Zum qualifizierten Verschulden des Frachtführers

Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 23.11.2009 – 18 U 48/09

Zum qualifizierten Verschulden des Frachtführers

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 20. Januar 2009 verkündete Urteil der 12. Zivilkammer – Kammer für Handelssachen – des Landgerichts Bochum abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.421,00 € nebst 5 % Zinsen seit dem 26.04.2008 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Es beschwert die Beklagte in Höhe von 6.421,00 €; die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

A.

Von der Abfassung eines Tatbestands wird nach §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO abgesehen.

B.

Die zulässige Berufung ist begründet, denn die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 6.421,00 € aus Art. 17, 29 CMR, § 435 HGB, §§ 249 ff. BGB i. V. m. § 398 BGB.

Die Klägerin ist parteifähig (I.). Sie ist auch Inhaberin der eingeklagten Forderung, denn ihre Versicherungsnehmerin hat sie durch schlüssiges Handeln an sie abgetreten (II.). Entgegen der Ansicht des Landgerichts besteht der Anspruch auch in der geltend gemachten Höhe, denn die Beklagte haftet nach Art. 29 CMR i. V. m. § 435 HGB wegen des ihr zurechenbaren Verhaltens ihrer Unterfrachtführerin unbegrenzt (III.).

I.

Die Klägerin ist parteifähig. Das ergibt sich aus dem von ihr vorgelegten Auszug aus dem Handelsregister zu HRB ####1 Amtsgericht Frankfurt/Main, wo die Klägerin als Aktiengesellschaft nach französischem Recht eingetragen ist. Sie ist in diesem Rechtsstreit auch durch ihren Hauptbevollmächtigten, der ebenfalls nach Maßgabe des § 106 Abs. 3 VAG im Handelsregister eingetragen ist, ordnungsgemäß vertreten.

II.

Die Klägerin ist aktivlegitimiert. Ihre Forderungsinhaberschaft ergibt sich aus § 398 BGB, denn ihre Versicherungsnehmerin, die U GmbH & Co KG, hat den Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte durch schlüssiges Handeln an die Klägerin abgetreten. Auf die Forderungsabtretung ist deutsches Recht anzuwenden, denn die Parteien des Versicherungsvertrages haben in Ziff. 26 der vereinbarten DTV – Güterversicherungsbedingungen 2000 in der Fassung 2004 eine Rechtswahl im Sinne von Art. 31 Abs. 1 EGBGB getroffen und deutsches Recht gewählt. Daher ist auch die dazu ergangene deutsche Rechtsprechung anwendbar.

Die Abtretung der Schadensersatzforderung gegen die Beklagte erfolgte durch schlüssiges Handeln. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt in der Überlassung der Schadensunterlagen durch den Versicherungsnehmer eine konkludent erklärte Abtretung des Schadensersatzanspruchs an den Versicherer. Das gilt selbst dann, wenn der Versicherer den Schaden noch nicht reguliert hat (BGH TranspR 2006, 166). So liegt der Fall hier. Aus den von der Klägerin in diesem Verfahren vorgelegten Schadensunterlagen ihrer Versicherungsnehmerin ergibt sich, dass diese die Unterlagen der Klägerin überlassen und die Forderung somit durch schlüssiges Handeln abgetreten hat. Da die Klägerin durch die Vorlage der Versicherungspolice auch bewiesen hat, Alleinversicherer dieses Schadensfalls zu sein, ist die konkludente Abtretung auch so auszulegen, dass die den gesamten Schadensersatzanspruch umfasst.

Die Abtretung verstößt auch nicht Art. 1 § 1 RBerG und ist somit nicht nach § 134 BGB nichtig. Beide Vorschriften sind nach Art. 33 Abs. 2 EGBGB hier anwendbar. Es ist anerkannt, dass die gerichtliche Schadensregulierung von Versicherern, insbesondere im Bereich der Transportversicherungen, nach Art. 1 § 5 Nr. 1 RBerG erlaubnisfrei war (OLG Düsseldorf TranspR 2003, 107; Kleine-Cosack, RDG, 2. Aufl. 2008, Anhang zu §§ 1-5 Rdnrn. 161, 163 m. w. N.). Das entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Danach setzt ein Verstoß gegen Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG voraus, dass eine fremde Rechtsangelegenheit, einschließlich der Rechtsberatung und der Einziehung fremder oder zu Einziehungszwecken abgetretener Forderungen, geschäftsmäßig besorgt wird. Wegen der begrenzten Zielsetzung und des Ausnahmecharakters des Rechtsberatungsgesetzes ist jedoch eine einschränkende Auslegung des Begriffs der fremden Rechtsangelegenheit geboten. Ob eine eigene oder eine fremde Rechtsangelegenheit vorliegt, ist daher davon abhängig, in wessen wirtschaftlichem Interesse die Besorgung der Angelegenheit liegt (BGH TranspR 2006, 166). Das wirtschaftliche Interesse am Ausgang des vorliegenden Rechtsstreits liegt zweifelsfrei bei der Klägerin, denn sie ist, selbst wenn sie den Schaden gegenüber ihrer Versicherungsnehmerin noch nicht reguliert hat – die Beklagte bestreitet eine Zahlung seitens der Klägerin – aufgrund des Versicherungsvertrags jedenfalls zur Regulierung verpflichtet. Somit ist sie das eigentlich wirtschaftlich von diesem Schadensfall betroffene Unternehmen.

III.

Die abgetretene Forderung ist auch in der geltend gemachten Höhe entstanden. Die Versicherungsnehmerin der Klägerin hatte gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 6.421,00 € aus Art. 17, 29 CMR, § 435 HGB, §§ 249 ff. BGB.

1. Auf den vorliegenden Schadensfall ist die CMR anzuwenden. Die Voraussetzungen des Art. 1 CMR liegen unzweifelhaft vor. Bei dem am 13.11.2007 von der Versicherungsnehmerin der Kläger beauftragen Transport handelte es sich um einen grenzüberschreitenden Straßentransport mit einem Kraftfahrzeug. Sowohl Deutschland, wo der Ort der Übernahme des Gutes lag, als auch Belgien, wo sich der Ort der Ablieferung befand, sind Vertragsstaaten der CMR.

2. Auch die Voraussetzungen des Art. 17 Nr. 1 CMR liegen vor, denn das Transportgut – medizinische Versorgungsschienen für Pflegestationen – ging in der Obhutszeit der Beklagten verloren. Die Unterfrachtführerin der Beklagten, die Firma B GbR, deren Verhalten sich die Beklagte nach Art. 3 CMR zurechnen lassen muss, hat das Gut am 15.11.2007 in B2 übernommen. Vor der für den 16.11.2007, 08.00 Uhr geplanten Ablieferung bei der Firma J in C2 (Belgien) ging es durch den Diebstahl des Anhängers vollständig verloren.

3. Der Schadensersatzanspruch beträgt auch in der Höhe 6.421,00 €.

a. Die Ersatzpflicht für den vollständigen Verlust des Guts erstreckt sich nach Art. 23 Nr. 1 CMR auf den Wert des Gutes am Ort und zur Zeit der Übernahme. Dieser Wert betrug hier laut Handelsrechnung vom 16.11.2007 unstreitig 9.113,62 €.

b. Die Haftung ist hier auch nicht nach Art. 23 Nr. 3, 7 CMR auf die Gewichtshaftung begrenzt, die unstreitig 2.692,22 € betrug und von dem Haftpflichtversicherer der Unterfrachtführerin, der L Versicherung-AG, reguliert wurde. Der Anspruch besteht nach wie vor in der Höhe des Differenzbetrags von 6.421,00 €, da hier seitens der Unterfrachtführerin der Beklagten ein Fall des qualifizierten Verschuldens im Sinne von Art. 29 CMR i. V. m. § 435 HGB vorliegt, das sich die Beklagte zurechnen lassen muss.

Die Haftungsbegrenzungen des Art. 23 CMR gelten nach Art. 29 CMR nämlich nicht, wenn der Frachtführer oder seine Bediensteten oder sonstige Personen, deren er sich bei Ausführung der Beförderung bedient, vorsätzlich gehandelt haben oder ihnen ein Verschulden zur Last fällt, das nach § 435 HGB dem Vorsatz gleichsteht, also wenn sie leichtfertig und in dem Bewusstsein gehandelt haben, dass ein Schaden eintreten werde (vgl. BGH, NJW-RR 1999, 254).

Ein vorsätzliches Handeln wird hier von der Klägerin nicht behauptet. Die Unterfrachtführerin und ihr Fahrer haben jedoch den Schaden dadurch verursacht, dass sie leichtfertig und in dem Bewusstsein, dass ein Schaden eintreten werde, gehandelt haben.

aa. Die Unterfrachtführerin und ihr Fahrer haben leichtfertig gehandelt. Leichtfertiges Handeln liegt vor, wenn sich der Frachtführer in krasser Weise über die Sicherheitsinteressen seines Vertragspartners hinwegsetzt (BGH NJW 2004, 2445; BGH TranspR 2004, 399). Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Schon aus dem Vortrag der Beklagten zum Schadenshergang, zu dem sie im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast verpflichtet war (vgl. Koller, Transportrecht, 6. Aufl. 2007, Art. 29 CMR Rdnr. 7 m. w. N.), ergibt sich, dass sich ihre Unterfrachtführerin gleich mehrfach über die Sicherheitsinteressen der Versicherungsnehmerin der Klägerin hinweggesetzt hat, so dass zumindest alle Verstöße zusammengenommen die Annahme eines leichtfertigen Handelns rechtfertigen.

(1.) Danach wurde der mit dem Gut der Versicherungsnehmerin der Klägerin beladene LKW-Anhänger nachts auf dem niederländischen Autobahnparkplatz „E2“ in unmittelbarer Nähe zur belgischen Grenze gestohlen, während der Fahrer in dem LKW schlief. Die leichtfertige Vorgehensweise des Fahrers bestand darin, zur Übernachtung einen Parkplatz aufzusuchen, der über keinerlei Sicherheitsvorkehrungen gegen Diebstahl verfügte. Er war weder eingezäunt noch bewacht und verfügte nur über eine Notbeleuchtung; die dazugehörige Tankstelle war nachts geschlossen. Hinzu kommt hier, dass sich der Parkplatz in einer Entfernung von nur wenigen hundert Metern von der Grenze zwischen den Niederlanden und Belgien befand. Dadurch wurde es den Dieben erleichtert, den Anhänger sofort über die unbewachte Grenze zu bringen und so etwaige polizeiliche Verfolgungs- oder Ermittlungstätigkeit deutlich zu erschweren.

Die Beklagte kann sich auch nicht damit entlasten, dass sie das Gut nach dem mit der Versicherungsnehmerin der Klägerin geschlossenen Transportvertrag am 15.11.2007 zwischen 8.00 Uhr und 14.00 Uhr abholen und am 16.11.2007 um 8.00 Uhr abliefern lassen musste. Daraus folgt nicht zwingend, dass die Ware in der Nacht vom 15.11. auf den 16.11.2007 auf diesem unsicheren Autobahnparkplatz in den Niederlanden abgestellt werden musste. Es gehört nämlich zu den Pflichten des Frachtführers, den Transport so sicher wie möglich zu planen und zu organisieren und sichere Übernachtungsmöglichkeiten auszuwählen.

(2.) Auch der Fahrzeuganhänger selbst war in keiner Weise gegen Diebstahl gesichert. Er verfügte nicht über eine abschließbare Diebstahlsicherung, mit der ein unbefugtes Abkoppeln hätte verhindert oder zumindest deutlich erschwert werden können, obwohl derartige Sicherungen unstreitig gegen geringen finanziellen Aufwand verfügbar sind.

(3.) Ferner hat der Unterfrachtführer das Diebstahlsrisiko für den gesamten Anhänger und damit auch für das Gut der Versicherungsnehmerin der Klägerin deutlich erhöht, indem er sieben Paletten mit Computern und Zubehör zugeladen hat. Bei der zugeladenen Ware handelte es sich anerkanntermaßen um besonders diebstahlgefährdetes Gut, weil es leicht absetzbar ist (vgl. BGH TranspR 2007, 423). Dem kann die Beklagte nicht entgegenhalten, der Wert der Computer sei gering gewesen, er habe ausweislich des Regulierungsschreibens des Haftpflichtversicherers der Unterfrachtführerin vom 22.01.2008 nur 5.348,00 € betragen. Bei diesem Betrag handelt es sich nicht um den Wert der Computer, sondern lediglich um die vom Versicherer regulierte Gewichtshaftung. Auch die Tatsache, dass es sich um gebrauchte, aber überholte Computer handelte, ändert nichts daran, dass die Diebstahlsgefahr für den Anhänger deutlich erhöht wurde, denn gebrauchte Computer sind ebenso wie Neuware leicht absetzbares begehrtes Diebesgut.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Unterfrachtführerin das Diebstahlsrisiko durch die Zuladung erhöht hat, obwohl die Versicherungsnehmerin unstreitig mit der Beklagten einen Einzeltransport der medizinischen Versorgungsschienen vereinbart hatte. Die Beklagte hätte diese Vereinbarung somit auch mit der Unterfrachtführerin treffen müssen. Die Vereinbarung eines Einzeltransports hat gegenüber einem Sammeltransport auch den Sinn, das Verlust- oder Beschädigungsrisiko für das einzeln zu transportierende Gut zu verringern, so dass der hier eingetretene Schaden in den Schutzbereich der Vereinbarung fällt.

(4.) Der Wertung des gesamten Verhaltens als qualifiziertes Verschulden im Sinne von § 435 HGB steht auch nicht die Entscheidung BGH I ZR 212/04 (TranspR 2007, 423) entgegen, in der die Annahme eines qualifizierten Verschuldens abgelehnt wurde. Der Fall ist auf den vorliegenden jedoch nicht übertragbar, da hier zahlreiche anders gelagerte Umstände eine Rolle spielen als in dem von Bundesgerichtshof zu beurteilenden Sachverhalt. Insbesondere unterscheidet sich der vom Bundesgerichtshof entschiedene Fall dadurch, dass das Diebstahlsrisiko durch die Anwesenheit eines zweiten LKW der Frachtführerin unmittelbar neben dem bestohlenen LKW als deutlich gemindert angesehen wurde.

bb. Die leichtfertigen Handlungen erfolgten auch in dem Bewusstsein, dass mit Wahrscheinlichkeit ein Schaden eintreten werde. Diese subjektive Erfordernis des qualifizierten Verschuldens ist anzunehmen, wenn das leichtfertige Verhalten nach seinem Inhalt und nach den Umständen, unter denen es aufgetreten ist, diese Folgerung rechtfertigt (vgl. BGH NJW 2004, 2445). So liegt der Fall hier. Die Schwere und Zahl der mehrfachen Verstöße gegen die Sicherheitsinteressen der Absenderin rechtfertigen die Feststellung, dass sie in dem Bewusstsein der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts erfolgten.

cc. Das der Beklagten zuzurechnende qualifizierte Verschulden ist für den Eintritt des Schadensfalls ursächlich geworden. Die Kausalität wird hier zunächst vermutet, da das Fehlverhalten ernsthaft als Schadensursache in Betracht kommt, so dass es Sache des Frachtführers gewesen wäre, dagegen sprechenden Umstände darzulegen und zu beweisen (Koller, a. a. O., Art. 29 CMR Rdnr. 7). Dahingehender Vortrag der Beklagten fehlt, so dass die Kausalität festzustellen ist.

4. Der geltend gemachte Zinsanspruch ergibt sich als Rechtshängigkeitszins dem Grunde nach aus § 291 BGB und der Höhe nach aus Art. 27 CMR.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist nicht erforderlich.

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