LG Hamburg, Urteil vom 23. Januar 2020 – 407 HKO 23/19
1. Eine Luftbeförderung im Sinne des Montrealer Übereinkommens endet nicht schon mit der Landung und Entladung des Flugzeuges.
2. Auch die nachfolgende Lagerung des Gutes in einem Lager auf dem Flughafengelände unterfällt dem Anwendungsbereich des Montrealer Übereinkommens.
3. Selbst die Beladung eines Straßenfahrzeuges für die Weiterbeförderung oder Auslieferung unterliegt dem Montrealer Übereinkommen und nicht dem HGB.
(Leitsatz des Gerichts)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Nebenintervention.
3. Das Urteil ist gegen eine Sicherheitsleistung in Höhe von 105% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
4. Das Rubrum wird dahingehend berichtigt, dass die Klägerin nunmehr S. I. (Europe), SA, Zweigniederlassung Deutschland, vertreten durch ihren Vorstand D. A., ständiger Vertreter der Zweigniederlassung T. K. und T. C., … , lautet.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche aus dem Verlust von Ware beim Transport. Die Klägerin ist Transportversicherer der K. M. B. S. E. GmbH und macht als solche Schadensersatzansprüche aus übergegangenem und abgetretenem Recht geltend. Mit der Durchführung des Transports war die amerikanische Schwestergesellschaft der Beklagten, K. & N., Inc., M., USA, beauftragt. Diese sollte fünf Packstücke mit verschiedenen Zubehörteilen für Kopiergeräte von der Firma L. I. aus L., USA zum Lager der Versicherungsnehmerin der Klägerin in E. befördern, und zwar per Luftfracht vom Flughafen A. zum Flughafen H..
2
Die Sendung wurde durch Q. Airways zunächst von A. nach L1 und von dort im Luftersatzverkehr zum Flughafen F. transportiert, wo sie von der Beklagten in Empfang genommen werden sollte. Am 10.03.2017 traf die Sendung in F. ein und wurde vollständig und unbeschädigt von Q. Airways an die Nebenintervenientin übergeben, welche für die Beklagte als Lagerhalter tätig ist. In der Obhut der Nebenintervenientin geriet die Sendung sodann in Verlust.
3
Die Beklagte wurde zunächst von der Versicherungsnehmerin mit Schreiben vom 23.03.2017 haftbar gehalten und anschließend von der Klägerin mit anwaltlichem Schreiben vom 18.05.2017 zur Zahlung von 12.232,21 € aufgefordert. Daraufhin veranlasste die Haftpflichtversicherung der Beklagten eine Zahlung in Höhe von 473,50 € an die Prozessbevollmächtigten der Klägerin. Diese Summe entspricht dem Haftungshöchstbetrag von 19 Sonderziehungsrechten pro Kilogramm nach Art. 22 Abs. 3 des Montrealer Übereinkommens (MÜ).
4
Die Klägerin behauptet, ihre Versicherungsnehmerin habe die Beklagte beauftragt, die Sendung am F.er Flughafen vom ausführenden Luftfrachtführer zu übernehmen und zum Auslieferungslager der Versicherungsnehmerin bei der B. H. GmbH & Co. KG in E. zu befördern. Sie ist daher der Auffassung, dass die Beklagte nicht Luft-, sondern Landfrachtführerin gewesen sei, weshalb sich die Haftung nicht nach dem Montrealer Übereinkommen, sondern nach den §§ 425 ff. HGB richte, wo der Haftungshöchstbetrag nicht gelte.
5
Weiterhin behauptet die Klägerin, alleiniger Transportversicherer der K. M. B. S. E. GmbH zu sein. Die Versicherungsnehmerin habe am 28.03.2017 den Schaden zur Regulierung eingereicht und ihre Ansprüche an die Klägerin abgetreten. Daraufhin habe die Klägerin am 17.05.2017 den Schaden anerkannt und über die Versicherungsmaklerfirma der Versicherungsnehmerin reguliert.
6
Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, 11.758,71 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9.06.2017 sowie vorgerichtliche Kosten in Höhe von 958,19 € nebst Zinsen hieraus seit Zustellung der Klage an die Klägerin zu zahlen.
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Die Beklagte und die Nebenintervenientin beantragen,
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die Klage abzuweisen.
10
Die Beklagte behauptet, die Klägerin sei lediglich mit einem Anteil von 93% an der Transportversicherungspolice beteiligt und vom Mitversicherer, der A. G. C. & S. AG, nicht dazu ermächtigt, den auf diese entfallenden Anteil in Höhe von 7% gegenüber Dritten im eigenen Namen geltend zu machen.
11
Die Beklagte bestreitet, von der Versicherungsnehmerin der Klägerin zum Transport der Sendung nach E. gesondert beauftragt worden zu sein. Allenfalls sei im Rahmen des bestehenden Luftfrachtvertrages mit der K. & N., Inc., M., USA eine entsprechende Weisung erteilt worden.
12
Die Nebenintervenientin rügt unter anderem die örtliche und internationale Zuständigkeit. Wegen des weiteren Vorbringens der Nebenintervenientin wird auf deren Schriftsätze verwiesen.
13
Die Klägerin hatte ursprünglich unter der Bezeichnung „S. J. N. I. C. o. E. Ltd.“ geklagt, welche ihre Vermögenswerte und Verbindlichkeiten im Zuge einer grenzüberschreitenden Verschmelzung bereits zum 1.01.2019 auf die S. I. (Europe), SA als übernehmende Gesellschaft übertragen hatte. Das Rubrum war daher zu berichtigten.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
I.
15
Das angerufene Gericht ist für die Entscheidung des Rechtsstreits infolge der rügelosen Einlassung der Beklagten gemäß § 39 ZPO zuständig.
16
Die Klage wurde wirksam erhoben mittels qualifizierter elektronischer Signatur über das besondere elektronische Anwaltspostfach gemäß §§ 253 Abs. 4, 130a Abs. 3, 4 Nr. 2 ZPO.
II.
17
Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch nicht zu.
18
Ein Schadensersatzanspruch aus Art. 18 Abs. 1 MÜ gegen die Beklagte besteht nicht, weil diese nicht Luftfrachtführerin war. Sie hat die Sendung lediglich als Erfüllungsgehilfin der Luftfrachtführerin, nämlich der K. & N., Inc., M., USA, am F.er Flughafen in Empfang genommen.
19
Ein Anspruch ergibt sich auch nicht aus § 425 Abs. 1 HGB. Dieser setzt voraus, dass der Verlust des Gutes in der Zeit von der Übernahme zur Beförderung durch den Frachtführer bis zur Ablieferung eingetreten ist. Das ist hier nicht der Fall. Es kann dahinstehen, ob die Versicherungsnehmerin der Klägerin mit der Beklagten einen selbstständigen Frachtvertrag über den Transport der Sendung von F. nach E. geschlossen hat oder von der K. & N., Inc., M., USA als Unterfrachtführer zum Weitertransport beauftragt wurde. In jedem Fall hatte die Beklagte die Sendung zum Zeitpunkt des Verlusts bei der Nebenintervenientin noch nicht als Frachtführerin zur Beförderung übernommen. Die Entgegennahme der Sendung am Flughafen F. und die anschließende Zwischenlagerung waren noch Teil der Luftbeförderung durch die K. & N., Inc., M., USA.
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Nach Art. 18 Abs. 3 MÜ umfasst die Luftbeförderung den Zeitraum, während dessen die Güter sich in der Obhut des Luftfrachtführers befinden. Zum Zeitpunkt des Verlusts der Sendung im Lager der Nebenintervenientin hatte die K. & N., Inc., M., USA noch die Obhut über die Sendung. Dabei war die Nebenintervenientin Erfüllungsgehilfin der Beklagten und die Beklagte Erfüllungsgehilfin der K. & N., Inc., M., USA.
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Das gilt auch für den Fall, dass die Beklagte den Weitertransport nach E. nicht als Unterfrachtführerin der K. & N., Inc., M., USA, sondern als selbstständige Frachtführerin aufgrund eines mit der Versicherungsnehmerin der Klägerin geschlossenen Vertrages ausführen sollte. Wird das Gut zum Weitertransport von einem anderen, nicht vom Luftfrachtführer eingeschalteten Frachtführer übernommen, so entlässt der Luftfrachtführer das Gut erst mit dem Abschluss der Beladung des übernehmenden LKW aus seiner Obhut (Koller, Transportrecht, 9. Aufl., Art. 18 MÜ Rn. 20). Hier hat die Beklagte den Verlust der Sendung bei der Auslieferung zum Weitertransport festgestellt und konnte infolgedessen nicht mit der Beladung des LKW beginnen.
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Mangels Schadensersatzanspruchs hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf Zinsen sowie auf vorgerichtliche Anwaltskosten nebst Zinsen daraus.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.