landgericht habe die Tatbestandsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 PassG verkannt. Zwischen der letzten Tat des Klägers am XX.XX.2016 und der Ausreiseuntersagung am XX.XX.2018 liege ein Zeitraum von fast 33 Monaten und damit nicht lediglich „einige“ Monate, wie das Landgericht angenommen habe. Das Landgericht habe auch nicht berücksichtigt, dass er seit dem Vorfall vom XX.XX.2016 bis zur gescheiterten Ausreise an weit über hundert Fußballbegegnungen teilgenommen habe, ohne dass es zu einem Fehlverhalten gekommen sei, und dass er sämtliche Verfehlungen, die ihm das Landgericht vorgehalten habe, als Heranwachsender begangenen habe. Zudem sei sein unter Beweis gestellter Vortrag, wonach sich die Rechtswidrigkeit der Ausreiseuntersagung aus dem eigenen Vorbringen der Beklagten hinsichtlich der Rücksprache mit den „ausschreibenden Behörden“, der „FKB Stadt4“ und dem „SKB Fußballverein1“ ergebe, unberücksichtigt geblieben. Die Fachabteilungen der Polizei hätten sich nämlich nicht für eine Ausreiseuntersagung ausgesprochen Das Landgericht habe auch insoweit gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs verstoßen, als es den Beweisantritt des Klägers, dass es zum Ausreisezeitpunkt auch keine Lageerkenntnis zu beabsichtigten Auseinandersetzungen am Spielort gegeben habe, unbeachtet gelassen habe. Es habe sich auch nicht mit der Frage befasst, warum eine Gefährderansprache als milderes Mittel nicht ausgereicht hätte.

8
Der Kläger beantragt,

9
unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main vom 25.09.2019 die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine Entschädigung in Höhe von 270,85 € nebst 5 % Zinsen seit Rechtshängigkeit sowie ein Schmerzensgeld in Höhe von 350 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 19.02.2019 zu zahlen und die vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 147,56 € zu erstatten nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 19.02.2019.

10
Die Beklagte beantragt.

11
die Berufung zurückzuweisen.

12
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

B.

13
Die zulässige Berufung hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

14
I. Dem Kläger steht dem Grunde nach ein Amtshaftungsanspruch aus § 839 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 34 GG zu. An die Feststellung des Landgerichts, wonach die gegen den Kläger angeordneten Maßnahmen nicht rechtswidrig gewesen seien, ist der Senat nicht gebunden. Denn sie beruht auf Verfahrensfehlern. Der Kläger rügt mit der Berufung zu Recht eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör.

15
1. Als Rechtsgrundlage für die mit dem Bescheid vom XX.XX.2018 gegenüber dem Kläger ausgesprochene Ausreiseuntersagung kommt allein § 10 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG in Betracht.

16
a) Nach § 10 Abs. 1 Satz 2 PassG können die für die polizeiliche Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs zuständigen Behörden einem Deutschen die Ausreise in das Ausland untersagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass bei ihm die Voraussetzungen nach § 7 Abs. 1 PassG vorliegen. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG ist der Pass zu versagen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme begründen, dass der Passbewerber die innere oder äußere Sicherheit oder sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährde. Die Vorschrift schränkt die Ausreisefreiheit, die als Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt ist, in zulässiger Weise als Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung ein (vgl. BVerfG, Urteil vom 16.01.1957, BVerfGE 6, 32; Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Urteil vom 23. April 2004 – 1 A 219/02 -, Rn. 24, juris).

17
b) Als eine Gefährdung erheblicher Belange der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG können Handlungen gewertet werden, die geeignet sind, dem internationalen Ansehen Deutschlands zu schaden. Dabei ist grundsätzlich anerkannt, dass das gewalttätige Auftreten deutscher Fußballfans im Ausland das internationale Ansehen der Bundesrepublik Deutschland schädigen kann (vgl. VG Frankfurt, Urteil vom 22. Juli 2014 – 5 K 4684/13.F -, juris Rn. 19 m.w.N.; VG Stuttgart, Urteil vom 17. August 2009 – 11 K 237/09 -, juris Rn. 18, 19 m.w.N.). Es besteht daher eine staatliche Verpflichtung, anlässlich von sportlichen Großereignissen mit vielen Zuschauern gewalttätige Auseinandersetzungen, bei denen es regelmäßig zu Körperverletzungen und Landfriedensbruch in großem Umfang kommt, zu verhindern (VG Frankfurt a.a.O. Rn. 20).

18
c) Nach den zum polizeilichen Gefahrenbegriff („Anscheinsgefahr“) entwickelten Grundsätzen ist bei der Prüfung der Frage, ob im Hinblick auf das zu befürchtende gewalttätige Auftreten im Ausland eine Ausreiseuntersagung ausgesprochen werden kann, entscheidend, ob der handelnde Beamte aus der ex-ante-Sicht mit Blick auf die ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Informationen aufgrund hinreichender Anhaltspunkte vom Vorliegen einer Gefährdung ausgehen kann und diese Prognose dem Urteil eines fähigen, besonnenen und sachkundigen Amtswalters entspricht (vgl. VG Köln, Urteil vom 12. Februar 2020 – 10 K 12258/17 -, Rn. 39, juris; VG Stuttgart a.a.O. Rn. 20 m.w.N.). Denn die zur Gefahrenabwehr berufenen Behörden können die legitime Aufgabe präventiven Rechtsgüterschutzes nur effektiv erfüllen, wenn sie unter Umständen auch auf unsicherer Tatsachengrundlage einschreiten. Um zu vermeiden, dass ein im Rahmen dieser Aufgabe als Dienstpflicht auferlegtes Handeln in die Illegalität gedrängt wird, ist daher bei der Beurteilung der Frage, ob eine Gefahr vorliegt, allein auf die Erkenntnismöglichkeiten des konkret handelnden Beamten zum Zeitpunkt des Einschreitens abzustellen (VG Stuttgart a.a.O. Rn. 21 m.w.N.). Insoweit besteht nach allgemeiner Erfahrung ein erhebliches Risiko, dass Personen, die anlässlich von Fußballspielen gegenüber gegnerischen Fangruppen gewalttätig geworden sind, solche Ausschreitungen wiederholen. Denn wer sich bei solchen eigentlich rein sportlichen Ereignissen an Gewalttätigkeiten beteiligt und dabei auch vor der körperlichen Verletzung anderer Personen nicht zurückschreckt, zeugt von Rücksichtslosigkeit und Unverstand (VG Frankfurt a.a.O. Rn. 30), was die Gefahr der Wiederholung eines solchen Verhaltens naheliegend erscheinen lässt (vgl. VG Berlin, Urteil vom 07. Februar 2017 – 23 K 524.15 -, Rn. 26, juris).

19
d) Mit Blick auf den aus den Gesetzgebungsmaterialien erkennbaren Willen des Normgebers (vgl. dazu BTDrucks 14/2726, S. 6 zu Art. 1 Nr. 9) sowie in Ansehung des mit einer Ausreiseuntersagung verbundenen gravierenden Eingriffs in die grundrechtlich geschützte Ausreisefreiheit ist zur Wahrung des rechtsstaatlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit aber regelmäßig zu fordern, dass die in § 7 Abs. 1 Nr. 1 PassG vorausgesetzte Gefährdungslage hinreichende Aktualität aufweist. Jedenfalls im Regelfall bedarf es deshalb der Feststellung von Vorfällen (auch) aus jüngerer Zeit, d.h. innerhalb der letzten 12 Monate, um die Gefährdungsprognose zu begründen. Dies schließt es nicht aus, im Einzelfall auch auf zeitlich weiter zurückliegende Vorfälle zurückzugreifen. In einem solchen Fall muss jedoch unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls sorgfältig geprüft werden, ob die herangezogene Tatsache im Zeitpunkt der Entscheidung über die Ausreiseuntersagung noch so schwer wiegt, dass die Annahme einer hinreichend konkreten Gefährdungslage weiterhin gerechtfertigt ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 07. Dezember 2004 – 1 S 2218/03 -, Rn. 28, juris; VG Stuttgart, a.a.O., Rn. 37-38, juris). Ein Eintrag in die Datei „Gewalttäter Sport“ reicht als solcher nicht aus; erforderlich ist eine individuelle Verhaltensprognose (vgl. Hornung/Möller/Hornung, 1. Aufl. 2011, PaßG § 10 Rn. 8).

20
2. Bei Anwendung dieser Grundsätze war die streitgegenständliche Verfügung rechtswidrig. Aus der ex-ante-Sicht mit Blick auf die tatsächlich zur Verfügung stehenden Informationen lässt sich nicht feststellen, dass bei dem seinerzeit beabsichtigten Besuch des Fußballspieles in Land1 das ernsthafte Risiko und die Gefahr der Teilnahme an Gewalttätigkeiten bestand.

21
a) Die im angefochtenen Urteil aufgelisteten Straftaten und Verurteilungen waren aufgrund des Zeitablaufs und der Tatsache, dass der Kläger die Taten als Heranwachsender begangen hat, entgegen der Annahme des Landgerichts allein mehr nicht geeignet, am XX.XX.2018 noch eine aktuelle Gefährdungslage zu begründen. Insoweit weist der Kläger zu Recht darauf hin, dass alle Vorfälle, auf die sich das angefochtene Urteil bezieht, soweit sie überhaupt sanktioniert wurden, unter Zugrundelegung von Reifeverzögerungen nach dem JGG geahndet wurden, der letzte Vorfall vom XX.XX.2016 datiert, d.h. fast 33 Monate zurücklag, und das Amtsgericht Stadt4 in dem Urteil vom 16.05.2018, mit dem diese Tat mit dem Zuchtmittel der Verwarnung und der Auferlegung einer Geldstrafe geahndet wurde, eine jugendtypische Straftat angenommen und insbesondere das „von Reue getragene“ Geständnis des Klägers berücksichtigt hat.

22
b) Es lässt sich auch nicht feststellen, dass die in der Verfügung vom XX.XX.2018 erwähnten Rücksprachen mit den Fankundigen Beamten (FKB) Stadt4 und dem Szenekundigen Beamten (SKB) Fußballverein1 tatsächlich zu dem Ergebnis geführt hatten, dass es zu gewalttätigen Ausschreitungen im Zusammenhang mit Fußballspielen – auch – in jüngerer Zeit gekommen war.

23
aa) Der Kläger hat bereits erstinstanzlich vorgetragen und unter Beweis gestellt, dass er seit dem XX.XX.2016 an weit über hundert Fußballbegegnungen teilgenommen habe, ohne dass es zu negativen Vorkommnissen oder einem Fehlverhalten gekommen sei, dass eine Rücksprache mit den SKB Stadt1 ergeben habe, dass es keine weiteren negativen Erkenntnisse und Hinweise gegeben habe, und dass auch ein negatives Votum des FKB Stadt4 nicht vorgelegen habe. Außerdem hat der Kläger den Vortrag der Beklagten in der Klageerwiderung, wonach die Gefahrenprognose unter der beratenden Hinzuziehung von szenekundigen Beamten der Bundespolizei erfolgt sei, bestritten und behauptet und unter Beweis gestellt, der szenekundige Beamte, vermutlich der der Bundespolizei POK A, sei erst erschienen, als die Entscheidung bereits gefallen gewesen sei. Des Weiteren hat der Kläger behauptet und unter Beweis gestellt, dass es zum Ausreisezeitpunkt auch keine Lageerkenntnis zu beabsichtigten Auseinandersetzungen am Spielort gegeben habe. Dieses Vorbringen hat das Landgericht verfahrensfehlerhaft nicht zur Kenntnis genommen und in seine Bewertung einbezogen und somit den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt.

24
bb) Die Beklagte ist diesem Vorbringen des Klägers erstinstanzlich bereits nicht mit einem substantiierten Sachvortrag entgegengetreten, und sie hat auch im Berufungsverfahren nach einem entsprechenden Hinweis des Senats nicht dargelegt, welche Auskünfte bzw. Informationen durch die in der Ausreiseuntersagung erwähnten Rücksprachen mit den FKB Stadt4 und dem SKB Fußballverein1 erlangt wurden und aus welchen Gründen die Annahme einer aktuellen Gefährdungslage gerechtfertigt gewesen sein könnte. Sie hat noch nicht einmal behauptet, dass der oben dargestellte Vortrag des Klägers unzutreffend ist, weshalb der Vortrag des Klägers als zugestanden anzusehen ist, § 138 Abs. 3 ZPO.

25
cc) Ausgehend von dem somit zugrunde zu legenden Vortrag des Klägers, wonach er seit der Tat vom XX.XX.2016 unauffällig geblieben sei, obwohl er über hundert Fußballspiele aufgesucht habe, eine Rücksprache mit den SKB Stadt1 ergeben habe, dass es keine weiteren negativen Erkenntnisse und Hinweise gegeben habe, und dass auch ein negatives Votum des FKB Stadt4 nicht vorgelegen habe, waren die Eintragungen in der Datei „Gewalttäter Sport“ für sich betrachtet in Bezug auf ein gegenwärtiges Gefährdungspotential im Zeitpunkt des Ausreisebegehrens jedenfalls nicht mehr genügend aussagekräftig.

26
II. Der Höhe nach steht dem Kläger ein Zahlungsanspruch von 229,96 € zu.

27
1. In dieser Höhe kann er Ersatz seines materiellen Schadens verlangen.

28
a) Da § 249 Abs. 1 BGB den Inhalt der Schadensersatzpflicht dahingehend umschreibt, dass der „Zustand“ herzustellen ist, der ohne das schädigende Ereignis bestehen würde, ist Ausgangspunkt der Schadensberechnung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Differenzhypothese. Ob und inwieweit ein nach §§ 249 ff. BGB zu ersetzender Vermögensschaden vorliegt, beurteilt sich regelmäßig nach einem Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die ohne jenes Ereignis eingetreten wäre (vgl. BGH, Urteil vom 18. Februar 2016 – IX ZR 191/13 -, Rn. 9, juris; Urteil vom 05. Februar 2015 – IX ZR 167/13 -, Rn. 7, juris; Bamberger/Roth/Hau/Poseck BGB, Stand: 01.02.2020, § 249 Rn. 37).

29
Bei der Frage nach dem Umfang des verursachten und daher zu ersetzenden Schadens ist somit die tatsächliche Lage infolge der Amtspflichtverletzung mit der Lage zu vergleichen, die vorhanden wäre, wenn die unerlaubte Handlung nicht vorläge, sondern der Beamte amtspflichtgemäß gehandelt hätte; nur soweit die Vermögenslage des Geschädigten bei pflichtgemäßem Verhalten günstiger als die tatsächliche wäre, ist der Schaden durch die Amtspflichtverletzung verursacht und, sofern adäquat verursacht, zu ersetzen (vgl. Staudinger/Wöstmann a.a.O., § 839, Rn. 243).

30
b) Nach diesen Maßstäben ist dem Kläger ein ersatzfähiger Vermögensschaden in Höhe der auf ihn entfallenden Flugkosten (150,20 €) und Übernachtungskosten (28,76 €) sowie der Kosten für die Eintrittskarte (25 €) und der Kosten für die Rückfahrt mit dem Zug am XX.XX.2018 (26 €) entstanden. Die Kosten für die Rückfahrt am XX.XX.2018 wären dem Kläger ohne den Eingriff in sein Freiheitsrecht nicht entstanden. Die Flug- und Übernachtungskosten sowie die Kosten für die Eintrittskarte wären dem Kläger zwar auch ohne den Eingriff entstanden. Insoweit hat die Ausreiseuntersagung jedoch unmittelbar dazu geführt, dass die Ansprüche des Klägers auf Flugbeförderung, Übernachtung und Teilnahme an dem Fußballspiel als Zuschauer, deren Wert mit dem dafür entrichteten Preis anzusetzen ist, infolge Zeitablaufs untergingen. Die Entwertung dieser Ansprüche stellt eine Vermögensminderung dar (vgl. Palandt/Grüneberg, 79. Auflage 2020, § 249 BGB, Rn. 69).

31
Zinsen auf die Hautsumme von 229,96 € stehen dem Kläger ab dem auf die Rechtshängigkeit des Zahlungsanspruchs folgenden Tag (§ 187 Abs. 1 BGB entsprechend), also dem 23.07.2019 als Prozesszinsen (§§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB) zu.

32
c) Nicht erstattungsfähig sind hingegen die Aufwendungen für die Fahrt zum Flughafen am XX.XX.2018, d.h. die Kosten für das Taxi (15 €) und den Flixbus (5,99 €) sowie die verauslagten anteiligen Kosten für die für den XX.XX.2018 geplante Rückfahrt von Stadt1 nach Stadt4 (19,90 €). Denn diese geltend gemachten fehlgeschlagenen Aufwendungen des Klägers (sog. „Frustrationsschaden“) sind nicht als ersatzfähiger Schaden anzusehen.

33
Im Deliktsrecht ist der Frustrierungsschaden grundsätzlich nur zu ersetzen, soweit der Deliktstatbestand (z.B. § 263 StGB) gerade das Vertrauen schützt, dessentwegen die Aufwendungen gemacht worden sind (vgl. (Staudinger/Schiemann, BGB (2017), § 249, Rn. 124). Der bloße Frustrationsgedanke ist nach herrschender Meinung allein nicht geeignet, Schadensersatzansprüche zu begründen. Denn die Differenzhypothese enthält das Erfordernis der Kausalität zwischen haftungsbegründendem Ereignis und Vermögensminderung. Das schließt den Ersatz von Frustrationsschäden, also Aufwendungen, die vor dem haftungsbegründenden Ereignis getätigt und aufgrund seines Eintritts nutzlos geworden, also als vergebens zu betrachten sind, aus. Um derartige Aufwendungen handelt bei es sich bei den bereits vor dem Eingriff entstandenen Aufwendungen für die Fahrt zum Flughafen am XX.XX.2018, deren Gegenwert der Kläger nutzen konnte, die sich aber nachträglich als nutzlos erwiesen haben. Auch die verauslagten anteiligen Kosten für die für den XX.XX.2018 geplante Rückfahrt von Stadt1 nach Stadt4 wären ohne die Amtspflichtverletzung entstanden, sind aber fehlgeschlagen, weil der Kläger bereits am XX.XX.2018 die Rückfahrt antreten musste.

34
2. Ein Anspruch auf Ersatz immateriellen Schadens steht dem Kläger nicht zu.

35
a) Ein Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts kann zwar die Zahlung einer Entschädigung in Geld für immaterielle Nachteile zum Gegenstand haben. Eine Geldentschädigung ist aber nur dann zu gewähren, wenn das Persönlichkeitsrecht in schwerer Weise schuldhaft verletzt worden ist und die erlittene Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 1994 – III ZR 15/93 -, Rn. 20, 32, juris; Urteil vom 23. September 1976 – III ZR 121/74 -, Rn. 27, juris). Ob eine schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, die die Zahlung einer Geldentschädigung erfordert, ist aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalles zu beurteilen und hängt insbesondere von der Bedeutung und der Tragweite des Eingriffs, also von dem Ausmaß der Verbreitung der rechtswidrig verursachten Veröffentlichung, der Nachhaltigkeit und Fortdauer der Interessen- und Rufschädigung des Verletzten, ferner vom Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie von dem Grad seines Verschuldens ab (BGH Urteil vom 17. März 1994 a.a.O.).

36
Der Ausfall eines geplanten Urlaubs ist außerhalb von § 651n Abs. 2 BGB kein ersatzfähiger Schaden. Er kann lediglich bei der Bemessung des Schmerzensgeldes Berücksichtigung finden (Vieweg/Lorz in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 253 BGB (Stand: 01.02.2020), Rn. 59). Die Sonderregelung in § 651n Abs. 2 BGB, die für „nutzlos aufgewendete Urlaubszeit“ einen Anspruch auf angemessene Entschädigung gewährt, ist – nicht anders als zuvor § 651f Abs. 2 BGB aF – als gesetzgeberische Entscheidung zu akzeptieren. Aus ihrer Systematik ist abzuleiten, dass die Vorschrift den Ersatz eines immateriellen Interesses regelt und die Sperre des § 253 Abs. 1 BGB aufhebt. Damit hat das Gesetz eine bewusste Wertentscheidung gegen die generelle Anerkennung des Urlaubs als vermögenswertes Gut getroffen. Da nach der Wertung des Gesetzes schon die nutzlose Urlaubszeit kein Vermögensschaden ist, gilt dies erst recht für die verdorbene Freizeit (MüKoBGB/Oetker, 8. Aufl. 2019, BGB § 249 Rn. 95).

37
b) Nach diesen Grundsätzen kann der Kläger die geforderten 350 € nicht als Ausgleich für entgangenen Erholungswert, Aufregung und Stress sowie für den Eingriff in sein Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit oder sein Persönlichkeitsrecht verlangen.

38
aa) Auf der Grundlage des Vorbringens des Klägers kann nicht festgestellt werden, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht hier einen Anspruch auf Ausgleich des immateriellen Schadens gebietet. Der Kläger hat schon nicht nachvollziehbar dargelegt, dass der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht so schwer wiegt, dass er die Verhängung eines Schmerzensgelds verlangt. Dass die Ausreiseuntersagung geeignet war, den Kläger in der Öffentlichkeit in einer Weise herabzusetzen, dass sein Ruf nachhaltig Schaden nehmen und/oder auch zu erheblichen Nachteilen im privaten und gesellschaftlichen Bereich führen konnte, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich. Der pauschale Hinweis des Klägers, die Maßnahme sei „zu großen Teilen in der Öffentlichkeit“ erfolgt, ist insoweit nicht ausreichend. Ein von dem Kläger im Senatstermin vom 03.12.2020 in den Raum gestelltes Rehabilitierungsbedürfnis ist dementsprechend nicht erkennbar. Hinzu kommt, dass im Rahmen der Würdigung der Gesamtumstände zu berücksichtigen ist, dass dem zuständigen Beamten der Bundespolizei lediglich Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden kann; dass die Ausreiseuntersagung ein vorsätzliches, rechtwidriges Handeln darstellt, behauptet selbst der Kläger nicht.

39
bb) Eine Geldentschädigung ist auch nicht im Hinblick auf die Ausreisefreiheit, die als Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt ist, geboten. Denn durch die Beeinträchtigung der allgemeinen Handlungs- und Entschlussfreiheit ist das durch § 823 BGB geschützte Rechtsgut der Freiheit nicht verletzt; erforderlich ist vielmehr, dass die körperliche Bewegungsfreiheit gegen den Willen des Betroffenen nicht nur unerheblich verletzt wird (vgl. Palandt, a.a.O., § 823 Rn. 6), was hier nicht der Fall war.

40
cc) Auch dem übrigen zur Rechtfertigung einer Geldentschädigung dargebotenen Vorbringen des Klägers misst der Senat keine entscheidungserhebliche Bedeutung bei.

41
(1) Der Vortrag des Klägers, die Untersagung der Reise habe Aufregung und Stress zur Folge gehabt, rechtfertigt schon deshalb nicht die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes, weil er unsubstantiiert ist.

42
(2) Allein unter dem Gesichtspunkt des vermeintlich entgangenen Erholungswertes ist kein Schmerzensgeldanspruch gerechtfertigt, zumal bei einem zuhause verbrachten Urlaub der Freizeitwert erhalten bleibt (vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 2005 – X ZR 118/03 -, BGHZ 161, 389-400, Rn. 33).

43
(3) Soweit es um befürchtete künftige Beeinträchtigungen durch die behauptete – weitere – Eintragung in die Datei “Gewalttäter Sport“ geht, hat der Kläger die Möglichkeit des Primärrechtsschutzes.

44
3. Vorgerichtliche Anwaltskosten stehen dem Kläger nur aus einem Gegenstandswert in Höhe des berechtigten Anspruchs zum Zeitpunkt des Tätigwerdens der Klägervertreter zu. Bei einem Gegenstandswert von bis 500 € errechnen sich bei einer 1,3-Geschäftsgebühr nebst Auslagenpauschale und Mehrwertsteuern Kosten in der ausgeurteilten Höhe. Der Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in der zuerkannten Höhe ist erst ab dem auf die Rechtshängigkeit folgenden Tag zu verzinsen, §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. Eine Verzinsungspflicht vor Rechtshängigkeit besteht nicht unter dem Gesichtspunkt des Verzugs (§§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB). Zwar hat der Kläger die Beklagte bereits mit Anwaltsschreiben vom 01.02.2019 (Anlage K11) mit Fristsetzung bis zum 25.02.2019 zur Zahlung von Schadensersatz aufgefordert. Dieses Schreiben war aber nach den Grundsätzen, die für eine Zuvielforderung gelten, nicht geeignet, um die Beklagte wirksam in Verzug zu setzen (§ 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 BGB).

45
III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

46
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht gegeben.

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