Zum Umfang der Risikoaufklärung über mögliche Komplikationen einer Knieprothesen-Operation

OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 20.02.2018 – 8 U 78/16

Etwaige verbale Risikobeschreibungen (gelegentlich, selten, sehr selten etc.) in ärztlichen Aufklärungsbögen müssen sich nicht an den Häufigkeitsdefinitionen des Medicial Dictionary for Regulatory Activities (MedDRA), die in Medikamentenbeipackzetteln Verwendung finden, orientieren.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 24. Februar 2016 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main (2-4 O 346/14) wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die im Berufungsrechtszug entstandenen Kosten zu tragen.

Das angefochtene Urteil und dieses Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des auf Grund des jeweiligen Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe
I.

Der Kläger verlangt von der Beklagten Schmerzensgeld wegen einer nach seiner Behauptung fehlerhaft und ohne die erforderliche Aufklärung vorgenommenen ärztlichen Behandlung in der Klinik der Beklagten. Darüber hinaus begehrt er die Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für sämtliche materiellen Schäden aus dieser Behandlung.

Der Kläger wurde am 24. November 2011 bei medialer Gonarthrose im Krankenhaus der Beklagten am rechten Bein operiert. Er hatte bei der Aufnahme in das Krankenhaus über progrediente Schmerzen des rechten Kniegelenks seit ca. 18 Monaten bei Belastung geklagt. Die schmerzfreie Gehstrecke war deutlich gemindert.

Die für die Beklagte tätigen Ärzte stellten die Indikation zur endoprothetischen Versorgung. Der Kläger wurde mündlich aufgeklärt, und es lag eine schriftliche Einverständniserklärung zur Operation vor. Die Aufklärung erfolgte an Hand eines Aufklärungsbogens (BI. 28 ff. d. A.).

Am 7. November 2013 – also knapp zwei Jahre später – stellte sich der Kläger ambulant in der Sprechstunde der Beklagten vor und berichtete über zunehmende Belastungsschmerzen des rechten Kniegelenks, die seit ca. sechs Monaten mit zunehmender Tendenz bestünden. Szintigraphisch ergab sich der Verdacht auf eine Lockerung des Implantats. Der Kläger wurde in der Klinik der Beklagten zur Revision bzw. einem Wechsel der Prothese aufgenommen. Es wurde im Rahmen einer Operation die Lockerung der Prothese festgestellt, diese ausgebaut und ein temporärer Platzhalter eingebracht. Am 16. Dezember 2013 erfolgte sodann die Implantation einer neuen Schlittenprothese vom Typ „A“.

Der Kläger hat behauptet, die Operation im Jahr 2011 sei fehlerhaft vorgenommen und die damalige Schlittenprothese sei fehlerhaft eingesetzt worden. Hierdurch sei es zur Lockerung gekommen. Es sei absolut ungewöhnlich, dass sich eine ordnungsgemäß eingesetzte Schlittenprothese binnen zwei Jahren in dieser Weise lockern könne. Überdies sei die Aufklärung gemäß dem Aufklärungsbogen nicht hinreichend konkret gewesen.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

1.
die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 50.000,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klage zu zahlen, und

2.
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen Schäden aus der fehlerhaften Behandlung im November 2011 zu bezahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Kläger sei ordnungsgemäß aufgeklärt worden. In diesem Zusammenhang sei er auch auf das Lockerungsrisiko hingewiesen worden.

Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird ergänzend Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

Nach Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen SV1 (Bl. 49 ff. d. A.) hat das Landgericht die Klage abgewiesen.

Dem Kläger sei nicht der Nachweis eines Behandlungsfehlers oder einer unzureichenden Aufklärung gelungen.

Der Sachverständige SV1 habe in seinem ausführlichen Gutachten vom 1. September 2015 keinen Behandlungsfehler festgestellt. Nach den klaren Ausführungen des Sachverständigen sei eine Indikation zum Einsatz der Schlittenprothese gegeben gewesen. Ausweislich der eindeutigen Feststellungen des Sachverständigen zeigten die präoperative Röntgenuntersuchung und die postoperative Röntgenuntersuchung des entsprechenden Kniegelenks eine regelrechte Implantation der Schlittenprothese. Einen Behandlungsfehler habe der Sachverständige insoweit nicht erkennen können. Für die eingetretene tibiale und femorale Lockerung gebe es nach den Ausführungen des Sachverständigen verschiedene Ursachen. Solche Lockerungen könnten auch innerhalb kürzester Zeit auftreten. Der Sachverständige habe auch klar ausgeführt, dass eine Lockerung der Prothese knapp zwei Jahre nach Vornahme der Operation nicht das Vorliegen eines Behandlungsfehlers nahelege, sondern als schicksalhaft zu bewerten sei.

Auf dieser Grundlage sei bei den eindeutigen Ausführungen des Sachverständigen, der aus medizinischer Sicht die notwendige Sachkunde zur Beurteilung der Beweisfragen besitze, eine behandlungsfehlerhafte Vorgehensweise nicht festzustellen.

Der Kläger sei auch ausreichend über die Risiken der Operation aufgeklärt worden. Es sei unstreitig, dass die Aufklärung an Hand des Aufklärungsformulars erfolgt sei. Entgegen der Auffassung des Klägers sei diese Aufklärung ausreichend gewesen. Der Kläger habe sich ein ausreichendes Bild über den Ablauf der Operation und über die damit verbundenen Risiken machen können. Entgegen der Auffassung des Klägers sei die Wendung im Aufklärungsbogen nicht zu beanstanden, dass „im Lauf der Zeit“ gelegentlich Lockerungen der Prothese auftreten. Der Patient müsse im Großen und Ganzen wissen, worin er einwillige. Diesen Anforderungen genügten die Angaben im Aufklärungsbogen und die an Hand dieser Angaben vorgenommene mündliche Aufklärung.

Wegen der näheren Einzelheiten der Begründung wird auf das angegriffene Urteil (Bl. 99 ff. d. A.) verwiesen.

Gegen dieses seinem Prozessbevollmächtigten am 29. März 2016 (Bl. 109 d. A.) zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem hier am 25. April 2016 eingegangenen Schriftsatz vom 15. April 2016 Berufung eingelegt (Bl. 113 ff. d. A.) und diese sogleich begründet.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Rechtsschutzziele weiter.

Er rügt u. a., dass der Rechtsstreit hinsichtlich der Behandlungsfehlervorwürfe nicht entscheidungsreif gewesen sei.

Zwar habe das Landgericht ein Sachverständigengutachten eingeholt. Der Kläger habe letztmalig mit Anwaltsschriftsatz vom 8. Oktober 2015 ausführlich zum eingeholten Gutachten Stellung genommen und den Sachverständigen insoweit um Erläuterung zu einzelnen Punkten des Gutachtens gebeten.

Das Landgericht hätte – so der Kläger weiter – den Sachverständigen auffordern müssen, entweder hierzu ergänzend schriftlich Stellung zu nehmen oder ihn hierzu im Verhandlungstermin anhören müssen. Der Sachverständige hätte dann bestätigt, dass die präoperative Vorbereitung dahingehend fehlerhaft gewesen sei, dass notwendige Kriterien beim Kläger nicht beachtet, keine modernen Zementier-Techniken angewendet und die Standardaufnahmen zur Feststellung der Beinachse nicht beachtet worden seien.

Bezüglich der Aufklärung sei dem Kläger nur erinnerlich, das ihm mitgeteilt worden sei, es handele sich mehr oder weniger um einen Routineeingriff, dieser Eingriff werde ständig bei der Beklagten vorgenommen, etwaige Risiken seien zu vernachlässigen. Jedenfalls sei dem Kläger mitgeteilt worden, dass der Einsatz der Schlittenprothese ihn zunächst einmal längerfristig komplikationslos beschwerdefrei halten werde.

Wäre er darauf hingewiesen worden, dass es auch sein könne, dass die Prothese maximal nur zwei Jahre halte, wäre er in einen ernsthaften Gewissenskonflikt geraten. Er hätte dann – so der Kläger weiter – von der Operation Abstand genommen und versucht, die Beschwerden anderweitig mit Akupunktur, Tabletten oder Physiotherapie in den Griff zu kriegen. Er hätte hier explizit gerade auf die Wahrscheinlichkeit hingewiesen werden müssen, dass auch eine Lockerung innerhalb von zwei Jahren denkbar sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungsbegründung des Klägers wird auf den Anwaltsschriftsatz vom 15. April 2016 Bezug genommen (Bl. 113 ff. d. A.).

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des am 24. Februar 2016 verkündeten Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main, Aktenzeichen 2-04 O 346/14, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerseite € 50.000,00 Schmerzensgeld „nebst 5% Punkten Zinsen über dem Basiszinssatz“ seit Zustellung zu zahlen, und

die Verpflichtung der Beklagten festzustellen, der Klägerseite sämtliche materiellen Schäden aus der fehlerhaften Behandlung im November 2011 zu bezahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungserwiderung der Beklagten wird auf den Anwaltsschriftsatz vom 10. August 2016 Bezug genommen (Bl. 131 ff. d. A.).

Der Senat hat durch Vernehmung des Zeugen Z1 ergänzend Beweis erhoben. Darüber hinaus hat der Sachverständige SV1 sein Gutachten mündlich erläutert. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 9. Januar 2018 (Bl. 183 ff. d. A.) verwiesen.

II.

Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet.

1. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger wegen etwaig fehlerhafter Heilbehandlung und/oder wegen einer etwaigen Verletzung von Aufklärungspflichten Schmerzensgeld zu zahlen.

a. Dem Kläger ist nicht zur Überzeugung des Senats (§§ 525 Satz 1, 286 Abs. 1 ZPO) der Nachweis gelungen, dass den für die Beklagten tätigen Ärzten ein Behandlungsfehler unterlaufen ist.

Der Sachverständige hat in einer überzeugenden und auch für Laien gut verständlichen Art und Weise dargestellt, dass bei dem Kläger eine Indikation zum Einsatz der Schlittenprothese gegeben war.

Er könne auch anhand der Unterlagen nachvollziehen, dass im Hause der Beklagten präoperativ eine Ganzbeinaufnahme – ein Röntgenbild – gemacht worden sei. Auch eine klinische Untersuchung des Patienten sei vorgenommen worden.

Da im Falle des Klägers der Verschleiß nur auf der Innenseite des rechten Knies eingetreten war, sei es auch richtig gewesen, dass im Hause der Beklagten hier nur eine kleine Prothese gewählt worden sei, da auf diese Weise sowohl das vordere als auch das hintere Kreuzband habe erhalten werden können. Der Vorteil dieses Vorgehens sei, dass der Patient besser beweglich sei und das Kniegelenk über eine bessere Stabilität verfüge.

Auch das Übergewicht des Klägers vor der Operation habe keine Kontraindikation für die Operation im Hause der Beklagten dargestellt. Entscheidend sei in diesem Zusammenhang vielmehr, wie die Knochenqualität und die Muskelführung beschaffen seien. Handele es sich um einen Patienten mit einer guten Knochenqualität und einer guten Muskelführung und einem stabilen Band, dann könne man auch bei einem übergewichtigen Patienten wie dem Kläger die Operation so vornehmen. Das könne man auch daran sehen, dass man auch bei der Revisionsoperation Ende 2013 wiederum eine solche Schlittenprothese eingebracht habe. Dies mache deutlich, dass man auch Ende 2013 davon ausgegangen sei, dass der Kläger eine gute Knochenqualität und eine gute Bandstabilität habe. Im Übrigen habe er – der Sachverständige – sich auch bei seiner klinischen Untersuchung des Klägers von der guten Beweglichkeit überzeugen können.

Ebenso überzeugend hat der Sachverständige erläutert, dass die postoperative Röntgenuntersuchung des entsprechenden Kniegelenks eine regelrechte Implantation der Schlittenprothese zeige (s. etwa S. 24 des Sachverständigengutachtens, Bl. 72 d. A.).

Es habe ausweislich des Operationsberichts auch eine Zementierung stattgefunden. Auch auf den Aufnahmen sei zu sehen, dass bei der Operation im Jahre 2011 zementiert worden ist. Dass die genaue Zementiertechnik aus dem Operationsbericht nicht hervorgehe, sei nicht zu beanstanden. Auch er selbst – der Sachverständige – schreibe derartige Dinge nicht in den Operationsbericht hinein.

Der Sachverständige hat ferner zu der bei dem Kläger eingetretenen Lockerung ausgeführt, dass es zwischen dem Zement und dem Knochen offensichtlich nicht zu einer dauerhaften hinreichenden Festigkeit gekommen sei. Mit Blick auf den Zeitabstand zwischen der Operation und dem Auftreten der Beschwerden bei dem Kläger könne man davon sprechen, dass es hier zunächst eine hinreichende Festigkeit gegeben habe, es dann jedoch zu einer Lockerung gekommen sei. Ursachen für solche Frühlockerungen seien nur schwer festzustellen. In Betracht kämen eine allergische Reaktion oder ein Infekt. Beides habe hier nicht nachgewiesen werden können. Allerdings gelte es zu beachten, dass es Fälle gebe, in denen es zu einem entsprechenden Infekt komme, dieser jedoch nicht nachgewiesen werden könne, obwohl er vorliege.

Im Übrigen halte auch die beste Prothese nicht ewig. Bei derartigen Operationen stehe schon vorher fest, dass es irgendwann, sei es in zwei, sei es in acht oder neun oder zehn Jahren, zu der Notwendigkeit einer Revisionsoperation kommen werde.

Der Senat folgt all diesen nachvollziehbaren, in sich stimmigen und offenbar von großer Sachkunde getragenen Ausführungen des Sachverständigen. Nach alledem steht zur Überzeugung des Senats hier nicht fest, dass die Lockerung der Prothese knapp zwei Jahre nach Vornahme der Operation auf einen Behandlungsfehler der Ärzte der Beklagten zurückzuführen ist.

b. Auch unter dem Gesichtspunkt einer möglicherweise unzureichenden Aufklärung stehen dem Kläger keine Schmerzensgeldansprüche zu. Die Einwilligung des Klägers in den Eingriff ist hier nicht in Ermangelung einer ordnungsgemäßen Aufklärung unwirksam gewesen.

Da ein Heileingriff erst durch die Einwilligung gerechtfertigt wird und diese eine ausreichende Aufklärung voraussetzt, muss im Arzthaftungsprozess grundsätzlich der Arzt darlegen und ggf. beweisen, dass er den Patienten in genügendem Maße über die Risiken des Eingriffs informiert hat (vgl. etwa BGH, Urteil vom 15.03.2005 – VI ZR 289/03, NJW 2005, 1716, 1717). Allerdings ist der Arzt nicht gehalten, von vornherein zu jeglichem erdenklichen Risiko als aufgeklärt vorzutragen (vgl. etwa Senat, Urteil vom 17.05.2016 – 8 U 125/14, Entscheidungsumdruck, S. 10; Urteil vom 29.11.2016 – 8 U 143/13, juris).

Dem Patienten muss im Rahmen der Eingriffsaufklärung jedenfalls eine allgemeine Vorstellung von dem Ausmaß der mit dem Eingriff verbundenen Gefahren vermittelt werden. Er muss „im Großen und Ganzen“ wissen, worin er einwilligt. Dazu muss er über die Art des Eingriffs und seine nicht ganz außerhalb der Wahrscheinlichkeit liegenden Risiken informiert werden, soweit diese sich für einen medizinischen Laien aus der Art des Eingriffs nicht ohnehin ergeben und für seine Entschließung von Bedeutung sein können. Dies bedeutet nicht, dass die Risiken in allen erdenkbaren Erscheinungsformen aufgezählt werden müssen. Dem Patienten muss lediglich eine allgemeine Vorstellung von der Schwere des Eingriffs und den spezifisch mit ihm verbundenen Risiken vermittelt werden, ohne diese zu beschönigen oder zu verschlimmern (vgl. BGH, Urteil vom 18.11.2008 – VI ZR 198/07, NJW 2009, 1209, 1210; Urteil vom 14.03.2006 – VI ZR 279/04, NJW 2006, 2108, 2109 f.; Senat, Urteil vom 30.03.2012 – 8 U 89/11, juris; Urteil vom 29.11.2016 – 8 U 143/13, juris).

An den dem Arzt obliegenden Beweis einer ordnungsgemäßen Aufklärung dürfen allerdings keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden (vgl. BGH, Urteil vom 12.11.1991 – VI ZR 369/90, NJW 1992, 741, 742). Schließlich führen Ärzte in aller Regel eine kaum überschaubare Vielzahl von Informations- und Aufklärungsgesprächen, so dass kaum zu erwarten ist, dass sie sich an jedes konkrete Aufklärungsgespräch erinnern (Ort, Umstände, genauer Inhalt).

Das Gericht darf daher seine Überzeugungsbildung gem. § 286 ZPO auf die Angaben des Arztes über eine erfolgte Risikoaufklärung stützen, wenn seine Darstellung in sich schlüssig und „einiger“ Beweis für ein Aufklärungsgespräch erbracht ist. Dies gilt auch dann, wenn der Arzt erklärt, ihm sei das strittige Aufklärungsgespräch nicht im Gedächtnis geblieben. Einen wesentlichen Anhaltspunkt für die Tatsache, dass ein Aufklärungsgespräch stattgefunden hat, gibt dabei das von dem Arzt und dem Patienten unterzeichnete Formular, mit dem der Patient sein Einverständnis zu dem ärztlichen Eingriff gegeben hat. Ein unterzeichnetes Einwilligungsformular ist dabei sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht ein Indiz für den Inhalt des Aufklärungsgesprächs (vgl. BGH, Urteil vom 28.01.2014 – VI ZR 143/13, NJW 2014, 1527, 1527 f.).

Nach diesen Maßstäben ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger hier ordnungsgemäß durch den Zeugen Z1 aufgeklärt worden ist.

Dieser hat glaubhaft bekundet, dass er zwar noch eine Erinnerung an die Person des Klägers habe und sich auch an das Aufklärungsgespräch als solches erinnern könne, nicht aber an die einzelnen Inhalte.

Zu einer etwaigen damaligen ständigen Aufklärungsübung in Bezug auf Operationen wie die hier in Rede stehende befragt, hat der Zeuge ausgeführt, er habe sich in aller Regel einen Tag vor der Operation mit dem Patienten zusammengesetzt und über die Operation und ihre Risiken gesprochen. Dazu habe er einen Aufklärungsbogen benutzt, wobei er das Gespräch an Hand des Aufklärungsbogens gegliedert habe.

Der Zeuge hat glaubhaft angegeben, dass der als Anlage zur Klageerwiderung vorgelegte Aufklärungsbogen (Bl. 28 ff. d. A.) seine Unterschrift trage. Auch die Kreuze und Kringel in dem Bogen sowie die handschriftlichen Eintragungen auf der letzten Seite (Bl. 32 d. A.) stammten von ihm.

Alles, was er auf den S. 2 ff. des Aufklärungsbogens (Bl. 29 ff. d. A.) eingekringelt habe, sei in dem jeweiligen Aufklärungsgespräch auch zur Sprache gekommen. Er sei damals so vorgegangen, dass er einen Kringel um den entsprechenden Begriff erst dann gesetzt habe, wenn er ihn dem Patienten erläutert habe. Es sei also nicht so gewesen, dass er einen von ihm so vorbereiteten Bogen verwendet habe.

Zu dem hier auf S. 4 von ihm eingekringelten Risiko einer Lockerung der Prothese habe er damals einen „Standardsatz“ gehabt. Er habe jeweils erläutert, dass es eine sogenannte Früh- und eine sogenannte Spätlockerung gebe, ferner, dass es eine sog. aseptische Lockerung gebe. Er habe darauf hingewiesen, dass das vom zeitlichen Rahmen nicht absehbar sei, somit früh, aber auch spät eintreten könne.

Der Zeuge Z1 hat sich ausdrücklich dagegen verwahrt, dass er gesagt haben solle, es handele sich mehr oder weniger um einen Routineeingriff, dieser Eingriff würde ständig bei der Beklagten durchgeführt und etwaige Risiken seien zu vernachlässigen. So etwas habe er in dieser Form nicht gesagt. Er habe nur jeweils angegeben, dass dieser Eingriff im Hause der Beklagten häufig gemacht werde, ferner, dass es sich um eine Operation handele, die gut standardisiert sei.

Jedenfalls habe er das Risiko nicht heruntergespielt. Sinngemäß habe er in solchen Fällen immer ausgeführt, dass nichts ohne Risiko sei; der Patient sei ja schließlich kein Auto, bei dem man ein Ersatzteil wechsele.

Wenn er von Patienten gebeten worden sei, das Risiko der Operation zu quantifizieren, habe er dies mit 1 bis 3 % angegeben. Diese Angabe habe sich auf allgemeine OP-Risiken wie etwa eine Infektion bezogen. Er könne aber in Ermangelung einer konkreten Erinnerung an das Aufklärungsgespräch mit dem Kläger nicht sagen, ob dieser im konkreten Fall eine solche Quantifizierung verlangt habe.

Auch die Angaben des Klägers bei dessen informatorischer Anhörung stehen der Annahme einer hinreichenden Aufklärung nicht entgegen. Der Kläger hat erklärt, dass es richtig sei, „dass der Arzt da verschiedene Risiken angeführt“ habe. Er habe ihn dann gefragt, wie lange eine solche Prothese in der Regel halte. Daraufhin habe der Zeuge Z1 geantwortet, dass diese in der Regel mehrere Jahre halte. Er – der Kläger – habe damals nicht im Traum daran gedacht, dass das schon nach 1,6 Jahren nicht mehr der Fall sei. Überdies habe der Zeuge Z1 auch noch gesagt, dass im Krankenhaus der Beklagten Patienten gewesen seien, die 10 Jahre und mehr ohne Probleme mit einer solchen Prothese herumgelaufen seien. Vor diesem Hintergrund habe er – der Kläger – dann angenommen, dass das dann nicht so tragisch sein könne.

Diese Angaben des Klägers stehen nicht im Widerspruch zu den Bekundungen des Zeugen Z1. Aus den Ausführungen der Sachverständigen SV1 und aus der von diesem zu den Akten gereichten Arbeit „Revision nach unikondylärer Knieprothese“ von G. Mohr u. a. (Der Orthopäde 2014, S. 883 ff.; Anlage 3 zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 9. Januar 2018, Bl. 175 ff. d. A.) ergibt sich überdies, dass im Fall eines Implantatversagens (Lockerung etc.) dieses im Durchschnitt etwa sechs Jahre nach der Primärimplantation auftrete. Vor diesem Hintergrund war die von dem Kläger erinnerte Angabe des Zeugen Z1, eine solche Prothese halte in der Regel mehrere Jahre, auch inhaltlich zutreffend, so dass auch insofern die Wirksamkeit der Einwilligung des Klägers in die Operation im Jahre 2011 nicht in Frage gestellt wird.

Vor diesem Hintergrund ist der Senat davon überzeugt, dass der Zeuge Z1 den Kläger in dem Aufklärungsgespräch am 23. November 2011 auch über das Risiko aufgeklärt hat, dass es zu einer Lockerung der Prothese kommen könne, die einen Austausch der Prothese erforderlich mache. Dafür spricht zum einen, dass auf S. 4 des Aufklärungsbogens als Risiko ausdrücklich „im Laufe der Zeit gelegentlich Lockerung oder extrem selten Bruch der Prothese“ genannt ist. Unmittelbar im Anschluss daran heißt es sodann: „ein Austausch der Prothese ist dann erforderlich“ (Bl. 31 d. A.). Das im Fettdruck gehaltene Wort Lockerung ist dabei blau eingekringelt. Auf der Grundlage der Bekundungen des Zeugen Z1 ist der Senat davon überzeugt, dass der Zeuge diesen Kringel gesetzt hat, nachdem er den Kläger unmittelbar zuvor über dieses Risiko unterrichtet hat.

Der Zeuge Z1 hat die Risiken der Operation auch nicht etwa heruntergespielt. Ein solches Herunterspielen von Operationsrisiken kann hier auch nicht darin gesehen werden, dass in dem Aufklärungsbogen die Rede davon ist, es könne im Laufe der Zeit „gelegentlich“ zu einer Lockerung kommen.

Die durchschnittliche Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Lockerung nach der Implantation einer Knie-Prothese liegt auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen SV1 im Bereich von bis zu 8,71 %.

Der Sachverständige hat erläutert, dass bei Operationen wie der im Falle des Klägers eine aseptische Lockerung in etwa 3,3 % bis 6,2 % der Operationen auftrete (vgl. auch die von dem Sachverständigen zu den Akten gereichte Arbeit „Knieendoprothetik – Klinische Aspekte“ von C. Stukenborg-Colsman u. a., Der Orthopäde 2000, S. 732 ff.; Anlage 1 zum Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 9. Januar 2018, Bl. 160 ff. d. A.). Dazu kämen noch die Fälle der sogenannten septischen Lockerung, die jedoch deutlich seltener vorkämen (vgl. auch die Zahlenangaben bei C. Stukenborg-Colsman u. a., a. a. O., S. 732, Bl. 160 d. A.: „Gründe für die Revision waren in 42 % eine aseptische Lockerung, in 17 % eine septische Lockerung […]“). Setzt man das Risiko für eine aseptische Lockerung am oberen Rand der von dem Sachverständigen genannten Bandbreite (6,2 %) an und addiert dazu den Anteil der Fälle einer septischen Lockerung (6,2 / 0,42 x 0,17), so ergibt sich ein Risiko für das Auftreten einer (septischen oder aseptischen) Lockerung in Höhe von 8,71 % (= 6,2 % + 2,51 %).

Ein Risiko in einer derartigen Höhe ist von dem natürlichen Wortsinn des Wortes „gelegentlich“ ohne weiteres gedeckt (vgl. Der Duden, 24. Aufl. 2006, S. 441: „ab und zu“).

Soweit der Kläger in dem Anwaltsschriftsatz vom 25. Januar 2018 offenbar die Ansicht vertritt, dass sich etwaige verbalen Risikobeschreibungen (gelegentlich, selten, sehr selten etc.) in Aufklärungsbögen an den Häufigkeitsdefinitionen des Medical Dictionary for Regulatory Activities (MedDRA), die in Medikamentenbeipackzetteln Verwendung finden, zu orientieren haben (in diesem Sinne etwa auch OLG Nürnberg, Urteil vom 30.04.2015 – 5 U 2282/13, VersR 2016, 195, 197; LG Bonn, Urteil vom 19.06.2015 – 9 O 234/14, NJW 2015, 3461, 3462; Förster, in: Bamberger/Roth/Hau/Poseck (Hrsg.), BeckOK BGB, 44. Edition, Stand: 01.11.2017, § 823, Rdnr. 834; Wagner, in: Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2016, § 630e, Rdnr. 9; Spickhoff, NJW 2017, 1790, 1795; Spindler, in: Spickhoff, beck-online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 01.05.2017, § 823, Rdnr. 814.1; a. A. etwa Gödicke, MedR 2016, 347, 348; Bergmann/Wever, Das Krankenhaus 2016, 138, 140; dies., MedR 2016, 37; Kunze, GesR 2015, 534, 535 [OLG Nürnberg 30.04.2015 – 5 U 2282/13]; Rehborn/Gescher, in: Erman, BGB, 15. Aufl. 2017, § 630e BGB, Rdnr. 8; Martis/Winkhart-Martis, MDR 2017, 858, 866; Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. 2018, Rdnr. A 993), teilt der Senat diese Einschätzung nicht.

Die standardisierten Häufigkeitsangaben nach MedDRA definieren den Begriff „gelegentlich“ dahin, dass es sich um Nebenwirkungen handelt, die bei einem bis zu zehn von 1.000 Behandelten auftreten (0,1 – 1 %). Auf dieser Grundlage könnte hier nicht mehr von einem (nur) gelegentlichen Risiko gesprochen werden.

Es ist jedoch mehr als zweifelhaft, dass die MedDRA-Definitionen dem alltäglichen Sprachgebrauch von Patienten entsprechen (vgl. etwa Gödicke, MedR 2016, 347, 348; Martis/Winkhart-Martis, MDR 2017, 858, 866; Bergmann/Wever, MedR 2016, 37). Es kann keine Rede davon sein, dass der durchschnittliche Patient mittlerweile in einem Ausmaß mit Packungsbeilagen und den darin zugrunde gelegten Häufigkeitsdefinitionen vertraut ist, dass sein Sprachverständnis hierdurch entscheidend geprägt wird (s. Gödicke, MedR 2016, 347, 348; Kunze, GesR 2015, 534, 535; Martis/Winkhart-Martis, MDR 2017, 858, 866; Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl. 2018, Rdnr. A 993; vgl. in diesem Zusammenhang auch Ziegler/Hadlak/Mehlbeer/König, Verständnis von Nebenwirkungsrisiken im Beipackzettel: Eine Umfrage unter Ärzten, Apothekern und Juristen, Dtsch Arztebl Int. 2013, 669 ff., die zu dem Ergebnis gelangen, dass die in Beipackzetteln benutzten Definitionen nicht dem alltäglichen Gebrauch der Begriffe entsprechen). So wird ein Patient bei seinen Überlegungen in Bezug auf eine etwaige Einwilligung üblicherweise nicht etwa danach differenzieren, ob ein Risiko „selten“ (bis zu einem von 1.000 Patienten) oder „sehr selten“ (bis zu einem von 10.000 Patienten) auftritt (so etwa auch KG, Urteil vom 02.12.2013 – 20 U 292/12, MDR 2014, 717, 718; Gödicke, MedR 2016, 347, 348; Martis/Winkhart-Martis, MDR 2017, 858, 866). Überdies ist zu berücksichtigen, dass die Genehmigung und Überwachung von Arzneimitteln in einen regulatorischen Kontext eingebettet ist, der eine mit der statistischen Erfassung von Risiken eines operativen Eingriffs nicht vergleichbare internationale Datenlage geschaffen hat (s. Kunze, GesR 2015, 534, 535 [OLG Nürnberg 30.04.2015 – 5 U 2282/13]).

Es kommt hinzu, dass Risikostatistiken für das Maß der Aufklärung ohnehin von nur geringem Wert sind. Entscheidend für die ärztliche Hinweispflicht ist nicht ein bestimmter Grad der Risikodichte, insbesondere nicht eine bestimmte Statistik. Maßgebend ist vielmehr, ob das betreffende Risiko dem Eingriff spezifisch anhaftet und es bei seiner Verwirklichung die Lebensführung des Patienten besonders belastet (vgl. etwa BGH, Urteil vom 30.09.2014 – VI ZR 443/13, NJW 2015, 74, 75; Senat, Urteil vom 29.11.2016 – 8 U 143/13, juris; Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl. 2014, Kap. C, Rdnr. 43 u. 49).

2. Nach alledem muss auch das Feststellungsbegehren des Klägers ohne Erfolg bleiben.

3. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die im Berufungsrechtszug entstandenen Kosten zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in den §§ 708 Nr. 10 Sätze 1 und 2, 711 ZPO.

4. Die Revision ist zuzulassen.

Der Sache kommt grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zu. Dies ist dann der Fall, wenn die Sache eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl weiterer Fälle stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 04.11.2008 – 1 BvR 2587/06, NJW 2009, 572, 573; Beschluss vom 27.05.2010 – 1 BvR 2643/07, FamRZ 2010, 1235, 1236; Beschluss vom 29.09.2010 – 1 BvR 2649/06, juris; BGH, Beschluss vom 04.07.2002 – V ZB 16/02, NJW 2002, 3029; Ball, in: Musielak/Voit (Hrsg.), Kommentar zur ZPO, 14. Aufl. 2017, § 543 ZPO, Rdnr. 5; Heßler, in: Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 543, Rdnr. 11; Kessal-Wulf, in: Vorwerk/Wolf (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar ZPO, Stand: 01.09.2016, § 543, Rdnr. 19). Klärungsbedürftig sind dabei solche Rechtsfragen, deren Beantwortung zweifelhaft ist oder zu denen unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und die noch nicht oder nicht hinreichend höchstrichterlich geklärt sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.07.2007 – 1 BvR 650/03, NJW-RR 2008, 26, 29; Beschluss vom 27.05.2010 – 1 BvR 2643/07, FamRZ 2010, 1235, 1236; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 03.09.2013 – 15 U 92/12, ZEV 2013, 674, 677; Heßler, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 32. Aufl. 2018, § 543, Rdnr. 11).

Wie dargelegt, ist die Rechtsfrage, ob sich etwaige verbale Risikobeschreibungen (gelegentlich, selten, sehr selten etc.) in Aufklärungsbögen an den Häufigkeitsdefinitionen des Medical Dictionary for Regulatory Activities (MedDRA), die in Medikamentenbeipackzetteln Verwendung finden, zu orientieren haben, in Rechtsprechung und Literatur umstritten.

Dieser Beitrag wurde unter Arztrecht abgelegt und mit verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.