Zum maßgeblichen Zeitpunkt bei einer Entscheidung zur Herabsetzung des GdB

LSG München, Urteil v. 13.07.2015 – L 15 SB 16/14

1. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage der Rechtmäßigkeit der Herabsetzung des GdB ist der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (Widerspruchsbescheid). 

2. Ein Antrag gem. § 109 SGG kann abgelehnt werden, wenn der Antrag entweder in Verschleppungsabsicht oder aus grober Nachlässigkeit zu spät vorgebracht worden ist und sich bei einer Zulassung des Antrags die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde. 

(Leitsatz des Gerichts) 

Tenor
I.
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 11. Dezember 2013 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand
Streitig ist, ob die Herabsetzung des Grads der Behinderung (GdB) gemäß § 69 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) von 50 auf 40 nach Ablauf der Zeit der Heilungsbewährung zu Recht erfolgt ist.

Die 1952 geborene Klägerin ist Lehrerin an einem Gymnasium.

Im Jahr 2009 war bei ihr ein duktales Karzinom in situ der rechten Brust diagnostiziert und am 13.05.2009 operativ behandelt worden. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 14.10.2009 war ein GdB von 50 festgestellt worden, dem folgende Gesundheitsstörungen zugrunde lagen:

1. Erkrankung der Brust rechts (in Heilungsbewährung) – Einzel-GdB 50

2. Bluthochdruck, Herzklappenfehler – Einzel-GdB 10.

Nach Nachprüfung von Amts wegen und entsprechender Anhörung der Klägerin setzte der Beklagte mit Änderungsbescheid vom 08.02.2012 den GdB auf 40 herab.
Dagegen legten die Bevollmächtigten der Klägerin Widerspruch ein und begründeten diesen mit Schreiben vom 02.03.2012 damit, dass die bei der Klägerin vorliegende erhebliche Wirbelsäulenschädigung nicht ausreichend bewertet worden, da eine Einschränkung in allen drei Abschnitten (HWS, BWS und LWS) vorliege. Auch die Funktionsbehinderung in Form der Schultererkrankung rechts in Verbindung mit dem Teilverlust der Brust rechts sei nicht ausreichend bewertet; das Anheben des Arms bis zum Kinn sei nicht mehr schmerzfrei möglich. Nicht im Bescheid anerkannt sei auch, dass die Klägerin aufgrund ihres bisherigen Krankheitsverlaufs unter seelischen Störungen leide, nämlich insbesondere Depressionen, Schlafstörungen, Angstzuständen und Zukunftsängsten. Zudem trete nahezu wöchentlich ein Migräneleiden auf, das jeweils ein bis vier Tage andauere und mit sehr starken Kopfschmerzen, Übelkeit, Schwindel, Sehstörungen und Gleichgewichtsstörungen verbunden sei. Für einen Tinnitus der Klägerin sei ein Einzel-GdB von 30 bis 40 sachgerecht, da die Klägerin unter wesentlichen Einschränkungen ihrer Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit leide. Die auf psychiatrischem Fachgebiet liegenden Gesundheitsstörungen seien mit einem GdB von 50 zu bewerten (Schreiben vom 14.03.2012).

Nach wiederholter Befassung des versorgungsärztlichen Diensts wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 08.08.2012 zurück.

Dagegen haben die Bevollmächtigten der Klägerin am 12.09.2012 Klage zum Sozialgericht (SG) München erhoben. Die Klage ist damit begründet worden, dass für die Einschränkung der Hörfähigkeit ein GdB von 30 zu veranschlagen sei, da der Klägerin eine beidseitige Hörgeräteversorgung empfohlen worden und daher beidseits zumindest eine mittelgradige Schwerhörigkeit anzunehmen sei. Auch die Wirbelsäulenschädigung, die Funktionsbehinderung im Bereich des rechten Schultergelenks sowie die Migräne seien unterbewertet. Der Gesamt-GdB betrage mehr als 40.

Am 09.11.2012 hat der Internist M. im Auftrag des SG ein Gutachten erstellt. Er ist dabei zu der Einschätzung gekommen, dass der vom Beklagten festgestellte GdB von 40 zutreffend sei. Gegenüber den für den Bescheid vom 14.10.2009 maßgeblichen Verhältnissen habe sich eine Besserung ergeben. U. a. hat er darauf hingewiesen, dass die funktionellen Beeinträchtigungen der Wirbelsäule bei weitem nicht so bedeutend seien, als dass eine derart hohe Einstufung wie mit einem GdB von 20 vorgenommen werden müsse. Auch die Bewertung der Migräne mit einem GdB von 20 hat er als wohlwollend bezeichnet, genauso die bisher erfolgte Einschätzung zur Schwerhörigkeit.

Auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat die die Klägerin behandelnde Fachärztin für physikalische und rehabilitative Medizin Dr. L. unter dem Datum des „16.04.2012“ (Anmerkung des Senats: Es handelt sich bei der Jahreszahl offensichtlich um einen Schreibfehler; richtig ist 2013) ein Gutachten erstellt. Die Frage, ob sich im Gesundheitszustand der Klägerin gegenüber dem Bescheid vom 14.10.2009 eine wesentliche Änderung eingestellt habe, hat die Sachverständige verneint. Zwar liege kein Rezidiv der Brusterkrankung vor, andererseits habe sich daraus aber offensichtlich ein neuropathisches Schmerzsyndrom entwickelt, was hinsichtlich der Lebensqualität eine deutliche Verschlechterung darstelle. Früher sei die Erkrankung der Brust weitgehend symptomlos gewesen. Bei Abwägung dieser beiden Sachverhalte habe sich keine Änderung ergeben. Die Einzelbeschwerden (Bluthochdruck, Wirbelsäulen- und Gelenkserkrankungen, Schwerhörigkeit) seien jeweils mit einem GdB von 10 bis 20 korrekt bewertet, die Migräne sei mit 30 zu bewerten. Ausschlaggebend für den GdB sei jedoch die gegenwärtig bestehende chronische Schmerzstörung samt Angst-Depression-Reaktion, die mit einem GdB von 50 zu bewerten sei. Der Gesamt-GdB betrage 50.
Der Beklagte hat sich dem Gutachten von Dr. L. nicht anschließen können (versorgungsärztliche Stellungnahme vom 16.05.2013). Der bislang vergebene GdB sei – so der Beklagte – bereits die obere Grenze des Beurteilungsspielraums.

Mit Urteil vom 11.12.2013 ist die Klage abgewiesen worden.

Am 15.01.2014 haben die Bevollmächtigten der Klägerin Berufung eingelegt und diese mit dem Gutachten von Dr. L. vom 16.04.2013 begründet. Im Übrigen ist auf die Klagebegründung verwiesen worden. Die Klägerin selbst hat mit Schreiben vom 07.04.2014 Kritik am Gutachten des Sachverständigen M. geäußert und ein neues Gutachten durch einen unbefangenen Gutachter beantragt.

Der Senat hat in der Folge Befundberichte der behandelnden Psychotherapeutin und eines von der Klägerin angegebenen Schmerztherapeuten eingeholt, der die Klägerin am 25.01.2013 behandelt hatte.

Im Auftrag des Senats hat der Neurologe und Psychiater Dr. E. am 05.02.2015 ein Gutachten erstellt. Er ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, dass beim Gesundheitszustand der Klägerin zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheids eine wesentliche Änderung gegenüber dem Bescheid vom 14.10.2009 eingetreten sei, weil damals noch die Phase der Heilungsbewährung vorgelegen habe. Am 08.08.2012 lägen bei der Klägerin eine seelische Störung und eine Migräne vor, die jeweils mit einem GdB von 20 zu bewerten seien; das gleiche gelte zum Zeitpunkt der Untersuchung. Insgesamt betrage der GdB zu beiden Zeitpunkten 40.

Mit Schreiben des Senats vom 10.04.2015 ist das Gutachten mit ausführlichen Erläuterungen den Bevollmächtigten der Klägerin übersandt und die Rücknahme der Berufung bis zum 25.05.2015 nahe gelegt worden.

Mit Schreiben vom 18.05.2015 haben die Bevollmächtigten der Klägerin um Verlängerung der Antragsfrist für ein Gutachten nach § 109 SGG bis zum 09.07.2015 gebeten und dies damit begründet, dass nicht sichergestellt werden könne, dass der behandelnde Arzt kurzfristig ein Behandlungsgespräch ermögliche. Dazu hat der Senat der Klägerin mit Schreiben vom 29.05.2015 mitgeteilt, dass eine Fristverlängerung mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht angezeigt sei. Die Bevollmächtigten der Klägerin haben sich mit Schreiben vom 03.06.2015 dahingehend geäußert, dass ihnen das gerichtliche Schreiben vom 10.04.2015 erst am 23.04.2015 zugegangen und daher für die Klägerin eine weitaus kürzere Frist verblieben sei, als dies das Gericht angenommen habe. Mit Schreiben vom 08.06.2015 haben sie beantragt, den Neurologen (spezielle Schmerztherapie) Dr. D. gemäß § 109 SGG mit einer Begutachtung zu beauftragen. Dazu hat der Senat den Bevollmächtigten mit Schreiben vom 08.06.2015 mitgeteilt, dass kein Anlass bestehe, den Antrag gemäß § 109 SGG zuzulassen. Der jetzt rund sechs Wochen nach dem angegebenen Zugang des gerichtlichen Schreibens gestellte Antrag sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts verspätet.

Die Klägerin beantragt,
nach § 109 SGG Herrn Dr. D. (Facharzt für Neurologie) gutachterlich zu hören, zudem, das Urteil des Sozialgerichts München vom 11.12.2013 sowie den Bescheid des Beklagten vom 08.02.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.08.2012 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat die Akten des Beklagten und des SG B-Stadt beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.
Die Herabsetzung des GdB von 50 auf 40 nach Ablauf der Zeit der Heilungsbewährung ist nicht zu beanstanden.

1. Streitgegenstand

Streitgegenstand ist die mit Bescheid vom 08.02.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.08.2012 getroffene Entscheidung des Beklagten, nach Ablauf der Zeit der Heilungsbewährung den GdB von 50 auf 40 herabzusetzen, die mit der Anfechtungsklage angegriffen wird. Bei dieser Entscheidung gemäß § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) handelt es sich nicht um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, weil sich der Regelungsgehalt des Herabsetzungsbescheids im (teilweisen) Entzug des vormals festgestellten GdB erschöpft und der angefochtene Bescheid keine darüber hinausgehende Dauerwirkung hat (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. Bundessozialgericht – BSG – Urteile vom 07.12.1983, Az.: 9a RV 26/82, vom 23.06.1993, Az.: 9/9a RVs 1/92, und vom 15.08.1996, Az.: 9 RVs 10/94). Die Frage, ob die Herabsetzung rechtmäßig ist, beurteilt sich daher nicht nach dem Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz, sondern nach dem Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens (vgl. BSG, Urteile vom 20.04.1993; Az.: 2 RU 52/92, vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RVs 2/92 und vom 10.09.1997, Az.: 9 RVs 15/96). Würde der maßgebliche Zeitpunkt hingegen auf die letzte mündliche Verhandlung verlegt, würde dies nach Ansicht des BSG dazu führen, dass behauptete oder während des Gerichtsverfahrens tatsächlich eingetretene Änderungen in den gesundheitlichen Verhältnissen des Behinderten zu immer neuen Ermittlungen Anlass gäben und den Abschluss des Gerichtsverfahrens in zahlreichen Fällen erheblich verzögern würden; eine derart bedingte Verzögerung der gerichtlichen Entscheidung der Prüfung von Herabsetzungsentscheidungen sieht das BSG als unvertretbar an (vgl. BSG, Urteil vom 12.11.1996, Az.: 9 RVs 5/95). Änderungen in den Verhältnissen, die während der Anhängigkeit einer Anfechtungsklage gegen die (teilweise) Aufhebung eines einen bestimmten GdB feststellenden Verwaltungsakts eingetreten sind, sind daher grundsätzlich rechtlich unbeachtlich (vgl. BSG, Urteil vom 15.08.1996, Az.: 9 RVs 10/94).
An der Einordnung der Klageart ändert auch die Tatsache nichts, dass die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren noch einen Antrag („und den Beklagten … zu verpflichten, einen GdB von mehr als 40 festzustellen“) gestellt hat, der an eine (weitergehende) Anfechtungs- und Verpflichtungsklage denken lassen könnte. Denn jedenfalls durch den im Berufungsverfahren gestellten Antrag („das Urteil des Sozialgerichts München vom 11.12.2013, sowie den Bescheid der Beklagten vom 08.02.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.08.2012 aufzuheben“) steht unzweifelhaft fest, dass Gegenstand der Entscheidung des Senats (nur) eine reine Anfechtungsklage ist. Eines Rückgriffs auf die Rechtsprechung des BSG, das in einer ähnlichen Konstellation keinen Anlass gesehen, trotz eines explizit gestellten Verpflichtungsantrags eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zugrunde zu legen (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.1993, Az.: 9/9a RVs 2/92), sondern nur von einer Anfechtungsklage ausgegangen ist, bedarf es daher bei der Bestimmung der Klageart und dem sich daraus ergebenden maßgeblichen Zeitpunkt nicht.

2. Herabsetzungsbescheid

Die Anfechtungsklage ist unbegründet, da die Herabsetzung des GdB mit Bescheid vom 08.02.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.08.2012 rechtmäßig gewesen ist. Der Beklagte hat den GdB am 08.08.2012, dem maßgeblichen Zeitpunkt für die Anfechtungsklage, zutreffend nicht mehr mit 50 bewertet.

2.1. Voraussetzungen für die Herabsetzung des GdB – allgemein
Rechtsgrundlage des mit der Klage angefochtenen Bescheids ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Bei Feststellungsbescheiden nach § 69 Abs. 1 SGB IX handelt es sich um Verwaltungsakte mit Dauerwirkung (vgl. – noch zum Schwerbehindertengesetz – BSG, Urteil vom 19.09.2000, Az.: B 9 SB 3/00 R). Eine Aufhebung ist dabei nur insoweit zulässig, als eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten ist.

Eine wesentliche Änderung ist dann anzunehmen, wenn sich durch eine Besserung (oder Verschlechterung) der behinderungsbedingt eingeschränkten Gesundheitszustands eine Herabsetzung (oder Erhöhung) des GdB um wenigstens 10 ergibt. Handelt es sich bei den dem GdB zugrunde liegenden Gesundheitseinschränkungen um solche, bei denen – wie dies bei Krebserkrankungen der Fall ist – der GdB wegen der Art der Erkrankung zunächst höher festgestellt worden ist, als es die tatsächlichen Funktionseinschränkungen erfordern, liegt eine Änderung der Verhältnisse im Sinn des § 48 SGB X auch dann vor, wenn bei der der Feststellung des GdB zugrunde liegenden Erkrankung die Zeit der sogenannten Heilungsbewährung ohne das Auftreten eines Rezidivs abgelaufen ist (vgl. Versorgungsmedizinische Grundsätze [VG], Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung, Teil A Nr. 7. Buchst. b; siehe auch unten Ziff. 2.3.1., erster Spiegelstrich).
Von einer wesentlichen Änderung im Sinne einer Besserung alleine deshalb auszugehen, weil die Zeit der Heilungsbewährung abgelaufen ist, verbietet sich jedoch. Vielmehr ist – neben dem Ablauf der Heilungsbewährung – auch zu berücksichtigen, ob anderweitige Änderungen tatsächlicher Art in dem der Feststellung des GdB zugrunde liegenden Gesundheitszustand eingetreten sind. Liegt einerseits ein rezidivfreier Ablauf der Zeit der Heilungsbewährung vor und sind andererseits seit der bestandskräftig gewordenen Feststellung des GdB neue Gesundheitsstörungen aufgetreten, so ist nur dann eine Herabsetzung des GdB zulässig, wenn zum Zeitpunkt der erneuten Entscheidung zum GdB, die nach Ablauf der Zeit der Heilungsbewährung getroffen wird, Gesundheitsbeeinträchtigungen vorliegen, die einen niedrigeren GdB begründen, als er zuvor bestandskräftig festgestellt worden ist. Insoweit besteht kein Unterschied zu den Fällen, in denen die Herabsetzung des GdB nicht auf den Gesichtspunkt der Heilungsbewährung gestützt wird, sondern auf die Besserung einer früher sich funktionell stärker auswirkenden Gesundheitsstörung.

Rechtsgrundlage für die Feststellung des Vorliegens einer Behinderung und des GdB ist § 69 Abs. 1 SGB IX in Verbindung mit den seit dem 01.01.2009 maßgeblichen VG. Die VG haben die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) abgelöst, die für die Zeit vor dem 01.01.2009 weiterhin als antizipierte Sachverständigengutachten beachtlich sind (vgl. BSG, Urteile vom 18.09.2003, Az.: B 9 SB 3/02 R, und vom 24.04.2008, Az.: B 9/9a SB 10/06 R; Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 06.03.1995, Az.: 1 BvR 60/95). Die VG sind – wie schon zuvor die AHP – ein auf besonderer medizinischer Sachkunde beruhendes Regelwerk, das die möglichst gleichmäßige Anwendung der Bewertungsmaßstäbe im räumlichen Geltungsbereich des Gesetzes bezweckt und dem Ziel eines einheitlichen Verwaltungshandelns und der Gleichbehandlung dient.
2.2. Herabsetzung des GdB im hier zu entscheidenden Fall
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht es zur Überzeugung des Senats fest, dass im Gesundheitszustand der Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt (Widerspruchsbescheid vom 08.08.2012) im Vergleich zu den gesundheitlichen Verhältnissen, die dem bestandskräftigen Bescheid vom 14.10.2009 zugrunde gelegen haben, infolge des rezidivfreien Ablaufs der Zeit der Heilungsbewährung von zwei Jahren eine wesentliche Änderung gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X im Sinn einer Besserung eingetreten ist, auch wenn die Klägerin zwischenzeitlich an neuen Gesundheitsstörungen leidet. Dies rechtfertigt bei Berücksichtigung der Vorgaben der VG (zumindest) die Herabsetzung des GdB auf 40.

Bei dieser Einschätzung stützt sich der Senat auf das Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere auf die überzeugenden und nachvollziehbar begründeten Gutachten des Internisten M. und des Neurologen und Psychiaters Dr. E.. Beide gerichtsbekannte und sehr erfahrene Gutachter haben die bei der Klägerin vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen vollständig erfasst und in Übereinstimmung mit den zu beachtenden Vorgaben der VG zutreffend gewürdigt. Der Senat macht sich diese sachverständigen Feststellungen zu eigen.

Nicht folgen kann der Senat hingegen der Ärztin für physikalische und rehabilitative Medizin Dr. L., die die Klägerin behandelt und ein Gutachten nach § 109 SGG erstellt hat. Denn deren Gutachten enthält weder eine ausreichende Erhebung der medizinischen Befunde noch stehen die Feststellungen dieser Sachverständigen in Übereinstimmung mit den zu beachtenden Vorgaben der VG.

Im Einzelnen ist zu den jeweiligen Gesundheitsstörungen und deren Bewertung Folgendes festzuhalten:

2.2.1. Erkrankung der Brust in Heilungsbewährung
Es ist im Vergleich zum Gesundheitszustand zum Zeitpunkt des Erlasses des bestandskräftigen Bescheids eine Besserung eingetreten, die einer Reduzierung des GdB von 50 auf 20 entspricht.
Das im Jahr 2009 bei der Klägerin diagnostizierte und operativ behandelte Karzinom der rechten Brust in Form eines DCIS hat unstreitig kein Rezidiv nach sich gezogen. Dies haben wiederholte Untersuchungen ergeben.

Nach Ablauf der Heilungsbewährungszeit von in diesem Fall zwei Jahren (vgl. VG Teil B Nr. 14.1 a. E.) ist für den einseitigen Teilverlust der Brust ein GdB von 20 anzusetzen, was in Übereinstimmung mit den VG steht (vgl. dort Teil B Nr. 14.1).

2.2.2. Bewegungseinschränkung der rechten Schulter
Zwar ist im Vergleich zum Gesundheitszustand zum Zeitpunkt des Erlasses des bestandskräftigen Bescheids eine Verschlechterung der Beweglichkeit der rechten Schulter eingetreten. Es spricht aber – folgt man den eigenen Angaben der Klägerin zu dieser Gesundheitsstörung – vieles dafür, dass der vom Beklagten aufgrund der Berichte der behandelnden Ärzte und daran anschließend auch von den gerichtlichen Gutachtern zugrunde gelegte GdB von 20 zu hoch gegriffen ist. Gleichwohl geht der Senat zugunsten der Klägerin in der Folge von einem GdB von 20 aus, wobei diese für die Klägerin günstige Betrachtung im Ergebnis ohne rechtliche Relevanz ist.

Die bei der Klägerin vorliegende Einschränkung der Beweglichkeit in der Schulter ist von sachverständiger Seite aus mit einem GdB von 20 beurteilt worden. Dies steht mit Blick darauf, dass die Klägerin bei den gutachtlichen Untersuchungen demonstriert hat, dass sie nicht in der Lage sei, den rechten Arm über die Horizontale anzuheben, in Übereinstimmung mit den Vorgaben der VG (vgl. dort Teil B Nr. 18.13), zumal es nach den Vorgaben der VG (vgl. dort Teil B Nr. 14.1) geboten ist, Funktionseinschränkungen im Schultergürtel, wenn sie die Folge der operativen Behandlung eines Brustkarzinoms sind, gesondert zu berücksichtigen.

Gleichwohl erscheint diese Bewertung dem Senat als ausgesprochen großzügig, wenn nicht sogar überzogen. Die Vorbehalte des Senats gegenüber einem GdB von 20 stützt der Senat darauf, dass es sich bei der Einschränkung der Bewegungsfähigkeit, wie sie die Klägerin bei der gutachtlichen Untersuchung gezeigt hat, offensichtlich nicht um einen Dauerzustand handelt. Diese Zweifel an einem Dauerzustand hat die Klägerin selbst geweckt, da sie bei der Untersuchung durch Dr. E. angegeben hat, den rechten Arm „manchmal“ nicht mehr anheben zu können. Damit eine Gesundheitsstörung bei der Ermittlung des GdB Berücksichtigung finden kann, muss es sich aber um einen Dauerzustand in dem Sinn handeln, dass die funktionelle Einschränkung über mehr als sechs Monate anhält (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX; VG Teil A Nr. 2 Buchst. f). Liegen funktionelle Gesundheitsstörungen in einem schwankenden Ausmaß vor, kann der Ermittlung des GdB nur die durchschnittliche Funktionseinschränkung zugrunde gelegt werden (vgl. VG Teil A Nr. 2 Buchst. f). Da eine auf die Horizontale eingeschränkte Armhebefähigkeit, die nach den Vorgaben der VG mit einem GdB von 20 zu bewerten wäre (vgl. VG Teil B Nr. 18.13), den eigenen Angaben der Klägerin folgend, keinen Dauerzustand darstellt und daher auf die durchschnittliche Einschränkung der Bewegungsfähigkeit, die jedenfalls einer weniger stark ausgeprägten Beschränkung der Armhebung als auf 90 Grad entspricht, abzustellen wäre, wäre bei exakter Anwendung der VG kein GdB von 20 vertretbar, sondern allenfalls von 10 (ein GdB von 10 entspricht einer Beschränkung der Armhebung auf über 90 bis 120 Grad). Zugunsten der Klägerin und zur Vermeidung weiterer mit nicht unerheblichen Kosten verbundener Aufklärung im Sinn eines orthopädischen Gutachtens legt der Senat in der Folge jedoch für die Funktionsbeeinträchtigung der rechten Schulter unter Zurückstellung von Bedenken zugunsten der Klägerin einen GdB von 20 zugrunde.

2.2.3. Funktionsbehinderung der Wirbelsäule
Ob im Vergleich zum Gesundheitszustand zum Zeitpunkt des Erlasses des bestandskräftigen Bescheids eine Verschlechterung des Funktionszustands der Wirbelsäule eingetreten ist, lässt sich mangels Befunde zum Vergleichszeitpunkt nicht mehr sicher aufklären; aber auch bei Zugrundelegung fehlender Funktionsbeeinträchtigungen zum Zeitpunkt des bestandskräftigen Bescheids ist eine für den Gesamt-GdB relevante Verschlimmerung nicht eingetreten. Denn der GdB für die Wirbelsäule ist mit 10, allenfalls 20 im untersten Bereich zu bewerten, was für den Gesamt-GdB nicht von Relevanz ist (vgl. auch VG Teil A Nr. 3 Buchst. d ee).

Wie sich bei der Untersuchung durch den Sachverständigen M. gezeigt hat, sind die bei der Klägerin im Bereich der Wirbelsäule vorliegenden Funktionsstörungen vergleichsweise gering ausgeprägt. So war die Beweglichkeit bei der gutachtlichen Untersuchung weitgehend unbeeinträchtigt und der Finger-Boden-Abstand betrug 0 cm. Die Bewegungsmaße bewegen damit sich im Normbereich. Derart geringe funktionelle Beeinträchtigungen sind nach den VG (vgl. dort Teil B Nr. 18.9) auch bei Einbeziehung der behaupteten Schmerzen mit einem GdB von allenfalls 10 zu bewerten.

Sofern die Klägerin zur Begründung von Klage und Berufung vorgetragen hat, dass sie unter massiven Funktionsbeeinträchtigungen in allen drei Abschnitten der Wirbelsäule leiden würde, ist diese Behauptung nicht durch die Befundberichte der behandelnden Ärzte gestützt und klar widerlegt durch die Feststellungen des Sachverständigen M.. Auch im Gutachten gemäß § 109 SGG sind keine Befunde dargestellt, die einen GdB von mehr als 20 begründen würden; im Übrigen ist auch diese Gutachterin nur von einem GdB von 10 bis 20 für die Wirbelsäule ausgegangen.

2.2.4. Psychische Gesundheitsstörung/Depression
Es ist im Vergleich zum Gesundheitszustand zum Zeitpunkt des Erlasses des bestandskräftigen Bescheids eine Verschlechterung des psychischen Gesundheitszustands eingetreten, der bei zugunsten der Klägerin großzügigster Betrachtung einen GdB von 20 rechtfertigt.

Wie den Befundberichten der behandelnden Ärzte zu entnehmen ist, hat sich der psychische Gesundheitszustand der Klägerin seit dem Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung nicht entscheidend verändert. Der Senat geht daher davon aus, dass das vom Sachverständigen Dr. E. erhobene Bild dem entspricht, wie es zum maßgeblichen Zeitpunkt des Herabsetzungsbescheids vorgelegen hat. Wie aus dem Gutachten des Dr. E. ersichtlich wird, liegen eigentlich keine objektiven Befunde dafür vor, von einer krankheitswertigen psychischen Gesundheitsstörung auszugehen. So war der psychiatrische Untersuchungsbefund bei der Untersuchung durch Dr. E. weitgehend unauffällig; auch bei den zuvor durchgeführten Untersuchungen waren allenfalls schwach ausgeprägte Hinweise auf eine depressive Verstimmung der Klägerin zu erkennen. Gleichwohl lässt sich bei großzügigster Betrachtung und einer Zusammenschau aus Gutachten und Befundberichten der behandelnden Ärzte bei Berücksichtigung der VG (vgl. dort Teil B Nr. 3.7) eine Gesundheitsstörung mit einer gewissen Ähnlichkeit zu einer Depression erkennen, die zugunsten der Klägerin mit einem GdB von 20 Berücksichtigung finden kann. Diese Einschätzung bewegt sich aber zweifellos im obersten Bereich des von den VG eröffneten Beurteilungsspielraums.

2.2.5. Migräne
Rechtliche Gründe sprechen gegen eine Berücksichtigung der Migräne im Rahmen einer Entscheidung nach § 48 SGB X; gleichwohl geht der Senat zugunsten der Klägerin im Rahmen der Prüfung davon aus, dass insofern eine Verschlimmerung eingetreten ist und die Migräne – großzügig bewertet – mit einem GdB von 20 zu beurteilen ist.

2.2.5.1. Rechtliche Gründe gegen eine Berücksichtigung der Migräne
Gegen eine Berücksichtigung der Migräne im Rahmen der angefochtenen Entscheidung gemäß § 48 SGB X spricht, dass die Migräne bereits zum Zeitpunkt des bestandskräftigen Bescheids aus dem Jahr 2009 vorgelegen hat.

Im Rahmen einer Entscheidung gemäß § 48 SGB X können nur die Gesundheitsstörungen Berücksichtigung finden, die Ausdruck einer wesentlichen Änderung im Vergleich zu dem Zustand sind, wie er der zuletzt bestandskräftig gewordenen Entscheidung zugrunde gelegen hat. Für eine Berücksichtigung beim GdB kommen daher nur die Gesundheitsstörungen in Betracht, die nach dem letzten bestandskräftigen Bescheid aufgetreten sind (vgl. zum Bereich der Kriegsopferversorgung und dort zur vergleichbaren Frage der Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen: Urteil des Senats vom 18.03.2013, Az.: L 15 VK 11/11, vom BSG bestätigt mit Beschluss vom 31.07.2013, Az.: B 9 V 31/13 B).

Wie die Klägerin bei der Begutachtung durch Dr. E. selbst angegeben hat, hat sie unter der Migräne bereits lange vor der Erkrankung der Brust gelitten. Insofern würde – bei strenger rechtlicher Betrachtung – eine Berücksichtigung der Migräne als GdB-relevante Gesundheitsstörung nur im Weg einer Überprüfungsentscheidung gemäß § 44 SGB X in Betracht kommen, die bislang vom Beklagten nicht getroffen worden ist und daher auch nicht Streitgegenstand sein kann.

2.2.5.2. Berücksichtigung der Migräne zugunsten der Klägerin
Sofern die Migräne gleichwohl Berücksichtigung findet, ist für diese Gesundheitsstörung ein GdB von 20 bei großzügiger Betrachtung vertretbar.

Zugunsten der Klägerin geht der Senat davon aus, dass der Beklagte die Migräne bei seiner Entscheidung gemäß § 48 SGB X berücksichtigt hat, weil er mangels entsprechender Informationen irrtümlich davon ausgegangen ist, dass diese Gesundheitsstörung zum Zeitpunkt der bestandskräftig gewordenen Entscheidung noch nicht vorgelegen hat.

Wie sowohl der Sachverständige M. als auch der neurologisch-psychiatrische Gutachter Dr. E. festgestellt haben, kann für die Migräne ein GdB von 20 bei großzügiger Betrachtung vertreten werden. Diese Betrachtung ist insofern deshalb großzügig, weil sie der Migräne ganz überwiegend die subjektiven Angaben der Klägerin als wahr zugrunde legt, obwohl deren Angaben zur monatlichen Anzahl der Migräneanfälle durchaus wechselnd und damit nicht unbedingt überzeugend sind und auch mit den von ärztlicher Seite angegebenen Zeiten der Arbeitsunfähigkeit von 6 (in 2012) und 11 (in 2013) Tagen bei monatlich bis zu vier Migräneattacken von einer Dauer bis zu vier Tagen, in denen die Klägerin nach Angabe ihrer Psychotherapeutin nicht aufstehen kann (vgl. Befundbericht der Psychotherapeutin C. vom 13.08.2014), schwerlich in Einklang zu bringen sind, und jedenfalls bis zum Jahr 2013 und die erstmalige Untersuchung durch Dr. D. keine ausreichenden medikamentösen Therapiemaßnahmen ergriffen worden sind. Erst Dr. D., der die Klägerin erstmals am 25.01.2013 untersucht hat, hat einen Vorschlag zur medikamentösen auch präventiven Therapie gemacht. Insofern ist festzuhalten, dass jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt kaum objektivierbare Belege für eine stärkere Ausprägung der Migräne vorhanden sind, so dass bei Beachtung der Vorgaben der VG (vgl. dort Teil B Nr. 2.3: mittelgradige Verlaufsform [häufigere Anfälle, jeweils einen oder mehrere Tage anhaltend]: GdB 20 – 40) nur bei großzügiger Bewertung ein GdB von 20 zugrunde zu legen ist.

2.2.6. Schwerhörigkeit und Tinnitus
Es ist im Vergleich zum Gesundheitszustand zum Zeitpunkt des Erlasses des bestandskräftigen Bescheids von einer Verschlechterung, die einem Anstieg des GdB von 0 auf 20 entspricht, auszugehen, weil bei der Klägerin eine Einschränkung des Hörvermögens durch ein Audiogramm sowie ein Tinnitus nachgewiesen sind.
Nach den sachverständigen Feststellungen und der Auswertung des zum maßgeblichen Zeitpunkt vorliegenden Audiogramms vom 05.07.2011, aus dem sich ein prozentualer Hörverlust von 55% rechts und 34% links ergibt, lässt sich ein GdB von 20 nur im unteren Bereich feststellen. Dies steht in Übereinstimmung mit den Vorgaben der VG (vgl. dort Teil B Nr. 5.2.4).

Sofern die Bevollmächtigten der Klägerin der Meinung sind, dass für die Einschränkung des Hörvermögens ein höherer GdB anzusetzen sei, weil der Klägerin ein Hörgerät verordnet worden sei, ist dies nicht nachvollziehbar. Die Höhe des GdB ergibt sich aus dem prozentualen Hörverlust und nicht aus der Verordnung eines Hörgeräts. Sollte sich bei der Klägerin zu einem Zeitpunkt nach dem 08.08.2012 eine stärkere Einschränkung des Hörvermögens eingestellt haben, wäre dies im vorliegenden Verfahrens rechtlich unbeachtlich, da eine solche Veränderung nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung eingetreten wäre.

An der zum GdB getroffenen Einschätzung ändert auch nichts die Tatsache, dass die Klägerin das Vorliegen eines Tinnitus angibt. Denn dieser hat, wie sich aus den eingeholten Gutachten ergibt, keine nennenswerten psychischen Begleiterscheinungen und ist daher mit einem GdB von allenfalls 10 nicht erhöhend bei der Beeinträchtigung des Hörvermögens zu berücksichtigen (vgl. VG Teil B Nr. 5.3). Im Übrigen würde eine weitergehende Erhöhung des GdB für den Tinnitus wegen von der Klägerin behaupteter erheblicher psychovegetativer Begleiterscheinungen, die ohnehin nicht nachgewiesen sind, auch eine Doppelbewertung darstellen, da die bei der Klägerin vorliegenden gering ausgeprägten psychischen Gesundheitsbeeinträchtigungen bereits im Rahmen einer Depression großzügigste Berücksichtigung gefunden haben.

2.2.7. Weitere Gesundheitsstörungen
Weitere Gesundheitsstörungen, die einen GdB von 20 oder mehr begründen würden und daher von Bedeutung für die Feststellung des Gesamt-GdB sein könnten (vgl. VG Teil A Nr. 3 Buchst. d ee), liegen nach übereinstimmender Einschätzung aller Sachverständigen, auch der von der Klägerin selbst benannten Gutachterin, nicht vor.

2.2.8. Gesamtbetrachtung
Ein Vergleich des Gesundheitszustands der Klägerin, wie er zum Zeitpunkt des bestandskräftigen Bescheids im Jahr 2009 vorgelegen hat, mit dem Gesundheitszustand, wie er zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (Widerspruchsbescheid vom 08.08.2012) gegeben war, zeigt, dass eine Besserung eingetreten ist, die eine Herabsetzung des GdB von 50 auf zumindest 40 erfordert.
Was die Bewertung des (Gesamt-)GdB zum maßgeblichen Zeitpunkt betrifft, folgt der Senat der Einschätzung der Sachverständigen M. und Dr. E.. Deren Einschätzung steht in Übereinstimmung mit den Vorgaben der VG (vgl. dort Teil A Nr. 3). Dabei weist der Senat ausdrücklich darauf hin, dass der vom Beklagten und auch den Gutachten M. und Dr. E. angenommene GdB von 40 durchaus als sehr großzügig zu bezeichnen ist und dem Senat aufgrund der Erfahrung aus vielen Vergleichsfällen auch eine Herabsetzung auf einen GdB von 30 nicht abwegig erschienen wäre.

2.3. Ergänzende Hinweise

2.3.1. Gutachten der Dr. L.
Das Gutachten, das diese Ärztin für physikalische und rehabilitative Medizin, die die Klägerin auch behandelt, gemäß § 109 SGG erstellt hat, hat wegen erheblicher Lücken und Mängel keine Berücksichtigung finden können und war unverwertbar:

– Wie die Ausführungen der Sachverständigen zur Beweisfrage der Besserung zeigen, sind dieser Gutachterin die in den VG aufgestellten Grundsätze zur Beurteilung einer Gesundheitsstörung mit Heilungsbewährung unbekannt.

Sie hat die Frage einer Besserung verneint und dies damit begründet, dass zwar kein Rezidiv der Brusterkrankung vorliege, sich aber ein neuropathisches Schmerzsyndrom entwickelt habe, was die Lebensqualität deutlich beeinträchtige. Früher sei – so Dr. L. – die Erkrankung der Brust weitgehend symptomlos gewesen. Bei Abwägung dieser beiden Sachverhalte habe sich – so ihre Ansicht – keine Änderung ergeben.

Bei dieser Argumentation verkennt die Sachverständige völlig die Bedeutung der Zeit der Heilungsbewährung und die in den VG aufgestellten Grundsätze zur Festsetzung der Höhe des GdB bei insbesondere malignen Erkrankungen in dieser Zeit. Denn der GdB in der Zeit der Heilungsbewährung muss gerade nicht dem GdB entsprechen, wie er für die rein funktionellen Einschränkungen zugrunde zu legen wäre. Dies wird aus den VG an zwei Stellen deutlich.
VG Teil A Nr. 2. Buchst. h:

„Gesundheitsstörungen, die erst in der Zukunft zu erwarten sind, sind beim GdS nicht zu berücksichtigen. Die Notwendigkeit des Abwartens einer Heilungsbewährung stellt eine andere Situation dar; während der Zeit dieser Heilungsbewährung ist ein höherer GdS gerechtfertigt, als er sich aus dem festgestellten Schaden ergibt.“

VG Teil A Nr. 7. Buchst. b:
„Nach Ablauf der Heilungsbewährung ist auch bei gleichbleibenden Symptomen eine Neubewertung des GdS zulässig, weil der Ablauf der Heilungsbewährung eine wesentliche Änderung der Verhältnisse darstellt.“
Die Feststellung des GdB entspricht daher für die Zeit der laufenden Heilungsbewährung einer pauschalen Feststellung, die nicht den funktionellen Einschränkungen entsprechen muss, sondern einen deutlich höheren GdB ergeben kann, als er den funktionellen Einschränkungen entsprechen würde. Erst für die Zeit nach Ablauf der Heilungsbewährung ist der GdB nach den konkreten funktionellen Auswirkungen der vorliegenden Gesundheitsstörungen zu bemessen (vgl. BSG, Urteile vom 30.09.2009, Az.: B 9 SB 4/08 R, und vom 02.12.2010, Az.: B 9 SB 4/10 R, Beschluss vom 09.12.2010, Az.: B 9 SB 35/10 B). Trotz weitgehender „Symptomlosigkeit“ kann daher ein GdB von 50 bei einer malignen Erkrankung – wie hier der Fall – in Übereinstimmung mit den VG stehen. Sofern die Sachverständige gemäß § 109 SGG bei der Klägerin keine wesentliche Änderung sieht, berücksichtigt sie die Vorgaben der VG bei der Bewertung von bösartigen Erkrankungen nicht und liefert damit im Übrigen eine deutliche Bestätigung dafür, dass die Annahme aller anderen Sachverständigen, es liege eine Besserung im Sinn des § 48 SGB X vor, richtig ist.

– Dem Gutachten fehlt weitgehend ein sorgfältig und ausreichend erhobener Befund über den Gesundheitszustand der Klägerin als Grundlage für eine nachvollziehbare sozialmedizinische Beurteilung.
– Die Einschätzung der Sachverständigen Dr. L. zu einer chronischen Schmerzstörung samt Angst-Depression-Reaktion ist in keiner Weise nachvollziehbar. Ganz abgesehen davon, dass schon die von der Sachverständigen gestellten Diagnosen nicht plausibel sind, wie dies auch dem Gutachten von Dr. E. zu entnehmen ist, wäre ein GdB von 50 für eine derartige Gesundheitsstörung mit dem bei der Klägerin mehrfach von anderen Gutachtern festgestellten objektiven Befund nicht ansatzweise zu vereinbaren. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin ohne größere Arbeitsunfähigkeitszeiten nach wie vor ihrem Beruf als Gymnasiallehrerin nachgeht. Bei einem GdB von 50 für eine psychische Gesundheitsstörung wäre dies nicht nur nicht zu erwarten, sondern so gut wie ausgeschlossen.
2.3.2. Potentielle spätere Änderungen im Gesundheitszustand der Klägerin
Sollten sich nach dem maßgeblichen Zeitpunkt Verschlechterungen im Gesundheitszustand der Klägerin ergeben haben, wären diese aus rechtlichen Gründen in diesem Verfahren nicht zu berücksichtigen, da Gegenstand des Verfahrens eine Besserungsentscheidung ist. Die Klägerin müsste insofern derartige Veränderungen in ihrem Gesundheitszustand im Weg eines neuen Verschlimmerungsantrags geltend machen.

3. Antrag auf Einholung eines Gutachtens nach § 109 SGG bei Dr. D.
Der erstmals am 08.06.2015 gestellte und in der mündlichen Verhandlung am 13.07.2015 wiederholte Antrag gemäß § 109 SGG wurde grob fahrlässig zu spät gestellt und ist daher zurückzuweisen. Denn anderenfalls hätte sich die Erledigung des Rechtsstreits verzögert.

Gemäß § 109 Abs. 1 SGG ist im sozialgerichtlichen Verfahren auf Antrag des Behinderten ein bestimmter Arzt gutachtlich zu hören. Die Anhörung kann von der Einzahlung eines Kostenvorschusses abhängig gemacht werden (§ 109 Abs. 1 Satz 2 SGG). Abgelehnt werden kann die Anhörung nur unter den Voraussetzungen des § 109 Abs. 2 SGG. Eine Ablehnung ist möglich, wenn der Antrag entweder in Verschleppungsabsicht oder aus grober Nachlässigkeit zu spät vorgebracht worden ist und sich bei einer Zulassung des Beweisantrags die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde.

Grobe Nachlässigkeit ist das Außerachtlassen jeder prozessualen Sorgfalt. Sie liegt regelmäßig dann vor, wenn der behinderte Mensch oder dessen Bevollmächtigter den Antrag auf gutachtliche Anhörung eines bestimmten Arztes nach § 109 SGG nicht in angemessener Frist stellt, obwohl er erkennt oder erkennen muss, dass die von Amts wegen durchzuführende Beweisaufnahme beendet ist (vgl. BSG, Urteil vom 24.03.1961, Az.: 10 RV 303/57).

Die Voraussetzungen für eine Ablehnung des Antrags gemäß § 109 SGG sind vorliegend gegeben.
Mit Schreiben vom 10.04.2015 hat der Berichterstatter des Senats den Bevollmächtigten der Klägerin das für diese im Ergebnis negative Gutachten des Dr. E. vom 05.02.2015 mit ausführlichen Erläuterungen und dem Hinweis darauf, dass die Beweisaufnahme von Amts wegen abgeschlossen sei und Erfolgsaussichten für die Berufung nicht zu erkennen seien, übersandt. Dabei hat der Berichterstatter, gerade mit Blick auf den zu dieser Zeit herrschenden Poststreik, eine besonders großzügige Frist bis zum 25.05.2015 (Eingang bei Gericht) gesetzt. Den rechtskundigen Bevollmächtigten der Klägerin musste daher bewusst sein, dass ein Antrag gemäß § 109 SGG nur innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist zulässig war. Gleichwohl haben sie innerhalb der Frist keinen Sachverständigen nach § 109 SGG benannt, sondern nur eine Fristverlängerung beantragt. Dies reicht nicht für eine fristwahrende Antragstellung gemäß § 109 SGG aus. Denn ein Antrag gemäß § 109 SGG setzt voraus, dass der Antrag klar und unmissverständlich und mit dem – zumindest bestimmbaren – Namen des Arztes gestellt wird; eine lediglich unbestimmte Ankündigung eines Antrags gemäß § 109 SGG reicht nicht (vgl. BSG, Beschluss vom 23.10.1957, Az.: 4 RJ 142/57, Urteil vom 04.11.1959, Az.: 9 RV 862/56).

Den Antrag gemäß § 109 SGG haben die Bevollmächtigten der Klägerin erst am 08.06.2015 gestellt und damit zu einem Zeitpunkt, an dem die vom Gericht gesetzte Frist bereits seit rund zwei Wochen abgelaufen war. Diese Überschreitung der Frist erfolgte grob fahrlässig mit der Konsequenz, dass die Einholung eines Gutachtens gemäß § 109 SGG vom Gericht abgelehnt werden kann.
Die Bevollmächtigten der Klägerin können die verspätete Antragstellung nicht damit entschuldigen, dass das gerichtliche Schreiben vom 10.04.2015 erst am 23.04.2015 bei ihnen eingegangen sei. Sofern die Bevollmächtigten der Klägerin dem Senat unterstellen, es sei die Absicht des Senats gewesen, der Klägerin sechs Wochen Zeit ab Kenntnis der gerichtlichen Aufforderung zur Stellungnahme für eine Antragstellung gemäß § 109 SGG zu geben, irren sie. Vielmehr hat der Berichterstatter des Senats gerade mit Blick auf potentielle (auch streikbedingte) Verzögerungen in der Postzustellung eine großzügige Frist von sechs Wochen gesetzt, um auf jeden Fall, also auch bei einer verzögerten Übermittlung des gerichtlichen Schreibens, sicherzustellen, dass der Klägerin bis zum Ablauf der gerichtlich gesetzten Frist genügend Zeit verbleibt, zusammen mit ihren Bevollmächtigten über eine Antragstellung gemäß § 109 SGG zu beraten. Sofern die Bevollmächtigten der Klägerin offenbar davon ausgehen, dass eine Frist von vier Wochen, wie sie im vorliegenden Fall tatsächlich ab Zugang des gerichtlichen Schreibens vom 10.04.2015 eröffnet war, zu kurz wäre, irren sie. Vielmehr ist eine Frist von vier Wochen für die Stellung eines Antrags gemäß § 109 SGG bei weitem ausreichend. Dabei nimmt der Senat Bezug auf die Rechtsprechung des BSG, der ausdrücklich eine Frist von sechs Wochen sogar als unnötig lang angesehen hat (vgl. BSG, Beschluss vom 10.12.1958, Az.: 4 RJ 143/58; Urteil des Senats vom 18.03.2015, Az.: L 15 SB 127/14).

Da die Zulassung des Antrags gemäß § 109 SGG einer Entscheidung in der mündlichen Verhandlung vom 13.07.2015 entgegengestanden wäre und daher das Verfahren verzögert hätte, war der Antrag zurückzuweisen.

4. Abschließender informatorischer Hinweis der Vollständigkeit halber
Lediglich der Vollständigkeit halber, ohne dass dies im vorliegenden Verfahren wegen des maßgeblichen Zeitpunkts von rechtlicher Bedeutung wäre, weist der Senat die Klägerin auf Folgendes hin:
Selbst wenn der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im vorliegenden Verfahren der maßgebliche Zeitpunkt gewesen wäre, hätte die Berufung keinen Erfolg haben können. Denn bei Würdigung sämtlicher gesundheitlicher Beeinträchtigungen der Klägerin, wie sie sich zuletzt im Berufungsverfahren gezeigt haben, käme ein höherer GdB als 40 nicht in Betracht. Dies ergibt sich insbesondere aus dem aktuellen Gutachten des Dr. E. vom 05.02.2015, das im Berufungsverfahren eingeholt worden ist. Dr. E. hat, vorsorglich befragt zu der Bewertung des GdB zum Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung, die überzeugende Einschätzung geäußert, dass der GdB nach wie vor mit 40 einzustufen sei. Weder bei den das neurologisch-psychiatrische Fachgebiet betreffenden Gesundheitsstörungen noch bei den Gesundheitsstörungen auf für ihn fachfremden Gebieten hat er Anhaltspunkte dafür erkennen können, dass die Behinderungen nicht korrekt bewertet worden wären. Seine Einschätzung zum GdB hat er im Rahmen seines Gutachtens ausführlich begründet, wobei – wie auch schon oben dargestellt – die Einschätzung zu den Einzel-GdB und damit auch zum Gesamt-GdB durchaus sehr großzügig für die Klägerin ist. Irgendwelche Hinweise, auch von Seiten der Klägerin, darauf, dass sich ihr Gesundheitszustand seitdem weiter verschlechtert hätte, gibt es nicht, auch nicht betreffend das Hörvermögen. Aber sogar selbst dann, wenn sich seit dem Audiogramm vom 05.07.2011 das Hörvermögen der Klägerin weiter verschlechtert haben sollte, so dass jetzt auf beiden Ohren eine mittelgradige Schwerhörigkeit vorliegen würde, was die Bevollmächtigten der Klägerin lediglich deswegen vermutet haben, weil der Klägerin ein Hörgerät verordnet worden ist, ohne aber dafür weitere Befunde vorzulegen, würde dies keinen Gesamt-GdB von 50 bewirken. Denn eine auf beiden Ohren vorliegende mittelgradige Schwerhörigkeit begründet einen GdB von 30 keinesfalls im oberen Bereich, sondern eher im unteren Bereich. Denn selbst dann, wenn auf einem Ohr eine mittelgradige Schwerhörigkeit gegeben wäre, auf dem anderen Ohr aber bereits eine hochgradige Schwerhörigkeit, würde dies keinen höheren GdB als 30 bedeuten (vgl. VG Teil B Nr. 5.2.4). Angesichts der Tatsache, dass der bei der Klägerin zum maßgeblichen Zeitpunkt festgestellte GdB von 40 eine für die Klägerin ausgesprochen großzügige Bewertung darstellt, würde eine Erhöhung des Einzel-GdB für das Hörvermögen von 20 auf 30 noch keine Bedeutung für die Höhe des Gesamt-GdB haben, wobei für die vorgenannte Einschätzung zum Gesamt-GdB keine weitere sachverständige Stellungnahme erforderlich wäre, sondern dies der Senat aufgrund tatrichterlicher Kompetenz in freier Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) feststellen dürfte (ständige Rspr. des BSG, vgl. z. B. Urteil vom 29.11.1956, Az.: 2 RU 121/56, Beschlüsse vom 09.12.2010, Az.: B 9 SB 35/10 B, und vom 27.05.2015, Az.: B 9 SB 66/14 B).
Die Klägerin hat daher mit ihrer Berufung keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

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