Weiterverwendung von unwirksamer AGB-Klausel führt zu leichtfertigem Sendungsverlust

AG Hagen (Westfalen), Urteil vom 28.10.2010 – 10 C 54/10

Das kleingedruckte Verweisen auf einen formal anderen Frachtführer durch ein weltweit tätiges, markengeprägtes Transportunternehmen auf eine andere zum selben Konzern gehörende Gesellschaft ist irreführend und unbeachtlich.

Die weitere Verwendung einer Zustellklausel, wonach an den Nachbarn zugestellt werden kann trotz bekannter entgegenstehender Entscheidung eines Oberlandesgerichts führt zu einem leichtfertigen Sendungsverlust.

(Leitsätze des Gerichts)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.900,00 Euro nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01.10.2008 zu zahlen. Desweiteren ebenso außergerichtliche Kosten in Höhe von 216,18 Euro, an die Klägerin zu zahlen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 130 % des beizutreibenden Betrages.

Tatbestand

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Die Klägerin beauftragte die Beklagte mit der Paketzustellung einer Haarverlängerungsmaschine Typ GL 3200 zu einem Preis von 2.900,00 Euro. Dieses Gerät sollte der Zeugin N, I-Weg in L zugestellt werden, nachdem die Klägerin unter Einschreitung auch der Gesellschaft M die Vertragsübernahme bezüglich des Gerätes mit Frau N vereinbart hatte. Die Zeugin N erklärte gegenüber der Klägerin, dass sie das Gerät nicht erhalten habe.

2

Die Klägerin ließ den Sendungsverlauf prüfen. Sie meldete am 18.07.2008 den Schaden von 2.900,00 Euro bei der Beklagten an. Sie behauptet, eine Auslieferung an die Zustelladressatin sei nicht erfolgt. Auch die Nachbarin der Zeugin N, die Zeugin X, habe das Gerät nicht für die Zeugin N als Zustellungsbotin übernommen, geschweige denn ausgehändigt.

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Die Klägerin verlangt Schadensersatz und beantragt

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die Beklagte zu verurteilen wie erkannt.

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Die Beklagte beantragt

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die Klage abzuweisen.

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Sie will darauf verweisen, dass die E keine Frachtverträge abschließe und nicht die richtige Anspruchsgegnerin sei, Schadensersatzanspruch sei allenfalls gegen die Q2 AG zu richten.

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Außerdem sei die streitgegenständliche Sendung ordnungsgemäß an einen geeigneten Ersatzempfänger zugestellt worden und die Beklagte beruft sich auf die eigenen Geschäftsbedingungen (siehe Bl. 22 d. A.), wonach unter Ziffer 4 aufgeführt ist:

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„Die E darf Sendungen, die nicht in der in Absatz 2 genannten Weise geliefert werden können, an einen Ersatzempfänger aushändigen. Dies gilt nicht für Sendungen mit dem Service „eigenhändig….“!

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Auch den Nachforschungsantrag hat allerdings die Beklagte, wie Bl. 11 d. A. der Klägerin gegenüber das bearbeitete Nachforschungsgesuch beantwortet und wegen angeblich ordnungsgemäßer Auslieferung die Ersatzzahlung abgelehnt.

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Außerdem beruft sich die Beklagte auf Verjährung nach § 439 HGB.

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Das Gericht hat den Zusteller V T, desweiteren die Zeuginnen B und N vernommen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, wegen des Ergebnisses der Zeugenvernehmung auf die Niederschriften der öffentlichen Sitzungen vom 21.06.2010 und 28.10.2010 Bezug genommen.

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Die Klägerin hat der Zeugin N den Rechtsstreits verkündet; die Zeugin N ist jedoch nicht beigetreten.


Entscheidungsgründe

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Die Klage ist begründet.

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Die Beklagte ist die richtige Schuldnerin, jedenfalls die richtige Beklagte.

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Sie muss sich aufgrund der nicht genügend deutlich erkennbaren Ausgestaltung des Bestellformulars als Frachtführerin behandeln lassen. Jedenfalls aufgrund des Schreibens vom 15.04.2008 Bl. 11 d. A. muss sich die Beklagte als richtige Schuldnerin ansehen lassen. Sie hat nicht darauf hingewiesen, dass sie nicht die richtige beklagte Partei ist. Die kleingedruckte Verweisung darauf, dass die Q2 AG Frachtführer sei, verschwindet in dem Text zu sehr, als dass die beklagte Unternehmung, die in der Fettschrift im Kopf nach der Aufmachung im Allgemeinen wie auf den Auslieferungsfahrzeugen und der allgemein bekannten Firmierung als Vertragspartnerin zu erkennen ist, verdrängt wird. Der Klägerin steht auch ungeachtet des Verjährungseinwandes unter vollem Umfang Schadensersatz zu, weil der Sendungsverlust leichtfertig herbeigeführt worden ist. Dabei ist gar nicht allein die Leichtfertigkeit des Auslieferfahrers, des Zeugen T, maßgeblich. Dieser mag sich sogar auf die allgemeinen Bedingungen seiner Arbeitgeberseite, der Beklagten, verlassen haben, also mit Rücksicht auf die von der Beklagtenseite verfassten Allgemeinen Geschäftsbedingungen die Auslieferung an eine andere Person in der Nachbarschaft des Zustelladressaten, der Zeugin N, durchgeführt haben.

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Auch bedarf es nicht der Klärung des Falls, ob eine vorsätzliche Sendungsunterschlagung vorliegt. Hierfür hat die Beweisaufnahme zudem keine Anhaltspunkte gegeben.

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Die Beklagte hat jedoch leichtfertig Geschäftsbedingungen verwandt, bei denen zu ihren Lasten zudem spricht, dass sie, wie wohl nach ihren eigenen Angaben nicht Frachtführerin ist, sich auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten und nicht etwa auf die der Q AG beziehen. Die in dem Text der offensichtlich für zahlreiche Vertragsverhältnisse vorbestimmte Leistungsbeschreibung der E unter Ziffer 4 (III unter Ziffer 1 näher bezeichneten Angehörigen des Empfängers oder des Ehegatten oder anderer der in den Räumen befindlichen Personen sowie deren Hausbewohner und Nachbarn) ist bei der letzteren Auslieferungsweise hinreichend unbestimmt. Es gibt keinen sicheren Begriff des Nachbarn, da es sich doch um unmittelbar oder doch etwas weiter entfernte Grundstücksnachbern etwa bei Einzelhäusern handeln, mag es sich auch um Etagenbewohner eines mehrstöckigen Hauses handeln, weil stets unklar bleibt, wie weit die Nachbarschaft des richtigen Adressaten reicht. Auch kann im Allgemeinen Vorstellungsverhältnis keine Abgrenzung gefunden werden, und wie Nachbarn von Personen, die schon nicht mehr benachbart sind, abgegrenzt werden.

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Die Verwendung dieser allgemeinen Geschäftsbedingungen ist offensichtlich unzulässig, wie auch bereits anderweitig entschieden worden ist, OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.03.2007 I-18 K 163/08 (§§ 425, 432, 435 HGB, 307 I 1, 307 I 2, 307 II BGB). Indem sich die Beklagte trotzdem noch heute auf die Geschäftsbedingungen beruft, zeigt, dass sie die Unwirksamkeit und daraus folgende Konsequenzen durch ihre Auslieferfahrer zumindest leichtfertig hinnimmt. So ist nach den Angaben des Zeugen T in Verbindung mit dem Auslieferdokument allenfalls eine Auslieferung an eine andere Person als den genannten Sendungsempfänger erfolgt. Die nach den Angaben des Zeugen T und wie auch gerichtsbekannterweise durchgeführte Verzeichnung auf dem Quittungsautomaten ist offensichtlich nicht geeignet, einen konkreten Empfänger zu identifizieren, sodass die Verwendung eines solchen Gerätes ebenfalls für die Leichtfertigkeit der Beklagten spricht. Es ist auch gerichtsbekannt, dass die Unterschriftleistung auf diesem Automaten weder für den Empfangsbezeichner noch für den Auslieferungsboten erkennbar eine konkrete Person angibt, geschweige denn, dass die Identität ordentlich überprüft wird, wer die Warensendung tatsächlich erhält. Eine konkrete Auslieferung über die Zeugin X an die vereinbarte Empfängerin ist nicht festzustellen. Der Zeuge T konnte sich nicht konkret an die Sendungsauslieferung erinnern.

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Zwar hat der Zeuge T angegeben, er habe regelmäßig auch bei der Zeugin X abgegeben und die Zeugin X hat wiederum angegeben, sie habe aller erhaltenen Warensendungen, die für die Zeugin N bestimmt waren, an diese abgeliefert.

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Die Zeugin N hat aber gerade dies in Abrede gestellt. Die insgesamt zu Tage getretenen Undeutlichkeiten bei den verschiedenen Zeugenaussagen lassen jedoch eine sichere Überzeugungsbildung im Sinne von § 286 ZPO nicht dahingehend zu, dass die Zeugin N tatsächlich das Gerät erhalten hat. Genauso wenig lässt sich mit der nötigen Sicherheit des § 286 ZPO feststellen, dass die Zeugin X aufgrund einer allgemeinen Absprache mit der vertraglichen Sendungsempfängerin, also einer individuellen Empfangsvollmacht berechtigt war, mit Wirkung gegenüber der vereinbarten Sendungsempfängerin, also der Zeugin N, die Warensendung in Empfang zu nehmen, sodass bereits mit der Aushändigung an die Zeugin X die Sendung ordnungsgemäß zugestellt gewesen wäre. Auch insoweit sind die Zeugenaussagen auf der Seite des Zeugen T nicht sicher genug, die Zeugenaussagen X und N widersprüchlich und gegebenenfalls auch von Eigeninteresse geprägt. Die relativ hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Zeugin u der Zeugin X die Sendung weitergegeben bekommen hat, genügt nicht, da die Zweifel nicht mit dem für das mit dem für das praktische Leben brauchbaren Grad ausgeschlossen werden konnten. Beide Zeuginnen hinterließen auf das Gericht einen durchaus nicht souveränen und überzeugenden Eindruck.

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Die Schadenshöhe ergibt sich aus den vorgelegten Dokumenten insbesondere der Partnervereinbarung der Klägerin mit der Firma M.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

25

Das Urteil ist nach § 709 ZPO vorläufig vollstreckbar.

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