Ersatzfähigkeit von Reparaturkosten deutlich oberhalb des Restwerts für einen hochwertigen Design-Gegenstand

OLG München, Urteil vom 07.05.2010 – 25 U 5063/09

1. Ob bei einem Schönheitsschaden unter Beurteilung der Zumutbarkeit geforderter Reparaturkosten der Versicherungsnehmer im Rahmen einer Einbruchversicherung die Reparatur oder nur Ausgleich der Wertminderung verlangen kann, ist nicht nach allgemein gültigen Kriterien, sondern für den jeweiligen Einzelfall zu entscheiden.(Rn.23)

2. Besitzt das optische Erscheinungsbild eines Gegenstandes (hier: Designertresor) einen erheblichen Stellenwert, so können auch Reparaturkosten ersatzfähig sein, welche den Restwert nicht unerheblich überschreiten.(Rn.23)

(Leitsätze des Gerichts)

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 28.09.2009 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 4.574,00 €.

Gründe

I.

1

Mit ihrer Klage beansprucht die Klägerin von der Beklagten Versicherungsleistungen in Höhe von 22.655,42 € wegen eines Einbruchschadens. In dieser Summe ist ein Betrag von 7.450,00 € (ohne MWST) für Reparaturkosten des Tresors (Kostenvoranschlag: Anlage K 6 zur Klage) enthalten.

2

Die Beklagte hat Widerklage auf Rückzahlung der geleisteten Vorauszahlung von 10.000,00 € erhoben.

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Auf die tatsächlichen Feststellungen im Urteil des Landgerichts München I vom 28.09.2009 wird Bezug genommen (§ 540 I 1 Nr. 1 ZPO).

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Das Landgericht München I hat durch Urteil vom 28.09.2009 die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 21.169,81 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.03.2007 zu bezahlen und die Klage im Übrigen sowie die Widerklage abgewiesen.

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Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung mit dem Ziel, unter teilweiser Abänderung des Ersturteils Klageabweisung bezüglich eines weiteren Betrags von 4.574,00 € zu erreichen.

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Zur Begründung ihrer Berufung trägt sie im Wesentlichen vor:

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Die Klägerin könne nicht die veranschlagten Reparaturkosten von 7.450,00 € für den beschädigten Tresor verlangen. Ihr stehe lediglich eine Wertminderung zu, die mit 2.876,00 € zu beziffern sei. Hinsichtlich des Differenzbetrages zwischen den erstinstanzlich zugesprochenen Reparaturkosten (7.450,00 €) und der Wertminderung (2.876,00 €) in Höhe von 4.574,00 € sei die Klage deshalb abzuweisen. Nach der von der Klägerin bereits vorgenommenen Ausbesserung sei nur noch ein minimaler Schaden vorhanden. Der Sachverständige P. habe ausgeführt, dass der Schaden auf den ersten Blick sowie im Gesamtfoto nicht ohne weiteres erkennbar sei, da die Schadensstelle bereits mit Farbe ausgebessert worden sei. Maßgeblich für die Frage der Zumutbarkeit des begehrten Kostenersatzes sei, ob der Versicherungsnehmer auch als nicht versicherter Gebäudeeigentümer bei vernünftiger Würdigung die vom Schaden betroffene Sache reparieren oder ersetzen würde. Es sei nicht anzunehmen, dass ein nicht versicherter Eigentümer den Safe wegen einer derartigen Lappalie komplett lackieren lassen würde und den teuren Transport des Safes in Kauf nehmen würde, um die Reparatur durchführen zu lassen. Auf die Entscheidungen des VG Sigmaringen (r + s 1988, 114), AG München (VersR 2000, 581, OLG Düsseldorf (VersR 1994, 670) werde verwiesen. Auch der Sachverständige T. habe in seinem Gutachten ausgeführt, dass die Beschädigung aufgrund des aufgebrachten Lackes nicht sehr gut zu erkennen sei. Es liege ein Totalschaden des Tresors vor. Der Restwert betrage 5.752,00 €. Hierzu stünden die veranschlagten Reparaturkosten von insgesamt 7.450,00 € (Lackierung 5.500,00 € und Transport 1.950,00 €) in keinem Verhältnis. Mit einer Wertminderung von 2.876,00 sei die Klägerin großzügig abgegolten.

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Die Beklagte beantragt,

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das Urteil des Landgerichts München I vom 28.09.2009 teilweise aufzuheben und die Klage teilweise- und zwar in Höhe von 4.574,00 € – abzuweisen.

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Die Klägerin beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Sie führt im Wesentlichen aus:

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Die Optik des Tresors sei nach der Ausbesserung immer noch beeinträchtigt. Auf Seite 3 des Gutachtens des Sachverständigen T. heiße es: „Deutlich ist auf Abbildung 5 die nicht fachgerechte Ausbesserung zu erkennen.“ Ihr stehe ein Anspruch auf Ersatz ihres vollständigen Integritätsinteresses zu. Dies könne nicht danach bemessen werden, ob der Geschädigte die Aufwendungen auch erbracht hätte, wenn er nicht versichert gewesen wäre und den Schaden hätte selbst zahlen müssen. Ein dem beschädigten Tresor vergleichbarer Tresor koste heute zwischen 49.000,00 € und 53.000,00 € netto. Für die Zumutbarkeit der Reparatur könne es nicht entscheidend auf die Höhe des Restwertes des Tresors ankommen. Dies ergebe sich schon daraus, dass nach den allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten nicht der Restwert, sondern der Neuwert als Obergrenze angesetzt sei.

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Im Termin vom 30.03.2010 hat der Senat darauf hingewiesen, dass grundsätzlich ein Zumutbarkeitsgrundsatz zur Anwendung gelangt, es aber stets eine Einzelfallentscheidung bleibe, wo diese Zumutbarkeitsgrenze anzusetzen sei.

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Die Beklagte hat hierzu mit Schriftsatz vom 16.04.2010, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 326/332 d. A.), Stellung genommen.

16

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf das Sitzungsprotokoll, die weiteren Schriftsätze der Beklagten vom 04.01.2010 und 16.03.2010 sowie die Schriftsätze der Klägervertreter vom 25.02.2010 und 24.03.2010 Bezug genommen.

II.

17

Die Berufung ist zulässig (§§ 511, 517, 519, 520 ZPO).

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Sie hat in der Sache keinen Erfolg.

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1. Nach Ziff. VII Nr. 3 der dem Vertrag (Anlage K 1) zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen (Anlage K 2) hat die Beklagte bei beschädigten Sachen die Reparaturkosten zuzüglich einer evtl. verbleibenden Wertminderung, höchstens jedoch den Neuwert, zu erstatten. Auch wenn in dieser Bestimmung nicht von „notwendigen“ oder „erforderlichen“ Reparaturkosten die Rede ist, wird von der herrschenden Meinung für die Höhe des von der Versicherung zu ersetzenden fiktiven Reparaturaufwands – auf die tatsächliche Ausführung der Reparatur kommt es nicht an – auf den schnellsten, sichersten und zumutbar billigsten Reparaturweg abgestellt (Kollhosser in Prölss/Martin, 27. Auflage § 55 VVG a. F. Rn. 48; Schauer in Berliner Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz § 55 VVG a. F. Rn. 22, 23). Dies wird daraus gefolgert, dass bei der fiktiven Schadensberechnung (Palandt/Grüneberg, 69 Aufl., vor § 249 BGB Rn. 22) § 249 II 1 BGB gelte, wonach der zur Herstellung erforderliche Geldbetrag verlangt werden könne.

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Das Gebot zu wirtschaftlich vernünftiger Schadensbehebung entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH NJW 2005, 1108 unter II. 1. b) bb). Die Schadensersatzpflicht besteht deshalb von vorne herein nur insoweit, als sich die Aufwendungen im Rahmen wirtschaftlicher Vernunft halten. Letztlich kann aber die Frage, ob diese Grundsätze auch bei den streitgegenständlichen Versicherungsbedingungen heranzuziehen sind oder ob nach diesen jedwede Reparaturkosten bis zum Neuwert zu ersetzen sind, dahinstehen, denn die von der Klägerin beabsichtigte Schadensbehebung ist vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens wirtschaftlich angemessen.

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2. Nach dem Gutachten des Sachverständigen T. handelt es sich beim streitgegenständlichen Tresor um einen Design-Tresor mit spezieller Lackbeschichtung. Die Beschädigung im Bereich der oberen Kante der linken Tür und am Rahmen ist nicht fachgerecht ausgebessert. Auf Seite 3 des Gutachtens ist ausgeführt (3. Absatz von unten), dass die Beschädigung aufgrund des aufgebrachten Lackes nicht sehr gut zu erkennen sei. Nach den Feststellungen des Sachverständigen ist dennoch die Optik infolge des noch vorliegenden Schadens, wenn auch nicht stark, beeinträchtigt (Seite 6, 1. Absatz; Seite 7, 1. Absatz). Weiter hat der Sachverständige ausgeführt, dass es sich bei dem Tresor nicht nur um ein Wertbehältnis, sondern auch um ein – wenn auch außergewöhnliches – Möbelstück handele, bei dem der optische Eindruck der Beschichtung eine wesentliche Rolle spiele. Der optische und der technische Anteil des Tresors stünden im Verhältnis 50 %: 50 % (Seite 6 des Gutachtens 2. und letzter Absatz). Die reinen Reparaturkosten (5.500,00 €) lägen unter dem Restwert von 5.752,00 €. Erforderlich sind allerdings noch Transportkosten von 1.950,00 €, so dass der Reparaturaufwand 7.450,00 € beträgt.

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Nach diesen überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen ist nach nicht fachgerechter Ausbesserung an dem Tresor noch eine optische Beeinträchtigung vorhanden. Sie ergibt sich auch eindeutig aus der vom Sachverständigen erstellten Fotoaufnahme (Abbildung 4), die bei geschlossenem Tresor an der oberen Kante der linkten Tür und am Türrahmen Lackschäden zeigt. Deutlich ist bei geöffnetem Tresor das Schadensbild erkennbar (Abbildung 5). Der Schaden kann nur durch Neuaufbringung der Lackschichten beseitigt werden (Seite 6 des Gutachtens des Sachverständigen P., Bl. 211 d. A.). Damit verbleibt ein Restschaden an der Front des Tresors. Das Angebot der Firma S. über Reparaturkosten von 7.450,00 € ist nach dem Gutachten des Sachverständigen P. angemessen. Er wirft allerdings die Frage auf, ob es wirtschaftlich sinnvoll ist, in die äußere Hülle dieses noch nicht nach den neueren europäischen Sicherheitsvorschriften geprüften Tresors noch so viel Geld zu investieren.

23

Diese Frage ist zu bejahen, da das optische Erscheinungsbild bei dem Design-Tresor einen erheblichen Stellenwert besitzt. Ob bei einem Schönheitsschaden unter Beurteilung der Zumutbarkeit geforderter Reparaturkosten der Versicherungsnehmer die Reparatur oder nur Ausgleich der Wertminderung verlangen kann, ist nicht nach allgemein gültigen Kriterien (Dietz Wohngebäudeversicherung 2. Auflage, Seite 397 unter 1.4.2), sondern für den jeweiligen Einzelfall zu entscheiden. Unter Berücksichtigung des Umstands, dass das optische Erscheinungsbild hier von wesentlicher Bedeutung ist, erscheint der Aufwand von 7.450,00 € für eine fachgerechte Reparatur eines Tresors, dessen Funktionsfähigkeit gewährleistet ist, aus Sicht eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Geschädigten nicht unangemessen. Der Restwert des im Schadenszeitpunkt 11 Jahre alten Tresors lag bei linearer Abschreibung – Nutzungsdauer von 20 Jahren – bei 5.752,00 €. Hierzu stehen die Reparaturkosten nicht außer Verhältnis. Der Aufwand ist im Hinblick auf die weitere potentielle Nutzung von 9 Jahren jedenfalls gerechtfertigt.

24

Die vom Beklagten zur Beurteilung der Zumutbarkeitsgrenze herangezogenen Entscheidungen führen zu keiner anderen Bewertung. Die Entscheidung des Amtsgerichts München (VersR 2000, 581) betrifft Schönheitsschäden an Kupferblechen eines Daches, die unauffällig und kaum einsehbar waren. Die Entscheidung des OLG Düsseldorf (VersR 1994, 670) geht davon aus, dass bei Beschädigung einzelner Fliesen der Aufwand für eine vollkommenen Neuverfliesung des Badezimmers außer Verhältnis zu der optischen Beeinträchtigung steht, die verbleibt, wenn nur der Fußboden neu verfliest wird. Im Gegensatz dazu kommt hier nur eine einheitliche Neubeschichtung des Tresors in Betracht. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Sigmaringen (r + s 1988, 114), die Dellen an der Fassadenverkleidung und Dachabdeckung durch Hagelschlag betrifft, berücksichtigt bei der Bewertung der Zumutbarkeit des Reparaturaufwands für Schönheitsschäden die Zweckbestimmung der Sache und Art, Größe und örtliche Lage der Schadensstelle. Auch diese Entscheidung ist hier nicht vergleichbar, da der optische Gesamteindruck des Tresors hier eine wesentliche Rolle spielt und nicht nur ein Teil des Gegenstands – eine optisch nicht ins Auge fallende Stelle – betroffen ist.

III.

25

1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 I ZPO.

26

2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

27

3. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 II 1 Nr. 1 oder Nr. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.

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