SG Frankfurt, Urteil vom 15.03.2012 – S 15 AL 300/09
Für die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit iS von § 57 Abs 2 S 1 SGB 3 sind Vorbereitungshandlungen mit Außenwirkung im Geschäftsverkehr – sofern sie ernsthaft und unmittelbar auf die spätere Geschäftstätigkeit ausgerichtet sind – auch dann ausreichend, wenn die eigentliche Geschäftstätigkeit eine behördliche Erlaubnis oder Zulassung voraussetzt und diese zwar noch nicht erteilt ist, aber nach dem Geschäftsplan des Gründers bzw der Gründerin alsbald erteilt werden soll. (Rn.21)
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 05.06.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2009 verurteilt, der Klägerin Gründungszuschuss in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 07.05.2009 bis zum 31.07.2009 zu gewähren.
2. Die Beklagte hat der Klägerin die zur Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
1 Die Beteiligten streiten um die Gewährung eines Gründungszuschusses für die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit als Rechtsanwältin durch die Klägerin.
2 Die 1978 geborene Klägerin meldete sich, nachdem sie das Zweite Juristische Staatsexamen erfolgreich absolviert hatte, zum 07.08.2008 arbeitslos; die Beklagte bewilligte ihr ab diesem Tage Arbeitslosengeld für die Dauer von 360 Tagen. Am 04.05.2009 stellte die Klägerin telefonisch einen Antrag auf Gewährung eines Gründungszuschusses, um sich als Rechtsanwältin selbständig niederzulassen. In diesem Zusammenhang beantragte sie am 05.05.2009 die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft bei der zuständigen Kammer in A-Stadt und zahlte die dafür anfallende Gebühr von 160,- Euro ein; am gleichen Tag stellte sie auch den Antrag auf Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung bei der X Versicherung mit einem Versicherungsbeginn am 06.05.2009. In dem unter dem 06.05.2009 gezeichneten Formblattantrag für die Gewährung eines Gründungszuschusses gab sie an, sie werde am 07.05.2009 eine selbständige, hauptberufliche Tätigkeit als Rechtsanwältin aufnehmen. Tatsächlich wurde sie auch am 07.05.2009 durch Urkunde der Rechtsanwaltskammer A-Stadt zur Rechtsanwaltschaft zugelassen; die Beklagte hob durch Bescheid vom 14.05.2009 dementsprechend die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab dem 07.05.2009 auf.
3 Mit dem angefochtenen Bescheid vom 05.06.2009 lehnte sie jedoch den Antrag auf Gründungszuschuss ab, da die Klägerin zum Zeitpunkt der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit am 07.05.2009 nicht mehr über einen Anspruch auf Arbeitslosengeld von mindestens 90 Tagen – sondern nur noch von 89 Tagen – verfügt habe. Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 02.07.2009).
4 Die Klägerin hat daraufhin am 31.07.2009 Klage erhoben, wobei sie vor dem Hintergrund einer Beschäftigungsaufnahme am 01.08.2009 den streitigen Zeitraum entsprechend beschränkt hat. Zur Begründung macht sie insbesondere geltend, sie habe ihre selbständige Tätigkeit bereits mit der Vorsprache bei der Rechtsanwaltskammer am 05.05.2009, der Zahlung der Gebühr für die Zulassung und dem Antrag auf Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung ab dem Folgetag aufgenommen. Außerdem vertritt sie die Auffassung, dass ihr am 07.05.2009 noch ein Restanspruch von 90 Tagen zur Verfügung gestanden habe; auf Grund der Regelung in § 339 S. 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) – Arbeitsförderung – sei davon auszugehen, dass die Zahl der Bezugstage im ersten Bezugsmonat, dem August 2008, nur mit 24, nicht, wie von der Beklagten angenommen, mit 25 anzusetzen sei. Zudem habe die Beklagte sie hinsichtlich der Einhaltung der 90-Tages-Frist falsch informiert; ihr sei nämlich namentlich bei der telefonischen Antragstellung am 04.05.2009 gesagt worden, maßgeblich sei der Tag der Antragstellung. Sollte daher die 90-Tages-Frist versäumt sein, so könne ihr das unter Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht entgegengehalten werden; zudem liege darin ggf. eine Härte, so dass sie auf der Grundlage von § 324 Abs. 1 S. 2 SGB III so zu behandeln sei, als habe sie die Tätigkeit rechtzeitig aufgenommen.
5 Die Klägerin beantragt,
6 die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 05.06.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2009 zu verurteilen, ihr einen Gründungszuschuss in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 07.05.2009 bis zum 31.07.2009 zu gewähren.
7 Die Beklagte beantragt,
8 die Klage abzuweisen.
9 Sie verteidigt ihre Bescheide. Ein Beratungsbedarf der Klägerin sei vor dem 04.05.2009 nicht erkennbar gewesen; eine Falschberatung sei nicht ersichtlich. Zudem sei der Zeitpunkt der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht fiktiv auf einen früheren Zeitpunkt festlegbar. Vor dem 07.05.2009 habe die Klägerin ihre Tätigkeit aber tatsächlich nicht aufgenommen; in ihrem Antrag habe sie dieses Datum selbst angegeben. Die Antragstellung bei der Rechtsanwaltskammer und der Abschluss der Versicherung habe noch keine Außenwirkung im Geschäftsverkehr; ausreichend intensive Vorbereitungshandlungen mit Rechtswirkung nach außen ließen sich vor dem 07.05.2009 nicht feststellen.
10 Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- sowie der zur Klägerin geführten Leistungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
11 Die Klage ist zulässig und begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Gründungszuschuss zu; insbesondere ist von einer rechtzeitigen Aufnahme der selbständigen Tätigkeit als Rechtanwältin bereits am 05. bzw. 06.05.2009 auszugehen.
12 I. Gegenstand des Verfahrens ist ein Anspruch der Klägerin auf Gründungszuschuss nach § 57 SGB III, den die Beklagte mit Bescheid vom 05.06.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2009 abgelehnt hat. Die Klägerin hat Leistungen nur für die Zeit vom 07.05.2009 bis zum 31.07.2009 geltend gemacht, so dass der Frage, ob ihr auch für den 05.05.2009 und 06.05.2009 Ansprüche zustehen können, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt noch Arbeitslosengeld bezogen und ihren Antrag auch erst für die Zeit ab 07.05.2009 gestellt hat, nicht weiter nachzugehen ist.
13 II. Die Klage ist zulässig, insbesondere als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz – SGG –) statthaft, da sich aus § 57 Abs. 1 SGB III in der hier maßgeblichen, ab 01.08.2006 geltenden und auf das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.07.2006 (BGBl. I S. 1706) zurückgehenden Fassung (im Folgenden: a.F.) ein gebundener Anspruch auf einen Gründungszuschuss ergibt. Die zwischenzeitliche Rechtsänderung durch das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20.12.2011 (BGBl. I S. 2854), das der Behörde einen Ermessensspielraum eingeräumt hat, ist, da das Gesetz sich keine ausdrückliche Rückwirkung beimisst, für den hier streitigen Zeitraum ohne Bedeutung (vgl. § 422 Abs. 1 SGB III).
14 III. Die Klage ist auch begründet. Nach der genannten Vorschrift haben Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung Anspruch auf einen Gründungszuschuss. Der Anspruch wird nach § 57 Abs. 2 S. 1 SGB III a.F. geleistet, wenn die Antragstellerin (1.) bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit (a) einen Anspruch auf Entgeltersatzleistungen nach diesem Buch oder (b) eine Beschäftigung ausgeübt hat, die als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme nach diesem Buche gefördert worden ist, (2.) bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit noch über einen Anspruch auf Arbeitslosengeld von mindestens 90 Tagen verfügt, (3.) der Agentur für Arbeit die Tragfähigkeit der Existenzgründung nachweist und (4.) ihre Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der selbständigen Tätigkeit darlegt.
15 Die Klägerin hatte unproblematisch und unstreitig bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit einen Anspruch auf Arbeitslosengeld und damit auf eine Entgeltersatzleistung im Sinne von § 57 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 Bst. a SGB III a.F.; streitig ist insofern allein, ob zum maßgeblichen Zeitpunkt noch, wie von § 57 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB III a.F. verlangt, ein Restanspruch von 90 Tagen bestand.
16 Dabei ist im Ausgangspunkt die Berechnung der Beklagten nicht zu beanstanden. Auch unter Berücksichtigung des von der Klägerin angeführten § 339 S. 1 SGB III bzw. von § 134 S. 2 SGB III hatte die Klägerin im August 2008 an 25 Tagen Leistungen bezogen. Werden Leistungen in einem Monat mit 31 Tagen nicht vom ersten Tag des Monats an bezogen, so bleibt für diesen Monat die genannte Vorschrift ohne Folgen; vielmehr hat die Beklagte für jeden Kalendertag Leistungen zu erbringen, bis 30 Tage erreicht sind; im Falle der Klägerin hatte die Beklagte daher – zu Recht – angesichts einer Bewilligung ab dem 07.08.2008 Leistungen für 25 Tage ausgezahlt. Bei der Berechnung der Restanspruchsdauer für den Gründungszuschuss war dies entsprechend zu berücksichtigen, so dass am 07.05.2009 angesichts des bis dahin ununterbrochenen Leistungsbezugs tatsächlich nur noch ein Restanspruch von 89 Tagen bestand.
17 Darüber hilft auch die Vorschrift des § 324 Abs. 1 S. 2 SGB III nicht hinweg, da es nicht um die nachträgliche Zulassung des Antrags geht – den die Klägerin unstreitig bereits am 04.05.2009 und damit rechtzeitig gestellt hat –, sondern um die Dauer des Restanspruchs. Auch der sozialrechtliche Herstellungsanspruch hilft der Klägerin nicht. Die Beklagte hat in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hingewiesen, dass dieser es nicht erlaubt, eine frühere Aufnahme der selbständigen Tätigkeit zu fingieren, da es sich um eine von der Beklagten nicht ersetzbare Gestaltungsentscheidung des Betroffenen selbst und die dadurch geschaffenen tatsächlichen Umstände handelt (vgl. ausf. Hess. LSG, 23.09.2011 – L 7 AL 111/09).
18 Entscheidend ist damit, ob die Klägerin ihre selbständige Tätigkeit schon am 06.05.2009 (oder 05.05.2009) aufgenommen hatte; dies ist nach Auffassung der Kammer zu bejahen.
19 Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, 05.05.2010 – B 11 AL 28/09 R; vgl. auch Hess. LSG, 23.09.2011 – L 7 AL 111/09), der sich die Kammer anschließt, ist für die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit nicht unbedingt die Geschäftseröffnung im engeren Sinne notwendig, vielmehr reichen Vorbereitungshandlungen aus, soweit diese im Geschäftsverkehr Außenwirkung entfalten und nach dem zugrunde liegenden Gesamtkonzept ernsthaft und unmittelbar auf die spätere Geschäftstätigkeit ausgerichtet sind.
20 Das Gesetz umschreibt, wie das BSG zur Begründung ausführt, nicht näher, was unter der „Aufnahme der selbständigen Tätigkeit“ zu verstehen ist. Eine ausdrückliche Regelung, aus der zu schließen wäre, dass die Tätigkeit erst dann aufgenommen ist, wenn mit der eigentlichen Geschäftstätigkeit begonnen wird, also Waren produziert oder Dienstleistungen erbracht werden, existiert nicht. Soweit das BSG zu einer früheren Fassung des § 57 SGB III, die ebenfalls die Tatbestandsvoraussetzung „ Aufnahme der selbständigen Tätigkeit“ enthielt, ausgeführt hat, eine solche Tätigkeit werde mit der erstmaligen Vornahme einer unmittelbar auf berufsmäßigen Erwerb gerichteten und der Gewinnerzielung dienenden Handlung mit Außenwirkung aufgenommen (BSG, 01.06.2006 – B 7a AL 34/05 R – mit Hinweis auf LSG Baden-Württemberg, 11.03.1997 – L 13 Ar 2633/95), bleibt ebenfalls offen, inwieweit Vorbereitungshandlungen mit Außenwirkung einzubeziehen sind. Aus den weiteren Ausführungen des BSG in der vorgenannten Entscheidung wird jedoch deutlich, dass der genaue Zeitpunkt der Aufnahme maßgeblich von den Umständen des Einzelfalles abhängt.
21 Eine an den Umständen des Einzelfalles orientierte Betrachtungsweise entspricht auch dem offenen Gesetzeswortlaut und dem Zweck des § 57 SGB III, eine gezielte Förderung zu erreichen und die Nachhaltigkeit von Existenzgründungen aus Arbeitslosigkeit zu stärken (vgl. dazu BT-Drs. 16/1696 S. 31, zu § 57 Abs. 2). Da im Übrigen eine Existenzgründung regelmäßig keinen punktuellen Vorgang darstellt (vgl. BT-Drs. 14/873 S. 13 zu § 57 SGB III i.d.F. des 2. SGB III-Änderungsgesetzes vom 21.7.1999, BGBl. I S. 1648), geht die Kammer in Überseinstimmung mit dem BSG davon aus, dass eine selbständige Tätigkeit im Sinne des § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB III schon vor der eigentlichen Geschäftseröffnung aufgenommen worden sein kann. Unter bestimmten Umständen kann eine Aufnahme also schon vorliegen, wenn vorbereitende Tätigkeiten durchgeführt werden. Die im Gesetz angelegte Nachhaltigkeit der Förderung macht es allerdings erforderlich, vorbereitende Maßnahmen nur dann als Aufnahme der selbständigen Tätigkeit zu werten, wenn diese Maßnahmen Außenwirkung im Geschäftsverkehr entfalten und sie ferner nach dem zugrunde liegenden Gesamtkonzept ernsthaft und unmittelbar auf die spätere Geschäftstätigkeit ausgerichtet sind (vgl. BSG, 05.05.2010 – B 11 AL 28/09 R – und 01.06.2006 – B 7a AL 34/05 R; LSG NRW, 21.4.2010, L 1 AL 39/09 ZVW).
22 Diesen Anforderungen genügen entgegen der Auffassung der Beklagten die von der Klägerin ab dem 05.05.2009 entfalteten Tätigkeiten. Sowohl der bei der Rechtsanwaltskammer gestellte Antrag auf Zulassung – einschließlich der Entrichtung der dafür anfallenden Gebühren – als auch der Antrag auf Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung für die Zeit ab 06.05.2009 stellen vorbereitende Maßnahmen mit Außenwirkungen im Geschäftsverkehr dar. Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang einwendet, die Vorbereitungshandlungen seien nicht intensiv genug, insbesondere mit den Vorbereitungshandlung etwa bei der Einrichtung eines Betriebes, eines Ladens oder einer Gaststätte nicht vergleichbar, ist dieses Argument nach Auffassung der Kammer nicht durchgreifend. Der Gründungszuschuss wird auch (und vielleicht gerade, vgl. BT-Drs. 16/1696 S. 30) für die Förderung „kleiner“ Existenzgründungsvorhaben gewährt, die in der Startphase mit relativ geringen Investitionen (und einem entsprechend geringen Vorbereitungsaufwand) begonnen werden können. Es kann der Klägerin daher nach Auffassung der Kammer nicht entgegengehalten werden, dass weitere Vorbereitungshandlungen als die von ihr unternommenen bei der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit als Rechtsanwältin mit „Kanzleisitz in der eigenen Wohnung“ nicht erforderlich waren. Die notwendigen Vorbereitungshandlungen hat die Klägerin unternommen und diese nach ihrer glaubhaften Darstellung in der mündlichen Verhandlung sogleich in die Mandatsacquise münden lassen; sie stellen sich damit als ernsthaft und unmittelbar auf die spätere Geschäftstätigkeit ausgerichtet dar.
23 Fraglich ist danach allein, ob die Aufnahme einer Tätigkeit, die einer öffentlich-rechtlichen Zulassung bedarf, ausscheidet, bevor diese erteilt ist. Das BSG hat diese Frage, soweit ersichtlich, bislang nicht abschließend entschieden (vgl. Andeutungen in den bereits genannten Entscheidungen vom 01.06.2006 – B 7a AL 34/05 R – und vom 05.05.2010 – B 11 AL 28/09 R); das LSG Rheinland-Pfalz hat in einer neueren Entscheidung (08.09.2011 – L 1 AL 148/09) die Erteilung einer Gaststättenerlaubnis nicht für notwendig erachtet. Auch nach Auffassung der Kammer kann es darauf nicht entscheidend ankommen: Wenn man sich – wie dies inzwischen gesicherter Rechtsprechung entspricht – dafür entscheidet, den prozesshaften Verlauf einer Existenzgründung zu betonen und damit auf die „eigentliche“ Geschäftseröffnung als notwendige Voraussetzung für die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit zu verzichten, kann auch eine Genehmigung hierfür, also für das unmittelbare Tätigwerden im Kontakt mit den Kunden (hier: Mandanten), nicht der entscheidende Gesichtspunkt sein. Die Erteilung einer formalen Zulassung stellt dann nur einen unter vielen Schritten bei der Existenzgründung dar; es erschiene inkonsequent, (nur) bei den zulassungsbedürftigen Berufen auf ein mehr oder weniger formales Moment abzustellen, selbst wenn dies Voraussetzung für die „eigentliche“ Geschäftsaufnahme ist, wenn man diese gar nicht für die entscheidende Zäsur hält. Daher kommt es auch bei Tätigkeiten wie der einer Rechtsanwältin nicht auf die Zulassung, sondern allein darauf an, ob nach außen wirkende Vorbereitungshandlungen feststellbar sind, die sich als ernsthaft und unmittelbar auf die spätere Geschäftstätigkeit ausgerichtet darstellen. Dazu wird regelmäßig gehören, dass der Geschäftsplan, in den sich die Vorbereitungshandlungen einordnen, die alsbaldige Zulassung vorsieht. Ist das aber der Fall, kann nach Auffassung der Kammer u.U. gerade der auf die kurzfristige – hier: schnellstmögliche – Zulassung gerichtete Antrag die nach außen gerichtete Vorbereitungshandlung darstellen, die als Aufnahme der selbständigen Tätigkeit gewertet werden kann. Dies gilt umso mehr, wenn in der (ohnehin sehr kurzen) Zwischenzeit weitere Schritte erfolgen wie hier der Abschluss der Berufshaftpflichtversicherung und die von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung geschilderten Versuche, die Aufnahme der Tätigkeit bekanntzumachen.
24 Weiter liegt der nach § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, S. 2 SGB III a.F. geforderte Nachweis für die Tragfähigkeit der Existenzgründung in Form der Stellungnahme einer fachkundigen Stelle vor, wobei die berufsständischen Kammern, wie hier die Rechtsanwaltskammer, in § 57 Abs. 1 S. 2 HS. 2 SGB III a.F. ausdrücklich als fachkundige Stelle genannt werden. Die Stellungnahme der Rechtsanwaltskammer vom 19.05.2009 – auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, Leistungsakte Bl. 5 – ist dabei trotz des Begleitbriefs vom gleichen Tage, der auf die Schwierigkeit bei der Gründung einer freiberuflichen Existenz als Rechtsanwalt oder Rechtsanwältin hinweist, als ausreichender Nachweis für die Tragfähigkeit der Existenzgründung anzusehen. Die Beklagte muss sich insofern an dem von ihr herausgegebenen Formblatt und der Praxis, sich mit einer für den Antragsteller günstigen Kürzeststellungnahme der fachkundigen Stelle durch Ankreuzen der entsprechenden Felder zu begnügen, festhalten lassen. Ein Recht der Beklagten, ihre eigene Bewertung an die der fachkundigen Stelle zu setzen, sah die damalige Gesetzesfassung nicht vor. Eine hinreichend aussagekräftige Beschreibung des Gründungsvorhabens hat die Klägerin zudem vorgelegt; insofern wird auf Bl. 7 ff. der Leistungsakte Bezug genommen. Dass auf diese Weise immer wieder (und möglicherweise auch hier) von vornherein nicht tragfähige Gründungsvorhaben gefördert werden mussten, entspricht der gesetzlichen Konzeption und ist daher von der Beklagten (und vom Gericht) hinzunehmen.
25 Eine ausreichende Darlegung der Kenntnisse und Fähigkeiten der Klägerin zur Ausübung der selbständigen Tätigkeit wird von der Beklagten nicht in Frage gestellt und muss hier im Übrigen mit der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft durch die zuständige Kammer angenommen werden.
26 Der notwendige Antrag ist unstreitig telefonisch bereits am 04.05.2009 und damit rechtzeitig vor Aufnahme der selbständigen Tätigkeit als leistungsbegründendem Ereignis im Sinne von § 324 Abs. 1 S. 1 SGB III gestellt.
27 Die alsbaldige Aufgabe des Existenzgründungsvorhabens schließlich steht der Gewährung der begehrten Leistung nicht entgegen. Zwar erscheint es auf den ersten Blick fraglich, ob unter diesen Umständen der Zweck der Förderung noch erreicht werden kann; insofern wäre es auch denkbar, dass die Beklagte diesen Gesichtspunkt einbeziehen dürfte, wenn ihr für die Bewilligung ein Ermessensspielraum eingeräumt wäre (und sie jetzt über die Bewilligung erneut zu entscheiden hätte). Nach der hier maßgeblichen Gesetzesfassung handelt es sich aber um einen gebundenen Anspruch, für den die Tragfähigkeit der Existenzgründung allein unter prognostischen Gesichtspunkten eine Rolle spielt. Unter diesem Umständen kann der Leistungsberechtigten, wenn die Beklagte den Antrag zunächst zu Unrecht abgelehnt hat, zur Wahrung effektiven Rechtsschutzes später nicht entgegengehalten werden, dass sie das Vorhaben während der Dauer des Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens aufgegeben hat. Dies gilt umso mehr, wenn, wie die Klägerin hier glaubhaft dargetan hat, sie gewissermaßen als Ersatz für die ausbleibenden Mittel ein Privatdarlehen aufgenommen hat.
28 IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.