Geltung der Haftungsbeschränkungen des Montrealer Übereinkommens auch gegenüber außervertraglichen Ansprüchen des Frachtguteigentümers

OLG Frankfurt am Main, 23.02.2018 – 13 U 151/16

1.
Ein Luftfrachtführer kann gemäß Art. 29 MÜ grundsätzlich auch gegenüber außervertraglichen Ansprüchen des Eigentümers des Frachtgutes, der nicht Partei des Luftfrachtvertrags ist, die Haftungsbeschränkungen des Montrealer Übereinkommens geltend machen, wenn dieser Einsatz für einen in den Obhutszeitraum des Montrealer Übereinkommens fallenden Güterschaden begehrt.

2.
Die Einlagerung des Frachtgutes in einem Warenlager des Luftfrachtführers außerhalb des Flughafens fällt nur dann in den Haftungszeitraum des Art. 18 Abs. 1, 3 MÜ, wenn sie verkehrs- bzw. transportbedingt ist.

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 31.05.2016 verkündete Urteil der 10. Zivilkammer – Einzelrichter – des Landgerichts Darmstadt wird – unter gleichzeitiger Abweisung der darüber hinausgehenden Zinsforderung – mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte im Hinblick auf den Betrag von 10.078,15 € anstelle der dort ausgewiesenen Zinsen lediglich zur Zahlung von Zinsen vom 26.02.2013 bis zum 19.06.2013 in Höhe von 4 % p.a. und ab dem 20.06.2013 in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p.a. verurteilt wird.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Das angefochtene Urteil und dieses Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Gebührenstreitwert des Berufungsverfahrens wird auf 10.078,15 € festgesetzt.

Gründe
I.

Die Klägerin, ein in der Einrichtungsbranche tätiges Unternehmen mit Sitz in Berlin, nimmt die Beklagte auf Schadensersatz wegen des Verlusts von Frachtgut in Anspruch.

Anfang März 2010 rief eine Person, die sich als A ausgab, bei der Klägerin an und bestellte verschiedene Möbel. Streitgegenständlich sind dabei die Möbel, die Gegenstand der Rechnungen vom 28.10.2010 in Höhe von 6.320,00 € (Anlage K 1, Bl. 10 f. d. A.) und vom 05.05.2010 in Höhe von 5.673,00 € (Anlage K 2, Bl. 15 f. d. A.) sind. Die Zahlung sollte mittels Kreditkarte erfolgen. Die angegebenen Kreditkarten wurden zunächst von dem Kreditkartenunternehmen akzeptiert.

Die Person, die sich A nannte, bzw. eine weitere Person, die sich B nannte, beauftragte sodann die Beklagte mit dem Transport der Möbel von Berlin nach London per Luftfracht. Auf die Luftfrachtbriefe (Bl. 13, 17 d. A.) wird Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 15.06.2010 (Bl. 28 d. A.) reklamierte das Kreditkartenunternehmen die Belastungen der Kreditkarten, weil diese nicht gedeckt seien. Am 21.10.2010 erstattete die Klägerin beim LKA Berlin Strafanzeige wegen betrügerischen Verhaltens des Kreditkarteninhabers.

Auf Nachfrage teilte die Beklagte der Klägerin im November 2010 mit, dass sich die streitgegenständlichen Möbel im Lager der Beklagten in Stadt1, Tennessee, USA befänden. Die Klägerin forderte die Beklagte mit Schreiben vom 09.02.2011 (Anlage K 5, Bl. 30 d. A.) zur Herausgabe der Möbel auf. Mit Schreiben vom 14.03.2011 (Anlage K 9, Bl. 36 d. A.) verwies die Beklagte auf ihr Frachtführerpfandrecht und forderte zunächst Zahlung der Fracht.

Auf eine erneute Aufforderung zur Herausgabe der streitgegenständlichen Möbel teilte die Beklagte in einem Telefonat am 25.02.2013 mit, dass diese mittlerweile nicht mehr auffindbar seien. Mit Schreiben vom 19.06.2013 (Anlage K 12, Bl. 44 d. A.) verwies die Beklagte die Klägerin auf den Rechtsweg.

Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte sei verpflichtet, ihr den durch den Verlust der Möbel entstandenen Schaden in Höhe des Nettoverkaufspreises zu ersetzen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 10.078,15 € nebst jährlicher Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 24.02.2011 sowie 805,20 € vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst jährlicher Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, auf die von der Klägerin eingezahlten Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem Tag der Einzahlung der Gerichtskosten bei der Gerichtskasse bis zum Tag des Eingangs des Kostenfestsetzungsantrags bei Gericht nach Maßgabe der ausgeurteilten Kostenquote zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie rügt die Zuständigkeit des Landgerichts Darmstadt. Außerdem erhebt sie die Einrede der Verjährung.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 257 ff. d. A.) Bezug genommen.

Mit am 31.05.2016 verkündetem Urteil, der Beklagten zugestellt am 26.07.2016, hat das Landgericht der Klage überwiegend stattgegeben. Zur Begründung führt es aus, eine Zuständigkeit ergebe sich aus § 21 ZPO. Das Montrealer Übereinkommen finde auf den Rechtsstreit keine Anwendung, da zwischen den Parteien kein Luftbeförderungsvertrag geschlossen worden sei. Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin in Höhe von 10.078,15 € bestehe jedoch gemäß §§ 989, 990 BGB. Der Anspruch sei auch nicht verjährt, insbesondere finde die Verjährungsfrist des Art. 35 MÜ mangels Luftbeförderungsvertrags zwischen den Parteien keine Anwendung. Gleiches gelte für die Verjährungsfrist des § 439 HGB, denn es sei auch kein Frachtvertrag zwischen den Parteien zustande gekommen. Damit gelte die regelmäßige Verjährungsfrist des § 195 BGB, die zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht abgelaufen sei. Auf die weiteren Einzelheiten der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 269 ff. d. A.) wird Bezug genommen.

Hiergegen hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 17.08.2016 (Bl 303 f. d. A.), bei Gericht eingegangen am 18.08.2016, Berufung eingelegt, die sie – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist durch den Senat – mit Schriftsatz vom 09.11.2016 (Bl. 324 ff. d. A.), bei Gericht eingegangen am selben Tag, begründet hat. Sie ist weiterhin der Ansicht, das Landgericht Darmstadt sei weder örtlich noch international zuständig. Das Landgericht übersehe außerdem, dass § 439 HGB auch auf außervertragliche Ansprüche Anwendung finde. Es hätte schließlich, so die Beklagte, die Haftungsbeschränkungen des Montrealer Übereinkommens zu Gunsten der Beklagten anwenden müssen.

Auf einen Hinweis des Senats vom 24.11.2017 hat die Beklagte folgenden ergänzenden – von der Klägerin umfassend bestrittenen – Vortrag gehalten:

Zu dem damaligen Zeitpunkt habe die Beklagte ein sog. Overgoods-Setup gehabt, bei welchem die Überwarenanlage (Overgoods Facility) in Stadt1 genutzt worden sei. Bei dieser Überwarenanlage handele es sich um ein Lagerhaus, das sich in unmittelbarer Nähe einer Station oder eines Hub befunden habe und in dem Waren, die aus den verschiedensten Gründen nicht geliefert werden könnten, eingelagert worden seien. Habe ein deutscher Versender zum Beispiel eine Sendung nach Großbritannien verschickt und habe es in Folge dieser Versendung Lieferprobleme wie zum Beispiel eine fehlende Telefonnummer oder eine falsche Adresse gegeben, sei die Sendung nicht an den Versender zurückgeschickt, sondern in der Überwarenanlage eingelagert worden. In der Zeit der Einlagerung versuche der jeweilige Kundendienst der Beklagten, den Absender und/oder Empfänger zu erreichen, um die Zustellprobleme zu beseitigen. Sobald das Problem gelöst sei, würden die Sendungen aus der Überwarenanlage herausgezogen und es erfolge eine erneute Zustellung. Falls das Problem nicht gelöst werden könne, würden die Sendungen nach Ablauf einer Frist von 90 Tagen vernichtet. Die Einlagerung des streitgegenständlichen Frachtgutes in Stadt1 sei auf die Tatsache zurückzuführen, dass es nach der Übernahme zu Problemen der vorbeschriebenen Art gekommen sei. Die Einlagerung sei erfolgt, um diese Probleme zu lösen. Sie sei mithin verkehrs- bzw. transportbedingt. Die Einlagerung sei außerdem vor dem Schreiben vom 14.03.2011 erfolgt, so dass nicht auf das dort ausgeübte Frachtführerpfandrecht abgestellt werden könne.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Darmstadt vom 31.05.2017 zum Aktenzeichen 10 O 153/14 abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Insbesondere vertritt sie weiterhin die Auffassung, dass die Haftungsbeschränkungen des Montrealer Übereinkommens keine Anwendung finden, weil zwischen den Parteien kein Vertragsverhältnis besteht. Für Ansprüche Dritter gelte das Montrealer Übereinkommen nicht, weil Dritten das Risiko der internationalen Beförderung ihres Eigentums durch Luftfahrzeuge im Einzelfall nicht bekannt sei und sie sich damit einem derartigen Risiko auch nicht bewusst aussetzten. Die Beklagte habe überdies die streitgegenständlichen Möbel nicht aufgrund einer Vereinbarung, sondern aufgrund einer eigenen Entscheidung nach Stadt1 transportiert und dort jahrelang gelagert. Eine derart eigenmächtige Vorgehensweise der Beklagten werde nicht durch die Regelungen des Montrealer Übereinkommens privilegiert.

Auch § 439 HGB finde vorliegend mangels Beförderungsvertrags zwischen den Parteien keine Anwendung. Er erfasse zudem lediglich Ansprüche aus Beförderung. Die streitgegenständlichen Möbel seien jedoch nicht bei der Beförderung, sondern im Lager der Beklagten abhanden gekommen. Die Verjährung beginne gemäß § 439 Abs. 2 HGB auch erst mit dem Ablauf des Tages, an dem das Gut abgeliefert worden sei, was hier unstreitig nicht geschehen sei. Sie sei außerdem wegen der zwischen den Parteien geführten Verhandlungen gemäß § 203 BGB gehemmt gewesen.

Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Beklagten ist zwar zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie hat in der Sache aber nur insoweit Erfolg, als der von der Klägerin geltend gemachte Zinsanspruch zu einem geringen Teil abzuweisen war. Den begehrten Schadensersatzanspruch hat das Landgericht der Klägerin jedenfalls im Ergebnis zu Recht zugesprochen.

1. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Klage zulässig, insbesondere sind deutsche Gerichte international zuständig, was auch in der Berufungsinstanz zu prüfen ist (BGH, Urt. v. 28.11.2002, III ZR 102/02, juris Rn. 9 ff.; Zöller/Heßler, ZPO, 32. A. 2018, § 513 Rn. 8). Eine internationale Zuständigkeit ergibt sich vorliegend aus § 21 ZPO (vgl. Zöller/Schultzky, ZPO, 32. A. 2018, § 21 Rn. 4), denn die Beklagte unterhält in Stadt2 eine Niederlassung, auf deren Geschäftsbetrieb sich die Klage bezieht. Hierfür spricht sowohl der Umstand, dass Übernahmeort des Frachtguts Berlin war, als auch die Tatsache, dass jedenfalls die Frachtrechnungen vom 17.06.2010 (Bl 23 d. A.) und vom 13.07.2010 (Bl. 29 d. A.) von der Niederlassung der Beklagten in Stadt2 ausgestellt worden sind. Auch die mit dem konkreten Schadensersatzbegehren konfrontierten vorgerichtlichen Bevollmächtigten der Beklagten haben ausdrücklich angezeigt, insofern die rechtlichen Interessen der „Firma C Inc., Deutsche Niederlassung, D-Straße, Stadt2“ wahrzunehmen (vgl. Schreiben vom 18.02.2011, Anlage K 7, Bl. 34 d. A.).

2. Die Klage ist auch ganz überwiegend begründet. Der Klägerin steht ein Schadensersatzanspruch gegenüber der Beklagten wegen des Verlusts der Möbel in dem Lager der Beklagten in Stadt1/USA gemäß § 823 Abs. 1 BGB in Höhe von 10.078,15 € zu. Ein Zinsanspruch der Klägerin besteht – entgegen den Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils – allerdings erst ab 20.06.2013.

a) Dass sich der Schadensersatzanspruch der Klägerin nach deutschem Deliktsrecht richtet, ergibt sich aus Art. 4 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II-Verordnung). Hiernach ist auf ein außervertragliches Schuldverhältnis aus unerlaubter Handlung das Recht des Staates anzuwenden, in dem Schädiger und Geschädigter zum Zeitpunkt des Schadenseintritts ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben. Nach Art. 23 Abs. 1 Satz 2 Rom II-Verordnung ist hierfür der Ort, an dem sich die Zweigniederlassung befindet maßgebend, wenn – wie im Streitfall – das schadensbegründende Ereignis aus dem Betrieb der Zweigniederlassung herrührt.

b) Die Beklagte hat im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB jedenfalls fahrlässig das Eigentum der Klägerin an den streitgegenständlichen Möbeln verletzt.

Mit dem Landgericht ist davon auszugehen, dass die streitgegenständlichen Möbel zum Zeitpunkt des Verlusts im Eigentum der Klägerin standen. Die Klägerin kann sich insofern auf § 1006 Abs. 2 BGB berufen, wonach zugunsten des früheren Besitzers einer beweglichen Sache vermutet wird, dass er während der Dauer seines Besitzes Eigentümer der Sache gewesen ist. Die Eigentumsvermutung zugunsten des früheren Besitzers wirkt dabei auch über die Beendigung des Besitzes hinaus so lange fort, bis sie widerlegt wird (BGH, Urt. v. 10.11.2004, VIII ZR 186/03, juris Rn. 61 BGB). Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Klägerin der Beklagten die Möbel zum Transport nach England übergeben hat. Nach Art. 43 EGBGB ist dieser Sachverhalt auch nach deutschem Recht zu beurteilen, da sich die Möbel zu diesem Zeitpunkt (noch) in Deutschland befanden (vgl. OLG Hamburg, Urt. v. 13.03.2013, 14 U 103/12, juris Rn. 8 ff.). Die Beklagte hat nach der Übernahme der Möbel als Frachtführerin keinen Eigenbesitz (§ 872 BGB) an den Möbeln gehabt, so dass ein Eingreifen der Vermutung des § 1006 BGB zu ihren Gunsten ausscheidet. Dass nachfolgend ein Dritter Eigentum an den Möbeln erworben hat, hat die Beklagte nicht dargelegt und ist im Übrigen auch nicht ersichtlich. Insoweit nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen im angefochten Urteil Bezug. Einwendungen hiergegen hat die Beklagte im Rahmen der Berufung auch nicht erhoben.

Die Beklagte hat das Eigentum der Klägerin an den streitgegenständlichen Möbeln durch Entziehung der Sache (vgl. Palandt/Sprau, 77. A. 2018, § 823 Rn. 7 m.w.N.) fahrlässig verletzt. Die Beklagte räumt selbst ein, dass die Möbel in ihrem Lager in Stadt1/USA verschwunden sind und deswegen nicht mehr von ihr herausgegeben werden können. Dass sie insofern die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verletzt hat, liegt auf der Hand.

c) Der Schadensersatzanspruch der Klägerin unterliegt – entgegen der Ansicht der Beklagten – weder der Haftungsbegrenzung nach Art. 22 Abs. 3 des Übereinkommens zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (Montrealer Übereinkommen, MÜ) noch der Ausschlussfrist des Art. 35 MÜ.

Entgegen den Ausführungen in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils liegt dies allerdings nicht daran, dass zwischen den Parteien kein Luftbeförderungsvertrag zustande gekommen ist. Der Frachtführer kann vielmehr grundsätzlich auch gegenüber außervertraglichen Ansprüchen des Eigentümers des Frachtgutes, der nicht Partei des Frachtvertrags ist, die Haftungsbeschränkungen des Montrealer Übereinkommens geltend machen, wenn dieser Ersatz für einen in den Obhutszeitraum des Montrealer Übereinkommens fallenden Güterschaden begehrt (Art. 29 MÜ; vgl. Koller, Transportrecht, 9. A. 2016, Art. 29 MÜ Rn. 1; EBJS/Pokrant, MÜ, Art. 18 Rn. 32; Giemulla/Schmid/Müller-Rostin, Art. 18 MÜ Rn. 138).

Eine Anwendung der Haftungsbeschränkungen des Montrealer Übereinkommens scheidet hier jedoch aus, weil der Verlust des streitgegenständlichen Gutes im Lager der Beklagten in Stadt1/USA gerade nicht in den Obhutszeitraum des Art. 18 Abs. 3 MÜ fällt. Das Montrealer Übereinkommen knüpft, anders als Art. 18 Abs. 2 WA 1955, den Haftungszeitraum nicht mehr an die Örtlichkeit des Gutes, sondern allein an die Obhutsausübung des Luftfrachtführers an (BGH, Urt. v. 24.02.2011, I ZR 91/10, juris Rn. 25; Giemulla/Schmid/Müller-Rostin, Art. 18 MÜ Rn. 33). Grundsätzlich übernimmt der Luftfrachtführer die Obhut mit der Annahme des Frachtgutes im Rahmen der Beförderung und gibt sie mit der Ablieferung an den Empfänger wieder auf (Koller, Transportrecht, 9. A. 2016, Art. 18 MÜ Rn. 5). Das Gut muss sich dabei dergestalt im Einwirkungs- und Verantwortungsbereich des Luftfrachtführers befinden, dass dieser jederzeit in der Lage ist, es vor Verlust oder Beschädigung zu schützen (Giemulla/Schmid/Müller-Rostin, Art. 18 MÜ Rn. 36; E/B/J/S/Pokrant, 3. A. 2015, Art. 18 MÜ Rn. 15). Damit fällt auch die Einlagerung des Frachtgutes in einem Warenlager des Luftfrachtführers außerhalb des Flughafens grundsätzlich in den Haftungszeitraum des Art. 18 Abs. 1, 3 MÜ (BGH, Urt. v. 24.02.2011, I ZR 91/10, juris Rn. 25). Die Einlagerung muss allerdings verkehrs- bzw. transportbedingt sein, also in enger Beziehung zu dem Transport selbst stehen (Koller, Transportrecht, 9. A. 2016, Art. 18 MÜ Rn. 23; Giemulla/Schmid/Müller-Rostin, Art. 18 MÜ, Rn. 47). Dies war vorliegend nicht der Fall.

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob – den bestrittenen Vortrag der Beklagten zugrunde gelegt – die Lagerung der Möbel in der sog. Überwarenanlage der Beklagten in Stadt1/USA zunächst noch als transportbedingt angesehen werden kann, weil die Beklagte wegen der Information, dass gegen den Absender und den Empfänger wegen Betrugsverdachts Anzeige erstattet worden ist, die Beförderung unterbrechen und die Möbel einlagern durfte, um den Sachverhalt zu klären. Zweifel hieran können sich daraus ergeben, dass die Einlagerung in der Überwarenanlage in Stadt1/USA in einer ganz erheblichen räumlichen Entfernung zur Transportstrecke Berlin-London erfolgt ist, so dass für die konkrete Einlagerungsentscheidung in Stadt1 nicht mehr der streitgegenständliche Luftfrachtvertrag, sondern die allgemeine Betriebsorganisation der Beklagten ausschlaggebend erscheint. Hierauf kommt es jedoch im Ergebnis nicht an, denn jedenfalls ab dem Zeitpunkt, in dem die Beklagte die Möbel nicht mehr zur Aufklärung der Betrugsproblematik eingelagert hat, sondern die Lagerung auf einen unbestimmten Zeitraum ausgedehnt hat, um – wie sich aus dem Schreiben vom 14.03.2011 (Bl. 36 d. A.) ergibt – gegenüber der Klägerin als Eigentümerin der Möbel ein Frachtführerpfandrecht geltend zu machen, kann von einer transportbedingten Einlagerung keine Rede mehr sein.

d) Der Schadensersatzanspruch der Klägerin ist auch nicht verjährt, insbesondere ist eine Verjährung nicht gemäß § 439 HGB eingetreten.

Fällt die Schadensursache nicht in den Obhutszeitraum des Montrealer Übereinkommen, kann der Geschädigte uneingeschränkt auf das anwendbare nationale Recht zurückgreifen (Koller, Transportrecht, 9. A. 2016, Art. 29 MÜ Rn. 1), worunter im Streitfall angesichts des zwischen der Beklagten und dem Absender geschlossenen Frachtvertrags auch die Vorschriften der §§ 407 ff. HGB fallen. Grundsätzlich zutreffend ist ferner die Rechtsansicht der Beklagten, dass § 439 BGB auch auf außervertragliche Ansprüche Anwendung findet. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass es sich um außervertragliche Ansprüche handelt, die mit einer frachtvertraglichen Beförderung in einem unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen (BGH, Urt. v. 1001.2008, I ZR 13/05, juris Rn. 13; MüKoHGB/Eckardt, 3. A. 2014, § 439 Rn. 5; Koller, Transportrecht, 9. A. 2016, § 439 Rn. 2). Anders als im Rahmen des Art. 35 MÜ können hierunter auch Ansprüche wegen Güterschäden fallen, die außerhalb des Obhutszeitraums des § 425 Abs. 1 HGB liegen.

Vorliegend vermag der Senat einen unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs mit der frachtvertraglichen Beförderung allerdings nicht zu erkennen. Ein räumlicher Zusammenhang scheidet schon deswegen aus, weil der frachtvertragliche Übernahmeort Berlin und der frachtvertragliche Ablieferungsort London war, die Möbel aber in Stadt1/USA verschwunden sind. Auch ein zeitlicher Zusammenhang mit der frachtvertraglichen Beförderung kommt nicht in Betracht, denn diese fand im April bzw. Mai 2010 statt, während der Verlust der Möbel in Stadt1 frühestens Ende März 2011 – und mithin knapp ein Jahr später – eingetreten ist. Immerhin hat die Beklagte mit Schreiben vom 14.03.2011 die Herausgabe der Möbel noch von der Zahlung der Frachtkosten durch die Klägerin abhängig gemacht. Tatsächlich über den Verlust informiert hat die Beklagte die Klägerin sogar erst anlässlich eines Telefonats am 25.02.2013.

Damit richtet sich die Verjährung des Schadensersatzanspruchs der Klägerin nach §§ 195, 199 Abs. 1 BGB, wonach eine Verjährung nicht eingetreten ist. Die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren begann im Streitfall mit dem Schluss des Jahres 2013, denn die Klägerin hat unstreitig erst aufgrund des Telefonats vom 25.02.2013 von dem Verlust der Möbel Kenntnis erlangt. Mit Klageerhebung (§ 253 Abs. 1 ZPO) vom 05.05.2014 ist die Verjährung gemäß § 204 Abs.1 Nr. 1 BGB gehemmt worden.

e) Der Höhe nach richtet sich der Schadensersatzanspruch der Klägerin nach § 249 BGB. Hiernach kann die Klägerin Zahlung eines Betrags von 10.078,15 € verlangen. Die Ausführungen des Landgerichts zur Schadenshöhe, insbesondere die Schadensschätzung gemäß § 287 Abs. 1 BGB auf der Grundlage des eingeholten Sachverständigengutachtens ist berufungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat diese mit der Berufung auch nicht angegriffen.

f) Nach den vorstehenden Ausführungen kann schließlich dahingestellt bleiben, ob angesichts des unstreitigen Lage(r)orts der Möbel zum Zeitpunkt des Verschwindens in Stadt1/USA, für einen Schadensersatzanspruch der Klägerin, wie das Landgericht angenommen hat, (auch) das deutsche Rechtsinstitut des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses herangezogen werden kann, oder ob nicht vielmehr nach Art. 43 Abs. 1 EGBGB auf derartige Ansprüche das Recht des Staates zur Anwendung gelangt, in dem sich die Sache befindet (so BGH, Urt. v. 10.06.2009, VIII ZR 108/07, juris Rn. 7; demgegenüber für eine deliktische Anknüpfung: Palandt/Thorn, 77. A. 2018, Art. 43 EGBGB Rn. 4). Es kommt ferner nicht darauf an ob, wenn deutsches Recht zur Anwendung käme, ein Schadensersatzanspruch nach §§ 989, 990 BGB nicht daran scheitern würde, dass die Beklagte – die Klägerin hatte der Beförderung des Gutes zugestimmt – aufgrund ihres Frachtführerpfandrechts gemäß § 440 HGB ein Recht zum Besitz im Sinne des § 986 Abs. 1 S. 1 BGB hatte.

g) Die Klägerin kann Zinsen gemäß §§ 849, 246 BGB in Höhe von 4 % jährlich (BGH, Urt. v. 26.11.2007, II ZR 167/05, juris Rn. 3) ab dem Telefonat vom 25.02.2013 verlangen, in dem die Beklagte den Verlust der Möbel eingeräumt hat. Hierfür ist nicht Voraussetzung, dass die Klägerin Besitzerin der Möbel zum Zeitpunkt des Verlusts war (BGH, Urt. v. 26.11.2007, II ZR 167/05, juris Rn. 4). Dass die Möbel bereits zu einem (konkreten) früheren Zeitpunkt verschwunden sind, hat die Klägerin nicht behauptet. Ab dem Schreiben vom 19.06.2013 (Anlage K 12, Bl. 44 d. A.), in dem die Beklagte eine Schadensersatzleistung abgelehnt und die Klägerin auf den Rechtsweg verwiesen hat, steht der Klägerin der höhere Zinssatz von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß §§ 286 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3, 288 BGB zu.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10 ZPO.

5. Eine Zulassung der Revision ist nicht geboten, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und eine Entscheidung des Revisionsgerichts weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist (§ 543 Abs. 2 ZPO).

6. Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach §§ 47 GKG, 3 ZPO.

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