Zum Umfang der Verkehrssicherungspflicht an einer Baustelle auf einem Gehweg

OLG München, Urteil vom 16.02.2012 – 1 U 3409/11

Der Verkehrssicherungspflichtige muß nicht für alle denkbaren und entfernten Möglichkeiten des Schadenseintritts Vorsorge treffen. Es genügen vielmehr diejenigen Vorkehrungen, die nach den konkreten Umständen zur Beseitigung einer absehbaren Gefahr erforderlich und zumutbar sind. Das sind die Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Angehöriger der betreffenden Verkehrskreise für notwendig und ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren. Es müssen die Vorkehrungen getroffen werden, die nach den berechtigten Sicherheitserwartungen des jeweiligen Verkehrs geeignet sind, solche Gefahren von Dritten abzuwenden, die bei bestimmungsgemäßer oder bei nicht ganz fernliegender bestimmungswidriger Benutzung drohen. Der Dritte ist allerdings in der Regel nur vor den Gefahren zu schützen, die er selbst in der sich ihm konkret darbietenden Situation bei Anwendung der von ihm in dieser Situation zu erwartenden Sorgfalt erfahrungsgemäß nicht oder nicht rechtzeitig erkennen und vermeiden kann (Rn. 35).

Die Verkehrssicherung einer Baustelle auf einem Gehweg, der von Radfahrern nicht befahren werden darf, muss nicht auf den Fahrradverkehr hin ausgelegt werden. (Rn. 37).

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 22.07.2011 wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern die Beklagten nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.


Tatbestand

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Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadenersatz aus einem Fahrradunfall vom 23.09.2007 gegen 12.00 Uhr im Bereich einer Baustelle auf dem Gehweg der Straße Am H. Bach in U. in Anspruch. Seitlich der Straße Am H. Bach befand sich zum Unfallzeitpunkt unmittelbar neben dem gepflasterten Bereich des Gehsteigs eine im Auftrag der Beklagten zu 1) von der Beklagten zu 2) betriebene Baustelle zur Errichtung einer Grundschule. Die Baustelle war durch einen Bauzaun vom Gehweg abgegrenzt. Zur Unterhaltung der Baustelle benötigt die Beklagte zu 2) Zugriff auf einen öffentlichen Wasserhydranten, der am fahrbahnseitigen, dem Bauzaun gegenüberliegenden Rand des Gehwegs platziert war. Die am 27.08.2007 errichtete Schlauchverbindung der Baustelle mit dem Hydranten verlief deshalb quer über den Gehweg. Der Schlauch war mit einem fest auf den Gehsteig montierten Gummiüberfahrschutz versehen. Die Schlauchüberbrückung wies eine Überfahrlänge von ca. 21,5 cm bei einer Erhöhung von ca. 5,5 bis 6,5 cm mit beidseitig abgerundeten Kanten auf. Die Beklagte zu 1) hatte mit Schreiben vom 30.08.2007 die Einhausung des Bauwasseranschlusses gemäß Art. 18 BayStrWG genehmigt. Diese Genehmigung enthält u.a. folgende Regelung:

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1. Der Bauwasseranschluss ist nach dem Regelplan B II/1 (Variante B II/1.3) ordnungsgemäß abzusichern und nachts zu beleuchten.

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5. Mit der Sondernutzung haften Sie für alle Schäden und verpflichten sich, die Gemeinde schadlos zu halten, sowie von jeder Verbindlichkeit freizustellen, falls sie wegen eines Schadens von Dritten in Anspruch genommen wird.

4

Zum eingangs genannten Unfallzeitpunkt befuhr der Kläger mit seinem Fahrrad den Gehweg der Straße Am H. Bach in westlicher Richtung. Eine Ausschilderung des gepflasterten und mittels einer Bordsteinkante von der Fahrbahn abgesetzten Gehweges als Radweg oder gemeinsamer Geh- und Radweg war nicht erfolgt. An der Schlauchabdeckung kam der Kläger mit seinem Fahrrad zu Fall und verletzte sich schwer. Er erlitt eine zervikale Querschnittslähmung.

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Der Kläger hat im ersten Rechtszug u.a. vorgebracht, dass die Holzummantelung des Hydranten fehlerhaft mit einer links- statt mit einer rechtsweisenden Bake versehen worden sei.

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Mit der Schlauchabdeckung sei eine unzulässige Stolperschwelle errichtet worden, die die Sicherheit von Fußgängern und Radfahrern pflichtwidrig beeinträchtigt habe.

7

Die Unfallstelle sei entgegen der Anordnung der Beklagten zu 1) von der Beklagten zu 2) nicht mit einer ordnungsgemäßen Beleuchtung versehen worden.

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Entgegen RSA und ZTV-SA 97 seien die Absicherungsmaßnahmen nicht durch einen Verantwortlichen mit RSA-Zertifizierung durchgeführt und auch keine Arbeitsstellenabsicherungspläne eingeholt worden.

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Die Beklagte zu 1) habe nach dem Unfall des Klägers die Schlauchabdeckung durch zwei auf Kies gelagerte Abdeckbretter mit abgeflachter Steigung ersetzt. Sie habe damit konkludent eingestanden, dass die vorherige Schlauchabdeckung verkehrssicherungspflichtwidrig gewesen sei.

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Der Kläger hat im ersten Rechtszug beantragt:

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1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger € 66.505,32 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit für die materiellen Schäden, die aus dem Unfall vom 23.09.2007 in U. auf der Straße Am H. Bach entstanden sind, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind, zu bezahlen.

12

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche materielle Schäden, die aus dem Unfall vom 23.09.2007 auf der Straße „Am H. Bach“ in U. künftig entstehen, zu ersetzen, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergehen.

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3. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld von mindestens € 300.000 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

14

4. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger € 6.030,92 für die Gebühren der außergerichtlichen Tätigkeit des Rechtsanwalts zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

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Die Beklagten haben beantragt,

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die Klage abzuweisen.

17

Die Beklagte zu 1) hat die Auffassung vertreten, dass ihr keine Verkehrssicherungspflichtverletzung zur Last falle. Der Kläger habe verkehrsordnungswidrig den Gehweg mit dem Fahrrad befahren. Bereits die örtlichen Verhältnisse hätten dem Kläger nahelegen müssen, dass er mit Hindernissen zu rechnen habe und besondere Sorgfalt erforderlich sei. Der Hydrant sei mit einer Warnbake und einer Verkleidung abgesichert gewesen. Die Schlauchbrücke sei farblich deutlich kontrastierend quer über den Weg verlaufen.

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Die Beklagte zu 2) hat die Auffassung vertreten, dass der Unfall für den Kläger, der die Straßenverkehrsordnung missachtet habe, vermeidbar gewesen wäre. Der Kläger sei zu schnell gefahren und habe das Hindernis missachtet. Eine fehlerhafte Absicherung des Schlauches sei nicht ersichtlich. Auf die Frage, ob die Unfallstelle ausreichend beleuchtet gewesen sei, komme es, da sich der Unfall am helllichten Tage ereignet habe, nicht an. Die Regelungen der RSA seien, da diese eine Arbeitsstelle an der Straße voraussetzten, hier nicht anwendbar.

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Mit Urteil vom 22.07.2011, dem Klägervertreter zugestellt am 29.07.2011, auf das wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, hat das Landgericht München I die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die am 23.08.2011 eingegangene und nach Fristverlängerung am 28.10.2011 begründete Berufung des Klägers.

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Der Kläger bringt vor, das Landgericht sei dem Einwand des Klägers und dessen diesbezüglichem Beweisantrag, dass die Schlauchabdeckung, da zu hoch und zu steil, nicht passierbar gewesen sei, prozessordnungswidrig nicht nachgegangen. Der Kläger sei an der Abdeckung mit seinem Rad stecken geblieben und sodann gestürzt.

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Das Landgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die fehlende Überprüfung durch einen Verantwortlichen mit RSA-Zertifizierung nicht maßgeblich sei.

22

Die unzureichende Beleuchtung der Unfallstelle sei entgegen der Einschätzung des Landgerichts, da sich die schwarze Abdeckung in der Mittagssonne nicht abgehoben habe, unfallursächlich geworden.

23

Das Landgericht habe rechtsfehlerhaft auch nicht berücksichtigt, dass die Abdeckung des Wasserschlauches aufgrund des Unfalls des Klägers von der Beklagten zu 2) verändert worden sei.

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Der Kläger beantragt:

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1. Unter Abänderung des am 22.07.2011 verkündeten Urteils des Landgerichts München I, Az.: 17 O 15494/10, die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an den Kläger € 66.505,32 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit für die materiellen Schäden, die aus dem Unfall vom 23.09.2007 in U. auf der Straße Am H. Bach entstanden sind, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen sind, zu bezahlen.

26

2. Unter Abänderung des am 22.07.2011 verkündeten Urteils des Landgerichts München I, Az.: 17 O 15494/10, wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche materielle Schäden, die aus dem Unfall vom 23.09.2007 auf der Straße Am H. Bach in U. künftig entstehen, zu ersetzen, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergehen.

27

3. Unter Abänderung des am 22.07.2011 verkündeten Urteils des Landgerichts München I, Az.: 17 O 15494/10, die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an den Kläger ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld von mindestens € 300.000,– nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

28

4. Unter Abänderung des am 22.07.2011 verkündeten Urteils des Landgerichts München I, Az.: 17 O 15494/10, die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an den Kläger € 6.030,92 für die Gebühren der außergerichtlichen Tätigkeit des Rechtsanwalts, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

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Die Beklagten beantragen,

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die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

31

Sie vertreten die Auffassung, dass der Beklagten zu 2), wie das Landgericht zutreffend ausgeführt habe, keine Verkehrssicherungspflichtverletzung zur Last falle. Der Kläger, der den Gehweg unerlaubterweise mit dem Fahrrad befahren habe, hätte an der Unfallstelle absteigen müssen statt mit überhöhter Geschwindigkeit die Schlauchabdeckung zu überfahren. Die Baustellenkonstruktion und die Schlauchabdeckung seien von weitem sichtbar gewesen. Die Vorschriften von RSA, VwV-StVO und ZTV-SA 97 vermittelten keinen Drittschutz. Die vom Kläger behauptete ungenügende Ausleuchtung der Unfallstelle könne nicht unfallursächlich geworden sein. Die Veränderung der Schlauchabdeckung nach dem Unfall sei einzig und allein witterungsbedingt erfolgt.

32

Im Übrigen wird bezüglich des Parteivorbringens in der Berufungsinstanz auf die Schriftsätze des Klägers vom 26.10. und 29.12.2011 sowie auf den Schriftsatz der Beklagten zu 1) vom 16.12.2011 und der Beklagten zu 2) vom 06.12.2011 verwiesen.


Entscheidungsgründe

33

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Den Beklagten fällt keine haftungspflichtige Verkehrssicherungspflichtverletzung zur Last. Eine Haftung der Beklagten zu 1) aus § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 34 GG bzw. der Beklagten zu 2) aus § 823 BGB ergibt sich somit nicht.

A.

34

1. Der Beklagten zu 2) fällt keine Verkehrssicherungspflichtverletzung zur Last.

35

a) Das Landgericht hat zutreffend dargelegt, dass eine Verkehrssicherung, die jeden Unfall ausschließt, nicht erreichbar ist. Deshalb muss der Verkehrssicherungspflichtige nicht für alle denkbaren und entfernten Möglichkeiten des Schadenseintritts Vorsorge treffen. Es genügen vielmehr diejenigen Vorkehrungen, die nach den konkreten Umständen zur Beseitigung einer absehbaren Gefahr erforderlich und zumutbar sind. Das sind die Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Angehöriger der betreffenden Verkehrskreise für notwendig und ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren. Es müssen die Vorkehrungen getroffen werden, die nach den berechtigten Sicherheitserwartungen des jeweiligen Verkehrs geeignet sind, solche Gefahren von Dritten abzuwenden, die bei bestimmungsgemäßer oder bei nicht ganz fernliegender bestimmungswidriger Benutzung drohen. Der Dritte ist allerdings in der Regel nur vor den Gefahren zu schützen, die er selbst in der sich ihm konkret darbietenden Situation bei Anwendung der von ihm in dieser Situation zu erwartenden Sorgfalt erfahrungsgemäß nicht oder nicht rechtzeitig erkennen und vermeiden kann (vgl. Palandt-Sprau, 71. Aufl., Rdnr. 51 zu § 823 m.w.N.).

36

b) Der Beklagten zu 2) fällt keine Verkehrssicherungspflichtverletzung in dem unter a) genannten Sinn zur Last.

37

aa) Wesentlich ins Gewicht fällt in diesem Zusammenhang, dass sich der Unfall des Klägers auf einem Gehweg ereignet hat. Eine Freigabe dieses durch Pflasterung und Bordsteinkante von der Fahrbahn optisch und tatsächlich abgesetzten Gehwegs für den Fahrradverkehr gemäß den Verkehrszeichen 237, 240, 241 oder 244 zu § 41 StVO war nicht erfolgt. Der Gehweg wies auch keine optisch oder sonst wie ausgewiesene Fahrfläche für Radfahrer auf. Damit hat der Kläger den Gehweg verkehrsordnungswidrig mit dem Fahrrad befahren (§ 2 Abs. 1 und 4 StVO). Da Radfahrer den Gehweg nicht befahren durften, musste die Unfallstelle nicht auf den Radverkehr hin ausgelegt werden. Für den Fußgängerverkehr war die Schlauchabdeckung unproblematisch und ungefährlich.

38

bb) Selbst wenn der Senat, wie das Landgericht, zugunsten des Klägers davon ausgeht, dass die Beklagte auch das ordnungswidrige Befahren des Gehweges durch Radfahrer in ihre Sicherheitsüberlegungen einbeziehen musste, ergibt sich keine Verkehrssicherungspflichtverletzung der Beklagten zu 2). Diese durfte vielmehr davon ausgehen, dass ein Radfahrer, der verkehrsordnungswidrig den Gehweg befährt, sich, da er sich darüber im Klaren sein muss, dass er sich auf einem Verkehrsweg bewegt, der nicht auf sein Fahrzeug ausgerichtet ist, einer entsprechend reduzierten Geschwindigkeit und erhöhten Vorsicht befleißigt. Die Beklagte zu 2) war folglich, selbst wenn ihr abverlangt wird, zu berücksichtigen, dass der Gehweg verkehrsordnungswidrig von Radfahrern befahren werden könnte, nicht verpflichtet, die Unfallstelle so zu sichern, als ob es sich um einen Radweg handeln würde. Deshalb kommt es entgegen der Einschätzung der Berufung auch nicht darauf an, ob die Schlauchabdeckung von einem Radfahrer problemlos überfahren werden konnte. Unter der vorgenannten Prämisse, dass sich ein Radfahrer dort einer ausgesprochen defensiven Fahrweise und erhöhter Vorsicht zu befleißigen hatte, war die Schlauchabdeckung auch für Radfahrer ungefährlich. Die Unfallstelle war wegen der Bake, der Holzabdeckung des Hydranten, der Verengung und der Laterne schon von weitem deutlich als atypische Passage, d. h. als potentielle Gefahrenstelle erkennbar. Dabei kommt es gar nicht mehr darauf an, ob, was zwischen den Parteien streitig ist, auch die Schlauchabdeckung selbst schon von weitem deutlich sichtbar war. Der Kläger hätte deshalb entsprechend langsam fahren und gegebenenfalls absteigen können und müssen. Dann hätte er die Unfallstelle problemlos unbeschadet passieren können. Die Unfallstelle war deshalb für einen Radfahrer, der sich der von ihm zu verlangenden Vorsicht befleißigt, ungefährlich.

39

cc) Da sich der Unfall des Klägers um 12.00 Uhr mittags, also am helllichten Tag, ereignet hat, kommt es nicht darauf an, ob die Beklagte zu 2) für eine zureichende Ausleuchtung der Unfallstelle bei Dunkelheit gesorgt hatte. Eine künstliche Beleuchtung der Unfallstelle wird tagsüber abgeschaltet. Folglich können etwaige Mängel der künstlichen Ausleuchtung der Unfallstelle für den Unfall des Klägers nicht ursächlich geworden sein.

40

dd) Die vom Kläger geltend gemachten Verstöße gegen die Vorschriften von RSA, ZTV-SA 97 und VwV-StVO sind sämtlich schadensersatzrechtlich unerheblich. Zum einen sind diese Vorschriften, wie vom Landgericht zutreffend dargetan, nicht drittschützend. Zum anderen kommt es schadenersatzrechtlich nur darauf an, ob die Unfallstelle von der Beklagten zu 2) zureichend abgesichert worden war. Ist dies, wie dargelegt, der Fall, spielt es, da es sich nur um einen folgenlosen Formalverstoß handeln würde, keine Rolle, ob (beispielsweise) die Absicherung durch eine gemäß RSA und ZTV-SA 97 zertifizierte Person durchgeführt und Arbeitsstellenabsicherungspläne eingeholt wurden.

41

ee) Es kommt mangels Schadensursächlichkeit, der Kläger ist rechts am Hydranten vorbeigefahren, auch nicht darauf an, dass die Beklagte zu 2) am Hydranten fehlerhaft eine linksweisende Bake statt einer Rechtsweisenden angebracht hatte.

42

ff) Radfahrende Kinder unter 8 Jahren müssen den Gehweg benutzen, Kinder im Alter zwischen 8 und 10 Jahren dürfen diesen zum Rad fahren benutzen (§ 2 Abs. 5 StVO). Es kann dahingestellt bleiben, ob die Unfallstelle auch im Hinblick auf diese radfahrenden Kinder zureichend gesichert war. Selbst wenn der Senat unterstellt, dass das nicht der Fall war, könnte dies der Klage nicht zum Erfolg verhelfen. Es ist in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass der geltend gemachte Schaden nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fallen muss. Es muss sich bei dem geltend gemachten Schaden um einen Nachteil handeln, der aus dem Bereich der Gefahren stammt, zu deren Abwehr die verletzte Pflicht dient (Palandt-Grüneberg, 71. Aufl., Rdnr. 29 vor § 249 m.w.N.). Da nicht ein radfahrendes Kind, sondern ein erwachsener Mann verunglückt ist, würde es hier damit jedenfalls am Pflichtwidrigkeitenzusammenhang im vorgenannten Sinn fehlen.

43

gg) Selbst wenn die Beklagte zu 2), was diese bestritten hat, die Schlauchabdeckung im Hinblick auf den Unfall des Klägers nachträglich verändert hätte, wäre dies belanglos. Haftungsrechtlich kommt es nur darauf an, ob zum Unfallzeitpunkt eine Verkehrssicherungspflichtverletzung vorliegt oder nicht. Dies war, wie erläutert, nicht der Fall. Daraus, dass die Beklagte zu 2), was nach einem Unfall mit schweren Folgen naheliegt, die Unfallstelle überobligatorisch zu optimieren versucht hätte, kann der Kläger nichts haftungsrechtlich Relevantes, insbesondere auch nicht das behauptete konkludente Anerkenntnis, herleiten.

44

2. Selbst wenn der Beklagten zu 2) die vom Kläger geltend gemachte (eher geringfügige) Verkehrssicherungspflichtverletzung zur Last fiele, stünde dem Erfolg der Klage das haftungsausschließende völlig überwiegende Mitverschulden des Klägers entgegen (§ 254 Abs. 1 BGB). Der Kläger ist verbotswidrig mit dem Fahrrad auf dem Gehweg gefahren. Er musste sich deshalb, wie erwähnt, da er sich auf einem Verkehrsweg bewegt, der auf sein Fahrzeug nicht abgestimmt ist, mit besonderer Vor- und Umsicht und einer entsprechend defensiven Fahrweise fortbewegen. Hinzukommt hier noch, wie ebenfalls unter 1. b)bb) erläutert, dass die Unfallstelle schon von weitem wegen der Bake, der Holzverkleidung des Hydranten, der Verengung und der Laterne deutlich als atypische Passage, d. h. potentielle Gefahrenstelle erkennbar war. Darauf, ob, was zwischen den Parteien streitig ist, die Schlauchabdeckung selbst ebenfalls schon von weitem deutlich erkennbar war, kommt es dabei nicht mehr an. Wenn der Kläger dennoch beim Überfahren der Schlauchabdeckung zu Sturz gekommen ist, beruht dies darauf, dass er naheliegende Vorsichtsmaßnahmen – Geschwindigkeitsreduzierung bis zum Absteigen vom Rad – entweder aus Unaufmerksamkeit oder weil er sein Fahrkönnen überschätzt hat, grob fahrlässig außer Acht gelassen hat.

45

3. Die Beklagte zu 1) hätte für ein schadensursächliches Auswahl- oder Überwachungsverschulden gemäß § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG einzustehen. Da, wie erläutert, der Beklagten zu 2) keine Verkehrssicherungspflichtverletzung zur Last fällt, kommt es auf ein, vom Kläger auch nicht hinreichend dargelegtes Auswahl- und Überwachungsverschulden der Beklagten zu 1) nicht mehr an.

46

Außerdem stünde dem Erfolg der Klage auch hier § 254 Abs. 1 BGB entgegen.

B.

47

Der Senat verkennt nicht und bedauert, dass der Kläger von den Folgen des für ihn tragischen Unfalls so schwer getroffen wurde. Eine Haftung der Beklagten ergibt sich jedoch, da diese den Unfall des Klägers, wie dargelegt, nicht verschuldet haben, nicht. Vielmehr haben sich ein Fehlverhalten des Klägers und der Umstand, dass Radfahren generell nicht ganz ungefährlich ist, unfallursächlich ausgewirkt.

C.

48

1. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

49

2. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

50

3. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht gegeben.

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