OLG München, Urteil vom 21.06.2013 – 25 U 4527/11
Zum Umfang der Pflicht des Antragstellers einer Berufsunfähigkeitsversicherung, Angaben über Vorerkrankungen zu machen (Rn.24).
Die Versicherung kann ihrer Rücktrittserklärung nicht mit “nachgeschobenen” Gründen zur Wirksamkeit verhelfen (Rn.48).
Tenor
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Landgerichts München I vom 22.09.2011, Az. 26 O 19753/07, in Ziffer 1. wie folgt abgeändert:
Es wird festgestellt, dass der Versicherungsvertrag über die Berufsunfähigkeitsversicherung mit der Nummer …46 durch die Anfechtungserklärung der Beklagten vom 19.04.2007 nicht beendet worden ist.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Zeitraum vom 01.02.2007 bis zum 28.02.2010 einen Betrag in Höhe von 72.693,16 EUR zu bezahlen, zuzüglich Verzugszins in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 7.858,72 EUR seit dem 01.05.2007 sowie aus jeweils weiteren 1.964,68 EUR seit dem 01.06.2007, 01.07.2007, 01.08.2007, 01.09.2007, 01.10.2007, 01.11.2007, 01.12.2007, 01.01.2008, 01.02.2008, 01.03.2008, 01.04.2008, 05.01.2008, 01.06.2008, 01.07.2008, 01.08.2008, 01.09.2008, 01.10.2008, 01.11.2008, 01.12.2008, 01.01.2009, 01.02.2009, 01.03.2009, 01.04.2009, 01.05.2009, 01.06.2009, 01.07.2009, 01.08.2009, 01.09.2009, 01.10.2009, 01.11.2009, 01.12.2009, 01.01.2010.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger aus der Berufsunfähigkeitsversicherung mit der Nummer …46 ab dem 01.03.2010 – monatlich im voraus – und längstens bis zum regulären Ablauf der Versicherung am 01.12.2016 eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente von 1.964,68 EUR zu bezahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
III. Die Anschlussberufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
IV. Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz und im Berufungsverfahren trägt der Kläger zu 14 %, die Beklagte zu 86 %.
V. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung je durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des gegen sie vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des je zu vollstreckenden Betrages leistet.
VI. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren und – in teilweiser Abänderung des landgerichtlichen Beschlusses vom 22.09.2011 – für das erstinstanzliche Verfahren ab 12.02.2010 auf 127.143,92 € festgesetzt.
Gründe
I.
1
Der Kläger verlangt von der Beklagten Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung ab Februar 2007 und will deren Fortbestehen festgestellt wissen. Die Beklagte beruft sich für ihre Leistungsverweigerung insbesondere darauf, dass sie wegen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht wirksam den Rücktritt vom Versicherungsvertrag sowie dessen Anfechtung erklärt habe.
2
Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Endurteil vom 22.09.2011 wird Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO.
3
Das Landgericht hat die Klage weitgehend abgewiesen. Zwar sei eine arglistige Täuschung durch den Kläger nicht nachgewiesen, so dass insoweit der Feststellungsantrag zugesprochen wurde, der Rücktritt sei jedoch berechtigt. Da bei der Berufsunfähigkeit nach sachverständiger Feststellung Umstände mitwirkten, in Ansehung derer die Anzeigepflicht verletzt worden sei, bestehe auch kein Leistungsanspruch. Im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.
4
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er sein erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt. Die Beklagte hat Anschlussberufung erhoben mit dem Ziel, eine vollständige Klageabweisung zu erreichen.
5
Der Kläger rügt insbesondere die Beweiswürdigung des Landgerichts zur Verletzung der Anzeigepflicht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht. Dabei stützt er sich teils auf ein privat erholtes Sachverständigengutachten. Die Schlussfolgerung des Landgerichts, dass der Kläger tatsächlich die laut AOK in den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen enthaltenen Diagnosen als Krankheiten gehabt habe, sei nicht nachvollziehbar. Bei einem Teil der Krankschreibungen sei schon die Diagnose von der AOK unzutreffend angegeben, bei einem weiteren Teil hätten den Bescheinigungen keine tatsächlichen Krankheiten und Beschwerden zugrundegelegen, der Kläger habe sie sich vielmehr wegen Problemen am Arbeitsplatz verschafft. Hierzu werden ergänzend schriftliche Unterlagen des Zeugen Dr. N. und aus der arbeitsrechtlichen Auseinandersetzung im Jahr 1998 vorgelegt. Das Landgericht habe auch die Zeugenaussagen der Ärzte unzutreffend gewürdigt und verschiedene Indizien nicht in seine Beweiswürdigung einbezogen. Die verbleibenden Arbeitsunfähigkeitszeiten bzw. Erkrankungen seien mangels Erheblichkeit nicht anzeigepflichtig gewesen, zumal die Gesundheitsfragen im Antrag unklar gestellt worden seien. Das Landgericht habe schließlich unzutreffend ein Verschulden des Klägers angenommen und sei dabei der Frage des behaupteten Vergessens gesundheitlicher Störungen aus der Vergangenheit nicht nachgegangen.
6
Hinsichtlich des Leistungsantrags rügt der Kläger, dass das Landgericht zu Unrecht von einer Mitursächlichkeit anzeigepflichtiger Umstände ausgegangen sei und erhebt in diesem Zusammenhang verschiedene Einwendungen gegen das gerichtliche Sachverständigengutachten, wobei er sich auf das beigefügte Privatgutachten stützt.
7
Im Einzelnen und zu weiteren Rügen sowie zur Erwiderung auf die Anschlussberufung der Beklagten wird auf die Berufungsbegründung und die nachfolgenden Schriftsätze des Klägers im Berufungsverfahren Bezug genommen.
8
Der Kläger beantragt im Berufungsverfahren:
9
I. Das Endurteil des Landgerichts München I vom 22.09.2011, Az. 26 O 19753/07, wird teilweise abgeändert.
10
II. Es wird festgestellt, dass der zwischen den Parteien bestehende Vertrag über die Berufsunfähigkeitsversicherung mit der Nummer …46 auch nicht durch die Rücktrittserklärung der Beklagten vom 19.04.2007 beendet worden ist, sondern unverändert weiterbesteht.
11
III. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Zeitraum vom 01.02.2007 bis zum 28.02.2010 einen Betrag in Höhe von 72.693,16 EUR zu bezahlen, zuzüglich Verzugszins in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 7.858,72 EUR seit dem 01.05.2007 sowie aus jeweils weiteren 1.964,68 EUR seit dem 01.06.2007, 01.07.2007, 01.08.2007, 01.09.2007, 01.10.2007, 01.11.2007, 01.12.2007, 01.01.2008, 01.02.2008, 01.03.2008, 01.04.2008, 05.01.2008, 01.06.2008, 01.07.2008, 01.08.2008, 01.09.2008, 01.10.2008, 01.11.2008, 01.12.2008, 01.01.2009, 01.02.2009, 01.03.2009, 01.04.2009, 01.05.2009, 01.06.2009, 01.07.2009, 01.08.2009, 01.09.2009, 01.10.2009, 01.11.2009, 01.12.2009, 01.01.2010.
12
IV. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger aus der Berufsunfähigkeitsversicherung mit der Nummer …46 ab dem 01.03.2010 – monatlich im voraus – und längstens bis zum Ablauf der Versicherung am 01.12.2016 eine monatliche Berufsunfähigkeitsrente von 1.964,68 EUR zu bezahlen.
13
V. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger ab dem 01.02.2007 von der Beitragszahlungspflicht für die bei der Beklagten unterhaltenen Berufsunfähigkeitsversicherung mit der Nummer …46 freizustellen.
14
VI. Im Übrigen bleibt das Urteil des LG bestehen.
15
Die Beklagte beantragt im Berufungsverfahren:
16
Das Endurteil des LG München I vom 22.09.2011, Az. 26 O 19753/07, wird in Ziff. 1 abgeändert und die Klage vollumfänglich abgewiesen.
17
Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Anschlussberufung.
18
Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Berufung des Klägers unbegründet sei. Das Landgericht sei darüber hinaus zu Unrecht von einer lediglich fahrlässigen Anzeigepflichtverletzung ausgegangen: der Kläger habe ihm bekannte und massive Rückenbeschwerden verschwiegen und damit arglistig gehandelt. Daher sei auch die Anfechtung des Versicherungsvertrages durch die Beklagte wirksam gewesen.
19
Im Übrigen verteidigt die Beklagte die Entscheidung des Landgerichts und tritt der Berufungsbegründung im Einzelnen entgegen, wobei sie in einem Teilbereich Verspätung rügt. Auf die Berufungserwiderung und die nachfolgenden Schriftsätze der Beklagten im Berufungsverfahren wird Bezug genommen.
20
Der Senat hat mit Verfügung vom 30.10.2012 (Bl. 451/452 d.A.) rechtliche Hinweise erteilt. Auf diese wird Bezug genommen. Der Senat hat mündlich verhandelt und weiteren Beweis erhoben durch nochmalige Vernehmung des Zeugen Dr. N. und Vernehmung des Zeugen P. (anstelle des erstinstanzlich vernommenen Zeugen B.). Auf die Verhandlungsprotokolle vom 15.01.2013 (462/464 d.A.) und vom 14.05.2013 (Bl. 472/478 d.A.) wird verwiesen.
II.
21
Die zulässige Berufung des Klägers ist teilweise, soweit der Leistungsantrag auf rückständige und zukünftige Berufsunfähigkeitsrente betroffen ist, begründet, im Übrigen unbegründet. Die zulässige Anschlussberufung ist unbegründet und war daher zurückzuweisen.
22
1. Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht festgestellt, dass die Beklagte mit dem Schreiben vom 19.04.2007 (Anlage K 13) wirksam den Rücktritt vom Versicherungsvertrag gemäß § 16 Abs. 2 VVG a.F. wegen schuldhafter Anzeigepflichtverletzung erklärt hat. Die Berufung ist insoweit (Ziffer II. des Berufungsantrags) unbegründet.
23
Nach § 16 Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. hat der Versicherungsnehmer bei Schließung des Vertrages alle ihm bekannten Umstände, die für die Übernahme der Gefahr erheblich sind, dem Versicherer anzuzeigen. Erheblich sind die Gefahrumstände, die geeignet sind, auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, einen Einfluss auszuüben. Hat der Versicherer ausdrücklich und schriftlich nach einem Umstand gefragt, so wird nach § 16 Abs. 1 Satz 3 VVG a.F. widerleglich vermutet, dass dieser gefahrerheblich ist.
24
Vorliegend hat der Kläger sämtliche Gesundheitsfragen im Antrag vom 20.11.1999 verneint und zur Frage unter Buchstabe n): “Welcher Arzt/Behandler, der Sie in den letzten 5 Jahren untersucht, beraten oder behandelt hat, ist am besten über Ihren Gesundheitszustand informiert?”, angegeben: “Kein Hausarzt vorhanden”. Dabei war unter Buchstabe e) gefragt worden: “Bestehen oder bestanden in den letzten 10 Jahren Beschwerden, Störungen, Krankheiten oder Vergiftungen? (z.B. Herz, Kreislauf, …(diverse weitere Einzelbereiche), Diabetes, Epilepsie)”, unter Buchstabe f): “Bestehen oder bestanden Krankheitssymptome an Wirbelsäule, Bandscheiben, Gelenken, Knochen? Besteht eine Amputation?“ und unter Buchstabe h): “Angaben früherer Krankenhausaufenthalte, Operationen, besondere Untersuchungen oder ärztliche Behandlung (wurden bei Untersuchungen, z.B. Blutuntersuchungen, Blutdruck, Harn, EKG, Krebsfrüherkennung, krankhafte Befunde erhoben?)” (vgl. Anlage K 1).
25
Nach der ergänzenden Beweisaufnahme steht zur hinreichenden Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger damit gefahrerhebliche Umstände im Sinne des § 16 Abs. 1 VVG a.F. nicht angegeben hat, wenn auch in geringerem Umfang als im Rücktrittsschreiben aufgeführt und vom Landgericht angenommen. Der Kläger hat nicht nachgewiesen, dass die Nichtanzeige unverschuldet war, § 16 Abs. 3 VVG a.F.
26
Das OLG Köln hat die Grundsätze der Anzeigepflicht in einem Urteil vom 30.09.2011, Az. 20 U 43/11, treffend wie folgt zusammengefasst (vgl. Rz. 34 bei juris): “Zwar hat nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der künftige Versicherungsnehmer die in einem Versicherungsantragsformular gestellte Frage nach Krankheiten, Störungen oder Beschwerden grundsätzlich erschöpfend zu beantworten. Er darf sich daher bei seiner Antwort weder auf Krankheiten oder Schäden von erheblichem Gewicht beschränken noch sonst eine wertende Auswahl treffen und vermeintlich weniger gewichtige Gesundheitsbeeinträchtigungen verschweigen. Andererseits ist aber auch anerkannt, dass der Versicherungsnehmer in seinem Antrag auf Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung bei der sehr weit gefassten Antragsfrage nach Krankheiten, Störungen und Beschwerden solche Gesundheitsbeeinträchtigungen, die offenkundig belanglos sind und alsbald vergehen, nicht angeben muss (vgl. BGH NJW-RR 2003, 1106, 1107). Ob eine bei Antragstellung anzuzeigende Gesundheitsstörung oder eine nicht anzeigepflichtige Befindlichkeitsstörung vorliegt, ist unter Berücksichtigung aller Gesamtumstände zu beurteilen (vgl. Voit/Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 2. Aufl., Kapitel M Rn. 23). Abzustellen ist auf das Gesamtbild, das die Erkrankungen über den Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers vermitteln (Voit/Neuhaus, a.a.O., Kapitel M Rn. 24). So können auch auffallend viele Gesundheitsbeeinträchtigungen, von denen jede für sich genommen nicht gravierend ist, gefahrerheblich sein, weil sie als indizierende Umstände Rückschlüsse auf den allgemeinen Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers zulassen und auf eine möglicherweise noch verborgene Gefahrenlage hinweisen (vgl. OLG Hamm r + s 1991, 66). Auch sprechen häufige Arztbesuche, selbst wenn keine konkreten Behandlungsmaßnahmen vorliegen, gegen eine Bagatellerkrankung (vgl. OLG Celle VersR 2007, 1355).”
27
Vorliegend bestand eine Anzeigepflicht des Klägers – entgegen dem Landgericht und dem Rücktrittsschreiben – zwar nicht für die gut ein Jahr vor Antragsstellung liegenden, teils von Dr. N., teils von Dr. H. attestierten Arbeitsunfähigkeitszeiten vom 30.07.1998 bis 11.09.1998 zunächst wegen LWS-Syndrom bzw. “BWK 8/9″ und in der Folge wegen Insertionstendopathie. Denn für diesen Zeitraum konnte sich der Senat keine hinreichend sichere Überzeugung davon bilden, dass der Kläger überhaupt krank war oder Beschwerden im attestierten Sinne hatte.
28
Den damaligen Krankschreibungen, die ein gewichtiges Indiz für das tatsächliche Vorliegen entsprechender Beschwerden darstellen, lagen nach den Zeugenaussagen der Ärzte lediglich Angaben des Klägers über die Beschwerden zugrunde, keine eigenen Untersuchungen oder durchgeführte Behandlungen. Irgendwelche objektiven Befunde liegen für diesen Zeitraum nicht vor. Der Kläger hat zwar seine ursprüngliche Behauptung, Dr. N. habe ihm die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen wegen Problemen mit “Mobbing” am Arbeitsplatz, also letztlich als Gefälligkeitsattest ausgestellt, nicht nachweisen können. Er hat aber durch die im Berufungsverfahren erfolgte Vorlage weiterer Unterlagen zu seiner arbeitsrechtlichen Auseinandersetzung (über die Abmahnschreiben vom 29.07.1998, Anlagen K 14 bis K 16, hinaus), insbesondere durch Vorlage des damaligen Schriftverkehrs seiner Rechtsanwälte inklusive der damals letztlich erzielten Aufhebungsvereinbarung (vgl. Anlagen K 49 bis K 57 zum Schriftsatz vom 10.04.2012, Bl. 356/403 d.A.) die starke Indizwirkung der Bescheinigungen erschüttert. Der Senat hält das Vorbringen auch nicht für verspätet gemäß § 531 ZPO, da die Tatsachenbehauptung im Kern – den Bescheinigungen lägen keine tatsächlichen Gesundheitsbeschwerden zugrunde – bereits erstinstanzlich schlüssig vorgetragen wurde und diese nun in den Umständen modifiziert und – nach Kenntnis der Urteilsgründe – ergänzend belegt wurde.
29
Die schon in der Klageschrift aufgestellte und im Berufungsverfahren modifizierte Einlassung des Klägers, dass er damals keine gesundheitlichen Beschwerden gehabt, sondern solche nur vorgeschützt habe, um sich die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen wegen der arbeitsrechtlichen Problematik zu verschaffen (vgl. Seiten 17/18 des Schriftsatzes vom 10.04.2012), ist auf Grundlage der ergänzenden Unterlagen plausibel und glaubhaft. Es passen die Daten ebenso dazu wie der dem Zeugen Dr. N. noch erinnerliche, ungewöhnliche Wunsch nach einer Gesundschreibung – um für das Arbeitsverhältnis die Krankheits- und Urlaubszeiten finanziell möglichst günstig zu legen. Der Senat hält es insgesamt letztlich für wahrscheinlicher, dass der Kläger in diesem Zeitraum gar nicht krank war und die Beschwerden vorgeschützt hat, als dass diesen Krankschreibungen tatsächlich Beschwerden zugrundelagen.
30
Dabei stellt der Senat maßgeblich auf die Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers in diesem Punkt, nicht auf dessen persönliche Glaubwürdigkeit ab. Die vorläufige Einschätzung persönlicher Glaubwürdigkeit aus der mündlichen Verhandlung vom 09.06.2009 im “1. Durchgang” vor dem Oberlandesgericht (vgl. Protokoll vom 09.06.2009 Seite 6, Bl. 165 d.A.) hält der Senat so nicht aufrecht. Der in weiteren Verhandlungen gewonnene persönliche Eindruck, die wechselnden Einlassungen im Verfahren und auch die Angaben des Klägers zu seinem Taktieren in seinen Arbeitsverhältnissen, in denen er sich subjektiv als “Mobbingopfer” sieht, vermitteln insgesamt den Eindruck, dass beim Kläger eine gewisse Bereitschaft besteht, eigenes Verhalten zu beschönigen und ein aus seiner subjektiven Sicht für berechtigt gehaltenes Ziel bei Bedarf auch mit “unsauberen” Mitteln zu verfolgen. In der letzten mündlichen Verhandlung hat er auch deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er die – rechtlich zulässige – Praxis der Beklagten (und der Versicherer allgemein), sich zunächst auf bloße Fragen bei Antragstellung zu beschränken und erst bei Beanspruchung von Leistungen eine eingehende Überprüfung der Gesundheitsverhältnisse vorzunehmen und etwaige Diskrepanzen dann zum Anlass einer Leistungsverweigerung wegen Rücktritts/Anfechtung zu nehmen, für ein unzulässiges und verwerfliches Geschäftsgebaren zu Lasten der Versicherungsnehmer hält. Zudem ist der Prozess natürlich von ganz erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung für den Kläger.
31
Der Senat geht weiter entgegen dem Landgericht auch von nur einmal Lumbago im Jahr 1995 (und zwar vom 22.06.1995 bis 29.06.1995) aus, wie es der Zeuge Dr. N. bereits bei seiner erstinstanzlichen Aussage bekundet hat, und was nun durch die wiederholte Aussage dieses Zeugen vor dem Senat und durch dessen Praxisunterlagen (Anlage K 48 zum Schriftsatz vom 20.11.2012, Bl. 453/454 d.A.) geklärt ist. Die Krankschreibung vom 16.01.1995 bis 12.02.1995 betraf Gastritis und Neuralgie. Soweit der Kläger entgegen seinem ursprünglichen Vortrag aus der Klageschrift, in dem er sich insoweit auf Vergessen berief, im späteren Verlauf des Verfahrens auch für das Jahr 1995 behauptet, dass damals wegen Arbeitsplatzproblemen Beschwerden nur vorgetäuscht worden wären, folgt der Senat dem nicht. Objektive Belege dafür fehlen, die Einlassung ist wechselhaft und der Kläger nicht hinreichend glaubwürdig.
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Hingegen bestehen keine Zweifel daran, dass der Kläger zunächst im Jahr 1994 einen stechenden Schmerz im Zwischenrippenbereich hatte, der zur Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 26.09.1994 bis 02.10.1994 wegen Intercostalneuralgie führte, und dass er im Februar 1998 beim Zeugen Dr. H. wegen Beschwerden in der Brust- und Lendenwirbelsäule war, wobei eine sogenannte manuelle Therapie durchgeführt, gequaddelt und eine Röntgenaufnahme gemacht wurde, sowie Krankengymnastik und Medikamente verschrieben wurden.
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Ersteres hat der Kläger selbst in seiner Anhörung vor dem Senat am 09.06.2009 bestätigt, Letzteres ergibt sich teils ebenfalls aus dieser Anhörung und der schon früheren Angabe des Klägers, dass “1996″ (richtig: 1998) eine Spondylose bei ihm festgestellt worden sei, teils aus der Aussage des Dr. H. vor dem Landgericht am 18.11.2009. Dabei legt der Senat – wie das Landgericht – hinsichtlich der Einzelheiten der Untersuchung und Behandlung die glaubhaften und glaubwürdigen Angaben des Zeugen H. zugrunde.
34
Auch hinsichtlich der ca. 2 Monate später erfolgten Krankschreibung vom 23.04.1998 bis 05.05.1998 durch Dr. N. wegen Spondylarthrose ist der Senat mit hinreichender Sicherheit davon überzeugt, dass dem tatsächliche Beschwerden des Klägers im Wirbelsäulenbereich zugrundelagen. Die Krankschreibung erfolgte zwar ohne Untersuchung auf vom Arzt für glaubwürdig erachtete Angaben des Klägers hin. Es besteht aber nicht nur ein zeitlicher Zusammenhang mit der kurz zuvor erfolgten Untersuchung bei Dr. H., sondern auch ein sachlicher hinsichtlich der vermutlich von dort mitgebrachten Diagnose. Die bloße Behauptung des Klägers, dass er auch hier Beschwerden wegen als Mobbing empfundener Arbeitsplatzprobleme nur vorgetäuscht habe, hält der Senat ohne aussagekräftige objektive Belege für diese Zeit für nicht glaubwürdig.
35
Jedenfalls die den Zwischenrippenbereich, die Wirbelsäule und den Rücken betreffenden Beschwerden und Untersuchungen aus den Jahren 1994/1995 einerseits, Februar/April 1998 andererseits hätte der Kläger als gefahrerhebliche Umstände angeben müssen. Es handelte sich hier nämlich (anders als im oben zitierten Fall des OLG Köln) nach den Gesamtumständen – vor allem wiederholtes Auftreten von Beschwerden mit Versuch diagnostischer Abklärung im Februar 2008, den Wirbelsäulenbereich belastende berufliche Tätigkeit des Klägers als Pfleger, Auslöser nicht nur durch Ausnahmesituationen wie z.B. beim Sport – nicht lediglich um eine Gesundheitsbeeinträchtigung, die “offenkundig belanglos ist und alsbald vergeht” und daher nicht anzeigepflichtig ist. Vielmehr greift vorliegend die Vermutung des § 16 Abs. 1 Satz 3 VVG a.F., wonach ausdrücklich abgefragte Umstände (hier auch bloße Beschwerden unter Krankheitswert und bloße Krankheitssymptome an der Wirbelsäule) als gefahrerheblich vermutet werden. Aufgrund der Aussagen der Zeugen Breuer und Peters in Zusammenhang mit den allgemeinen Kenntnissen des auf Versicherungsrecht spezialisierten Senats von den Risikoprüfungsgrundsätzen der Berufsunfähigkeitsversicherer im Allgemeinen und der Beklagten im Besonderen hat der Senat auch keinen Zweifel daran, dass die Beklagte die Angaben bei zutreffender Angabe dieser Beschwerden und der Untersuchung im Antrag wegen einer sich als möglich abzeichnenden Wirbelsäulenproblematik als gefahrerheblich eingestuft hätte, in eine nähere Risikoprüfung eingetreten wäre und den Vertrag nicht wie geschehen, sondern allenfalls abgeändert, etwa mit Ausschlussklausel oder Risikozuschlag, abgeschlossen hätte.
36
Der Kläger hat auch nicht nachweisen können, dass die fehlenden Angaben unverschuldet erfolgt wären. Die Gesundheitsfragen unter e) und f) waren zwar umfassend, aber ausreichend klar und erfassten ersichtlich jedenfalls die letzten 10 Jahre; die anzeigepflichtigen Umstände lagen teils weniger als 2 Jahre, teils knapp bzw. wenig über 5 Jahre zurück. Die Einlassung des Klägers, er habe die Vorfälle aus 1994 und 1995 bei Antragstellung vergessen gehabt, ist unglaubwürdig. Denn an die Diagnostik beim Zeugen Dr. H. bezüglich einer (diskreten) “Spondylose” hat er sich unstreitig erinnert, diese ja im Antrag auf Versicherungsleistungen selbst angegeben. Dann wird er auch gewusst haben, ob es zu dieser Untersuchung aufgrund eines einmaligen, besonderen Vorfalls oder aufgrund wiederholter Beschwerden kam. In seiner Anhörung vor dem OLG am 09.06.2009 hat er ohnehin bekundet, dass es dazu wegen der vorangegangenen Schmerzen im Zwischenrippenbereich gekommen war. Es handelte sich auch um längerfristige Krankschreibungen und der Kläger war außerhalb 1994/1995 und 1998 überhaupt nicht krankgeschrieben; daher müsste er sich an die seltenen, aber nicht nur kurzfristigen Beschwerdezeiten umso besser erinnern.
37
Schließlich ist auch nicht davon auszugehen, dass der Kläger die Beschwerden ohne Fahrlässigkeit für nicht gefahrerheblich gehalten hat bzw. halten durfte. Wie dargestellt und aus dem Antrag ersichtlich, beschränkten sich die Gesundheitsfragen weder auf schwere oder andauernde Krankheiten noch auf solche von erheblichem Gewicht, sondern fragten gerade auch bloße Beschwerden unter Krankheitswert und Symptome ab. Daraus war für einen verständigen Versicherungsnehmer zu entnehmen, dass sich die Beklagte ein möglichst umfassendes Bild über etwa bestehende erhöhte Risiken verschaffen wollte. Es musste auch dem Kläger klar sein, dass wiederholte Beschwerden im Bereich der Brust- und Rückenwirbelsäule und auch mäßige, weit verbreitete Verschleißerscheinungen an der Wirbelsäule angesichts seines Berufs als Pfleger für die Beklagte von Interesse sein könnten – anders als die der attestierten Gastritis und Neuralgie zugrundeliegenden Beschwerden (dort erscheint zudem bereits die Gefahrerheblichkeit trotz der Aussage des Zeugen P. fraglich).
38
Da der Rücktritt auf dieser Grundlage berechtigt erfolgte, kommt es an dieser Stelle auf die erstmals mit der Klageerwiderung ergänzend geltend gemachten Rücktrittsgründe wegen Nichtangabe der gesundheitlichen Auswirkungen des Motorradunfalls 1982 mit verbleibender Versteifung des rechten Sprunggelenks nicht an.
39
2. Das Landgericht hat ebenfalls zutreffend angenommen, dass dem Kläger bei der Verneinung sämtlicher Gesundheitsfragen zwar schuldhaftes, aber kein arglistiges Verhalten vorgeworfen werden kann. Die Anschlussberufung ist daher unbegründet.
40
Von einem arglistigen Verhalten ist auszugehen, wenn der Täuschende weiß oder damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass er unzutreffende Angaben macht, und dass dadurch bei dem Empfänger seiner Erklärung eine falsche Vorstellung entsteht und diese ihn zu einer Erklärung veranlasst, die er bei richtiger Kenntnis der Dinge nicht oder nicht so abgegeben haben würde. Das Tatbestandsmerkmal der Arglist erfasst nicht nur ein Handeln, das von betrügerischer Absicht getragen ist, sondern auch solche Verhaltensweisen, die auf bedingten Vorsatz im Sinne eines “Fürmöglichhaltens” reduziert sind und mit denen kein moralisches Unwerturteil verbunden sein muss (BGH NJW 2001, 2326; OLG Karlsruhe NJW-RR 2006, 463). Auf Arglist als innere Tatsache kann regelmäßig nur auf der Grundlage von Indizien geschlossen werden. Voraussetzung für die Annahme einer arglistigen Täuschung ist somit, dass der Versicherungsnehmer mit wissentlich falschen Angaben von Tatsachen bzw. dem Verschweigen anzeige- und offenbarungspflichtiger Umstände auf die Entschließung des Versicherers, seinen Versicherungsantrag anzunehmen, Einfluss nehmen will und sich bewusst ist, dass der Versicherer möglicherweise seinen Antrag nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen annehmen werde, wenn er wahrheitsgemäße Angaben mache. Arglistig täuscht im Sinne des § 123 BGB damit nur derjenige, dem bei der Beantwortung der Fragen nach dem Gesundheitszustand oder früherer Behandlungen auch bewusst ist, dass die Nichterwähnung der nachgefragten Umstände geeignet ist, die Entschließung des Versicherers über die Annahme des Vertragsangebots zu beeinflussen (OLG Karlsruhe NJW-RR 2006, 463).
41
Dabei gibt es keinen allgemeinen Satz der Lebenserfahrung des Inhalts, dass eine bewusst unrichtige Beantwortung von Fragen nach dem Gesundheitszustand oder früheren Behandlungen immer oder nur in der Absicht gemacht zu werden pflegt, auf den Willen des Versicherers Einfluss zu nehmen. Denn häufig werden unrichtige Angaben über den Gesundheitszustand auch aus falsch verstandener Scham, aus Gleichgültigkeit, aus Trägheit oder einfach in der Annahme gemacht, dass die erlittenen Krankheiten bedeutungslos seien. Deshalb muss der Versicherer entsprechend den allgemeinen Beweislastregeln nachweisen, dass der Versicherungsnehmer mit Hilfe der Abgabe einer falschen Erklärung auf den Willen des Versicherers einwirken wollte, sich also bewusst war, der Versicherer werde seinen Antrag nicht oder möglicherweise nur unter erschwerten Bedingungen annehmen, wenn der Versicherungsnehmer die Fragen wahrheitsgemäß beantworten würde. Da es sich bei dem Bewusstsein des Versicherungsnehmers um eine innere Tatsache handelt, kann der Beweis in der Praxis meist nur durch einen Indizienbeweis geführt werden (vgl. aus neuester Zeit OLG Karlsruhe, Urteil vom 05.02.2013, Az. 12 U 140/12, Rz. 37 ff. bei juris).
42
Entgegen der Begründung der Anschlussberufung ist vorliegend davon auszugehen, dass dem Kläger keine massiven Rückenbeschwerden bekannt waren, sondern nur – vgl. oben – gelegentliche Beschwerden und mäßige, in seinem Alter weit verbreitete Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule. Da die Beschwerden auch jeweils ohne besondere Behandlungen zurückgingen, kann dem Kläger zwar vorgeworfen werden, dass er fahrlässig ihre Gefahrerheblichkeit verkannt habe, nicht aber, dass er im beschriebenen Sinne arglistig gehandelt hätte. Auch das Indiz, dass der Kläger neben der Verneinung der Gesundheitsfragen auf die Frage nach dem am besten informierten Arzt in den letzten 5 Jahren mit “Kein Hausarzt vorhanden” geantwortet und damit letztlich den Eindruck vermittelt hat, so gesund zu sein, dass er nicht einmal einen Hausarzt braucht, reicht dem Senat angesichts der sonstigen Umstände zum Beweis arglistigen Handelns nicht aus.
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Hinsichtlich der verschwiegenen Folgen des Motorradunfalls, die hier, da binnen Jahresfrist nachgeschoben, zu berücksichtigen sind, ist ebenfalls keine Arglist zu erkennen. Bei der Gesundheitsfrage h) ist für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer schon nicht eindeutig klar, ob diese entsprechend der Frage e) nur die letzten 10 Jahre betreffen soll, oder hier auch weiter zurückreichend (ggf. bis in die Kindheit) geantwortet werden muss. Beim versteiften Fußgelenk, das unabhängig davon unter Frage f) anzugeben gewesen wäre, ist die Einlassung des Klägers, dass er dem jedenfalls keine Bedeutung beigemessen hätte, nachvollziehbar.
44
3. Der Leistungsantrag des Klägers auf Berufsunfähigkeitsrente für die Vergangenheit und die Zukunft (Ziffern III. und IV. des Berufungsantrags) ist entgegen der Auffassung des Landgerichts zuzusprechen, die Berufung insoweit begründet.
45
Trotz der Wirksamkeit des Rücktritts besteht ein Anspruch auf Leistung. Die Umstände, in Ansehung derer die Anzeigepflicht verletzt wurde, hatten keinen Einfluss auf den Eintritt des Versicherungsfalls und den Umfang der Leistung, § 21 VVG a.F.
46
Für die Beurteilung ist allein auf die Umstände abzustellen, die gemäß obiger Ziffer 1. zum Rücktritt berechtigten und die im Rücktrittsschreiben vom 19.04.2007 zumindest im Ansatz zur Begründung des Rücktritts angeführt worden sind.
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Der Senat hat bereits in der Hinweisverfügung vom 30.10.2012 unter Verweis auf die Entscheidungen des OLG Nürnberg in VersR 1999, 609, und des BGH in VersR 1999, 217, dargelegt, dass bezüglich der Folgen des Motorradunfalls die Einhaltung der Frist des § 20 Abs. 1 VVG a.F., § 9 Nr. 3 Satz 2 EBO 199 fraglich erscheint. Denn in der grundsätzlich fristgerecht erfolgten Rücktritts- und Anfechtungserklärung der Beklagten vom 19.04.2007 ist der Rücktritt allein und vorbehaltlos auf die nichtangegebenen Gesundheitsbeschwerden aus den Jahren 1994, 1995 und 1998 (Wirbelsäulenbeschwerden) gestützt, obwohl der Beklagten aus dem Leistungsantrag vom 15.03.2007 und den Unterlagen aus der Leistungsprüfung der Unfall im Jahr 1982 und dessen gesundheitliche Folgen bereits bekannt waren (vgl. Klageerwiderung vom 07.02.2008, Seite 8 ff., Bl. 30 ff. d.A., mit Anlagen B 1 und B 5 bis B 7). Die Nichtangabe des Motorradunfalls und seiner Folgen im Versicherungsantrag 1999 wurde erst mit der Klageerwiderung vom 07.02.2008 (Seite 15, Bl. 37 d.A.) zur Begründung von Rücktritt (und Anfechtung) „nachgeschoben“. Die Monatsfrist für die Rücktrittserklärung war da bereits abgelaufen.
48
Der Senat hält seine vorläufige Einschätzung, dass ein „Nachschieben von Rücktrittsgründen“ nach Fristablauf bei der hier vorliegenden Konstellation unzulässig erscheint, aufrecht.
49
Der Rücktritt und auch die für ihn geltende Monatsfrist sind vorliegend neben den gesetzlichen Bestimmungen auch in § 9 Nr. 3 EBO 199 geregelt. Dort wird dem Versicherungsnehmer dargestellt, dass der innerhalb eines Monats nach Kenntnis von “der Verletzung der Anzeigepflicht” erklärte Rücktritt gegenstandlos wird, wenn er nachweist, dass “die falschen oder unvollständigen Angaben” schuldlos gemacht wurden, bzw. die Leistungspflicht bestehen bleibt, wenn nachgewiesen wird, dass “die nicht oder nicht richtig angegebenen Umstände” nicht kausal für den Versicherungsfall waren. Das Rücktrittsschreiben vom 19.04.2007 gibt konkret und genau an, wegen welcher attestierten Arbeitsunfähigkeitszeiten mit Diagnose und wegen welcher Antragsfragen die Beklagte die Anzeigepflicht wegen nicht angegebener Beschwerden verletzt sah. Dies betraf allein die Rücken- bzw. Wirbelsäulenproblematik, das Schreiben führt an, dass die Beklagte “deshalb davon ausgehen musste, dass Sie (der Kläger) kein erhöhtes Risiko darstellen”; es enthält auch keinerlei Vorbehalt, ist vielmehr abschließend abgefasst.
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Jedenfalls bei dieser Gestaltung muss ein Nachschieben weiterer schon bekannter Rücktrittsgründe ausgeschlossen sein, da der Versicherungsnehmer abschätzen können muss, ob der so erklärte Rücktritt berechtigt ist oder nicht, und ob er – mit unter Umständen erheblichem zeitlichen und finanziellen Aufwand – den Beweis fehlenden Verschuldens führen kann oder nicht. Die Regelung in den Versicherungsbedingungen zielt ersichtlich nicht darauf ab, dem Versicherer die Möglichkeit zu eröffnen, etwaige bereits bekannte Rücktrittsgründe bei der Rücktrittserklärung in der Hinterhand zu behalten, und diese im Bedarfsfall später ohne zeitliche Begrenzung nachzuschieben.
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Die nicht angegebenen Umstände haben vorliegend keinen Einfluss auf den Eintritt des Versicherungsfalls und den Umfang der Leistung gehabt. Das Landgericht ist in den Entscheidungsgründen ausdrücklich – und ohne dass das zu beanstanden wäre – der Einschätzung des Sachverständigen (vgl. dazu Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 22.09.2011 Seite 4, Bl. 320 d.A.) gefolgt, dass der Kläger auch bei völliger Ausklammerung der Wirbelsäulenproblematik aufgrund der Schulter-, Hüft- und Kniebeschwerden sowie des steifen Sprunggelenks zu mindestens 50 % berufsunfähig wäre. Es hat lediglich deshalb trotzdem Mitursächlichkeit angenommen, weil an dieser verbleibenden vollständigen Berufsunfähigkeit auch das in der Rücktrittserklärung nicht benannte steife Sprunggelenk durch den Unfall im Jahr 1982 mitgewirkt hat und seiner Auffassung nach die Beklagte auch insoweit zum Rücktritt berechtigt war.
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4. Unbegründet ist die Berufung bezüglich der Freistellung von der Beitragspflicht (Ziffer V. des Berufungsantrags). Denn § 21 VVG a.F. erhält dem Kläger zwar den Anspruch auf Leistungen; da der Rücktritt als solcher aber wirksam bleibt, ist für eine Beitragsfreistellung kein Raum. Der Antrag geht wegen des berechtigten Rücktritts der Beklagten vom Versicherungsvertrag ins Leere.
III.
53
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 91 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO. Aufgrund der Anschlussberufung stand die Sache auch im Berufungsverfahren vollumfänglich in Streit. Bezüglich des Feststellungsantrags haben die Parteien je hälftig obsiegt, bezüglich des Antrags auf Berufsunfähigkeitsrente hat der Kläger, bezüglich des Antrags auf Beitragsfreistellung die Beklagte obsiegt. Entsprechend waren die Kosten zu quoteln.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
55
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
56
Die Streitwertfestsetzung für das Berufungsverfahren erfolgte gemäß §§ 3, 9 ZPO, 47, 48 GKG. Die teilweise (ab 12.02.2010) Abänderung der landgerichtlichen Festsetzung beruht auf § 63 Abs. 3 GKG.
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Der Streitwert ab 12.02.2010 und für das Berufungsverfahren war vor allem aufgrund einer Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung niedriger anzusetzen als zunächst angenommen. Denn der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 06.10.2011, Az. IV ZR 183/10, VersR 2012, 76, seine bisherige Rechtsprechung zur Bewertung eines Feststellungsantrages neben einer Klage auf Leistung aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung aufgegeben. Er setzt nun für die Feststellung nur mehr 20 % (anstatt bisher 50 %) der 3,5-fachen Jahresbeträge von Rentenleistung und Versicherungsprämie neben einem Leistungsantrag zusätzlich an. Es errechnet sich damit im Ergebnis folgender Streitwert:
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Feststellungsantrag auf Fortbestehen des BU-Vertrages: 1.964,68 EUR x 12 x 3,5 = 82.516,56 EUR zzgl. 175,79 EUR x 12 x 3,5 = 7.383,18 EUR, insgesamt 89.899,74 EUR; davon 20 % sind 17.979,95 EUR.
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Leistungsantrag für die Zukunft (3,5-facher Jahresbetrag von Rente und Prämie): 1.964,68 EUR x 12 x 3,5 = 82.516,56 EUR zuzüglich 175,79 x 12 x 3,5 = 7.383,18 EUR, insgesamt 89.899,74 EUR.
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Leistungsantrag für die Vergangenheit (Rückstände von Rente und Prämie bis zur Klageerhebung, vgl. BGH NVersZ 1999, 239, hier Februar bis Oktober 2007): 1.964,68 EUR x 9 = 17.682,12 EUR zzgl. 175,79 EUR x 9 = 1.582,11 EUR, insgesamt 19.264,23 EUR.
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Daraus errechnet sich insgesamt ein Streitwert von 127.143,92 EUR.