Rücknahmepflicht des Gebrauchtwagenhändlers trotz positiver Hauptuntersuchung

OLG Oldenburg, Urteil vom 28.02.2014 – 11 U 86/13

Zur Pflicht des gewerblichen Verkäufers zur Rücknahme eines Gebrauchtwagens infolge wirksamer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung trotz positiver TÜV-Prüfung

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das am 30.08.2013 verkündete
Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des Landgerichts
Oldenburg wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.
Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Rückzahlung des Kaufpreises für einen
gebrauchten PKW in Anspruch.

Mit Kaufvertrag vom 03.08. 2012 erwarb die Klägerin von dem Beklagten, der
einen gewerblichen Autohandel betreibt, einen 13 Jahre alten gebrauchten PKW
Typ Opel Zafira mit einer Laufleistung von 144.000 km zum Kaufpreis von 5.000,-
€. Noch am Tag des Fahrzeugkaufs war die Hauptuntersuchung (TÜV)
durchgeführt und das Fahrzeug mit einer TÜV-Plakette versehen worden.
Unmittelbar nach dem Kauf fuhr die Klägerin zu ihrem rund 900 km entfernten
Wohnort. Auf der Fahrt dorthin ging der Motor mehrfach aus. Die Klägerin ließ das
Fahrzeug untersuchen.

Sie hat behauptet, dabei seien verschiedene Mängel festgestellt worden,
insbesondere aber eine übermäßig starke Korrosion an den Bremsleitungen,
Kraftstoffleitungen und am Unterboden. Das Fahrzeug sei nicht verkehrssicher.
Darauf sei sie beim Kauf nicht hingewiesen worden. Mit Schreiben vom
30.08.2012 erklärte die Klägerin deshalb die Anfechtung wegen arglistiger
Täuschung sowie hilfsweise den Rücktritt vom Kaufvertrag.

Der Beklagte hat behauptet, er habe das Fahrzeug vor dem Verkauf
durchgesehen und nur vordergründigen Rost festgestellt. Da das Fahrzeug vom
TÜV nicht beanstandet worden sei, habe er auch nicht gegen Untersuchungs- und
Hinweispflichten verstoßen.

Das Landgericht hat der Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens
stattgegeben. Der Sachverständige hatte die behaupteten Mängel bestätigt. Der
Beklagte habe sich nicht im Wesentlichen auf die TÜV-Zulassung verlassen
dürfen, sondern hätte nach eigener gründlicher Sichtprüfung die Klägerin auf die
starke Durchrostung hinweisen müssen. Auf die weitere Begründung im Urteil wird
Bezug genommen.

Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung. Er habe auf das
Werturteil des TÜV vertrauen dürfen. Der TÜV habe die Bremsleitungen nicht
beanstandet. Wie eine über die TÜV -Untersuchungen hinausgehende
Untersuchungspflicht hätte aussehen sollen, sei nicht ersichtlich. Entgegen der
Befundung durch den TÜV könne es nicht sein, dass er die Bremsleitungen hätte
austauschen müssen. An den Bremsleitungen habe sich im Übrigen auch nur
vordergründiger Rost befunden. Schließlich sei das Gutachten des
Sachverständigen erst 10 Monate nach Übergabe des Fahrzeugs erstattet
worden, eine Zeit in der die Korrosionen weiter fortgeschritten seien.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 30.08.2013 abzuändern und die
Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte tritt der Berufung nach Maßgabe ihrer Erwiderung entgegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die
angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg.

Zu Recht hat das Landgericht den Beklagten in dem mit der Berufung
angegriffenen Urteil zur Rückzahlung des geleisteten Kaufpreises in Höhe von
5.000,- € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe des gekauften Fahrzeugs
Opel Zafira verurteilt. Die dagegen gerichteten Angriffe der Berufung greifen nicht
durch.

Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch folgt aus §§ 142, 985, 951, 818
BGB. Der zwischen den Parteien geschlossene Kaufvertrag ist nichtig aufgrund
einer wirksamen Anfechtung der Klägerin gemäß § 123 BGB wegen arglistiger
Täuschung.

1) Aufgrund des vom Landgericht eingeholten Sachverständigengutachtens vom
03.06.2013 steht fest, dass bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug eine
fortgeschrittene Korrosion im Bereich der Längsträger, der Fahrwerksteile und
sämtlicher Zuleitungen am Motor besteht sowie eine überdurchschnittliche
Korrosion an den vorderen Bremsleitungen. Nach den glaubhaften Ausführungen
des Sachverständigen, die durch dem Gutachten angefügte Lichtbilder bestätigt
werden, seien die Korrosionen offensichtlich und anlässlich des Verkaufs seien
offensichtlich auch keine Wartungsarbeiten durchgeführt worden. Der Zustand des
Fahrzeugs sei unterdurchschnittlich. Insbesondere die Korrosion an den vorderen
Bremsleitungen hätte bei der noch am Verkaufstag durchgeführten
Hauptuntersuchung (TÜV) beanstandet werden müssen.

2) Dieser erhebliche Mangel bestand auch bereits bei Übergabe des Fahrzeugs
an die Klägerin. Zwar ist das Sachverständigengutachten erst 10 Monate nach
Übergabe erstellt worden, so dass vorhandene Korrosionen weiter fortgeschritten
waren. Jedoch hatte die Klägerin den gekauften PKW bereits 14 Tage nach
Abschluss des Kauvertrages aufgrund einer Motorpanne schon auf der Rückfahrt
an ihrem Heimatort in einer VW-Vertragswerkstatt überprüfen lassen. Aus dem
Prüfbericht vom 17.08.2012 der Firma S…… und K……… geht hervor, dass
sowohl an den Bremsleitungen als auch an der Karosserie die betreffenden
Korrosionen aufgefallen waren und mit Ausrufungszeichen als nicht in Ordnung
beanstandet wurden. Die Klägerin ließ das Fahrzeug darauf hin von einem
privaten Gutachter, der Firma P….. begutachten. Dieser stellte am 17.09.2012
ebenfalls eine sehr starke Durchrostung an den Bremsleitungen und erheblichen
Rost am Unterboden fest. Der Gutachter spekulierte in seinem Gutachten, dass
das Fahrzeug lange im Wasserbereich gestanden haben müsse. Zur
Überzeugung des Senats steht daher fest, dass der von dem gerichtlich bestellten
Sachverständigen festgestellte erhebliche Korrosionsmangel bereits bei Übergabe
des Fahrzeugs vorhanden und die Verkehrssicherheit beeinträchtigt war.

3) Diesen erheblichen Mangel hat der Beklagte der Klägerin bei Abschluss des
Kaufvertrages arglistig verschwiegen. Zwar konnte die Klägern nicht beweisen,
dass der Beklagte positive Kenntnis von den Korrosionsschäden hatte. Der
Beklagte hat aber bewusst gegen die ihm obliegende Untersuchungspflicht als
Gebrauchtwagenhändler verstoßen, die ihn beim Verkauf eines Gebrauchtwagens
trifft. Bei Beachtung seiner Untersuchungspflicht wäre ihm die
überdurchschnittliche Korrosion aufgefallen und er hätte die Klägerin darüber
aufklären müssen. Er war sich bewusst, dass er die Klägerin nicht über mögliche
vorhandene, für ihn als Fachmann einfach zu erkennende Mängel, aufklären
konnte. Dies ist dem arglistigen Verschweigen eines Mangels gleichzusetzen. Er
hat die Klägerin als Käuferin nicht darüber aufgeklärt, dass er den verkauften Pkw
allenfalls einer ganz oberflächlichen Sichtprüfung unterzogen und sich allein auf
den TÜV verlassen hatte.

In Rechtsprechung und Literatur ist unstreitig, dass einen Gebrauchtwagenhändler
beim Verkauf eines Gebrauchtwagens Untersuchungspflichten treffen, wobei
zwischen einer echten und einer generellen Untersuchungspflicht zu
unterscheiden ist (vgl. die umfangreiche Darstellung bei Reinking/Eggert, Der
Autokauf, 11. Auflage, Rd. 3843 ff)

Eine echte Untersuchungspflicht trifft den Autohändler nur dann, wenn er einen
konkreten Verdacht auf Fahrzeugmängel hat. Ein entsprechender Pflichtverstoß
des Beklagten liegt nicht vor. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte
konkrete Verdachtsmomente für eine Durchrostung der Bremsleitungen hatte.
Neben der echten Untersuchungspflicht besteht jedoch die Pflicht des Verkäufers
zu einer generellen Untersuchungspflicht. Hintergrund der generellen
Untersuchungspflicht eines Gebrauchtwagenhändlers ist die Tatsache, dass ein
durchschnittlicher gebrauchter PKW entweder technisch fehlerhaft oder zumindest
fehleranfällig ist. Gebrauchtwagenhändler nehmen für den Handel mit einem
Gebrauchtfahrzeug in der Regel beim Verkauf einen höheren Preis als sie ihn
beim Einkauf gezahlt haben. Wesentliche Voraussetzung ihrer Kalkulation ist eine
sorgfältige Untersuchung des zu verkaufenden Fahrzeugs. Dies rechtfertigt auch
die Pflicht zur generellen Untersuchung. Beim gewerblichen Verkauf eines
Gebrauchtfahrzeugs kann der Käufer bei einem Händler ohne eigene Werkstatt
regelmäßig eine Überprüfung auf leicht erkennbare Mängel erwarten, betreibt er
eine Werkstatt, gehört sogar eine eingehendere Untersuchung zu seinen Pflichten.
Dies entspricht auch der schutzwürdigen Erwartung des Käufers (vgl.
Reinking/Eggert, der Autokauf, 11. Auflage, Rd 3883 ff m.w.N.). Im Hinblick
darauf, dass die Gefahr von versteckten Mängeln bei Gebrauchtwagen, je älter sie
sind, wächst und der Kunde in aller Regel die Sachkunde des
Gebrauchtwagenhändlers durch einen höheren Kaufpreis als beim Privatkauf
üblich mitvergütet, kann der Käufer darauf vertrauen, dass der Kfz-Händler, der
eine fehlerfreie Ware schuldet, das Fahrzeug zumindest in einem gewissen
Rahmen überprüft. Gegenstand dieser Überprüfung ist eine Sichtprüfung von
außen und innen sowie eine Funktionsprüfung. Dabei kann sich aufgrund der
besonderen Sachkunde des Kfz-Händlers weiterer Aufklärungsbedarf aufdrängen,
wie z.B. bei Rostschäden (OLG Köln, Schaden-Praxis 2002, 288ff). Unterlässt der
Autohändler die Untersuchung oder führt er diese so oberflächlich durch, dass er
schuldhaft Mängel übersieht, so ist dieses Verhalten als vorsätzliche
Pflichtverletzung zu werten, wenn der Autoverkäufer über die nur oberflächliche
Überprüfung nicht aufklärt. Dieses bewusste Fehlverhalten rechtfertigt den
Arglisteinwand (OLG Köln, a.a.O.)

Der Beklagte hat gegen die ihm obliegende generelle Untersuchungspflicht
verstoßen, indem er das verkaufte Kfz offensichtlich nicht einer eigenen
sorgfältigen Sichtprüfung unterzogen und die Klägerin auf die massiv
fortgeschrittene Durchrostung der Leitungen und des Unterbodens hingewiesen
hat. Die Durchrostungen wären bereits bei einer einfachen Sichtprüfung des
Unterbodens aufgefallen. Der Beklagte kann sich auch nicht damit entlasten, er
habe den PKW noch am Tag des Verkaufs dem TÜV vorgeführt und dieser habe
das Fahrzeug nicht beanstandet. Bedient sich ein Verkäufer zur Erfüllung seiner
Untersuchungspflicht eines Dritten zur Begutachtung des zu verkaufenden
Fahrzeugs, so handelt das beauftragte Unternehmen als Erfüllungsgehilfe (§ 278
Satz 1 BGB) und ein Prüfverschulden ist dem Verkäufer gemäß § 276 Abs. 2 BGB
zuzurechnen (BGH, NJW 2010, 2426; Reinking/Eggert, a.a.O. Rd. 3893). Dabei
kann es keinen Unterschied machen, ob der Verkäufer einen privaten Gutachter
beauftragt oder den Technischen Überwachungsverein (TÜV). Zwar nimmt der auf
privatwirtschaftlicher Basis organisierte TÜV hoheitliche Aufgaben auf dem Gebiet
der KFZ-Überwachung wahr. Gleichwohl beinhaltet die Überprüfung der
Fahrzeugsicherheit durch den TÜV nicht von vornherein und ohne jeden Zweifel
die Fehlerfreiheit der Überprüfung. Ein Gebrauchtwagenhändler kann sich
jedenfalls von seiner eigenen generellen Untersuchungspflicht nicht entlasten,
indem er das zu verkaufende Fahrzeug dem TÜV vorstellt und den Käufer auf die
erhaltene Prüfplakette verweist.

Aufgrund des Arglisteinwands der Klägerin ist der nichtige Kaufvertrag
rückabzuwickeln. Der weitergehende Anspruch auf Aufwendungsersatz in Höhe
von 315,99 € ist gerechtfertigt aus § 280 Abs. 1 BGB und der Zinsanspruch ist
gerechtfertigt aus §§ 291, 288 BGB. Insoweit wird auf die zutreffenden
landgerichtlichen Ausführungen in dem angegriffenen Urteil gemäß § 543 Abs. 1
ZPO verwiesen.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Der Senat hat die Revision gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zugelassen, da bisher
die Reichweite der generellen Untersuchungspflicht eines
Gebrauchtwagenhändlers bei Vorstellung des zu verkaufenden Fahrzeugs noch
am Tag des Verkaufs beim TÜV höchstrichterlich nicht entschieden ist und die
Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.

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